T. Fischer u.a. (Hgg.): Als Geschäftsmann in Kolumbien (1911-1929)

Titel
Als Geschäftsmann in Kolumbien (1911-1929). Autobiographische Aufzeichnungen von Hans Sitarz


Herausgeber
Fischer, Thomas; Sitarz, Anneliese
Reihe
Lateinamerika-Studien 46
Erschienen
Frankfurt am Main 2004: Vervuert/Iberoamericana
Anzahl Seiten
279 S.
Preis
€ 29,65
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Harbeck, Historisches Seminar, Universität Hamburg

Die Edition der Erinnerungen des deutschen Geschäftsmannes Hans Sitarz verlief nicht ohne Komplikationen: Sitarz, Jahrgang 1889, führte während seiner Zeit im Ausland Tagebücher, bearbeitete diese Anfang der 1950er-Jahre, kam jedoch nicht mehr zur Veröffentlichung, da er 1958 vor der Drucklegung verstarb. Es ist seiner Tochter und Mitherausgeberin dieser Memoiren zu verdanken, dass das Manuskript nun, knapp 50 Jahre nach dem ersten Versuch, schließlich doch noch in weiten Teilen für ein breiteres Publikum zugänglich gemacht wurde. Gemeinsam mit dem Lateinamerika-Historiker Thomas Fischer, einem ausgewiesenen Kolumbien-Spezialisten, hat sie die Aufzeichnungen bearbeitet und diejenigen Teile, die sich mit seinem Aufenthalt in Kolumbien in den Jahren 1911 bis 1929 und auch den kürzeren Besuchen 1942/43 und 1944 befassen, publiziert.

Die Erinnerungen selber gliedern sich in 24 kurze Kapitel, von denen die letzten beiden die späteren Besuche beschreiben. Diesen autobiografischen Aufzeichnungen vorangestellt sind eine Einleitung Thomas Fischers und eine Karte von Kolumbien. Abgeschlossen wird der Band durch ein Abbildungsverzeichnis und einen Index. Die Tagebücher, die neben Sitarz „hervorragendem Gedächtnis“ die wichtigste Quelle für seine Erinnerungen gewesen seien, lagen den Herausgebern nicht mehr vor, der Text stellt also eine Bearbeitung des bereits von Sitarz zur Publikation vorbereiteten Manuskripts dar. Verändert wurden im Wesentlichen nur Orthografie und Syntax. Hinzugefügt haben die Herausgeber die Zwischenüberschriften und Bilder aus dem Nachlass Sitarz’ sowie einige Lithografien.

Die autobiografischen Aufzeichnungen schildern den sich in Kolumbien vollziehenden Aufstieg des aus kleinbürgerlichen Verhältnissen Stettins stammenden Sitarz’ vom einfachen Handelsangestellten der Hamburger Firma „Ernst Pehle“ zum einflussreichen Bankdirektor einer multinationalen Bankgesellschaft, der Deutschen Antioquia Bank mit Hauptsitz in Bremen. Interessant sind hierbei nicht nur die Beschreibungen der verschiedenen beruflichen Stationen, die er in Kolumbien bei diesen Firmen passierte, sondern auch die unterschiedlichen Orte und Personen, die er dabei kennen lernte. Früh eignete er sich das Spanische an, sodass er nicht nur im Kreise der „Extranjeros“ bzw. in deutschen Zirkeln verkehrte. Bereits kurz nach seiner Ankunft in Kolumbien schloss er Bekanntschaften mit einfachen Landarbeitern sowie – im zunehmenden Verlauf seines beruflichen und gesellschaftlichen Aufstiegs – mit Angehörigen der einheimischen Elite. Es sind diese weit reichenden Beziehungen zu kolumbianischen Viehzüchtern und Politikern wie zu ausländischen Geschäftsleuten, die ihm bei seinem beruflichen Werdegang behilflich waren. Die Hauptorte seiner Tätigkeit waren Bogotá, Medellín und Barranquilla. Durch seine Geschäftsreisen lernte er aber darüber hinaus weite Teile des Landes und seiner Bewohner kennen. Recht emotionslos und trocken beschreibt er die Erlebnisse dieser Zeit. Nur selten klingen Empörung und Humor in seinen Beschreibungen an. Allerdings gibt er recht ungeschminkt seine Einschätzungen von Personen wieder und unterscheidet hierbei auch nicht zwischen seinen Freunden und ihm weniger sympathischen Personen. Manchmal lassen seine Beschreibungen jedoch Präzision vermissen, so belässt er es häufig bei der Benennung seiner Tätigkeiten. Näherer Aufschluss über geschäftliche Transaktionen ist deshalb nur bedingt aus seinem Bericht zu gewinnen.

Die Bedeutung der Edition liegt hauptsächlich in fünf Bereichen:

1. Der Werdegang eines deutschen Emigranten nach Lateinamerika wird hier exemplarisch und aus erster Hand beschrieben. Die Bedeutung der ausländischen Enklaven und Netzwerke wird dabei deutlich hervorgehoben und durch Sitarz’ Kommentare zu deutschen Kollegen und Freunden erhält man ein klareres Bild von der Situation deutscher Emigranten im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.

2. Die wirtschaftliche Entwicklung Kolumbiens, vor allem des Bankgewerbes aber auch der ausländischen Unternehmungen in dem Land werden durch den beschriebenen Aufbau und die Expansion der Deutschen Antioquia Bank veranschaulicht.

3. Sitarz’ Sicht des Wandels der kolumbianischen Gesellschaft und Wirtschaft wird in seinen Aufzeichnungen gerade auch durch die beiden Schlusskapitel gut nachvollziehbar.

4. Dank seiner frühen Erfahrungen mit dem Leben auf einer Hacienda und seine Bekanntschaft mit Viehzüchtern aus Medellín ist dem Bericht auch einiges über ländliches Leben zu entnehmen. Dabei steht Sitarz’ positive Einstellung zur Lebensweise der letztgenannten Gruppe in einer bemerkenswerten Spannung zu seiner selbst gesehenen Rolle als Vertreter der wirtschaftlichen Moderne.

5. Mit seinen Beschreibungen der vielen Personen, die er während seiner Aufenthalte in Kolumbien kennen lernte, bietet Sitarz interessante biografische Ergänzungen sowohl zur kolumbianischen Elite als auch zu deutschen Geschäftsleuten und ihren Familien.

Natürlich birgt Sitarz’ Darstellung einige Tücken, die der Mitherausgeber Fischer in seiner Einleitung jedoch vorab benennt: Wie bei Reiseberichten stehen wir vor den zwei Problemen der Authentizität der Quelle und der stark subjektiven und europäisch geprägten Wahrnehmung des Autors. Dabei fällt erschwerend ins Gewicht, dass die Tagebücher nicht mehr existieren und ein Abgleich zwischen „erzählendem und erzählten Ich“ nicht mehr möglich ist.1 Die zeitliche Distanz der Abfassung der Aufzeichnungen zu den ersten Jahren in Kolumbien und der Hinweis, dass ein Teil der Schilderungen auch nur auf seinem Gedächtnis beruhte, kommen belastend hinzu. Auch hatte der Autor entgegen den Reisenden des 19. Jahrhunderts weniger ein wissenschaftliches und genauso wenig ein schriftstellerisches Interesse, ihm war an einer sachlichen Schilderung der Dinge gelegen, was leider dazu führt, dass sich – vorsichtig formuliert – das Lesevergnügen in Grenzen hält.

Zur Arbeit und Positionierung der Herausgeber sind, ungeachtet all der Mühen und Verdienste, die sie sich um den Text gemacht haben, einige kritische Anmerkungen zu machen: Fischer fasst das Leben des Autoren zwar griffig zusammen, beschränkt sich aber im Wesentlichen genau darauf. So lässt er zum einen eine historische Einordnung der Ereignisse an vielen Stellen vermissen. Nur bei dem Verhältnis zum weiblichen Geschlecht geschieht dies in adäquater Form. Auch die Diskussion der Quellengattung kommt recht kurz. Dies ist, gerade in Anbetracht der Sachkenntnis Fischers zur kolumbianischen Geschichte und seiner jüngsten Beschäftigung mit dem Reisebericht als Quelle, mehr als bedauerlich, da die Aufzeichnungen durch eine solche Kontextualisierung zu einem noch wertvolleren Arbeitswerkzeug hätten werden können. Zum anderen unterschlägt Fischer fast sämtliche Hinweise darauf, woher er die Angaben über Sitarz Leben hat: ob aus den Aufzeichnungen, von der Tochter oder durch Quellenrecherche. Dies macht es sehr schwer, die hier zusammengefassten Aussagen über den Autor und sein Leben kritisch zu betrachten und zu hinterfragen und die Einleitung als Wegweiser durch die Erinnerungen zu benutzen. Ein weiterer Punkt, der wohl der Zusammenarbeit mit der Familie des Autoren zuzuschreiben ist, bildet die an mehreren Stellen erkennbare mangelnde Distanz zu Hans Sitarz: sein „unermüdlicher“ Einsatz, die Beurteilung seiner Vorgesetzten und andere positive Überzeichnungen werden unkommentiert aus dem Text übernommen. Schließlich ist – und dies richtet sich auch an den Verlag – die Kommentierung und Qualität der Bilder zu bemängeln. Der Hinweis allein, sie stammten aus Sitarz’ Nachlass und sie seien an passender Stelle eingefügt worden, ist für eine kritische Auseinandersetzung mit ihnen als Quelle nur bedingt ausreichend, wenn die Urheberschaft, das Entstehungsdatum und das Motiv nicht näher identifizierbar sind, dann sollte dies zumindest in der Einleitung explizit angemerkt werden. Die schlechte Qualität der Abbildungen scheint nicht nur aus dem Alter der Bilder, sondern eher aus schlechter Digitalisierung zu resultieren, was nicht unbedingt den Quellenwert dieser Illustrationen steigert.

Alles in allem heben diese Kritikpunkte den Quellenwert der Aufzeichnungen nicht auf. Für eine umfassende Auseinandersetzung mit der Quelle hätte man sich aber mehr Diskussion dieser Umstände gewünscht. Nichtsdestotrotz zeigt Hans Sitarz Bericht, dass sich Walther Bernecker täuscht, wenn er dem Reisebericht – und als solchen betrachte ich diese Aufzeichnungen im weitesten Sinne – nur bis 1870 eine größere Bedeutung als Quelle einräumt.2 Die Erinnerungen des Geschäftsmannes bieten durch die vielen Bereiche, die in ihnen geschildert werden, einen Einblick in eine breite Palette des kolumbianischen (Wirtschafts-)Lebens, in das Leben deutscher Emigranten und vor allem in deutsche Wahrnehmungsmuster lateinamerikanischer Kultur zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Anmerkungen
1 vgl. Thomas Fischer in der Einleitung, S. 22.
2 vgl. Bernecker, Walther L., Einführung in den Themenbereich, in: Bernecker, Walther L.; Krömer, Gertrut, Die Wiederentdeckung Lateinamerikas. Die Erfahrung des Subkontinents in Reiseberichten des 19. Jahrhunderts 1997 (Lateinamerika-Studien 38), Frankfurt am Main, S. 9-28, 10f.

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