Cover
Titel
Selling Berlin. Imagebildung und Stadtmarketing von der preußischen Residenz bis zur Bundeshauptstadt


Herausgeber
Biskup, Thomas; Schalenberg, Marc
Reihe
Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung 6
Erschienen
Stuttgart 2008: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
356 S.
Preis
€ 62,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Meik Woyke, Historisches Forschungszentrum, Friedrich-Ebert-Stiftung

Berlin ist „arm, aber sexy“, ließ der Regierende Bürgermeister der Bundeshauptstadt, Klaus Wowereit, im November 2003 anlässlich eines FOCUS-Interviews erstmals verlauten. Knapp fünf Jahre später, der Slogan hatte sich längst über die Stadtgrenzen hinaus eingeprägt, lobte der Berliner Senat den Wettbewerb „be Berlin!“ aus. Die Berliner waren aufgefordert, ihr Lebensgefühl, ihre Erlebnisse und Erfahrungen in der Hauptstadt auf eine für Werbezwecke geeignete Formel zu bringen. Mittlerweile steht die Gewinnerin fest: Eine 17-jährige Schülerin reüssierte mit dem Dreiklang „Sei einzigartig, sei vielfältig, sei Berlin“. Bürgermeister Wowereit gratulierte zu dieser allenfalls beim ersten Hinsehen simplen Idee, die bald als zentrale Botschaft der aktuellen Stadtmarketingkampagne zahlreiche Großplakate und Anzeigen schmückte.

Die jüngsten Entwicklungen der hauptstädtischen Imagearbeit konnte der hier vorzustellende Sammelband, der auf eine im Februar 2005 veranstaltete Tagung an der Humboldt-Universität in Berlin zurückgeht, selbstverständlich kaum mehr berücksichtigen. Allerdings schlägt der außerordentlich lesenswerte Band durchaus einen weiten Bogen von der Krönung des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. zum ersten König in Preußen (1701) bis ins 21. Jahrhundert. In dieser Zeit veränderte sich das Image von Berlin nachhaltig. Die einstmals nicht sonderlich bedeutsame Residenzstadt gilt heute als europäische Metropole, gezeichnet durch fünf verschiedene politische Systeme, mehrere Kriege und Revolutionen, die Teilung 1945/1961 und schließlich wieder zu einem administrativ geschlossenen Stadtgebiet vereint.

Bisher existieren nur wenige Arbeiten, die Stadtgeschichtsschreibung konsequent mit dem vielschichtigen Feld der Imageproduktion und -perzeption verbinden. Ein von Adelheid von Saldern geleitetes Forschungsprojekt richtete den Fokus auf deutsche Stadtrepräsentationen im Systemvergleich von 1935 bis 1975; der Historiker Daniel Kiecol arbeitete ebenfalls komparativ, indem er die Images von Paris und Berlin am Beginn des 20. Jahrhunderts verglich. Unterdessen näherten sich Gabriela B. Christmann dem „Elbflorenz“ Dresden und Martina Nußbaumer der „Musikstadt“ Wien aus soziologischer beziehungsweise kulturwissenschaftlicher Perspektive. Beide unterstrichen mit ihren Studien die mitunter chiffrehafte Qualität von Stadtimages.

Der Sammelband über die wechselnden Images von Berlin, das betonen die Herausgeber Thomas Biskup und Marc Schalenberg einleitend, verfolgt nicht das Ziel, eine lineare und zudem umfassende Marketinggeschichte vorzulegen, zumal im 18. und 19. Jahrhundert keine professionelle, von kommerziellen Agenturen betriebene Stadtwerbung bestand. In Anlehnung an den britischen Stadtplanungshistoriker Stephen V. Ward werden vielmehr ausgewählte Epochen und Typen von Imagebildung und „city branding“ analysiert. Die Interdependenzen zwischen dem Niveau der städtischen Architektur und der Fremdenverkehrsdichte geraten ebenso in den Blick wie literarische Stadtbeschreibungen oder die Inszenierungen und Kommunikationsstrategien politischer Machthaber zu Repräsentationszwecken. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen jeweils die imagebildenden Akteure sowie die Frage, welche Medien sich diese zur Durchsetzung ihrer Interessen in den vergangenen Jahrhunderten vorzugsweise bedient haben. Der in der Geschichtswissenschaft nicht methodisch eingeführte Imagebegriff wird auch von Biskup und Schalenberg nicht konzise definiert. Ihre Einleitung bietet jedoch einen facettenreichen Überblick der gegenwärtigen Forschungsansätze. Dabei wird die doppelte Funktion der verschiedenen Berlin-Images deutlich. Einerseits waren sie dazu geeignet, Identität zu stiften und die Loyalität der Stadtbewohner gegenüber dem Gemeinwesen zu erhöhen. So entzog sich die während des Ersten Weltkriegs neu erfundene „Berliner Schnauze“ zwar weitgehend dem Zugriff von staatlicher Zensur und Propaganda, wirkte aber dennoch systemstabilisierend, da sie den Durchhaltewillen der Bevölkerung stärkte. Auf der anderen Seite dienten Images der Außendarstellung. Mit ihrer Hilfe konnten neue Einwohner, Touristen und steuerzahlende Wirtschaftsbetriebe für Berlin gewonnen werden.

Entlang dieser leitenden Aspekte und Fragestellungen ist der Sammelband der Chronologie folgend in vier Abschnitte gegliedert: „Ambitionen in der Residenzstadt“, „Repräsentationen und Eigensinn in der Metropole“ (vom 19. Jahrhundert bis ins „Dritte Reich“), „Profilierungen in der geteilten Stadt“ und – nach dem Fall der Mauer – „Visionen und Erinnerungen“. Angesichts des breiten thematischen wie zeitlichen Spektrums des Bandes fällt es nicht leicht, einzelne der insgesamt 21 Beiträge hervorzuheben. Dass Historiker (Peter Fritzsche, Robert Graf, Daniel Kiecol, Jan Rüger, Daniel Schönpflug, Alexander Sedlmaier, Stephanie Warnke, Katja Zelljadt) sowie Architekten und Kunsthistoriker (Thomas Albrecht, Hendrik Tieben, Melanie Mertens, Christian Saehrendt, Tilmann von Stockhausen) ebenso zu Wort kommen wie Politikwissenschaftler, Soziologen, Ethnologen und Germanisten (Angela Borgwardt, Sybille Frank, Alexa Färber, Esther Kilchmann, David Midgley) spiegelt die mittlerweile anerkannte interdisziplinäre Ausrichtung der Stadtgeschichts- und Urbanisierungsforschung wider und erhöht den Wert des konzeptionell durchdachten Sammelbandes. Zudem wird auf diese Weise die gegenwärtige stadtplanerische Praxis – etwa bei der Neuanlage des Potsdamer Platzes – miteinbezogen. Nicht zuletzt schildert Volker Hassemer, von 1981 bis 1996 beinahe durchgängig Senator in Berlin, lange Zeit für Stadtentwicklung und Umweltschutz verantwortlich, die Planungsansätze und Imagebildungsstrategien nach 1990, ohne die allfälligen Meinungsverschiedenheiten und ökonomischen Interessenskonflikten auszusparen.

Abschließend lässt sich inspiriert von dem Beitrag des Literaturwissenschaftlers David Midgley festhalten: Berlin glich in den letzten drei Jahrhunderten einem Palimpsest. Images, positive wie negative, wurden gezielt aufgebaut, existierten nebeneinander, gerieten in Vergessenheit oder wurden aus ideologischen Gründen vorsätzlich getilgt. Zum Beispiel galt Berlin nach 1945 mehrere Jahrzehnte lang als „Frontstadt der freien Welt“, war aber gleichzeitig auch Hauptstadt der DDR. Gleichwohl sind Imagebildung und Stadtmarketing keine auf die Zeitgeschichte beschränkten Phänomene. Das macht der Sammelband eindrucksvoll deutlich. Ansprechend ist überdies der qualitativ hochwertige Bildtafelanhang, der exemplarische Stadtansichten präsentiert. Die für sämtliche Beiträge erstellten Abstracts erleichtern die erste Orientierung. Ein systematischer Vergleich mit Imageproduktionen und deren Wahrnehmung in mehreren anderen europäischen Großstädten stellt indessen ein Desiderat dar. Aber dies kann getrost einem weiteren Band vorbehalten bleiben.

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