1 Einleitung

Die Untersuchung von Kontexteffekten und deren Bedeutung für den schulischen Bildungserfolg hat in der Soziologie eine lange Tradition. Eine zentrale Rolle wird dem familiären Hintergrund von Schülern sowie dem schulischen Lernumfeld zugeschrieben (z. B. Baumert et al. 2006; Ehmke und Jude 2010; Coleman 1966). Darüber hinaus verdeutlichen insbesondere Forschungsarbeiten aus dem angloamerikanischen Raum, dass auch soziostrukturelle Merkmale der nachbarschaftlichen Wohnumgebung für den schulischen Lernerfolg von Bedeutung sein können (z. B. Ainsworth 2002; Crowder und South 2003; Goldsmith 2009).

Die Identifikation von Nachbarschaftseffekten ist nicht trivial, weil soziostrukturelle Merkmale von Nachbarschaften eng mit individuellen und familiären Merkmalen der dort lebenden Schüler sowie mit Merkmalen des schulischen Kontextes verknüpft sind. Sozialräumliche Segregation besteht dann, wenn sich einkommensstarke Haushalte in Nachbarschaften von Städten und Ballungsgebieten konzentrieren, die durch höhere Mieten und eine höhere Wohnqualität geprägt sind, und sich einkommensschwache Haushalte in Quartieren mit geringeren Mieten und schlechterer Wohnqualität bündeln (Häussermann und Kronauer 2009). Bedingt durch diese „Sortierung“ von Nachbarschaften nach dem sozioökonomischen Status wachsen nicht wenige Schüler in Wohnumfeldern auf, in denen die Bewohner einen vergleichbaren sozioökomischen Hintergrund aufweisen wie die eigene Familie. Wenn sie zudem eine Schule in Wohnortnähe besuchen, lernen sie dort häufig gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen, die sowohl einen ähnlichen sozioökonomischen Hintergrund haben als auch aus derselben Nachbarschaft kommen (vgl. Ainsworth 2002).

Soziostrukturelle Merkmale der Nachbarschaft können aber auch über diese familiären und schulischen Faktoren hinaus die Lebensbedingungen und die Lebenschancen prägen (vgl. auch Bügelmayer und Schnitzlein 2018; Levy et al. 2019). Ausgelöst durch Rollenvorbilder und soziale Normen können außerfamiliäre Sozialisationsprozesse ein Mechanismus sein, über den nachbarschaftliche Merkmale das Verhalten und die Einstellungen von Kindern und Jugendlichen prägen (Brännström 2008). Epidemische Theorieansätze gehen dabei von nichtlinearen Effekten aus, die erst ab bestimmten Schwellenwerten auftreten (Crane 1991). Eine Sozialisation durch das nachbarschaftliche Umfeld wird zudem insbesondere für ältere Kinder und Jugendliche erwartet, da Heranwachsende mit voranschreitendem Alter zunehmend mehr Zeit in Sozialräumen außerhalb der Familie verbringen (vgl. Helbig 2010; Duncan und Raudenbush 1999).

Während die Untersuchung von Nachbarschaftseffekten auf den schulischen Bildungserfolg im angloamerikanischen Raum eine lange Tradition hat (vgl. Johnson 2012), liegen bislang kaum Forschungsarbeiten für Deutschland vor. Eine Ausnahme davon bildet die Studie „Neighborhood does matter!“, welche 2010 in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie veröffentlicht wurde. Hier zeigt Helbig (2010) anhand von Daten aus Berlin, dass sich das Wohnen in Nachbarschaften mit einer günstigen Sozialstruktur unter Berücksichtigung schulspezifischer Merkmale positiv auf die Kompetenzentwicklung von Grundschülern auswirkt. Da die Messung der Nachbarschaft indirekt über den Schulstandort erfolgte, kann allerdings nicht systematisch zwischen Effekten des Nachbarschaftskontexts und Effekten des Schulkontextes differenziert werden. Zudem beschränkt sich die Studie auf den Berliner Raum. Inwiefern die Zusammenhänge auf andere Wohnorte übertragen werden können, bleibt offen.

Hieran anknüpfend untersucht der vorliegende Artikel, welchen Beitrag die Nachbarschaft von Schülern neben individuellen und familiären Faktoren sowie dem Schulkontext zur statistischen Erklärung schulischer Kompetenzen leistet, welcher Art diese Zusammenhänge sind (linear oder nichtlinear) und ob sich die Zusammenhänge zwischen Nachbarschaft und schulischen Kompetenzen sowohl in der Primarstufe als auch in der Sekundarstufe abzeichnen. Zur Untersuchung dieser Fragestellungen werden Daten für die Freie Hansestadt Bremen aus den beiden querschnittlichen IQB-Bildungstrendstudien 2015 (1467 Schüler der neunten Jahrgangsstufe) und 2016 (1546 Schüler der vierten Jahrgangsstufe) mit sozialräumlichen Daten des Statistischen Landesamts Bremen verknüpft. Im Gegensatz zu bisherigen Studien aus Deutschland beinhaltet diese Datengrundlage eine kleinteilige Messung von Nachbarschaftsmerkmalen. Außerdem können Effekte von Nachbarschaftsmerkmalen unabhängig von Merkmalen der besuchten Schule geschätzt werden. Die Erkenntnisse der Studie sind praktisch bedeutsam, weil sie Überlegungen in Hinblick auf sozialen Wohnbau und die kompensatorische Ausstattung von Schulen in sozial benachteiligten Wohngebieten empirisch unterfüttern. Darüber hinaus verdeutlicht die Studie den Mehrwert einer Verknüpfung von schulstatistischen Individualdaten, amtlichen Kontextinformationen und Erhebungsdaten des „large-scale assessment“ auf Ebene der Schüler für die Bildungsdateninfrastruktur.

2 Theoretische Annahmen zum Zusammenhang zwischen Nachbarschaft und schulischem Bildungserfolg

Nachbarschaftseffekte können als Kontext- oder als Kompositionseffekte des Wohnumfelds verstanden werden (vgl. Friedrichs 2014, S. 288). Während Kontexteffekte unabhängig von der Zusammensetzung der Bevölkerung vorliegen können, wie beispielsweise durch das Ausmaß an Luftverschmutzung, ergeben sich Kompositionseffekte direkt aus dieser Zusammensetzung (z. B. über die durchschnittliche Arbeitslosenquote). Insbesondere in Ballungsgebieten sind Wohnumgebungen hinsichtlich sozialstruktureller Gegebenheiten entmischt. Sie unterscheiden sich beispielsweise hinsichtlich des mittleren Einkommens, der Arbeitslosigkeit, dem Sozialleistungsbezug oder auch der mittleren Bildungsabschlüsse der Bewohner. Hinzu kommen Unterschiede in weiteren Wohnortmerkmalen, wie der Wohnungsdichte, Infrastruktur oder auch Kriminalität. Im vorliegenden Beitrag umfasst der Begriff „Nachbarschaft“ sozialstrukturelle Merkmale, insbesondere den mittleren sozioökonomischen Status der dort lebenden Menschen. Dabei wird zwischen mehr weniger privilegierten Nachbarschaften unterschieden. Die räumliche Konzentration oder Segregation solcher sozialstrukturellen Merkmale kann unabhängig von individuellen und familiären Faktoren die Sozialisation und damit das soziale Handeln der Bewohner beeinflussen (z. B. Ainsworth 2002; Crowder und South 2003; Goldsmith 2009) und dementsprechend Kompositionseffekte auslösen.

2.1 Nachbarschaft und schulische Kompetenzen

Zur Erklärung der Zusammenhänge zwischen der Nachbarschaft und den schulischen Kompetenzen eignen sich die Theorie der kollektiven Sozialisation nach Jencks und Mayer (1990) und die epidemische Theorie von Crane (1991) (Helbig 2010; siehe auch Federlein 2017). Im Mittelpunkt der Theorie der kollektiven Sozialisation steht der Einfluss der Nachbarschaft auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen durch Rollenvorbilder. Zum einen gibt es diese Rollenmodelle in der Familie. Zum anderen kann auch die Sozialisation außerhalb der Familie bedeutsam sein (vgl. Jencks und Mayer 1990). Durch die Beobachtung des Handelns von Rollenvorbildern und den zugrunde liegenden sozialen Normen findet eine kollektive Sozialisation statt (vgl. Friedrichs 2014). Heranwachsende beobachten das Verhalten ihrer Rollenvorbilder. Diese signalisieren durch ihr Handeln, welches Verhalten sozialen Normen entspricht. Über diesen Weg wird Heranwachsenden vermittelt, welches Verhalten in einer Nachbarschaft sozial erwünscht ist.

In Nachbarschaften mit einem durchschnittlich hohen sozioökonomischen Status stehen andere Rollenmodelle zur Verfügung als in Nachbarschaften mit im Mittel niedrigem sozioökonomischen Status. Aufgrund der sozialen Stratifizierung von Bildungsaspirationen (vgl. Bozick et al. 2010) könnten Rollenmodelle in sozial privilegierten Nachbarschaften höhere Bildungsorientierungen bestärken und über diesen Weg zu höheren schulischen Leistungen beitragen. Umgekehrt könnten negative Rollenvorbilder in sozial weniger privilegierten Nachbarschaften zu einer Absenkung von Bildungsorientierungen beitragen (siehe Ainsworth 2002). Hinzu kommen weitere theoretische Erklärungen für die Rolle der Nachbarschaft auf den Bildungserfolg, die von Wodtke et al. (2011) unter „soziale Isolation“, „soziale Organisation“, „nachbarschaftliche Ressourcen“ und das „physische Umfeld“ zusammengefasst werden. Soziale Isolation meint, dass in sozial weniger privilegierten Nachbarschaften die sozialen Netzwerke für Erwachsene fehlen, die für eine erfolgreiche Arbeitssuche hilfreich sind. Entsprechend gibt es weniger Rollenmodelle für Kinder und Jugendliche, die sie ermutigen, schulisch erfolgreich zu sein. Somit fokussiert diese Theorie auf geringere Ressourcen in sozial weniger privilegierten Nachbarschaften durch die spezifische Ausgestaltung der dortigen sozialen Netzwerke. Soziale Organisation zielt vor allem auf die soziale Kohäsion in Nachbarschaften ab. So könnte in sozioökonomisch schlechter gestellten Nachbarschaften beispielsweise weniger Vertrauen herrschen und deshalb deviantes Verhalten weniger reguliert sein. Nachbarschaften unterscheiden sich zudem in ihrer Ausstattung mit nachbarschaftlichen Ressourcen. Hierzu zählen Wodtke et al. (2011) qualitativ hochwertige Bildungseinrichtungen wie Kitas (vgl. Groos und Jehles 2015) oder Schulen (vgl. hierzu vertiefend Abschn. 2.2). Außerdem kann das physische Umfeld variieren. Dieser Aspekt bezieht sich auf gesundheitsrelevante Umwelteinflüsse, wie z. B. die Luftverschmutzung. Sind Kinder und Jugendliche verstärkt solchen Einflüssen ausgesetzt, weisen sie ein höheres Krankheitsrisiko auf (z. B. Asthma), welches gleichfalls mit höherem (krankheitsbedingtem) Schulausfall oder generell ungünstigeren Lernvoraussetzungen einhergehen kann. Derartige Mechanismen würden als Kontexteffekte zu verstehen sein.

Ergänzend zu diesen verschiedenen theoretischen Ansätzen, die zunächst per se einen Einfluss der Nachbarschaft auf den Bildungserfolg nahelegen, postuliert die epidemische Theorie, dass sich soziale Probleme epidemisch, also wie eine Ansteckungskrankheit, verbreiten (vgl. Crane 1991, S. 1227). Das bedeutet, dass beispielsweise mit zunehmender Arbeitslosigkeit in der Nachbarschaft nicht nur eine zunehmend geringere Bildungsorientierung bei den Kindern und Jugendlichen vorliegt, sondern dass dieser Einfluss oder die „Ausbreitung“ des Einflusses ab der Überschreitung eines kritischen Schwellenwerts überproportional stark ist. Nachbarschaften müssten demzufolge also bereits durch starke soziale Probleme, wie einer besonders hohen Arbeitslosenquote, geprägt sein, damit ein (negativer) sozialer Einfluss tatsächlich wirkt und schädlich ist. Umgekehrt können Akteure in weniger benachteiligten Nachbarschaften gegenüber negativem sozialem Einfluss resilient sein. Aus dieser Argumentation heraus ergibt sich die Prognose eines nichtlinearen Zusammenhangs zwischen der Verteilung bestimmter Individualmerkmale und -verhaltensweisen in der Nachbarschaft (vgl. Crane 1991, S. 1228). Für die schulische Kompetenzentwicklung bedeutet dies, dass sich das Aufwachsen in Nachbarschaften, die sich hinsichtlich ihrer sozialstrukturellen Zusammensetzung unterhalb eines nachteiligen Schwellenwertes befinden, überproportional negativ auf die schulischen Kompetenzen der Schüler auswirken könnte.

2.2 Nachbarschaft, individuelle und familiäre Voraussetzungen und der Schulkontext

Kinder und Jugendliche werden in ihrer Entwicklung von verschiedenen Kontexten und Umwelten beeinflusst: von ihrer Nachbarschaft, ihrer Familie und ihrem schulischen Umfeld. Für den schulischen Lernerfolg kommt diesen Kontexten und Umwelten jeweils eine eigene Bedeutung zu. Sie stehen zudem in komplexer Wechselbeziehung zueinander (Bronfenbrenner 1981). Mit Blick auf die sozialräumliche Segregation leben sozial benachteiligte Familien vermehrt in kostengünstigen Wohngegenden, die durch einen hohen Anteil von einkommensschwachen Haushalten gekennzeichnet sind, während sozial bessergestellte Familien häufig in wohlhabenderen Wohngegenden leben. Gleichzeitig korrespondieren schulische Faktoren, wie die soziale, leistungsbezogene oder auch ethnische Zusammensetzung der Schülerschaft, in Teilen mit sozialstrukturellen Nachbarschaftsmerkmalen, da die Schulen überwiegend von Kindern und Jugendlichen besucht werden, die in der Nähe leben. Beide Kontexte, Familie und Schule, beeinflussen wiederum selbst den Bildungserfolg von Schülern (z. B. Kristen 2008; Maaz et al. 2010): Familien mit einem höheren sozioökonomischen Status weisen ein größeres Interesse an dem Bildungserwerb ihrer Kinder auf (vgl. Boudon 1974) und verfügen zudem über bessere Grundvoraussetzungen, die Kinder im Erwerb schulrelevanter Kompetenzen zu unterstützen, als Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status (vgl. Bourdieu und Passeron 1977; Neumann et al. 2014). Zudem kann die unterschiedliche Zusammensetzung der Schülerschaft in den Schulen das schulische Lernen über die individuellen und familiären Merkmale hinaus beeinflussen (Seuring et al. 2021). Schulen in sozial benachteiligten Nachbarschaften können zudem eine schlechtere institutionelle Ausstattung haben und der Besuch dieser Schulen könnte sich über diesen Effekt negativ auf die schulischen Kompetenzen auswirken (siehe z. B. Helbig und Nikolai 2019 am Beispiel Berlin).

Aus diesen Gründen sind der sozioökonomische Status von Familien, die soziale Zusammensetzung von Schulen und die soziale Zusammensetzung von Nachbarschaften eng miteinander verknüpft. Die soziologische Forschung steht daher vor der Herausforderung, Nachbarschaftseffekte von konfundierenden Effekten, die sich insbesondere aus sozioökonomischen Unterschieden in der Wohnortwahl und der Sozialisation in der Schule ergeben, zu trennen.

2.3 Nachbarschaftseffekte bei verschiedenen Altersgruppen

Kinder und Jugendliche wachsen in unterschiedlichen familiären Verhältnissen und Wohnumfeldern auf und besuchen im Laufe ihres Heranwachsens verschiedene Schulen. Dabei ist es möglich, dass das Ausmaß, in dem Nachbarschaft, Familie oder auch Schule die Entwicklung der Kinder beeinflussen, mit dem Alter der Heranwachsenden variiert. Das Zonen-Modell der kindlichen Raumaneignung (Baacke 2009) nimmt an, dass Heranwachsende mit zunehmendem Alter ihren Sozialisationsradius vergrößern. Gleichzeitig verliert der familiäre Einfluss mit zunehmendem Alter an Bedeutung und Jugendliche orientieren sich stärker an Personen außerhalb der eigenen Familie (vgl. Larson und Richards 1991). Demnach könnten Nachbarschaftseffekte bei Jugendlichen stärker und die Bedeutung der Familie geringer ausfallen als bei jüngeren Kindern.

Plausibel erscheint jedoch gleichzeitig die Annahme, dass bei Jugendlichen der zeitliche Umfang des Aufenthaltes in der unmittelbaren Nachbarschaft weniger ausgeprägt ist als bei jüngeren Kindern und dass damit auch die Rolle von Nachbarschaft als Sozialisationsinstanz geringer ist. Beispielsweise ist die Zusammensetzung von Sekundarschulen weniger stark an das direkte Wohnumfeld gekoppelt als die Zusammensetzung von Primarschulen, die wegen des Sprengelprinzips vor allem von Kindern aus dem direkten Einzugsgebiet besucht werden. Entgegen gängigen, bislang jedoch empirisch nicht getesteten Annahmen aus der Forschungsliteratur (z. B. Duncan und Raudenbush 1999), lassen sich also auch plausible Argumente dafür finden, dass der Nachbarschaft bei Jugendlichen als Sozialisationsinstanz eine geringere Bedeutung zukommt als bei Grundschulkindern.

3 Forschungsstand und Forschungsfragen

Für die Untersuchung von Nachbarschaftseffekten wird in den meisten Studien der durchschnittliche sozioökonomische Status der Nachbarschaft herangezogen, gemessen am durchschnittlichen Bildungsgrad und/oder Berufsstatus (z. B. Ainsworth 2002; Bügelmayer und Schnitzlein 2018; Johnson 2018; Levy et al. 2019). Ebenfalls analysiert werden die kumulierte Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängerquote (z. B. Andersson und Subramanian 2006; Groos und Jehles 2015; Helbig 2010; Burdick-Will 2018; Jargowsky und El Komi 2009), der Anteil an Personen, die ethnischen Minderheiten angehören (z. B. Ainsworth 2002; Brännström 2008; Goldsmith 2009), oder auch die Kriminalitätsrate (z. B. Burdick-Will 2018; Garner und Raudenbush 1991). Für die Abgrenzung der jeweiligen Nachbarschaften werden sehr unterschiedliche Herangehensweisen genutzt. Teilweise werden Postleitzahlendaten (vgl. Ainsworth 2002; Bügelmayer und Schnitzlein 2018) oder administrative Stadtteildaten (vgl. Zangger 2015) herangezogen. Diese stellen relativ grobe Einteilungen von Stadtgebieten dar. Es liegen aber auch engmaschigere Messungen vor, zum Beispiel sogenannte Small-Area Market Statistics für Schweden (vgl. Andersson und Subramanian 2006; Brännström 2008) oder Census Areas für die USA (vgl. Garner und Raudenbush 1991; Jargowsky und El Komi 2009; Levy et al. 2019).Footnote 1

Mit Blick auf den Einfluss von Nachbarschaft auf den Bildungserfolg weisen Studien aus den USA und Europa allgemein darauf hin, dass höhere sozioökonomische Ressourcen in der Nachbarschaft positive Effekte auf das Bildungsergebnis haben (vgl. Ainsworth 2002; Andersson und Subramanian 2006; Brännström 2008; Helbig 2010; Kauppinen 2007; Leventhal und Brooks-Gunn 2000). Die meisten dieser Studien berücksichtigen, dass diese Effekte (wie in Abschn. 2.2 skizziert) mit Aspekten des familiären Hintergrunds und des Schulkontextes konfundiert sein können und kontrollieren daher zum Beispiel für den sozioökonomischen Status der Eltern oder den Anteil der sozial benachteiligten Familien an einer Schule (z. B. Ainsworth 2002) den Anteil an ethnischen Minderheiten in der Schule (z. B. Goldsmith 2009) oder das mittlere Leistungsniveau einer Schule (z. B. Jargowsky und El Komi 2009). Vorliegende Befunde deuten darauf hin, dass Merkmale von Schulen eine weit größere Bedeutung für den Bildungserfolg haben als die Merkmale von Nachbarschaft (Brännström 2008).

Als einzige in Deutschland durchgeführte Studie, die sich mit den Zusammenhängen der Nachbarschaft und der Bildungsbeteiligung unter Berücksichtigung schulischer Kontextfaktoren auseinandergesetzt hat, soll an dieser Stelle die Arbeit von Helbig (2010) näher vorgestellt werden. Anhand von Daten der ELEMENT-Studie untersucht der Autor Zusammenhänge nachbarschaftlicher Merkmale mit den Lese- und Mathematikkompetenzen von Grundschülern in Berlin. Als Indikatoren sozialräumlicher Segregation dienten die kumulierte Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängerquote in sogenannten Verkehrszellen als räumlich abgegrenzte Untersuchungsgebiete. Aufgrund der starken Konfundierung zwischen Merkmalen der Nachbarschaft und der Schule wurden Merkmale auf beiden Ebenen kombiniert und entsprechende Kategorien gebildet, wie zum Beispiel „günstige Nachbarschaft, Schule mit mittlerem Migrantenanteil“.Footnote 2 Die Ergebnisse weisen auf positive Effekte von sozial privilegierteren Nachbarschaften auf die Lese- und Mathematikkompetenzen hin. Gleichzeitig scheinen sozial benachteiligte Wohnumgebungen keinen negativen Effekt auf die schulischen Kompetenzen zu haben. Helbig zeigt somit, dass der Einfluss der Nachbarschaft erst ab einer bestimmten Schwelle auftritt. Auch andere Studien deuten darauf hin, dass Kontexteffekte erst ab einer bestimmten Ausprägung auftreten und somit nicht immer linear sind (Horr 2016). Insbesondere zeigt sich, dass Merkmale von Nachbarschaft erst dann bedeutsam für den Bildungserfolg sind, wenn bestimmte Schwellenwerte bezüglich der Konzentration von nachteiligen Merkmalen überschritten werden (Gibbons 2002; Zangger 2015).

Allerdings ist zu vermuten, dass die Nachbarschaftseffekte in der Studie von Helbig (2010) tendenziell über- oder ggf. auch unterschätzt wurden, da sich der Autor für die Erfassung der jeweiligen Nachbarschaft an denjenigen Verkehrszellen orientierte, in denen sich die von den Heranwachsenden besuchten Schulen befanden. Eine Überschätzung von Nachbarschaftseffekten könnte sich aus der eingeschränkten Berücksichtigung von Schulkompositionseffekten ergeben. Zudem bleibt das Ausmaß von Nachbarschaftseffekten für solche Familien unbekannt, die mit ihrer Familie nicht in der Verkehrszelle der Schule wohnen. Dies ist insofern bedeutsam, als dass sozial privilegierte Familien häufiger aktiv von Möglichkeiten der Schulwahl Gebrauch machen und für ihre Kinder nicht selten eine Schule (z. B. in freier Trägerschaft) aussuchen, die außerhalb des jeweiligen Einzugsgebietes liegt (z. B. Kristen 2005; Mayer und Koinzer 2014; Mayer 2017). Somit könnten Schulen hinsichtlich der sozialen Zusammensetzung anders zusammengesetzt sein als die Merkmale der umliegenden Nachbarschaft erwarten lassen. Dies spricht für eine potenzielle Unterschätzung von Nachbarschaftseffekten bei Helbig (2010).

Für die Schweiz zeigt Zangger (2015), dass Nachbarschaftseffekte auf den Bildungserfolg in der Grundschule über die Integration in soziale Netzwerke (gemessen anhand der wahrgenommenen Einbindung in Peernetzwerke in der Schule) vermittelt zu sein scheinen. Weitere Studien, die sich mit Nachbarschaftseffekten und dem Schulkontext in Deutschland auseinandergesetzt haben, liegen nicht vor. Eine Studie von Groos und Jehles (2015) beschäftigt sich jedoch mit einer vergleichbaren Fragestellung im Zusammenhang mit Kindern, die Kindertagesstätten besuchen. Untersucht wurden u. a. die Zusammenhänge zwischen Nachbarschaftsmerkmalen, der Zusammensetzung von Kindertagesstätten und den Ergebnissen von Schuleingangsuntersuchungen in Mühlheim an der Ruhr (Nordrhein-Westfalen). Sie zeigen einerseits, dass sich Kindertagesstätten, je nach Lage, deutlich in ihrer sozialen Zusammensetzung unterscheiden und dass diese Unterschiede einen Großteil an Unterschieden in einschulungsrelevanten Merkmalen, wie beispielsweise Verhaltensauffälligkeiten oder sprachlichen Kompetenzen, erklären. Andererseits fanden sie darüber hinaus Zusammenhänge zwischen dem Anteil an Sozialgeldbeziehenden (Indikator für die Nachbarschaft) und der Deutschfähigkeit sowie der Zählkompetenz der Kinder.

Zusammenfassend verdeutlichen bisherige Studien, dass die sozialstrukturellen Merkmale von Nachbarschaft mit dem schulischen Bildungserfolg und entsprechend auch mit den schulischen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen assoziiert sein können. Dabei bleibt ungeklärt, inwiefern die Nachbarschaft mit dem schulischen Bildungserfolg zusammenhängt, auch wenn die unterschiedlichen individuellen, familiären und schulischen Merkmale berücksichtigt werden.

Vor diesem Hintergrund wird untersucht, ob die soziale Zusammensetzung von Nachbarschaften über familiäre, individuelle und schulische Merkmale hinaus mit den schulischen Kompetenzen der Schüler zusammenhängt. Die grundlegende Prämisse des Artikels lautet, dass Schüler, die in sozial privilegierten Nachbarschaften wohnen, höhere schulische Kompetenzen erzielen als Schüler in weniger privilegierteren Nachbarschaften. Weiterhin wird angenommen, dass der statistische Effekt der Nachbarschaft auf die schulischen Kompetenzen teilweise, aber nicht gänzlich, über individuelle, familiäre und schulische Merkmale aufgeklärt werden kann und dass darüber hinaus ein eigenständiger Nachbarschaftseffekt bestehen bleibt.

Um zu untersuchen, ob diese Zusammenhänge linear sind oder der epidemischen Theorie entsprechend erst ab einem bestimmten Schwellenwert auftreten, wird geprüft, ob sich nichtlineare Zusammenhänge zwischen Nachbarschaft und schulischen Kompetenzen finden. Es wird erwartet, dass ein nichtlinearer Zusammenhang zwischen der Nachbarschaft und den schulischen Kompetenzen dahingehend besteht, dass sich nachteilige Effekte in sozial deprivierten Nachbarschaften erst oder besonders dann zeigen, wenn der mittlere Sozialstatus im Wohnumfeld besonders gering ist.

Ein Großteil der vorliegenden Evidenz zu Nachbarschaftseffekten bezieht sich auf Jugendliche, die sich am Ende ihrer Sekundarschullaufbahnen befinden (Ainsworth 2002; Bügelmayer und Schnitzlein 2018; Brännström 2008; Burdick-Will 2018; Garner und Raudenbush 1991; Goldsmith 2009). Zwei Studien betrachten Grundschüler im deutschsprachigen Raum (Helbig 2010; Zangger 2015). Alle genannten Studien finden einen Nachbarschaftseffekt. Die vorliegende Untersuchung prüft, ob sich die Zusammenhänge zwischen Nachbarschaft und schulischen Kompetenzen sowohl in der Primarstufe als auch in der Sekundarstufe zeigen.

4 Datengrundlage und Methode

4.1 Stichprobe

Die Untersuchung der Fragestellung erfordert eine Zusammenführung von Daten zum Sozialraum oder zum Wohnumfeld mit Informationen zu den schulischen Kompetenzen und dem familiären oder soziokulturellen Hintergrund von Schülern. Im Rahmen der Studie konnten hierfür amtliche Kontextinformationen des statistischen Landesamts Bremen mit Individual- und Schulleistungsdaten von Schülern aus den IQB-Bildungstrendstudien 2015 und 2016 gekoppelt werden.

4.1.1 IQB-Bildungstrendstudien 2015 und 2016

Bei den IQB-Bildungstrendstudien 2015 und 2016Footnote 3 handelt es sich um Schulleistungsstudien, die vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt werden und fester Bestandteil der Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz zum Bildungsmonitoring sind (KMK 2006, 2015). Die Daten sind sowohl bundesweit als auch auf der Ebene der Bundesländer repräsentativ. Im IQB-Bildungstrend 2015 (Stanat et al. 2016) wurden die sprachlichen Kompetenzen von Schülern am Ende der neunten Jahrgangsstufe erfasst. Der IQB-Bildungstrend 2016 (Stanat et al. 2017) untersuchte die von Schülern am Ende der vierten Jahrgangsstufe in den Fächern Deutsch und Mathematik erreichten Kompetenzen. In beiden Studien bildeten allgemeinbildende Schulen die Grundgesamtheit, aus der für jedes Bundesland eine randomisierte Schulstichprobe gezogen wurde. Aus jeder Schule der Schulstichprobe nahm jeweils eine zufällig ausgewählte Schulklasse der vierten oder neunten Jahrgangsstufe am Bildungstrend teil. Im IQB-Bildungstrend 2015 umfasste die Stichprobe für das Land Bremen 1700 Schüler aus 80 Schulen. Am IQB-Bildungstrend 2016 nahmen im Land Bremen 1859 Schüler aus 94 Grundschulen teil.

4.1.2 Daten des statistischen Landesamtes Bremen

Das statistische Landesamt Bremen stellt auf seinen Internetseiten ein umfangreiches Datenangebot zur Verfügung, das u. a. auch sozialräumliche Kennwerte umfasst. Bremen ist administrativ auf drei Ebenen strukturiert: Auf der ersten Ebene befinden sich die fünf Stadtbezirke Nord, Ost, Süd, West und Mitte. Diese Stadtbezirke setzen sich aus 23 Stadtteilen zusammen, die wiederum aus insgesamt 88 Ortsteilen bestehen. Darüber hinaus gibt es eine weitere Untergliederung der einzelnen Ortsteile in über 5000 sogenannte Baublöcke. Diese bestehen aus Wohneinheiten, die durch Straßen oder topografische Grenzen von anderen Wohneinheiten separiert werden. Baublöcke können unbewohnt, aber auch mit mehr als 1000 Personen sehr dicht besiedelt sein.

4.1.3 Verknüpfung der Daten mithilfe des Bremer Bildungsmonitorings

Das Bildungsmonitoring der Senatorin für Kinder und Bildung der Freien Hansestadt Bremen erhebt in jedem Schulhalbjahr für jeden Schüler Daten zur schulischen Laufbahn (z. B. besuchte Schule, Jahrgangsstufe) und zum Wohnort (z. B. Ortsteil, Baublock). Hierfür erhalten die Schüler mit der Schuleinführung eine Identifikationsnummer (ID), die sie während ihrer gesamten Schulkarriere beibehalten. Da diese ID in pseudonymisierter Form auch im Rahmen der beiden Schulleistungsstudien des IQB erfasst wurde, konnten die Daten des Bildungsmonitorings mit denen der IQB-Bildungstrendstudien 2015 und 2016 unter Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen zusammengeführt werden.Footnote 4 Im Anschluss erfolgte über die im Bildungsmonitoring erfassten Angaben zum Wohnort eine Verknüpfung mit den vom statistischen Landesamt erhobenen sozialräumlichen Kennwerten.

4.1.4 Analysedatensätze und -stichproben

Die aus den Datenverknüpfungen hervorgegangenen Analysedatensätze umfassen für die vierte Jahrgangsstufe 1546 Schüler und für die neunte Jahrgangsstufe 1467 Schüler. Der geringere Umfang der Analysestichproben, verglichen mit den oben für den Bildungstrend 2015 und 2016 berichteten Teilnehmerzahlen für das Land Bremen, ist darin begründet, dass eine Verknüpfung von Daten der beiden IQB-Bildungstrends mit schulstatistischen Individualdaten zwar für die Freie Hansestadt Bremen, nicht jedoch für das Magistrat Bremerhaven möglich war.

4.2 Instrumente

4.2.1 Abhängige Variablen

Das Kernstück des Instrumentariums der IQB-Bildungstrendstudien bilden standardbasierte Kompetenztests. Diese Tests erfassten im Jahr 2015 für das Fach Deutsch die schulischen Kompetenzen in den Bereichen Lesen, Zuhören und Orthografie sowie für das Fach Englisch die Bereiche Leseverstehen und Hörverstehen (Stanat et al. 2016). Die Erhebungen fanden in neunten Klassen der Sekundarstufe I statt. Die IQB-Bildungstrendstudie 2016 erfasste im Fach Deutsch Kompetenzen in den Bereichen Lesen, Zuhören und Orthografie in der vierten Jahrgangsstufe (Grundschule). Für die späteren Auswertungen wurde der Bereich Orthografie aufgrund hoher fehlender Werte nicht berücksichtigt. Zudem wurden in dieser Studie die mathematischen Kompetenzen der Schüler differenziert für die fünf in den Bildungsstandards definierten Leitideen (Zahlen und Operationen; Raum und Form; Größen und Messen, Muster und Strukturen; Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit) erhoben und für die Analysen anschließend zu einem Globalwert zusammengefasst (Stanat et al. 2017).

Die Auswertung der Kompetenztests der IQB-Bildungstrendstudien erfolgte auf der Grundlage der probabilistischen Testtheorie. Die Fähigkeiten oder Kompetenzen der Schüler wurden als latente Merkmale auf Basis des jeweiligen Erfolges bei der Lösung der Testitems modelliert (Moosbrugger 2012). Als Punktschätzer für die Kompetenzen der Schüler wurden „weighted maximum likelihood estimators“ (WLE, Warm 1989) herangezogen, die auf Basis von IRT-Analysen der Testdaten ermittelt wurden.Footnote 5

4.2.2 Unabhängige Variablen

Die unabhängigen Variablen lassen sich vier verschiedenen Ebenen zuordnen: der Nachbarschaft, der Familie, der individuellen Schülerebene und der Schule. Als Indikator für sozialstrukturelle Unterschiede in der Nachbarschaft wurde der Anteil der Bedarfsgemeinschaften nach Sozialgesetzbuch (SGB) II an den Privathaushalten auf der Baublockebene herangezogen (Anteil SGB II-Bedarf). Dieser Indikator korreliert sehr hoch (> 0,85) mit anderen Kennwerten zur sozialen Zusammensetzung der Baublöcke (z. B. Kinderarmut, Arbeitslosenquote). Die zentralen Befunde zeigen sich auch bei der Verwendung alternativer Indikatoren. In alle Analysen gehen die sozialräumlichen Kennwerte des Jahres 2015 ein. Um einen möglicherweise bestehenden nichtlinearen Zusammenhang zwischen der Nachbarschaft und den schulischen Kompetenzen zu testen, wird eine kubische Modellierung gewählt. Das heißt es wurden insgesamt drei Variablen zur Erfassung der Nachbarschaft in die statistischen Modelle aufgenommen: erstens der Anteil des SGB II-Bedarfs, zweitens diese Variable als quadrierter Term und drittens die gleiche Variable mit dem Potenzwert drei. Auf diese Weise ist es möglich, zu prüfen, ob sich die Effekte dahingehend verändern, dass bei geringen SGB II-Anteilen der Effekt geringer ist (ein geringerer Steigungskoeffizient vorliegt) als bei hohen SGB II-Anteilen in der unmittelbaren Nachbarschaft. Somit kann nachvollzogen werden, inwiefern Nachbarschaftseffekte erst ab einem bestimmten Schwellenwert vorliegen.

Zur Erfassung der familiären Hintergrundmerkmale wurde in den Analysen der sozioökonomische Hintergrund der Schüler berücksichtigt. Dieser wurde anhand der höchsten Ausprägung der Eltern beim International Socio-Economic Index of Occupational Status (ISEI) gemessen (HISEI = Highest Socio-Economic Index; Ganzeboom 2010). Hierzu wurden die Berufe der Eltern, erfasst über die Elternfragebögen oder im IQB-Bildungstrend 2015 auch über die Schülerfragebögen, in den ISEI umgerechnet. Ausführliche Angaben zur Kodierung des HISEI finden sich in den Berichtbänden der beiden Studien (z. B. im Band zum IQB-Bildungstrend 2015 auf den Seiten 411 und 412). Als weitere Kontrollvariable fanden in den Analysen Angaben zur Anzahl der Bücher, Bildungsjahre der Eltern und Zuwanderungshintergrund Berücksichtigung, die ebenfalls aus den Daten der IQB-Bildungstrendstudien 2015 und 2016 stammen. Auf Ebene der Schülerinnen und Schüler, die methodisch mit der Familienebene zusammenfällt, wurde zudem das Geschlecht kontrolliert.

Um den Einfluss der sozialen Zusammensetzung der Schule untersuchen zu können, wurden die individuellen Werte des HISEI, der Anzahl der Bücher und des Zuwanderungshintergrunds der Schüler für jede Schule gemittelt und als aggregiertes Merkmal in die Analysen einbezogen. Im Rahmen der IQB-Bildungstrends 2015 und 2016 wurden an jeder teilnehmenden Schule die Daten einer Klasse erhoben. Dadurch entsprechen die berechneten Werte für den Schulkontext dem Klassenkontext. Als Kontrollvariable auf Schulebene wurde in den Analysen für die neunte Jahrgangsstufe zusätzlich die Schulart berücksichtigt.

4.3 Statistische Analysen

Fehlende Werte in den Analysedatensätzen wurden mithilfe des Verfahrens Multivariate Imputation by Chained Equations unter Verwendung des Pakets mice (van Buuren und Groothuis-Oudshoorn 2011) in der Statistiksoftware R imputiert. Angaben zum Anteil fehlender Werte für die in den statistischen Analysen berücksichtigten Variablen finden sich in Tab. A im Online-Anhang. Sämtliche auf imputierten Datensätzen beruhenden Ergebnisse wurden nach den Regeln von Rubin (1987) gepoolt. Alle kontinuierlichen Variablen wurden zudem für die Analysen z‑standardisiert.

Den statistischen Analysen lag eine hierarchische Datenstruktur zugrunde, die sich aus der Nestung von drei verschiedenen Ebenen (Familie, Schule und Nachbarschaft) ergab. Da fast alle Schüler in eigenen Baublöcken leben, erwies sich eine eigene Nestung auf Baublockebene nicht als notwendig. Der Tatsache, dass Schüler in Schulen genestet sind, wurde durch die Verwendung von Mehrebenenmodellen Rechnung getragen, die mithilfe des Pakets lme4 (Bates et al. 2014) in der Statistiksoftware R berechnet wurden. Um die Effekte der betrachteten Kontexte auf die schulischen Kompetenzen differenziert untersuchen zu können, wurden die Prädiktorvariablen schrittweise in die Modelle eingefügt. Um auszuschließen, dass die Ergebnisse verzerrt sind, weil weitere, möglicherweise relevante Faktoren auf der Schulebene (wie etwa das mittlere Leistungsniveau, die Unterrichtsqualität oder das Schulklima) in den Analysen unberücksichtigt bleiben, wurden zusätzlich Fixed-Effect(FE)-Modelle spezifiziert, in denen sowohl beobachtete als auch unbeobachtete Unterschiede zwischen Schulen statistisch kontrolliert werden. Die Berechnung der FE-Modelle erfolgte unter Verwendung des Pakets plm (Croissant et al. 2021) in der Statistiksoftware R.

5 Ergebnisse

Deskriptive Statistiken der analysierten Variablen für beide Analysestichproben finden sich in Tab. B1 und B2 im Online-Anhang. Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse von Regressionen zur Lesekompetenz von Viertklässlern, in Tab. 2 sind die Befunde für die Klassenstufe 9 präsentiert. Dargestellt sind jeweils die Ergebnisse unter Einbezug eines (a) linearen und eines (b) nichtlinearen Nachbarschaftseffekts. Betrachtet man zunächst die Auswertungen für die Grundschule mit einer linearen Modellierung der Nachbarschaftseffekte (Tab. 1: Modell 1a, 2a und 3a), so zeigt sich, dass der Anteil der Bedarfsgemeinschaften nach SGB II an den Privathaushalten negativ mit den Lesekompetenzen in der Grundschule zusammenhängt (Modell 1a; β = −0,35, p ≤ 0,001). Dieser Zusammenhang reduziert sich unter Kontrolle des Geschlechts und des familiären Hintergrunds der Kinder (s. Modell 2a). Trotzdem bleibt ein signifikanter Effekt bestehen (β = −0,08, p ≤ 0,05). Der Effekt reduziert sich weiter bei Berücksichtigung der sozialen Zusammensetzung der Schulklassen (s. Modell 3a) und ist nicht mehr signifikant (β = −0,05, p = 0,13). Ähnlich verhält es sich für den Sekundarschulbereich (Klassenstufe 9, Tab. 2). Die bivariate Analyse (s. Modell 1a) zeigt, dass der Zusammenhang zwischen dem Anteil von SGB II-Empfängern und den Lesekompetenzen in der Sekundarstufe ähnlich groß ausfällt wie im Primarschulbereich (β = −0,31, p ≤ 0,001). Die Kontrolle von individuellen (Modell 2a) und klassenbezogenen (Modell 3a) Kovariaten geht, wie auch in den Analysen der Grundschuldaten, mit einer Reduktion des Nachbarschaftseffekts einher. Dieser verringert sich deutlich unter Kontrolle individueller und familiärer Merkmale (Modell 2a; β = −0,06, p ≤ 0,01) und ist in Modell 3a nicht mehr signifikant. Diese Ergebnisse bestätigen zum einen die Annahme, dass eine privilegierte Nachbarschaft positiv mit den schulischen Kompetenzen der dort lebenden Schüler zusammenhängt. Zum anderen zeigt sich, dass sich dieser Zusammenhang größtenteils auf individuelle, familiäre und schulische Merkmale zurückführen lässt.

Tab. 1 Effekt der sozialen Struktur der Nachbarschaft, individueller Merkmale und des Klassenkontextes auf die Lesekompetenzen von Schülerinnen und Schülern der vierten Klasse, stand. Regressionskoeffizienten unter Einbeziehung eines nichtlinearen Effekts der Nachbarschaft (N = 1546)
Tab. 2 Effekt der sozialen Struktur der Nachbarschaft, individueller Merkmale und des Klassenkontextes auf die Lesekompetenzen von Schülerinnen und Schülern der neunten Klasse, stand. Regressionskoeffizienten unter Einbeziehung eines nichtlinearen Effekts der Nachbarschaft (N = 1467)

In den Modellen 1b, 2b und 3b der Tab. 1 und 2 wird zusätzlich überprüft, ob die Zusammenhänge zwischen der Sozialstruktur des nachbarschaftlichen Wohnumfeldes und den schulischen Kompetenzen nichtlinear sind. Hier zeigt sich für die Grundschule (Tab. 1) in dem bivariaten Modell (1b) ein nichtlinearer Zusammenhang dahingehend, dass der quadratische Termin positiv ist (β = 0,89, p ≤ 0,05), während der kubische Term negativ, allerdings nicht statistisch bedeutsam ist (β = −0,36, p = 0,18). Dieser kurvilineare Zusammenhang weist darauf hin, dass sich der negative Zusammenhang zwischen dem SGB II-Anteil und den Lesekompetenzen ab ca. einer Standardabweichung zunehmend erhöht. Bei einer nichtlinearen Modellierung des Zusammenhangs zwischen dem SGB II-Anteil und den erreichten Lesekompetenzen zeigt sich ein relevanter Nachbarschaftseffekt somit erst ab einem bestimmten Schwellenwert, der im Modell bei ca. einer Standardabweichung über dem Mittelwert des SGB II-Anteils liegt. Der quadratische Modellterm des Prädiktors SGB II-Anteil fällt allerdings nur im bivariaten Modell 1b signifikant aus, nicht jedoch unter statistischer Kontrolle von individuellen Faktoren (Modell 2b) und der sozialen Komposition der Schulklassen (Modell 3b).

Ein ähnliches Ergebnismuster findet sich für die Schüler der neunten Jahrgangsstufe, nur dass hier auch der kubische Termin signifikant ist (s. Tab. 2, Modell; β = −0,71, p ≤ 0,01). Für die neunte Jahrgangsstufe finden sich nach Kontrolle weiterer Variablen keine signifikanten nicht-linearen Zusammenhänge (s. Tab. 2, Modelle 2b und 3b). Darüber hinaus favorisieren die Ergebnisse statistischer Modellvergleichstests jeweils das einfache, lineare Modell gegenüber einer nichtlinearen Modellierung (z. B. X2 (2) = 0,27, p = 0,76 beim Vergleich der Modelle 1a und 1b aus Tab. 1 sowie X2 (2) = 0,85, p = 0,42 beim Vergleich der Modelle 1a und 1b aus Tab. 2). Insgesamt stützen die Befundmuster nicht die Annahme, dass sich Effekte nachteiliger Nachbarschaftsmerkmale erst ab der Überschreitung eines Schwellenwertes zeigen sollten. Die Befundmuster weisen im Gegensatz dazu – insbesondere unter Kontrolle weiterer Hintergrundvariablen – eher auf einen linearen Zusammenhang hin. Dieses Befundmuster bestätigt sich auch für die weiterhin untersuchten Kompetenzbereiche. Aus diesem Grund beschränken sich die weiterführenden Darstellungen auf die jeweils lineare Modellierung von Nachbarschaftseffekten.Footnote 6

Dabei wurden die in Abschn. 4.3 erläuterten Analysen auch für die anderen Kompetenzbereiche durchgeführt. Die Ergebnisse finden sich in den Tab. 3 und 4, wobei hier jeweils das lineare Modell inklusive aller Kontrollvariablen (für Lesen entsprechend Modell 3a in Tab. 1 und 2) dargestellt ist. Die Ergebnisse aus dem Primarschulbereich (s. Tab. 3) weisen auf einen statistisch bedeutsamen (linearen) Zusammenhang zwischen Nachbarschaftsmerkmalen und schulischen Leistungen in der Grundschule für die Kompetenzbereiche Zuhören und Mathematik. Die ermittelten Zusammenhänge sind in allen Domänen negativ.

Tab. 3 Einfluss der sozialen Struktur der Nachbarschaft unter Kontrolle individueller, familiärer und schulischer Merkmale auf die Deutsch- und Mathematikkompetenzen von Schülerinnen und Schülern der vierten Jahrgangsstufe, stand. Regressionskoeffizienten, ohne Einbeziehung eines nichtlinearen Effekts der Nachbarschaft (jeweils Modell 3a) (N = 1546)
Tab. 4 Einfluss der sozialen Struktur der Nachbarschaft unter Kontrolle individueller, familiärer und schulischer Merkmale auf die Deutsch- und Englischkompetenzen von Schülerinnen und Schülern der neunten Jahrgangsstufe, stand. Regressionskoeffizienten, ohne Einbeziehung eines nichtlinearen Effekts der Nachbarschaft (jeweils Modell 3a) (N = 1467)

Tabelle 4 verdeutlicht, dass die Befundmuster auch im Sekundarschulbereich ähnlich ausfallen. Es finden sich unter Kontrolle individueller, familiärer und schulischer Merkmale in allen Domänen negative Koeffizienten für die Nachbarschaft, diese sind allerdings nur teilweise statistisch bedeutsam. So zeigen sich im Bereich Englisch unter Kontrolle aller Kovariaten signifikante Zusammenhänge zwischen der Nachbarschaft und den schulischen Kompetenzen, nicht aber in Deutsch (Lesen, Zuhören) und im Englisch-Hörverstehen.

Die im Rahmen dieses Beitrags als 3a benannten Modelle berücksichtigen auf der Schulebene jeweils nur die soziale Zusammensetzung der Lerngruppe sowie (bei den Daten der Jahrgangsstufe) Angaben zur Schulart. Die Ergebnisse von FE-Modellen, die alle Unterschiede zwischen den Schulen oder Klassen berücksichtigen, replizieren im Wesentlichen das mittels Mehrebenenanalysen festgestellte Befundmuster: Auch hier finden sich in allen Domänen negative Koeffizienten für die Nachbarschaft, die Effekte sind gering und nur zum Teil statistisch signifikant (siehe Tab. D1 und D2 im Online-Anhang).

Schließlich können die in den Tab. 3 und 4 abgetragenen Ergebnisse auch mit Blick auf die Frage interpretiert werden, inwiefern sich Nachbarschaftseffekte bei Schülern in der Primar- als auch in der Sekundarstufe in ähnlicher Weise abzeichnen. Dies bestätigt sich weitestgehend.

6 Diskussion und Ausblick

Die vorliegende Studie untersuchte mit Daten der IQB-Bildungstrends 2015 und 2016, gekoppelt an sozialstrukturelle Daten für die Stadt Bremen, welchen Beitrag die Nachbarschaft von Schülern neben individuellen und familiären Faktoren und dem Schulkontext zur statistischen Erklärung schulischer Kompetenzen leistet, welcher Art dieser Zusammenhang ist und ob sich die Zusammenhänge in der Primarstufe und der Sekundarstufe in einer ähnlichen Weise abzeichnen.

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Nachbarschaft sowohl mit den Deutsch- und den Mathematikkompetenzen (Grundschule) als auch mit den Deutsch- und Englischkompetenzen (Sekundarstufe I) assoziiert ist. Dieser Zusammenhang reduziert sich, wenn individuelle und familiäre Merkmale der Heranwachsenden (Geschlecht, soziale Herkunft und Zuwanderungshintergrund) und die Zusammensetzung der Schulklassen oder für die Sekundarstufe I die Schulart berücksichtigt werden. Auch wenn die Effekte in allen Domänen in die gleiche Richtung weisen, sind sie nicht überall statistisch signifikant. Für Lesen und Mathematik finden sich in der Grundschule sowie für Englisch Leseverstehen in der Sekundarstufe auch nach der Kontrolle dieser Merkmale signifikante Effekte. Für Lesen in der Primarstufe sowie Deutsch (Lesen und Zuhören) und Englisch (Hörverstehen) in der Sekundarstufe I lassen sich hingegen keine signifikanten Effekte feststellen. Hier zeichnet sich kein klares Muster im Vergleich zwischen den Domänen ab. Dass sich Nachbarschaftseffekte entsprechend der Theorie der kollektiven Sozialisation und auch der Befunde von Helbig (2010) für Berlin über individuelle, familiäre und schulische Merkmale hinaus nachweisen lassen, kann somit nur in Teilen bestätigt werden. Ob die Befunde darauf hindeuten, dass Nachbarschaftseffekte eine Domänenspezifik aufweisen, könnten zukünftige Studien klären.

Für die untersuchte Annahme, dass Nachbarschaft erst dann negativ auf den Schulerfolg wirkt, wenn ein bestimmter Schwellenwert an nachteiligen sozioökonomischen Nachbarschaftsmerkmalen überschritten ist (vgl. epidemische Theorie), fanden sich in erster Linie in den bivariaten Modellen Belege, die allerdings nicht substanziell die Erklärungskraft der Modelle verbesserten. Zudem erwiesen sich diese nichtlinearen Zusammenhänge unter Einbeziehung weiterer Hintergrundmerkmale der Kinder und des Schulkontextes nicht als robust. Den Ergebnissen nach muss, entgegen der epidemischen Theorie, davon ausgegangen werden, dass Nachbarschaftseffekte, zumindest unter Berücksichtigung weiterer Hintergrundmerkmale der Kinder und des Schulkontextes, eher linear mit den schulischen Kompetenzen zusammenhängen.

Dieser Befund steht nicht in Einklang mit den Befunden von Helbig (2010), der ausschließlich positive Effekte sozial privilegierter Nachbarschaften auf die schulischen Kompetenzen fand, jedoch keine negativen Effekte sozial deprivierter Nachbarschaften. Eine Ursache für die unterschiedlichen Befunde könnte darin bestehen, dass Helbig (2010) Nachbarschaften in Berlin untersucht hat, während in der vorliegenden Arbeit Bremen im Fokus der Analyse stand. Außerdem ließ die Operationalisierung von Helbig (2010) keine klare Trennung von Schul- und Nachbarschaftseffekten zu. Schließlich erlaubten es die von Helbig (2010) verwendeten Daten, das Vorwissen der Heranwachsenden zu kontrollieren, was mit den hier verwendeten Daten nicht möglich war. Eine längsschnittliche Betrachtung von Nachbarschaftseffekten oder auch die Berücksichtigung von Zu- und Fortzügen, die eine Kontrolle von Selektionseffekten erlauben würde, erfolgt aber auch bei Helbig (2010) nicht.

Weiterhin konnten die Nachbarschaftseffekte sowohl in der Primarstufe als auch in der Sekundarstufe nachgewiesen werden. Ob den Effekten in beiden Altersgruppen ähnliche Mechanismen zugrunde liegen oder ob variierende Prozesse vorliegen, könnten weiterführende Arbeiten prüfen. Beispielsweise wäre es möglich, dass die für die Sekundarstufe berichteten Nachbarschaftseffekte lediglich die Verfestigung der Effekte aus der früheren Bildungskarriere (und damit u. a. aus der Primarstufe) abbilden.

Weiterhin soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass dieser Beitrag den Nutzen einer Verknüpfung von Individualdaten mit sozialräumlichen Daten verdeutlicht. Während die Potenziale schulstatistischer Individualdaten in Deutschland am Beispiel amtlicher Daten aus Bremen bereits herausgearbeitet und publiziert wurden (vgl. Makles et al. 2018, 2019), liegen bislang keine Veröffentlichungen vor, in denen schulstatistische Individualdaten, amtliche Kontextinformationen und Erhebungsdaten auf Ebene der Schüler gekoppelt wurden. Vor diesem Hintergrund ist anzuregen, solche Möglichkeiten perspektivisch auch für weitere Studien zu realisieren. Über die Verknüpfung von Individualdaten mit kleinräumigen soziodemografischen Daten aus der amtlichen Statistik können einerseits weiterführende Forschungsfragen zu den Folgen sozialräumlicher Segregation für die individuelle Entwicklung untersucht werden. So sollten sich zukünftige Studien beispielsweise weiterführend möglichen Effekten der ethnischen Nachbarschaftskomposition im deutschen Kontext widmen. Dieses Kompositionsmerkmal wurde insbesondere in den USA wiederholt als bedeutsames Merkmal für den Bildungserfolg identifiziert. Weiterführende Analysen der hier verwendeten Daten (Befunde hier nicht dargestellt) zeigen, dass die berichteten Befunde auch unter Kontrolle des Anteils von Personen mit Migrationshintergrund in der Nachbarschaft robust sind. Andererseits können durch die Verknüpfung sozialräumlicher Daten mit Forschungsdaten des Bildungsmonitorings präzise Sozialindizes für Schulen gebildet werden. Diese können helfen, soziale Ungleichheiten bei der Schulbildung zu reduzieren, indem die Allokation von Ressourcen für Schulen auch an die Ausprägung der Indizes gekoppelt wird. Darüber hinaus birgt die Verknüpfung verschiedener Datenquellen weitere Forschungspotenziale. Dazu zählt u. a. eine Untersuchung der möglichen Nichtlinearität von Schulkompositionseffekten unter Berücksichtigung von Nachbarschaftsmerkmalen.

Abschließend sei auf zentrale Limitationen der Studie hingewiesen: Die zur Verfügung stehenden Daten erlaubten zwar eine Analyse von Zusammenhängen zwischen nachbarschaftlicher Wohnumgebung und schulischem Bildungserfolg, jedoch keine direkte Untersuchung der zugrunde liegenden Mechanismen. So bleibt unklar, ob sich die soziale Zusammensetzung der Nachbarschaft tatsächlich auf die Bildungsorientierungen der Heranwachsenden auswirkt und darüber vermittelt die Kompetenzentwicklung beeinflusst (vgl. Abschn. 2.1). Zukünftige Forschung sollte insbesondere prüfen, ob sozialräumlich kumulierte Merkmale von Nachbarschaft tatsächlich über Peer-Effekte, Rollenvorbilder, Nachahmung und soziale Normen auf Bildungsorientierungen wirken und hierüber mit schulischen Leistungen verknüpft sind. Beispielsweise könnten auch vorgelagerte Faktoren eine Rolle spielen, wie die Qualität oder die soziale Zusammensetzung von Kitaeinrichtungen, die in Abhängigkeit von der Nachbarschaft variieren und gleichfalls mit den Fähigkeiten der Kinder zusammenhängen (vgl. Groos und Jehles 2015). Entsprechend ist es möglich, dass die hier berichteten Ergebnisse „fortgeschriebene“ Nachbarschaftseffekte auf die Entwicklung von Basiskompetenzen aus der Vorschulzeit abbilden. Schließlich ist denkbar, dass Nachbarschaften weniger über ihre Komposition als über weitere kontextuelle Merkmale wirken. So zeigen beispielsweise Helbig und Salomon (2021) für insgesamt sechs Städte in Deutschland, dass sozial benachteiligte Wohngebiete in Westdeutschland häufiger einer erhöhten Umweltbelastung ausgesetzt sind, nicht aber die untersuchten ostdeutschen Städte. Derartige Faktoren könnten, genau wie die in der Studie untersuchte Anzahl an Erholungs- und Spielflächen sowie das Ausmaß institutioneller Angebote und die Qualität der medizinischen Versorgung, systematische Effekte auf schulischen Bildungserfolg zeitigen.

Eine weitere Limitation betrifft die SGB II-Quote als Indikator für die Nachbarschaft. So handelt es sich hierbei um ein gutes Maß für Armutsballung, allerdings findet sich wenig Varianz zwischen verschieden wohlhabenden Vierteln, da hier insgesamt eine geringe SGB II-Quote vorliegt. Zukünftige Studien sollten alternative Indikatoren der Nachbarschaftskomposition verwenden. Hier kommen insbesondere auch solche in Betracht, die konzeptionell besser mit den auf Individual- und Schulebene verwendeten Konstrukten zur Messung des sozioökonomischen Status zusammenpassen.

Eine weitere Einschränkung ist im Querschnittscharakter der analysierten Daten zu sehen. Eine korrekte Identifikation von Nachbarschaftsdaten erfordert komplexe Analysemethoden, die wiederum längsschnittliche oder gar experimentelle Datenstrukturen voraussetzen (Galster 2008). Nur auf diese Weise lässt sich der Herausforderung entgegnen, Verzerrungen durch nicht beobachtete Merkmale auszuschließen. Gleiches gilt für die korrekte Kontrolle von Selektionseffekten, die wir in unserer Studie ebenfalls nicht präzise kontrollieren konnten (vgl. Legewie 2012). Zukünftige Studien sollten die hier vorgelegten Ergebnisse daher mittels alternativer Daten und Analysemethoden replizieren. Hierfür scheinen insbesondere Fixed-effects-Modelle zur Identifikation von Within-person-Effekten geeignet. Eine direkte Modellierung von Selektionsprozessen anhand entsprechender Informationen aus Befragungen erscheinen zudem genauso denkbar wie die Nutzung von Zwillingsdesigns (vgl. Galster 2008) oder die Instrumentierung von Nachbarschaftsvariablen (vgl. Zangger 2015).

Unabhängig von diesen Limitationen verdeutlicht die vorliegende Arbeit, dass Heranwachsende, die in einer sozial ungünstigen Nachbarschaft leben, in mehrfacher Hinsicht benachteiligt sind. Sie verfügen häufiger über ungünstigere individuelle und familiäre Voraussetzungen, besuchen überproportional häufig Schulen, die aufgrund der sozialen Zusammensetzung eine ungünstigere Lernumgebung darbieten und sind darüber hinaus durch den nachbarschaftlichen Lebensraum benachteiligt. Gleichzeitig haben sich die von Helbig (2010) beschriebenen Entwicklungen bezüglich der sozialen Segregation in Deutschlands Großstädten weiter verschärft, und das betrifft auch die Stadt Bremen (vgl. Helbig und Jähnen 2018, S. 113). Auch wenn die Effekte der Nachbarschaft im Vergleich zu den Einflüssen familiärer und individueller Merkmale der Schüler gering ausfallen, ist deshalb damit zu rechnen, dass zunehmende Segregation in Städten und Ballungsgebieten als ein ungleichheitsfördernder Mechanismus verstärkt auftreten wird.