Eine qualitative Analyse der Entfremdungsprozesse nach Marx auf YouTube


Hausarbeit, 2022

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

Grounded Theory Methode

Forschungsethik und das Internet als Feld

Der theoretische Rahmen: Entfremdung nach Marx

Das Verhältnis zu Produkten

Das Verhältnis zur eigenen Tätigkeit

Das Verhältnis zur Natur

Das Verhältnis zu den anderen

Wie kommt es zu Entfremdung?

Kontext YouTube

Die Untersuchung

Hobby zum Beruf

Plattformbedingter Druck

Entfremdung auf YouTube

Die Entfremdung der YouTuberInnen des eigenen Videos

Die Entfremdung der YouTuberInnen der eigenen Tätigkeit

Die Entfremdung von sich selbst

Die Entfremdung von anderen Menschen

Subjektivierung der Arbeit

Fazit

Literatur:

Videoquellen:

Anhang Memos:

Einleitung

Arbeit ist im klassischen Sinn verbunden mit dem Ort der Fabrik: dröhnende Werksirenen, mechanisch stupide Tätigkeiten, klar aufgeteilte Arbeitsschritte und Stechuhr. Den Arbeitenden in einer Fabrik gehören weder die Produktionsmittel noch können sie frei über ihre Arbeitszeit oder Produkte ihrer Arbeit bestimmen. Diese Form der kapitalistischen Arbeit bezeichnet Karl Marx als entfremdet (1985, Bd. 3), was eine eigene Begrifflichkeit eingeführt hat. Die Arbeit macht laut Marx die Menschen zu dem, was sie sind und definiert sie als Gattung. Allgemein geht er davon aus, dass alle Menschen in der kapitalistischen Produktionsweise entfremdet sind. Menschliche Arbeit sollte aber, nach Ansicht des Sozialtheoretikers Marx frei und selbstbestimmt sein (1985, Bd. 23). Das solle das politische Ziel sein.

Ist das etwa heutzutage schon erreicht? Den Eindruck könnte man oberflächlich gewinnen, denn die monotone Arbeit am Fließband ist nicht mehr repräsentativ für den kapitalistischen Alltag. Arbeitsbedingungen sind subjektiviert, das heißt die Menschen können sich in ihrer Arbeit selbstverwirklichen und arbeiten autonom. (Schneider, 2017). Ein Beispiel für einen solchen Arbeitsplatz ist der der YoutuberIn, der wie ein marxistischer Traum erscheint. Den YoutuberInnen gehören die Produktionsmittel (Kamera, Stativ, Laptop usw.) und sie arbeiten selbständig. Sie können ihre Arbeitszeit und den Inhalt der Videos selbst bestimmen und sich kreativ ausleben.

Tatsächlich werden auf YouTube aber immer mehr Videos von YoutuberInnen hochgeladen, in denen sie ihr Burnout thematisieren. Sie berichten davon, dass sie sich überarbeitet, ausgelaugt und gestresst fühlen. Mit den Inhalten ihrer Arbeit können sie sich nicht mehr identifizieren.

Es liegt nahe, die Erschöpfung der VideoproduzentInnen mit dem Konzept der Entfremdung zu erklären. Die Freiheit und Selbständigkeit, die die Plattform gewährt, entpuppten sich bei näherer Analyse als nicht-existent.

Diese Hausarbeit wird das theoretische Konzept der Entfremdung von Marx auf die Arbeitsverhältnisse bei YouTube anwenden. In einem ersten Schritt wird die Methode zur Datenerhebung vorgestellt. Daraufhin wird das theoretische Konzept der Entfremdung nach Marx eingeführt. Im dritten Teil werden die Ergebnisse aus der Videoanalyse vorgestellt und vor dem Kontext der Entfremdung diskutiert.

Grounded Theory Methode

Ich habe mich bei der Wahl der Methode für die qualitative Untersuchung der Grounded Theory nach Anselm Straus und Barney Glaser entschieden (1967). Bei den verschiedenen Faktoren der kreativen Arbeit auf YouTube ist es besonders sinnvoll, abstrakte Konzepte zueinander in Beziehung zu setzen. Die Grounded Theory ermöglicht, systematisch Daten zu erfassen und gleichzeitig flexibel die Daten zu erweitern. Somit sind Analyse und Datenerhebung eng miteinander verknüpft. Ich werde untersuchen, wie sich im Arbeitskontext YouTube, die YouTuberinnen zu sich selbst, zu ihrer Tätigkeit und ihren Videos verhalten. Dabei liegt der Fokus auf der kapitalistischen Verwertungslogik und welche Bedingungen dafür sorgen, dass sich YouTuberInnen gegenüber ihrer Tätigkeit entfremdet fühlen.

Welche Faktoren sorgen dafür, dass YouTuberInnen sich von ihrer Tätigkeit entfremden?

Inwieweit hängen entfremdete Faktoren mit der Plattform zusammen?

Zur Auswertung wurden reichweitenstarke, deutschsprachige VollzeityoutuberInnen ausgewählt, die in selbst produzierten Videos oder in Interviewformaten über ihre Arbeit als YouTuberIn sprechen. Die Kanäle sind JANAKlar, SophieLaurent, LeFloid, Lochis, Jonasems, SimonUnge, DagiBee, Emrah, Abdel, Malwanne, Siegismund Fabian, Rewinside, Sturmwaffel, Spacefrogs, Gnu, Lisa Küppers, Marius Angeschrien, Benni Bähr, Simon Will und JoeyJungle. Für die Auswertung habe ich Videos transkribiert und danach Ausschnitte nach der„line-by-line“-Analyse kodiert. (Charmaz 2009)

Die thematischen Codes habe ich ausgewertet, wie die Bedingungen von YouTube als Arbeitsplatz beschrieben werden und wie sich diese Bedingungen auf den Inhalt der Videos auswirken. Nach dem Kodieren von zwei Videos habe ich Codes notiert, die sich vor allem mit dem Algorithmus und dem Dashboard von YouTube beschäftigen. Auffällig waren drei Themenkomplexe: Selbstverwirklichung, Zufriedenheit und Hobby-zum-Beruf-machen. Mir ist nach einem weiteren Video bewusst geworden, dass die YouTuberInnen ein Spannungsfeld definieren. Auf der einen Seite sehen sie das freie, kreative Schaffen und auf der anderen Seite die Architektur von YouTube, die eine bestimme Art der Arbeit vordiktiere (Siehe Anlage Memos). Der Upload des Videos hat somit einen maßgeblichen Einfluss auf die Produktionsbedingungen. Das wird als einengend verstanden und sogar negativ beschrieben. Der enge Handlungsrahmen der Plattform wird oft mit Burn-out als Folge thematisiert. Burnout oder Erschöpfung können als soziologische Phänomene empirisch erfasst werden (Karger, 1981).

Nicht eigene Ziele bestimmen Arbeitsweise und Kreativität, sondern fremde Ziele; nämlich die der Plattform. Der marxistische Entfremdungsbegriff bietet sich als theoretischen Kontext an. Ich habe mich daher entschieden, meine Untersuchung mittels dieses Konzepts voranzutreiben, um die Erschöpfung der YouTuberInnen untersuchen zu können.

Dazu habe ich in der weiteren Datenerfassung bewusst nach Videos gesucht, die sich mit Burn-out oder Erschöpfung qua Beruf beschäftigen. Außerdem habe ich das Thema Zufriedenheit als thematischen Code aufgenommen. Für die weitere Auswertung habe ich im axialen Kodieren die Codes zusammengefasst: Zum einen die Codes, die sich mit den positiven und negativen Aspekten des Berufs beschäftigen, und zum anderen die Beschreibung und Benennung von Mechanismen, die zur Entfremdung führen können. Nach sieben Videos hatte ich für diesen Rahmen eine ausreichende theoretischen Sättigung erreicht. Die Codes, die in den ersten Videos festgelegt worden sind, haben sich wiederholt und konnten gut zusammengefasst werden.

Forschungsethik und das Internet als Feld

Die qualitative Forschung im Internet wirft viele forschungsethische Fragen auf, die gegenwärtig noch diskutiert werden. In der Folge gibt es bereits verschiedene Anregungen und Hinweise, aber nur noch wenig klare Richtlinien.

Bei Webseiten, bei denen man sich registrieren muss, muss zuerst die Zustimmung für die Erlaubnis zu forschen bei den TeilnehmerInnen eingeholt werden. (Zimmer 2010). Weil YouTube eine öffentlich zugängliche Seite ist, muss laut Informationswissenschaftlerin Amy Bruckman keine Erlaubnis zur Benutzung der Daten eingeholt werden (Bruckman 2002). Weiterhin handelt es sich nicht um sensible Daten, weshalb ich mich gegen eine Anonymisierung der Daten entschieden habe. Klarnamen, die nicht öffentlich sind, wurden ausgenommen.

Der Zugang zu meinem Feld war sehr niedrigschwellig. Wie jeden Tag bin ich auf die Plattform YouTube gegangen, um mir Videos anzuschauen. Ich habe mich wie eine Lurkerin verhalten, das heißt die Inhalte passiv konsumieren und nicht mit anderen interagieren. (Koch 2014). Der einzige Unterschied zu meiner alltäglichen Nutzung auf YouTube ist der forschende Blick. Die Inhalte habe ich mir wie jede andere NutzerIn konsumiert. Der Unterschied liegt in der Auswertung und Einordung der Daten.

Der theoretische Rahmen: Entfremdung nach Marx

Die Entfremdung der Arbeit hat vier verschiedene Aspekte. Diese werden bei Marx wie folgt kategorisiert.

1. Die mögliche Entfremdung der Arbeitenden vom eigenen Produkt
2. von der eigenen Tätigkeit
3. von sich selbst und ihrer Natur
4. und schließlich von anderen Menschen (Henning, 2015:17)

Das Verhältnis zu Produkten

„Wenn das Produkt der Arbeit nicht dem Arbeiter gehört, eine fremde Macht ihm gegenüber ist, so ist dies nur dadurch möglich, daß es einem anderen Menschen außer dem Arbeiter gehört“ (Marx 1985: 519).

Die Arbeitskraft wird laut Marx durch das Kapital bzw. Profitmaximierung diktiert. Das heißt, dass den Arbeitenden nicht ihre eigenen Produkte gehören, sondern denen, die sie bezahlen. Folgerichtig gehören die Produkte, die aus der eigenen Arbeitskraft hervorgehen, nicht mehr einem selbst. Die Entfremdung vom eigenen Produkt entsteht deshalb daraus, dass jemand anders, und nicht der Produzierende selbst, über es bestimmt.

Das Verhältnis zur eigenen Tätigkeit

Die Entfremdung der Produkte bezieht sich auch auf die Tätigkeit, die die Produkte hervorbringt. Das heißt, dass wenn man nicht mehr über seine eigenen Produkte verfügen kann, dann ist auch die Arbeitskraft an sich entfremdet. Die Selbstbestimmung über die Arbeit fehlt, weil über die Arbeit fremdverfügt wird. In der Lohnarbeit wird über die Verwendung der Fähigkeiten der Arbeitenden von oben bestimmt.

Das führt letzten Endes nach Marx dazu, dass der Einzelne „sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt“ (1985: Bd 40, 514).

Das Verhältnis zur Natur

Ein weiterer Faktor der Entfremdung bezieht sich auf die Natur. Damit ist sowohl der eigene Leib als auch die Natur um uns herum gemeint. Für Marx ist die freie sinnliche Tätigkeit das, was uns zum Menschen macht. Die Lohnarbeit sorgt laut Marx dafür, dass wir uns von unserer Gattung als Mensch entfremden.

„Indem daher die entfremdete Arbeit dem Menschen den Gegenstand seiner Produktion entreißt, entreißt sie ihm sein Gattungsleben. […] Sie entfremdet dem Menschen seinen eignen Leib, wie die Natur außer ihm“ (1985: Bd. 40, 517).

[...]

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Eine qualitative Analyse der Entfremdungsprozesse nach Marx auf YouTube
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Kulturwissenschaften)
Veranstaltung
Kultursoziologie(n) des digitalen Kapitalismus. Qualitative Sozialforschung im Feld der Plattform-Ökonomie
Note
2,0
Autor
Jahr
2022
Seiten
21
Katalognummer
V1217559
ISBN (eBook)
9783346648860
ISBN (Buch)
9783346648877
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Marx, Entfremdung, Youtube, Grounded Theory, Youtuber
Arbeit zitieren
Henriette Boysen (Autor:in), 2022, Eine qualitative Analyse der Entfremdungsprozesse nach Marx auf YouTube, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1217559

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Eine qualitative Analyse der Entfremdungsprozesse nach Marx auf YouTube



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden