Titel: Der deutsche koloniale Raub in Afrika: die Kamerun-Sammlung im Übersee-Museum Bremen im Fokus der Provenienzforschung
Sonstige Titel: Le butin colonial allemand d'Afrique. Recherche sur la provenance de la collection Cameroun du Übersee Museum de Brême
Sprache: Deutsch
Autor*in: Awono, Ndzodo
Schlagwörter: Sammler; Militär; Expedition; Krieg; Objekt
GND-Schlagwörter: KolonialismusGND
SammelnGND
ProvenienzforschungGND
WaffeGND
MuseumGND
Erscheinungsdatum: 2021
Tag der mündlichen Prüfung: 2022-05-13
Zusammenfassung: 
Drei Ansätze liegen der vorliegenden Studie zugrunde, nämlich der empirische und der postkoloniale Ansatz sowie die Akteur-Netzwerk-Theorie. Die Besonderheit der Studie liegt in der Einbeziehung der Herkunftsgesellschaften in die Forschung, aber auch in der Tatsache, dass sie eine der wenigen oder ersten Arbeiten ist, in denen der Versuch unternommen wurde, sich ausführlich mit der Herkunft einer ganzen Sammlung aus kolonialem Kontext auseinanderzusetzen. Zunächst widmet sich die vorliegende Studie der Geschichte bzw. den Herrschaftssystemen, dem Austausch zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen und der Beziehung zwischen Macht und Gegenständen im vorkolonialen Kamerun. In Kamerun gab es zwei Arten von Gesellschaften: die hierarchischen und die akephalen Gesellschaften, wobei die jeweiligen Gruppen in Austausch miteinander standen: Jede Gruppe tauschte ihre Gegenstände und landwirtschaftlichen Produkte gegen solche, die sie nicht selbst produzierte. In Westkamerun zum Beispiel fand der Austausch auf Märkten statt, und jede Chefferie hatte ihren eigenen Markt. Gegenstände und andere Produkte zirkulierten aber auch in Form von Geschenken oder Kriegstributen. Was die Beziehung zwischen Objekt und Macht betrifft, so hatte jede Gesellschaft oder Gesellschaftsform beispielsweise ihre Herrschaftsinsignien und ihre Kultgegenstände.
Die Akteurskonstellation und die Auswirkungen des kolonialen Sammelns in Deutsch-Kamerun stehen im Fokus des zweitens Hauptteils der Studie. Beschrieben wird die Interaktion bzw. die Mitwirkung von Deutschen und Kamerunern bei der Umsetzung von Sammelstrategien. Die Kolonisatoren waren in ihrer Sammeltätigkeit immer auf die Mitwirkung der lokalen Bevölkerung angewiesen. Zu den erfassten Sammelverfahren gehören Expeditionen (Straf- und Forschungsexpeditionen, wirtschaftliche Expeditionen), Privatreisen, religiöse Aktivitäten, Gerichtsverfahren, Kriegsentschädigungen und Schenkungen. Auch die bereits erwähnten Märkte zählten zu den Erwerbungsorten. Gezeigt wird, wie sich die Akteurskette von der Kolonie bis zum Museum erstreckte und außer den sammelnden Personen in der Kolonie auch die Transportlogistik (Schiffe und Spediteure), Institutionen und dritte Personen, über die die Sammlungen ins Museum kamen, umfasste. Dieser Arbeitsteil endet mit der Thematisierung der Konsequenzen dieser Sammeltätigkeit für die lokale Bevölkerung. Es wird deutlich, dass einerseits bei der Plünderung vieler Orte, hier zum Beispiel von Maroua und Tiabati, Gegenstände aller Art weggeschafft und die alten Herrscher durch neue ersetzt wurden, während andererseits an einigen Orten wie im Bamun- und im Bali-Land wiederum die Zusammenarbeit mit der Kolonialverwaltung die Förderung des Handwerks zu kommerziellen Zwecken ermöglichte.
Im Mittelpunkt des dritten Hauptteils steht die Typologie der Objekte. Die Kamerun-Sammlung des Bremer Übersee-Museums zählt noch etwa 2350 Objekte aus vielfältigen Objektkategorien, wie Waffen, Alltags-, Haushalts- und Ritualgegenstände, Herrschaftsinsignien, Kommunikations- und Musikinstrumente, Miniaturgegenstände, Kleidungs- und Schmuckstücke, Pfeifen, Zahlungsmittel, Geräte für Haar- und Körperpflege, Reitausrüstung, Werkzeuge für Acker- und Hausbau, Boote u. a. Die Kategorisierung der Objekte beruht hauptsächlich auf den Aussagen der Informanten, die der Autor in Zuge seiner Feldforschung in Kamerun befragte, den Daten aus dem Inventarbuch und der Literatur zur materiellen Kultur. Die letzte in diesem Hauptteil beleuchtete Frage befasst sich schließlich mit dem Gebrauch von Objekten: Einige Sammlungen von Gebrauchsgegenständen der Kamerun-Sammlung entstammen Strafexpeditionen (z.B. die Kriegsbeute aus Tibati). Andere Gegenstände, die den Quellen zufolge zu kommerziellen (Verkaufs-)Zwecken angefertigt wurden, und viele Miniaturobjekte können nicht als gebraucht betrachtet werden.
Der vorletzte Teil fokussiert auf die Feldforschungsergebnisse. Identifiziert wurden die Herkunftsgruppen von ca. 693 Objekten (über 33 %) des Gesamtbestandes. Diese Identifikation erfolgte anhand der Aussagen von Interviewpartnern und manchmal auch anhand der Angaben aus dem Inventarbuch und relevanten Literaturtiteln zur materiellen Kultur.
Die letzten in dieser Arbeit angesprochenen Aspekte bilden die verschiedenen Sichtweisen auf die Objekte aus kolonialen Kontexten im Westen und die Frage der Restitution. Die Präsenz dieser Objekte in deutschen bzw. europäischen Museen, die zunächst der Legitimation der Kolonialisierung und als Nachweis der vermeintlich technischen und kulturellen Überlegenheit des Westens über den Rest der Welt dienten, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem kontroversen Thema. Weiteres Konfliktpotenzial liegt in den Schwächen bzw. der Unbestimmtheit der internationalen Abkommen und Konventionen und in der ablehnenden oder ambivalenten Haltung Europas (z. B. Frankeichs und Deutschlands) zur Restitutionsfrage begründet. Die Frage nach der Bedeutung und dem Besitz der Objekte selbst scheint für die Herkunftsgesellschaften indes weniger von Belang zu sein als die Frage nach der Restitution. Die Ansichten der Kameruner zum Thema der Rückgabe sind unterschiedlich.
URL: https://ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/10287
URN: urn:nbn:de:gbv:18-ediss-109523
Dokumenttyp: Dissertation
Betreuer*in: Zimmerer, Jürgen
Ahrndt, Wiebke
Enthalten in den Sammlungen:Elektronische Dissertationen und Habilitationen

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