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Titel
Kritik und Konflikt. Die Zeitschrift »Die Schwarze Botin« in der autonomen Frauenbewegung


Autor(en)
Lux, Katharina
Erschienen
Anzahl Seiten
474 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anna Hartmann, Allgemeine Erziehungswissenschaft/Theorie der Bildung, Bergische Universität Wuppertal

Die im Zeitraum von 1976 bis 1986/87 in Berlin erschienene feministische Zeitschrift Die Schwarze Botin verstand sich Zeit ihres Erscheinens „als Ort der theoretischen Selbstverständigung“ (S. 72) der autonomen Frauenbewegung und des Feminismus. Sie grenzte sich von anderen, parallel entstandenen feministischen Zeitschriftenprojekten, etwa der Emma oder Courage, deutlich ab und verstand sich als kritischer Stachel der Neuen Frauenbewegung. Zu ihrem Selbstverständnis gehörte es, aus ihrer Position innerhalb der autonomen Frauenbewegung Kritik am zeitgenössischen Feminismus zu formulieren. Sie zielte auf „Überschreitung und Transgression“ (S. 76) der gegebenen, androzentrisch ausgerichteten Ordnung und wollte zu einem „Aufbrechen der herrschenden Werterelationen“ (S. 172) beitragen. Dieses der Kritik verpflichtete Selbstverständnis machte die Schwarze Botin von Beginn an zu einem „Element der Störung und Unruhe“ (S. 134). Nicht nur mit der autonomen Frauenbewegung geriet sie in Konflikt, auch Teile der Linken grenzten sich scharf von ihr ab und forderten zum Boykott auf.

Während dieses Störung und Unruhe erzeugende feministische Zeitschriftenprojekt schon bald nach ihrer Einstellung nahezu in Vergessenheit geraten ist, lässt sich heute, mehr als 40 Jahre nach Erscheinen der ersten Ausgabe ein gestiegenes Interesse an diesem Projekt beobachten. Nach der 2020 von Vojin Saša Vukadinović herausgegebenen Anthologie, die sich der Veröffentlichung von Originaltexten aus den ersten vier Erscheinungsjahren der Zeitschrift widmet1, legt nun Katharina Lux die erste dezidierte und den gesamten Erscheinungszeitraum umfassende Studie zu dieser feministischen Zeitschrift vor. Im Fokus ihrer Untersuchung stehen die „Konflikte um feministische Kritik und Theorie“, genauer: das „Kritikprogramm“ der Schwarzen Botin. Dieses wird im Kontext der sich ab den späten 1960er entwickelnden autonomen Frauenbewegung untersucht, womit die Studie einen bis dato einmaligen und überaus differenzierten Einblick in einen nahezu vergessenen Zweig feministischer Theoriebildung in der BRD gewährt.

Unter dem im Zentrum der Untersuchung stehenden Kritikprogramm der Schwarzen Botin versteht die Autorin die Theoriebildung der Zeitschrift. Das Kritikprogramm setze sich aus den Argumentationslinien und Verfahrensweisen der Beiträge und den in ihnen enthaltenen „Kritikmotiven“ und „Kritikverfahren“ (S. 15) zusammen. In der Zeitschrift kristallisierten sich insbesondere drei Kritikmotive heraus: Erstens werde problematisiert, dass die gegebene Ordnung keine „Anknüpfungspunkte für Frauen“ (S. 235) biete, auch bestehe in ihr nichts, was zu verteidigen wäre. Zweitens bedürfe es einer „Zerstörung des patriarchalischen Selbstverständnisses“ (ebd.) und als drittes Motiv finde sich der „Gedanke eines Neuen“ (ebd.), der auf eine zukünftige, noch nicht realisierte Wirklichkeit dränge. Diese Motive zielen demnach auf die Zerstörung und Überschreitung des Gegebenen. Dass etwas Neues ins Werk gesetzt werden soll – veränderte Wahrnehmungs-, Erfahrungs- und Handlungsweisen –, bildet den Kern der in der Schwarzen Botin geführten theoretischen, literarischen und ästhetischen Auseinandersetzungen.

Lux arbeitet in ihrer Untersuchung fünf zentrale Themenschwerpunkte heraus, die in der Schwarzen Botin vermehrt verhandelt wurden. Diesen Schwerpunkten, die sich entweder kritisch mit dem zeitgenössischen Feminismus auseinandersetzen oder die strukturelle Benachteiligung und Abwertung von Frauen sowie deren Subjektlosigkeit problematisieren, wird in der Studie jeweils ein größerer Abschnitt mit weiteren Unterkapiteln gewidmet. Unter der Überschrift „Individualität und Kollektivität“ wird die Kritik der Schwarzen Botin gegenüber der autonomen Frauenbewegung eingekreist. Problematisiert wird etwa, dass die Frauenbewegung eine „Auflösung des Individuums in einer undifferenzierten Kollektivität der Frauen“ (S. 17) betreibe, weshalb es ihr auch nicht gelinge, die androzentrische Geschlechterordnung mit ihren Bewusstseins-, Denk- und Erfahrungsmustern zu durchbrechen und zu überschreiten. Feministische Theorie und Kritik hätten demgegenüber zum Ziel, neue Wahrnehmungen und Erfahrungen sowie ein neues Denken zu ermöglichen, womit altbekannte Werterelationen nicht nur aufgebrochen, sondern auch überschritten werden könnten.

Zweitens wird von Lux das Verhältnis von „Unvermitteltheit und Vermittlung“ herausgearbeitet und diskutiert. Hier steht die Kritik der Zeitschrift gegenüber der in der Frauenbewegung praktizierten Selbsterfahrungspraxis im Zentrum. Diese würde auf eine unvermittelte Körpererfahrung und ein unmittelbares Frausein drängen, ohne dieses in seiner Bedingtheit innerhalb einer androzentrischen Geschlechterordnung zu reflektieren. In Abgrenzung von solchen Vorstellungen dränge die Schwarzen Botin wiederum auf die Überschreitung und Sprengung der Erfahrung, in einer solchen Gesellschaft Frau zu sein. Während die Selbsterfahrungspraxis Veränderungen im alltäglichen Handeln und den zwischenmenschlichen Beziehung anstrebe, ziele die Schwarze Botin auf Veränderungen im Bereich der Wahrnehmungen und der ästhetischen Produktion. Kapitel 10, das das Verhältnis von „Versöhnung und Unversöhnlichkeit“ verhandelt, widmet sich so dann auch der in der Zeitschrift geführten Auseinandersetzung um eine mögliche feministische Ästhetik sowie ein mögliches weibliches Schreiben. Die herausgearbeitete Kritik der Schwarzen Botin richtet sich insbesondere gegen Positionen, die von einer weiblichen Substanz ausgehen würden, die sich in Kunst ausdrücken könne.

Der folgende Abschnitt „Subjektkritik und Sexuelle Differenz“ analysiert weiterführend Beiträge, die sich mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern ein weibliches Schreiben die gegebene symbolische Ordnung überschreiten oder (zer-)stören könne. Ebenfalls wird hier die (Un-)Möglichkeit einer weiblichen Subjektposition diskutiert und der Frage nachgegangen, wie „ein Subjekt feministisch gedacht werden kann“ (S. 21). Im Fokus steht hier unter anderem die in der Zeitschrift kontrovers geführte Auseinandersetzung mit der feministisch und psychoanalytisch fundierten Subjektkritik der französischen Theoretikerin Luce Irigaray. Zuletzt wird nach der „Geschichte weiblicher Produktivität“ gefragt, die Lux im Kontext der im Feminismus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geführten Auseinandersetzungen um weibliche Arbeit und Tätigkeiten diskutiert. Lux arbeitet hier heraus, dass das Kritikprogramm der Zeitschrift insbesondere nach der (Un-)Möglichkeit eines zukünftigen Subjekts fragt, das seine Abhängigkeit und Verwiesenheit auf andere sowie seine Kreatürlichkeit nicht verleugne.

Gerade mit Letzterem wirft die Schwarze Botin zentrale und nach wie vor ungelöste Fragen nach der Subjektbildung und Bezogenheit der Subjekte sowie ihrer Angewiesenheit auf. Die in der Schwarzen Botin verhandelten Themen, die von Lux kenntnisreich mit Bezug auf den historischen Kontext systematisiert, herausgearbeitet und analysiert werden, geben Einblicke in eine äußerst interessante feministische Kritik- und Theoriedebatte, die an Aktualität nicht verloren hat. So stellt sich gegenwärtig zum Beispiel vor dem Hintergrund einer postödipalen Gesellschaft, die auf Gleichheit und Geschlechtsneutralität drängt, weiterhin die Frage nach einer weiblichen Subjektposition, die im Kontext der aktuellen Debatten um Sorge und Care sowie sexueller Gewalt und sexueller Selbstbestimmung weiter zu diskutieren wäre.

Besonders beeindruckt ist die Rezensentin von der versierten Einbettung der Themen in den historischen Kontext der autonomen Frauenbewegung sowie deren umfassende und kritische Diskussion, die nicht nur den Zeitgeist lebendig und erfahrbar, sondern entlang der Schwarzen Botin eine Teil-Geschichte des Feminismus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zugänglich macht. Die entlang des Kritikprogramms herausgearbeiteten, in der Schwarzen Botin verhandelten Themen und der damit verbundene Strang feministischer Theoriebildung geben einen tiefgreifenden Einblick in die feministischen Auseinandersetzungen der späten 1970er- und der 1980er-Jahre. Die Studie vermag damit auch ein in feministischen Debatten häufig und übereilt bedientes Vorurteil, der Feminismus der Zweiten Frauenbewegung habe vorrangig auf Einheit, Geschlossenheit oder ein auf Gemeinschaftlichkeit drängendes Wir gezielt, zu entkräften: Die Schwarze Botin grenzte sich ab, kritisierte und störte mit ihrem Kritikprogramm den zeitgenössischen Feminismus und somit auch solche geschichtswissenschaftlich widerlegten Rückprojektionen. Wir erhalten durch die vorliegende Studie eine differenzierte Einsicht in einen in der Rezeption feministischer Theorie und Praxis marginalisierten intellektuellen feministischen Denk- und Diskussionszusammenhang. Die in diesem Kontext entstandene feministische Theoriebildung mit ihrem Ringen um ein zukünftiges Subjekt, das seine Angewiesenheit nicht leugnet, ist für aktuelle feministische Debatten nicht nur bereichernd, sondern sollte aufgegriffen und fruchtbar gemacht werden. Katharina Lux macht dafür einen Anfang, der weiterverfolgt werden sollte.

Anmerkung:
1 Vojin Saša Vukadinović (Hrsg.), Die Schwarze Botin. Ästhetik, Kritik, Polemik, Satire. 1976–1980, Göttingen 2020.

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