Auszug

Vorwort
Maria Grewe und Markus Tauschek

Der vorliegende Band ist das Ergebnis einer interdisziplinären Tagung mit dem Titel "Zum Umgang mit begrenzten Ressourcen. Kulturwissenschaftliche Positionen", die vom 13. bis 15. November 2014 an der Christian-Albrechts-Universität Kiel stattfand. Während im Audimax der Universität zeitgleich das "Erste Energieforum" realisiert wurde, auf dem Expert/innen und Studierende über Nachhaltigkeit, Postwachstumsökonomie und anwendungsorientiert über den schonenden Umgang mit natürlichen Ressourcen diskutierten, ging es im Rahmen der Tagung um kultur- und sozialwissenschaftliche Perspektiven auf Knappheit, Mangel oder Überfluss. Im Zentrum der Beiträge stand die Frage, wie Knappheit diskursiv sowie in konkreten Praktiken hergestellt wird.
Hintergrund dieser Tagung war die Beteiligung der Herausgeber im in-terdisziplinären Projektkolleg "Erfahrung und Umgang mit Endlichkeit", angesiedelt am Collegium Philosophicum der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität Kiel. In diesem produktiven Arbeitszusammenhang wuchs die Erkenntnis, dass sich die kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen mit ihrem dekonstruierenden Blick und ihren meist mikroperspektivisch angelegten Fallstudien noch stärker an den Debatten um begrenzte Ressourcen, um Nachhaltigkeit, um alternative Formen des Wirtschaftens, um die Knappheit oder Begrenztheit materieller Kultur beteiligen sollten. Gefragt waren deshalb neben empirischer Forschung auch grundlegende, programmatische Überlegungen zu einem kulturwissenschaftlich konturierten Knappheits- und Ressourcenbegriff.
Dieser Band ist das Ergebnis eines engagierten Austauschs. Zustande gekommen wäre er nicht ohne die großzügige finanzielle Unterstützung durch das Seminar für Europäische Ethnologie/Volkskunde der Christian-Albrechts-Universität. Das Graduiertenzentrum der Universität Kiel, das sich für die Ausbildung von Nachwuchswissenschaftler/innen einsetzt, hat die Tagung maßgeblich gefördert und damit insbesondere die an der Tagung beteiligten Promovierenden unterstützt. Beiden Einrichtungen möchten wir an dieser Stelle ganz herzlich für ihre Unterstützung danken.
Großer Dank gilt auch dem Campus Verlag, insbesondere Jürgen Hotz, für die produktive, gelassene und höchst professionelle Zusammenarbeit sowie für die Aufnahme des Bandes in das Verlagsprogramm.
Besonderer Dank gilt den studentischen Mitarbeitern, allen voran Jörn Borowski, der nicht nur die Tagung maßgeblich unterstützt, sondern der auch wesentlich zur Fertigstellung des Bandes beigetragen hat. Für die Un-terstützung in den Korrekturarbeiten danken wir Maren Pusback. Großer Dank gilt schließlich auch Renate Ewald im Sekretariat des Seminars für Europäische Ethnologie/Volkskunde, die in der Vor- und Nachbereitung sowie in der Durchführung der Tagung eine großartige Hilfe war.

Kiel, im Juni 2015


Knappheit, Mangel, Überfluss - Kulturanthropologische Positionen.
Zur Einleitung
Markus Tauschek

1. Städtischer Raum als knappe Ressource?
Im Sommer 2013 materialisierte sich nahezu auf dem gesamten Kieler Stadtgebiet Protest: Aufkleber auf Postkästen und mitunter aufwändig verzierte Blumenampeln an Straßenlaternen, auf Altglascontainern oder an Gartenzäunen sollten eines sichtbar machen: Hier verschaffen sich urbane Akteure eine Stimme. Und dies in überaus kreativer Weise. Was sich auf den ersten Blick spielerisch gab, hatte handfeste politische Hintergründe. Schon im Juli 2011 hatte der damalige Kieler Oberbürgermeister die Öffentlichkeit darüber informiert, dass das Gelände einer Kleingartenkolonie der Filiale eines großen Möbelkonzerns weichen sollte. Die sich daraus etablierenden Formationen des Protests gegen den Neubau einer Filiale der Firma "Möbel Kraft" waren vielschichtig: Argumente der Ökologie - etwa gegen die Versiegelung von Flächen - verbanden sich mit der Frage, wem die Stadt gehöre, mit Visionen einer partizipativen, basisdemokratischen Politik; dazu mischten sich konsum- und wirtschaftskritische Positionen gegen neoliberale Marktlogiken.
"Stoppt die Grüngürtelvernichtung in Kiel"; "Blütenstaub statt Lauben-raub"; "Möhrensaft statt Möbelkraft" oder "Apfelkraft statt Möbelsaft" - dies sind nur einige Slogans der Aktivist/innen, um gegen das geplante Projekt zu protestieren. Spielerischer gestaltete sich eine Protestformation, die innerhalb des städtischen Raums Ausgleichsflächen für das verlorene Kleingartengelände auswies: etwa auf einem Postkasten mit der ironisch gebrochenen Frage "Ist vielleicht auch dies eine städtische Möbel Kraft-Ausgleichsfläche?"
Die Markierung von Ausgleichsflächen im Stadtgebiet war deshalb eine höchst wirksame Strategie, weil sie gleichzeitig ironisch und dennoch mit klarer politischer Botschaft wirkte. Die großräumige Anbringung von Blumenampeln im urbanen Raum als Möbel Kraft-Ausgleichsfläche diente der Sichtbarmachung einer urbanen Gegenstimme zu einer als neoliberal und den Interessen vieler Bürgerinnen und Bürger widersprechenden städtischen Bau- und Wirtschaftspolitik.


Protest gegen den Neubau eines Möbelhauses, Blumenampel als "Ausgleichsfläche"
In den Protesten artikulierten sich auch kulturell kodierte Perspektiven auf Ressourcen, deren Nutzung und deren Zugänglichkeit. Hier wurde städtischer Raum als begrenzte Ressource wahrgenommen, diskursiv verhandelt und schließlich in unterschiedlichen Repräsentationen wie Aufklebern medial inszeniert. Dass soziale Akteure städtischen Raum in dieser Weise als knapp und umkämpft begreifen, mag unter anderem auch an neuen Verständnissen politischer Handlungsräume liegen. Die Protestierenden sind im Sinne Anthony Giddens "knowing subjects" (Giddens 1984: 5), die äußerst reflexiv handeln und argumentieren und dabei Verständnisse und Deutungsmuster begrenzter oder knapper Ressourcen produzierten und popularisierten.

2. Erneuerbare Energie und die Transformation von Knappheit
Die Herstellung von Knappheit kennzeichnet auch ein zweites Beispiel (vgl. Tauschek 2015): Karl Heinz Hansen ist der erste Windbauer in Norddeutschland, der aus Windkraft gewonnene Energie an einen Energieversorger verkauft hat. Der Norddeutsche Rundfunk hat Hansen schon in den 1980er Jahren und dann in einem Format mit dem Titel "Zeitreise" 2013 noch einmal porträtiert. Der Filmbeitrag unterstreicht - wie Hansen selbst in seiner biographischen Erinnerung - in erster Linie die ökonomische Dimension beim Bau der Windkraftanlage. Eher zufällig habe Hansen bei einem Ausflug nach Dänemark eine Windmühle gesehen; in der filmischen Inszenierung erinnert sich Hansen, das Ding habe ja "schön ausgesehen". Erst im Gespräch mit dem dortigen Landwirt habe er erfahren, dass sich damit auch Geld verdienen ließe. Der weitere Verlauf dieser retrospektiv als Erfolgsgeschichte erzählten Entwicklung, setzt die Übersetzung einer Idee in Intervention voraus, bei der verschiedene Akteure mitwirken mussten. Im Falle Hansens die zunächst zögerliche Landwirtschaftskammer sowie die föderale Politik, die aus Hansens Idee, eine Windmühle zu bauen, ein Pilotprojekt machte. Den bürokratischen Hürden begegnete Hansen in der Rückschau mit Pragmatismus: "Ich fand das alles zu blöd, ne, zu doof. Lass uns doch einfach bauen und dann kann man doch mal gucken, wie das da läuft", erläutert er im Film. Neben bürokratischen Widerständen schildert Hansen auch soziale Konflikte - etwa, als sein Vater an der Vernunft des Sohns zweifelte und an Enterbung dachte. Finanzielle Unterstützung erhielt Hansen hingegen von der Schwiegermutter aus der Schweiz, die eine überzeugte Vertreterin der Anti-Atomkraft-Bewegung gewesen sei. Heute sei Hansen an fünf Windparks beteiligt - die daraus generierten ökonomischen Gewinne dienen in dieser Lesart als Beleg seines erfolgreichen ökonomischen Handelns. Nicht ohne Selbstironie bewertet Hansen am Ende des Films sein Tun: "Aber es sieht nachher gar nicht mehr so toll aus, wenn alles voll ist mit Windmühlen, aber das bringt aber Geld, und Geld ist ja wichtig, ne." Den letzten Halbsatz ergänzt Hansen mit einem verschmitzten Lächeln, was auf eine selbstreflexive und durchaus wirtschaftskritische Haltung hindeutet. Hier ist Landschaft als ästhetischer Raum markiert, der in dieser Lesart als eine knappe und vernutzbare Ressource charakterisiert ist. Der Film endet neben diesem Zitat mit der Feststellung, Hansen sei Bauer geblieben, freue er sich doch am meisten, wenn das Korn reif auf den Feldern stehe.
Der Umgang mit begrenzten Ressourcen und mit Knappheit ist hier äußerst vielschichtig: Was in der medialen und gesellschaftlichen Rezeption als energiepolitischer Pioniergeist überhöht wird, der die Endlichkeit natürlicher Ressourcen durch das Erschließen erneuerbarer Energiequellen transformiert, stellt sich in der im Film repräsentierten Selbstdeutung Hansens in erster Linie als ökonomisches Kalkül dar - nämlich die Überwindung der eigenen begrenzten finanziellen Ressourcen durch einen neuen Einkommenszweig. Eine zweite Ebene deutet darauf hin, welche Bedeutung Wissen und dessen strategische Aneignung in der Einführung der Nutzung von Windenergie in Schleswig-Holstein spielte: Wissen über eine neue Technologie, über Finanzierungsmöglichkeiten, über politische Entscheidungsprozesse etc. Und schließlich verweist eine dritte Ebene auf Deutungen und Wahrnehmungen der Begrenztheit von Ressourcen, wenn Hansen etwa auf die ästhetischen Dimensionen des Baus von immer mehr Windkraftanlagen hinweist.

3. Nachhaltigkeit und Knappheit als universelles Phänomen?
Die Insel Sokotra, 2008 von der UNESCO aufgrund ihrer Biodiversität zum Weltnaturerbe erklärt, liegt im nordwestlichen Indischen Ozean. Die Hauptinsel der gleichnamigen Inselgruppe, die seit 1990 zum Jemen gehört, zählt etwa 42.000 Einwohner/innen und ist etwa halb so groß wie die Insel Korsika. Folgt man der Lesart der 2009 erstmals auf "arte" gesendeten Reportage "Sokotra. Schatzinsel in Gefahr", dann scheint Sokotra mit seinen traditionalen Formen der Subsistenzwirtschaft als ein geradezu paradigmatischer Ort eines ökonomischen, auf Nachhaltigkeit bedachten Handelns, das in Einklang mit der Natur und mit den zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen steht. Seit etwa den 1990er Jahren aber, so diagnostiziert der Film in modernisierungskritischer Manier, sei das überkommene Gleichgewicht substanziell gestört: Hätten etwa die Fischer an den Küsten oder die halbnomadisch lebenden Hirten "nach jahrtausendealten Regeln" gewirtschaftet, erodierten die alten Wirtschaftsformen durch Einflüsse von außen zunehmend. Die Hirten würden beispielsweise zunehmend sesshaft; die Fischer begännen, die Regel, vier Tage vor und vier Tage nach Vollmond nur mit Haken zu fischen, um die Schwärme nicht zu vertreiben, kaum noch einzuhalten. Die Konkurrenz, so erklärt der Film, sei größer geworden und zwinge immer mehr Fischer, permanent mit Netzen zu fischen und damit auch die überkommenen Regeln zu brechen; ebenso sei die Nachfrage durch Händler gestiegen. Besonders gefährdend für die Fischbestände seien jedoch große indische oder pakistanische Fischtrawler, die auch dann fischten, wenn die einheimischen Fischer mit ihren kleinen Booten aufgrund der Stürme während der Regenzeit nicht auf das Meer fahren können.
Insbesondere der Zuzug vom Festland, neue Infrastrukturen wie der Flughafen oder eine geplante Straße rund um die Insel, zerstörten - so resümiert der Film - einzigartige Lebens- und Wirtschaftsweisen. Dagegen aber positionieren sich nicht nur die UNESCO als globaler Akteur mit der Unterschutzstellung des Archipels, sondern auch einheimische Aktivisten und Unternehmer wie der im Film porträtierte Ismail, der sanften Tourismus in der Insel einführen und dabei auch ein spezifisches Bild einer ressourcenschonenden Kultur vermitteln möchte: "Die Touristen sollen erfahren, wie unsere Kultur die Natur stets bewahrt hat." Nicht nur der Film und die damit verbundene Außenperspektive auf die Insel beschreiben die lokale Kultur als vom Verschwinden bedroht. Auch die im Film agierenden lokalen Akteure selbst nehmen die traditionellen Lebensweisen und die sokotrische Sprache als vom Untergehen bedroht und damit in der filmischen Darstellung auch als endliche Ressource wahr.
Der Film ist auf mehreren Ebenen ein Beispiel für die Her- und Darstellung von Ressourcen, deren Begrenzt- oder Knappheit. Er verweist ganz grundsätzlich auf die Frage, wie Menschen den Umgang mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln der Lebenssicherung regeln; er zeigt weiter, wie dies nicht zuletzt auch über Kultur - also etwa religiös motivierte Regel- und Ordnungssysteme - reguliert wird und wie entsprechende Sanktionsformen legitimiert und plausibilisiert werden. Daneben dokumentiert der Film Transformationen, die sich aus der Destabilisierung überkommener Ordnungen ergeben und durch die Ressourcen und deren Nutzung erst zu einem diskursiv und praxeologisch explizit verhandelten und schließlich auch lebensweltlichen Problem werden. Des Weiteren ist der Film erstens ein Beleg dafür, wie in unterschiedlichen kulturellen und sozialen Kontexten mit Knappheit, Mangel oder im Gegenzug mit Überfluss umgegangen wird; und zweitens gleichsam auf einer Meta-Ebene, wie ein westlich-europäischer Blick geprägt von den Erfahrungen einer Konsum- und Überflussgesellschaft und den Diskursen um die Endlichkeit von Ressourcen (etwa im Rahmen der Postwachstumsdebatte) in nicht-europäischen Kulturen Wirt-schaftsformen sucht und zu finden glaubt, die als ideal, im Einklang mit der Natur stehend, als ressourcenschonend und nachhaltig begriffen und mitunter symbolisch überhöht werden.

Begrenzte Ressourcen, Knappheit und Überfluss - kulturwissenschaftliche Fragen
Aus diesen drei skizzierten Beispielen lassen sich zentrale kulturwissen-schaftliche Perspektiven auf den Umgang mit Ressourcen entwickeln. Aus einer poststrukturalistisch angeleiteten und dekonstruierenden Blickrichtung ließe sich zunächst konstatieren, dass Vorstellungen von Knappheit oder Begrenztheit ebenso wie die Zuschreibung als (etwa endliche, erschöpfbare oder auch regenerierbare) Ressource das Ergebnis komplexer, von Machtverhältnissen durchzogener Aushandlungsprozesse sind. So argumentieren etwa auch Chris Hann und Keith Hart in ihrer Einführung in die Wirtschaftsanthropologie: "Scarcity is often highly valued for itself, but this scarcity is socially constructed rather than given in nature" (Hann/Hart 2011: 6).
Wer etwas als knapp oder begrenzt bezeichnet, kann damit auch kon-krete Ziele verfolgen: Ein prominentes Beispiel wären hierfür die in Deutschland immer wieder aufflammenden Debatten um den sogenannten Fachkräftemangel. Gut ausgebildete Ingenieure - so etwa der "Verein Deutscher Ingenieure" - seien zunehmend ein knappes Gut, deshalb müsse politisch gegengesteuert werden, um nicht große Nachteile für die deutsche Wirtschaft in Kauf nehmen zu müssen. Im medialen Diskurs ist der Fachkräftemangel inzwischen als Mythos demaskiert worden, mithilfe dessen die Wirtschaft - so etwa das Argument einer ARD-Reportage - Lohnkosten verringern könne, weil ausländische Fachkräfte mit entsprechender politischer Unterstützung für geringeren Lohn nach Deutschland geholt werden könnten: "Am Ende entpuppt sich der behauptete Fachkräftemangel als Strategie, die sich für Politik und Wirtschaft durchaus lohnen kann." Das Behaupten von Mangel oder Knappheit wird am Beispiel des Sprechens über einen vermuteten Fachkräftemangel selbst zu einer wirkungsvollen Ressource, die strategisch und situativ eingesetzt werden kann, um spezifische Ziele zu verfolgen.
In gesellschaftlichen Debatten sind ökonomische Wissensbestände und eine wirtschaftswissenschaftliche Expertise oft von besonderer Bedeutung, wenn es darum geht, spezifische Argumente durch entsprechende Wirtschaftstheorien oder vermeintlich objektive Interpretationen empirischer Daten zu legitimieren. Dies gilt insbesondere auch für das Thema Knappheit, das in der Genese der Wirtschaftswissenschaften eine zentrale Rolle spielte, zum Kernparadigma der Disziplin avancierte und als das ökonomische Problem schlechthin formuliert wurde. Während in der ökonomischen Theoriebildung - man muss wohl sagen zwangsläufig, weil daraus mitunter auch normative Modelle abgeleitet werden, die mithilfe des Knappheitsparadigmas dann legitimiert und plausibilisiert werden - essentialistische Konzepte von Ressourcen und deren Knappheit vorherrschen, interessieren sich die Kultur-, Sozial- und Ethnowissenschaften für die "kulturelle Einbettung der Ökonomie" (Rössler 2005: 18) und für die äußerst strategische Herstellung und Positionierung von Deutungsmustern oder wirkmächtigen Konzepten. Aus der Perspektive kultureller Einbettung ist kulturwissenschaftlich "Knappheit als Matrix sozialen Handelns" (Unger 2011: 46) zu verstehen. Dann ist ganz grundsätzlich zu fragen, in welchen Feldern - Wirtschaftswissenschaften konstituieren dann ebenso ein Feld wie sogenannte indigene Akteure auf Sokotra oder Windenergiebauern in Schleswig-Holstein - Ressourcen und die damit verbundenen Deutungsmuster wie Knappheit, Überfluss, Nachhaltigkeit oder Begrenztheit diskursiv sowie in konkreten Praktiken und in sozialer Interaktion hergestellt werden.
Diese zuletzt genannte Differenzierung ist kulturwissenschaftlich rele-vant: Denn zu unterscheiden ist in Begriff oder Konzept - also etwa "Ressource", "Knappheit", "Nachhaltigkeit" - und Sache oder Phänomen - also etwa das Reparieren kaputter Gegenstände, die gemeinschaftliche Nutzung von Almweiden etc. Wann, mit welchen Zielen, auf welche Weise und in welchen semantischen Feldern also sprechen soziale Akteure explizit von Ressourcen? Welche Konzepte werden mit welchen Zielen und mithilfe welcher Bilder oder Vergleiche in welcher Weise inhaltlich ausgestaltet? Wann - und dies wäre dann der Fokus auf die Sache, bzw. die konkreten kulturell gerahmten Praktiken - gehen Akteure mit der sie umgebenden materiellen oder gedeuteten Kultur so um, dass man aus diesem Umgang aus einer spezifischen Perspektive auf einen Ressourcencharakter (zum Ressourcenbegriff siehe den Beitrag von Gisela Welz in diesem Band) schließen könnte?
Am Beispiel der Insel Sokotra lässt sich die Differenzierung zwischen Begriff und Sache konkretisieren: Der oben skizzierte Film zeigt Praktiken der Subsistenzwirtschaft, die sich über lange Zeiträume in der menschlichen Reaktion auf konkrete Lebensräume, auf Klimabedingungen oder auf das Vorkommen für das Überleben notwendiger Rohstoffe - etwa Salz, das die Fischer gewinnen und bei den Ziegenhirten gegen Butterschmalz eintauschen - entwickelt haben. In diesem Prozess sind diese Praktiken, die sich aus der Sicherung des Überlebens in einem spezifischen Habitat entwickelt haben, eng verbunden mit kulturell kodierten Ordnungs- und Sinnsystemen: Die sokotrische Sprache hat für den Tauschhandel zwischen den Berg- und den Küstenbewohnern beispielsweise einen eigenen Begriff entwickelt. Ein Ordnungssystem, das den Umgang mit den materiellen Lebensgrundlagen rahmt, ist die oben bereits erwähnte Regel, vier Tage vor und vier Tage nach Vollmond nur mit Haken zu fischen, um die Fischbestände zu schonen. Wenn der Film solche Praktiken heute als nachhaltig und ressourcenschonend bezeichnet, so findet hier die Übertragung eines westlich-europäischen und gegenwärtig zudem immens ideologisch aufgeladenen Konzepts auf einen davon historisch zu unterscheidenden kulturellen Kontext statt. Dieser Übertragungsprozess wird insbesondere dann eine kulturwissenschaftlich relevante Quelle, wenn auch Akteure vor Ort - wie der Film dies dokumentiert - dieses neue Konzept in ihre Deutungsmuster kreativ, eigenwillig oder in gegenläufiger Weise integrieren, wenn etwa die Betonung und diskursive Überhöhung nachhaltiger Wirtschaftsweisen selbst zu einer touristischen Ressource wird. Die Differenzierung in Begriff und Sache - dies gilt für das Konzept der Nachhaltigkeit wie für die Begriffe Knappheit, Begrenztheit oder den Ressourcenbegriff - ist vor diesem Hintergrund ebenso notwendig wie kompliziert, zeigt doch gerade das Beispiel Sokotra, wie wichtig es ist, die diskursiven wie praktischen Verschränkungen, Transformationen und Zirkulationen zu berücksichtigen.
Diese Perspektive deutet auch auf die Geschichtlichkeit von Begriff und Sache hin. Sowohl die Praktiken des Umgangs mit materieller Kultur als auch die damit verbundenen Konzepte, Begriffe und Ideologeme sind historisch wandelbar, passen sich neuen Gegebenheiten an und sind damit zu einem gewissen Grade immer auch kontingent (vgl. zur Historizität der Ökonomie Herzfeld 2006: 90; vgl. auch Panayotakis 2014). Sie unterscheiden sich zudem je nach politischen, sozialen oder ökonomischen Rahmen: Auf der Insel Sokotra etwa verschoben sich in der Lesart des Dokumentarfilms die überkommenen Wirtschaftsformen, seit vom Festland Einwanderer auf die Insel neue Formen der Ökonomie sowie eine strengere Auslegung des Islam mitgebracht hätten. Ein zentraler Faktor sei jedoch auch die Einführung neuer Infrastrukturen wie der Bau eines Flughafens oder einer Straße rund um die Insel. Als traditionalisierte Wirtschaftsformen herausfordernd hätten sich zudem die vor Ort als aggressiv wahrgenommenen Fischereiflotten global agierender Unternehmen erwiesen, die in den Gewässern rund um die Insel bei jedem Wetter im großen Stil Fischerei betrieben. Mit diesen Transformationen auf verschiedenen Ebenen entstehen erst oder transformieren sich - so kann man als These formulieren - Vorstellungen und Deutungsmuster von Knappheit oder Begrenztheit sowie Konzepte eines Ressourcencharakters von Dingen. Gleichzeitig wird Knappheit durch diese Transformationen auch lebensweltlich erfahrbar oder zu einem alltagsweltlichen Problem, wobei Akteure dann Strategien des Umgangs mit dieser Knappheit - etwa die Einführung eines sanften Tourismus - etablieren können. Mit einem steigenden Interesse, den lokalen Tourismus zu stärken und damit neue Einkommensmöglichkeiten zu schaffen, diffundierte beispielsweise das Konzept der Nachhaltigkeit, das hier als kommodifizierbare Ressource auch entsprechend inszeniert wird, in lokale Ordnungs- und Deutungsmuster.
Eine kultur- oder sozialwissenschaftlich profilierte Analyse des diskursiven wie praxeologischen Umgangs mit Begrenztheit oder Knappheit kann deshalb vor diesem Hintergrund immer auch als Gesellschafts- oder Zeitdiagnose dienen, wie dies Michael Klein und Andreas Rumpfhuber für die Gegenwart formulieren, auch wenn man in dieser Diagnose sicher eine räumliche Differenzierung einfordern müsste:
"Es scheint eine Epoche angebrochen, in der wir Güter zuallererst als knapp wahrnehmen. Knappheit gab es auch zuvor; sie stellt uns heute aber vor neue gesellschaftliche Herausforderungen, und sie taucht in verschiedensten, miteinander verschränkten Zusammenhängen auf." (Klein/Rumpfhuber 2014: o.S.)

Knappheit als Theorem?
Die vielfach angenommene, gegenwärtige Omnipräsenz von Knappheit ist historisch insbesondere in der wirtschaftswissenschaftlichen Theoriebildung vorbereitet: Ein machtvoller Diskursstrang ist etwa in den Arbeiten Robert Thomas Malthus' zur Überbevölkerung Ende des 18. Jahrhunderts zu situieren (vgl. Klein/Rumpfhuber 2014). Malthus ging darin von einer Bevölkerungsexplosion bei gleichzeitigem, wesentlich geringerem Wachstum an Nahrungsmitteln aus. Mangel und Krise seien unausweichlich, würden keine Maßnahmen gegen das Bevölkerungswachstum ergriffen. Malthus, der den ersten Lehrstuhl für politische Ökonomie innehatte, hat damit Knappheit als zentrale wirtschaftswissenschaftliche Herausforderung formuliert.
In den 1930er Jahren hat der als Begründer der Volkswirtschaftslehre geltende Lionel Robbins Knappheit in ähnlicher Weise als grundsätzlich gegeben angenommen und postuliert, die Wirtschaftswissenschaften interessierten sich für menschliche Bedürfnisse, den Einsatz grundsätzlich knapper Mittel zur Erreichung dieser sowie für alternative Verwendungsweisen dieser knappen Mittel. Knappheit ist bei Robbins die Grundlage wirtschaftlichen Handelns überhaupt (zu Malthus und Robbins siehe Daoud 2010). Die Wirtschaftswissenschaften interessierten sich demnach für das menschliche Verhalten als "Beziehung zwischen Zielen und knappen Mitteln mit alternativen Verwendungsmöglichkeiten" (Robbins 1932: 15). Dieser Perspektive liegt die Vorstellung einer relativen Knappheit zugrunde, müssen Menschen hier doch Entscheidungen darüber treffen, welchen Bedürfnissen sie jeweils den Vorrang geben und welche sie zurückstellen.
Eine machtvolle idealtypische Figur, die die neoklassische Theorie in diesem Kontext zur Verfügung gestellt hat, ist diejenige des "homo oeconomicus" (vgl. Plumpe 2007), der - so die Vorstellung, die sich insbesondere aus kulturwissenschaftlicher Perspektive kritisieren ließe (vgl. u.a. Hann/Hart 2011: 8f., 172f.; Seiser 2009: 161ff.) - sein Verhalten rational steuert, um Nutzen zu maximieren. Aus einer kritischen Perspektive ließe sich mit Gertraud Seiser annehmen, "dass der homo oeconomicus [kursiv im Original] doch nicht diese menschliche Universalie ist, die ›Natur des Menschen‹, das psychologische Grundgerüst, sondern ein Modell der Motivation für wirtschaftliches Handeln, das historisch entstanden ist, und das ein bestimmtes kulturelles, politisches und moralisches Umfeld benötigt, um seine hegemoniale Wirkung zu entfalten" (Seiser 2009: 177).
Mit Robbins' Sichtweisen auf Knappheit deutet sich - wie dies auch durch die Figur des "homo oeconomicus" geschieht - eine Universalisierung und Anthropologisierung von Knappheit an (vgl. Möhring u.a. 2011: 7). Diese Universalisierung wiederum - so etwa auch Gisela Welz in diesem Band - begründete und legitimierte gleichermaßen die seit Adam Smith nicht nur in der westlichen Hemisphäre plausibel gewordene Berufung auf die "unsichtbare Hand" der freien Märkte (vgl. zu Smith Minowitz 2004; van Suntum 2005). Nur diese, so die dahinter liegende Ideologie, würden - so etwa auch in der breiten Popularisierung der Ideen Smiths durch Samuelson und Nordhaus (1998) - zu einer bestmöglichen Allokation von Ressourcen führen. Ein wichtiges wirtschaftswissenschaftliches Konzept, das diese best-mögliche Allokation gewährleisten soll, und das selbst wiederum mit dem Knappheitsbegriff operiert, ist dasjenige des Wettbewerbs. Über Wettbewerb sollen knappe Ressourcen in einer legitimen Weise verteilt werden. Dabei ließe sich in Anlehnung an Polanyi thesenhaft annehmen, dass seit der "Großen Transformation" (Polanyi 1978) zur Moderne mit der Vermarkt-lichung und Verwettbewerblichung sämtlicher Sozialsphären und gesellschaftlicher Felder auch die Ideen und Vorstellungen von Knappheit entgrenzt sind. Während Adam Smith Wettbewerb als den zentralen Mechanismus der effizienten Regulierung von Kosten und Nutzen schlechthin noch mit dem sozialen Umfeld der handelnden Akteure in Beziehung setzte (vgl. Ulf 2013: 79), artikulierte sich Mitte des 19. Jahrhunderts der analog zu naturwissenschaftlichen Denkmodellen angelehnte Versuch, ein abstraktes ökonomisches System anzunehmen. Wettbewerb - und damit die Vorstel-lungen von Knappheit ebenso wie Konzepte von Ressourcen - sind damit gleichermaßen aus ihren historischen und kulturellen Entstehungszusam-menhängen entkontextualisiert und modellhaft universalisiert.
In diesem System sind mit Wettbewerb und Konkurrenz zwei zentrale ökonomische Mechanismen, Prozesse oder Konzepte imaginiert, die auch mit Vorstellungen von Knappheit operieren (zum Zusammenhang von Wettbewerb und Knappheit siehe u.a. Haller 2011: 124f.). In seinem pro-grammatischen Essay zur "Soziologie der Konkurrenz", veröffentlicht im Jahr 1903 und damit in einer Zeit sich verdichtender Leistungs- und Wettbewerbsideologien und -praktiken, hat Georg Simmel Konkurrenz als vergesellschaftende Kraft charakterisiert. Einen vergesellschaftenden Effekt zeitige Konkurrenz immer dann, so Simmel, wenn der Kampf ein indirekter sei und sich mindestens zwei Parteien um die knappe Gunst einer dritten Partei bemühen müssten. Knappheit ist hier gleichermaßen die Grundlage für Konkurrenz: Erst wenn die Gunst des oder der Dritten knapp ist, entstehen kompetitive, von Konkurrenz geprägte soziale Konstellationen. Das knappe Gut als wichtiges Element eines triadischen Konkurrenzmodells ist bei Simmel weitestgehend essentialistisch aufgefasst - so auch in Theodor Geigers, in den 1940er Jahren im dänischen Exil vorgelegten Konkurrenzsoziologie (Geiger 2012). Geiger interessiert sich dort modellhaft für die unterschiedlichen Formen von Konkurrenzverhältnissen und kritisiert, die klassische Nationalökonomie habe "Bekenntnisliteratur" (Geiger 2012: 7) produziert, indem sie Bewertungen von Konkurrenz vorgenommen habe.
Angelehnt an wirtschaftswissenschaftliche Knappheitsbegriffe zieht sich eine essentialistische Perspektivierung auch durch den Versuch einer "Soziologie der Knappheit", den Bálint Balla 1978 vorgelegt hat. Balla versteht Knappheit darin in Anlehnung an wirtschaftswissenschaftliche Definitionen als Grundbedingung menschlichen Daseins:
"Knappheit - begriffen zunächst ganz allgemein als Mißverhältnis zwischen Vorrat und Bedürfnis zu Ungunsten des letzteren - ist ein Grundtatbestand menschlicher Existenz [kursiv im Original]. Der Mensch ist durch Knappheit, d.h. durch Mängel, Mißverhältnisse und Defizite [kursiv im Original], in seiner Existenz auf vielfältige Art grundlegend betroffen und geprägt. Diese Eigenschaft eines existentiellen Grundtatbestandes kann insbesondere in der materiellen Dimension von Knappheit wahrgenommen werden. Knappheit in der Gestalt von elementaren Problemen der Subsistenzsicherung hat den ganzen bisherigen Verlauf der Geschichte der Menschheit entscheidend geprägt [kursiv im Original]. Das Mißverhältnis zwischen Bedürfnissen einerseits, Vorräten andererseits bei der Versorgung mit Brot, Trinkwasser, Obdach, im Kampf gegen Dürre- und Seuchekatastrophen ge-hören in vielen Gesellschaften auch heute noch zu den unwandelbaren Rahmenbedingungen des Daseins." (Balla 1978: 3)
Knappheit ist bei Balla ein universales Phänomen, für dessen Analyse der Soziologe kulturelle Kontexte, historische Rahmen, verschiedene Räume und soziale Konstellationen gleichermaßen auflöst. Lediglich der letzte Teil des Zitats deutet auf die Zeitlichkeit von Knappheit hin, definiert Balla diese hier doch als zivilisatorisches Problem, das manche Gesellschaften bereits überwunden hätten.
Geradezu als Gegenentwurf zu dieser Perspektive hat der Chicagoer Soziologe Andrew Abbott 2014 einen Vorschlag formuliert, der sich weniger für Knappheit als für Überfluss interessiert: "[…] the central problematic of social life is not having too little of something, but having too much of it" (Abbott 2014: 2). In seinem ideen- und wissenschaftsgeschichtlichen Überblick zu Knappheit und Überfluss stellt Abbott fest, dass die modernen Wirtschaftswissenschaften zwar die empirischen Bedingungen von Überfluss erkannt, dann jedoch eine starke Präferenz für Knappheitstheorien entwickelt hätten. Notwendig sei deshalb eine Perspektivverschiebung hin zu den vielfältigen Möglichkeiten, die Menschen haben und reflexiv oder kreativ entwickeln, um mit dem Überfluss sowohl an Dingen als etwa auch an Information umzugehen (vgl. dazu auch Löfgren/Czarniawska 2013; Lamla 2015). Abbott stellt dabei fest, dass Überfluss keineswegs das Gegenteil von Knappheit sei und komplexe Modi des Umgangs sowohl auf der individuellen als auch auf der sozialen Ebene nach sich ziehe.