Die Vertreibung aus dem Paradies

Die Bevölkerung auf dem Gebiet des heutigen Kruger National Parks


Hausarbeit (Hauptseminar), 1999

31 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Zur Terminologie

Die Quellen

Die Geschichte des Kruger National Parks

Die Bevölkerung des südlichen Afrikas

Die Bevölkerung auf dem Gebiet des Kruger National Parks

Die Venda-sprechenden Völker

Die Tsonga-sprechenden Völker

Das Schicksal der Bevölkerung

Nachwort

Bibliographie

Vorwort

Stevenson Hamilton nennt seinen Bericht über die Gründung des Kruger National Parks "South African Eden". Der Park ist heute sicher ein Paradies für Tiere, aber der Titel hat auch einen von ihm sicher nicht beabsichtigten Doppelsinn. So wie die Menschen aus dem Paradies vertrieben wurden, so mußte auch die Bevölkerung des Kruger National Parks ihre Heimat verlassen.

Es stellten sich mir die Fragen, wer waren diese Menschen, die entweder als "blutrünstige Barbaren"[1], "teuflische, grausame Wilderer"[2] oder als "couragierte, treue eingeborene Ranger"[3] beschrieben werden? Wo kamen sie her, und wie sahen ihre sozialen und politischen Strukturen aus, und welches Schicksal erlitten sie, nachdem sie kein Platz mehr auf dem Land hatten, das so unangetastet sein sollte, wie der Gott es schuf[4] ?

Als Quellen stehen einige zeitgenössische Beschreibungen der Völker des Gebietes von Lestrade und Warmelo zur Verfügung. Bei der Geschichte des Parkes werde ich mich in erster Linie auf den Gründer des Parkes Stevenson-Hamilton und seine Tochter Jane Carruthers, die viel zu dem Kruger National Park veröffentlicht hat, berufen.

Die Veränderungen, die sich in der neueren Zeit für die Bevölkerung ergeben haben, und ihre Vertreibung aus dem Park werde ich anhand der Publikationen von Patrick Harries versuchen nachzuzeichnen.

Zur Terminologie

Bei dieser Arbeit stellte sich mir das Problem, adäquate Bezeichnungen für die afrikanischen Organisationsstrukturen und ihre Repräsentanten zu finden. Dafür gibt es aus meiner Sicht zwei Gründe: der eine ist, dass es in der deutschen Sprache keine Ausdrücke gibt, die diese Personen und Gemeinschaften auch nur annähernd beschreiben. Das Wort 'Stamm', abgesehen davon, dass es mir negativ belegt zu sein scheint, bezeichnet eine "ethnische Einheit, die sich durch sprachliche und kulturelle Homogenität auszeichnet"[5]. Diese Definition trifft auf afrikanische Gemeinschaften nicht zu, da sie sich durch eine große soziale Durchlässigkeit, sprachliche Vielfältigkeit und sehr große Flexibilität auszeichnen[6]. Der Versuch, in Fremdsprachen zu fliehen und stattdessen 'tribe' oder 'Ethnie' zu benutzen, ist meiner Meinung nach wenig hilfreich. 'Tribe' bedeutet Stamm und trägt somit nichts zur Klärung des Problems bei. 'Ethnie' heißt Volk[7], und als Volk bezeichnet man eine "Gesamtheit von Menschen, die sich durch Kultur, Sprache und Geschichte verwandt glauben"[8]. Der Begriff erscheint mir aus dem gleichen Grund ungeeignet wie 'Stamm' oder 'tribe'. Der andere Grund ist die unübersehbare Fülle der verschiedensten Gemeinschaften mit allen ihren Facetten. So ist es gar nicht möglich, einen für ganz Afrika zutreffenden Begriff zu finden. Auf ähnliche Schwierigkeiten trifft man bei Häuptling und 'chief', Klan, Sippe oder Familie.

Ich werde in dieser Arbeit meistens die Begriffe Volk, Klan, Familie und Oberhäupter verwenden. Sie sind so unzutreffend wie alle anderen auch, aber sie kommen mir neutral und historisch unbelastet vor. Wenn es mir im Kontext sinnvoll erscheint, werde ich auch von Stämmen und Häuptlingen sprechen und versuchen, die Begriffe klar zu definieren.

Des Weiteren werde ich bei Völker- oder Sprachennamen nur den Wortstamm verwenden. Ich bin mir bewusst, dass dies in den afrikanischen Klassensprachen unmöglich ist. Die korrekte Anwendung der Vorsilben bringt für den Leser keinen Vorteil, und deshalb werde ich also z.B. Suto statt Basuto, wenn ich das Volk meine, schreiben und ihre Sprache auch Suto statt Sisuto nennen.

Die Quellen

Es ist sehr schwierig, die ursprüngliche Bevölkerung des Parks zu beschreiben oder in bestimmte Zugehörigkeiten einzuteilen, wie Stämme, Völker oder Nationen. Das hängt einmal damit zusammen, dass sich unsere Vorstellungen eines politischen oder sozialen Gemeinwesens schwer mit den afrikanischen Gegebenheiten vereinbaren lassen[9], und zum anderen damit, dass alle Berichte über die Völker in Afrika mehr oder weniger stark von den Vorstellungen der Autoren[10] geprägt sind. So beschreibt z. B. der

Missionar Merensky, der 1860 in den Süden des jetzigen Kruger National Parks vordrang, die afrikanischen Führer, die seinen missionarischen Ideen abgeneigt waren, als blutrünstige Despoten, andere, die sich seinen Ideen aufgeschlossen zeigten, als fürsorgliche Landesfürsten[11]. Auch meinte er, Christen an ihrem Gesichtsausdruck zu erkennen, da der scheue, lauernde und unstete Blick verschwunden sei[12].

Auch Junods Beschreibungen, er war als Missionar im südlichen Afrika tätig, sind von europäischen Vorstellungen geprägt, und er schließt daher von einer einheitlichen Sprache mit verschiedenen Dialekten auf eine Nation im europäischen Sinne[13]. Der Begriff Nation beschreibt eine "Lebensgemeinschaft von Menschen mit dem Bewußtsein gleicher politisch-kultureller Vergangenheit und dem Willen zum Staat."[14] Diese Definition trifft auf die Gesellschaften im südlichen Afrika nicht zu, da sie ständigen Bewegungen und Veränderungen unterworfen waren. Eine Fixierung dieser Entwicklung geschah durch die Festschreibung des 'Stammesrechts' während der Kolonialzeit oder in diesem Fall durch die Eingeborenenverwaltung der Süd-afrikanischen Union[15].

So ist unser Wissen über die vorkolonialen Kulturen sehr gering, da die zeitgenössischen Chronisten lange meinten, dass die afrikanischen mündlichen Überlieferungen unserer Vorstellung von historischer Authentizität nicht genügten und sie daher vernachlässigt wurden. Auch die Vorstellung von einem linearen Ablauf der Geschichte in einem ununterbrochenen Zusammenhang kausaler Vorgänge war in Afrika weitgehend unbekannt[16]. Die Zeit wird eher in der Kategorie etwas hat stattgefunden oder findet statt, für Europäer ist dies die Vergangenheit und die Gegenwart, im Gegensatz zu etwas hat noch nicht stattgefunden, für uns ist dies die Zukunft, eingeteilt[17]. Auch ist für ein Ereignis nicht der genaue Zeitpunkt entscheidend, wie etwa morgens als die Sonne aufging, sondern dass eine bestimmte immer wieder durchgeführte Handlung, z.B. das allmorgendliche Melken, stattfand. Ähnlich werden längere Zeitabschnitte bestimmt. Es ist nicht wichtig, dass ein bestimmter Monat anbricht oder wie viele Tage verflossen sind, sondern dass der Rhythmus von Trocken- und Regenzeit nicht unterbrochen wird und damit die "Zeitdimension der Vergangenheit"[18] vergrößert wird. So muß dann auch jeder Versuch, afrikanische Überlieferungen in einen europäischen Zeitrahmen einzupassen, scheitern. Es ist nicht entscheidend, vor wie vielen Jahren ein Ereignis geschah, sondern dass es geschah. So dokumentierte Junod eine über 65 Jahre reichende Chronologie der Tsonga[19] und bezeichnet die Erwähnung einiger Ereignisse als kindisch[20]. Auch wenn die Ereignisse zum Teil keine große Bedeutung zu haben scheinen, so sind sie doch geeignet, ein bestimmtes Jahr zu identifizieren.

Die kolonialen Chronisten bemühten sich, das vermeintliche Chaos in Afrika zu ordnen. Sie identifizierten Stämme und ordneten ihnen ein bestimmtes Gebiet, eine Kultur und eine Sprache zu. Das führte dazu, dass aus Sprachen wie Tsonga oder Venda[21] und aus Gebietsbenennungen wie Bamileke im Kamerun[22], Stämme erdacht wurden. So taten sie der europäischen Vorstellung, dass ein Afrikaner genauso ein Angehöriger eines Stammes sei, wie der Europäer einer Nation angehört, genüge[23]. Aber im Gegensatz zu dieser Vorstellung konnte ein Afrikaner sich als 'Untertan' des Häuptlings A, als Mitglied des Kultes B und als Angehöriger des Klans C definieren. Es konnten aber die anderen Mitglieder seines Klans oder Kultes Angehörige anderer Häuptlinge, Klane oder Kulte sein[24].

Auch wurden parallel existierende Mythen und Genealogien bereinigt und entsprechend ihrer vermeintlichen Glaubwürdigkeit dokumentiert oder verworfen. Andere wurden bei Streitigkeiten, etwa vor einem Kolonialgericht, solange verändert, bis sie von den Kolonialbeamten für glaubwürdig befunden und als wahr niedergeschrieben wurden[25].

Man sieht also, dass es mir nicht möglich sein wird, ein reales Bild der Bevölkerung und ihrer sozialen und politischen Organisation zu zeichnen. Aufgrund der Quellen wird es mir nur möglich sein, die Beobachtungen der Europäer in geraffter Form wiederzugeben und abermals eine Auswahl über Glaubwürdiges und Unglaubwürdiges, Wichtigem und Unwichtigem zu treffen. Diesmal gefiltert durch die Brille der heute herrschenden Fehl- und Vorurteile.

[...]


[1]Carruthers, J.; Paul Kruger and the Kruger National Park; S.281.

[2]ebenda; S.271.

[3]ebenda.

[4]ebenda; S.279.

[5]Brockhaus

[6]Harding, L; Einführung in das Studium der Afrikanischen Geschichte; S.39-40.

[7]Neues Deutsches Wörterbuch; S.290.

[8]ebenda; S.1000.

[9]Harding, L.; Einführung in das Studium der Afrikanischen Geschichte; S.32-47.

[10]Harries, P; Exclusion, Classification and internal Colonialism; S.87.

[11]Merensky, A.; Missionsleben in Transvaal; S.39.

[12]ebenda; S.50.

[13]Junod, H.; The life of a South African Tribe; Band I; S.14.

[14]Duden, Das Fremdwörterbuch; S.524.

[15]Harding, L.; Einführung in das Studium der Afrikanischen Geschichte; S.40-41.

[16] Jones, A.; Kolonialherrschaft und Geschichtsbewußtsein; S.74.

[17] Wienecke, W.; Die Bedeutung der Zeit in Afrika; S.45.

[18] ebenda; S.47.

[19] Junod, H.; The Life of a South African Tribe; Band II; S.585-586.

[20] ebenda; S.587.

[21] Jones, A.; Kolonialherrschaft und Geschichtsbewußtsein; S.76.

[22] Harding, L.; Einführung in das Studium der Afrikanischen Geschichte; S.40.

[23] Jones, A.; Kolonialherrschaft und Geschichtsbewußtsein; S.76.

[24] ebenda.

von Warmelo, N.J.; Ethnological Publications V; S.6.

[25] Jones, A.; Kolonialherrschaft und Geschichtsbewußtsein; S.83-84.

Lestrade, G.P.; Some Notes on the Political Organization of the Venda-speaking Tribes; S.3.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Die Vertreibung aus dem Paradies
Untertitel
Die Bevölkerung auf dem Gebiet des heutigen Kruger National Parks
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Seminar für Afrikawissenschaften)
Veranstaltung
Hauptseminar Von der Frontier zur Peripherie
Note
1,3
Autor
Jahr
1999
Seiten
31
Katalognummer
V120535
ISBN (eBook)
9783640247134
ISBN (Buch)
9783640245772
Dateigröße
831 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Südafrika, Apartheid, Kruger National Park
Arbeit zitieren
Sascha Wisotzki (Autor:in), 1999, Die Vertreibung aus dem Paradies, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120535

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