D. Dolaplis: Musik als Propagandainstrument im Nationalsozialismus

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Titel
Musik als Propagandainstrument im Nationalsozialismus. Politische und soziale Funktionen von Soldatenliedern im NS-Regime


Autor(en)
Dolaplis, Dimitrios
Erschienen
Anzahl Seiten
250 S.
Preis
44,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gábor Orbán, Wien

Der Begriff “Propaganda“ weckt negative Assoziationen. Generell wird darunter das Bemühen einer (autoritären) Staatsführung oder einer politischen Gruppierung um eine ideologische Machtdurchsetzung mit dem Ziel verstanden, das eigenständige Denken oder Handeln des Individuums einzuschränken und die eigenen Ziele zustimmungsfähig zu machen. Eine besondere Bedeutung kommt der Propaganda in Krisen- und Kriegszeiten zu. Spätestens seit der Antike wurde sie von kriegführenden Parteien dazu benutzt, die Moral der eigenen Reihen zu stärken, jene des Gegners aber – beispielsweise durch die Verbreitung von Falschinformationen, Karikaturen, Spottschriften etc. – zu schwächen. Mit dem Aufkommen elektronischer Massenmedien hat die Propaganda aufgrund der schnellen und systematischen Verbreitung von Ideen beziehungsweise Meinungen in den bewaffneten Konflikten des 20. Jahrhunderts nochmals an Bedeutung gewonnen.

Dass das NS-Regime es mehr als gut verstand, die Macht des Radios oder des Films zu instrumentalisieren und für eigene Zwecke einzusetzen, steht außer Zweifel. Während sich aber die heutige Forschung in Bezug auf die Arbeit des von Goebbels geführten Propagandaministeriums größtenteils auf dessen Filmpolitik (Stichwort Leni Riefenstahl) oder auf die Verbreitung des Mediums Radio konzentriert, fehlte bisher ein wissenschaftlicher Blick auf die Militärmusik, genauer gesagt auf die Lieder der einfachen Soldaten. Dimitrios Dolaplis versucht mit seinem Buch genau diese Lücke zu füllen. Der junge Berliner Publizist sieht die Musik als eine politische wie nationale Waffe an. Das Buch wirft zwei grundlegende Fragen auf. Einerseits möchte Dolaplis wissen, welchen thematischen Schwerpunkt Soldatenlieder aufwiesen, und zweitens wird der Frage nachgegangen, ob inhaltliche Veränderungen in den Liedertexten mit den realen kriegshistorischen Ereignissen des Zweiten Weltkrieges zusammenhingen. Im Grunde genommen geht es also darum, einen militärhistorischen Aspekt im musikalischen Kontext und vice versa zu betrachten. Dazu analysiert der Autor Soldatenlieder zweier zeitgenössischer Medien, nämlich der „Liedersammlung des Großdeutschen Rundfunks“ für den Zeitraum 1939 bis 1940 sowie der Zeitschrift Reichs-Rundfunk für den Zeitraum 1941 bis 1944.

Auf inhaltlicher Ebene zerfällt das Buch in zwei große Bereiche. Im ersten Teil werden verschiedene Aspekte aufgegriffen, die zum besseren Verständnis der Soldatenlieder beitragen. Die Gründung und das Wirken der Reichsmusikkammer – die größte der sieben Kammern, die das kulturelle Leben Deutschlands im Sinne der NS-Machthaber überwachten –, die Entwicklung und Verbreitung des Rundfunks (Stichwort „Volksempfänger“) sowie der Stellenwert der Musik finden in diesem Teil ebenso Erwähnung wie die Definition des problematischen Begriffs des Soldatenliedes. Während laut John Meier – einem Volkskundler – Soldatenlieder keinen textlichen Bezug zum Krieg oder zum Soldatendasein benötigen, um als solche angesehen zu werden, hebt Hannjost Lixfeld hervor, dass Soldatenlieder sehr wohl den Krieg und das Soldatenleben beschreiben beziehungsweise die Gefühlswelt der beteiligten Personen thematisieren (S. 41).

Der zweite Teil – entspricht etwa drei Vierteln des Bandes – ist den Soldatenliedern gewidmet und besteht aus fünf chronologisch aufgebauten Themenblöcken mit jeweils einer kurzen geschichtlichen Einführung, Präsentation der Liedertexte samt Beschreibung und zuletzt einer sogenannten Zwischenbilanz. Diese Kapitel oder Perioden folgen demnach jedes Mal demselben Muster. Die erste Periode (1939/1940) zählt zwölf Soldatenlieder, die in erster Linie die Liebe und die Sehnsucht nach der Heimat oder der Liebsten thematisieren, wobei der Krieg selbst keineswegs dramatisch dargestellt wird. Das hing unter anderem mit den schnellen Kriegserfolgen dieser Zeit zusammen. Darüber hinaus werden des Öfteren historische Persönlichkeiten und Länder sowie die entsprechenden Feldzüge (Polen, Frankreich) aufgezählt. In der zweiten Periode (1941) mit insgesamt 20 Liedern ändert sich die Lage, indem gezielt Feindbilder auftauchen, die entlang rassistischer (Serben, Sowjets) oder imperialistischer (Briten) Kriterien definiert werden. Die Gefahr für das eigene Hinterland bleibt hingegen ausgeblendet oder wird verharmlost. Zentrales Element der dritten Periode (23 Soldatenlieder) bildet die Einzigartigkeit der eigenen Heimat. Der Krieg wird weiterhin als eine Art Abenteuer angesehen, die Stilisierung des „Heldentodes“ weist jedoch auf eine veränderte militärische Lage hin. In den 13 Liedtexten der vierten Periode (1943) rücken verstärkt die Volkstümlichkeit und die Melancholie statt der Aggression in den Vordergrund. Hier zeigt sich bereits – so Dolaplis – eine „versteckte, aber allgemeine Frustration“ (S. 218). Der fünfte und zugleich letzte Block weist lediglich ein einziges Lied auf, wodurch eine objektive Betrachtung der Periode schlicht unmöglich erscheint. Grund dafür ist die kriegsbedingte Einstellung des Reichs-Rundfunks im Jahr 1944 (S. 83, 219).

Im Hinblick auf die gestellten Forschungsfragen lässt sich feststellen, dass die Soldatenlieder drei große Themenschwerpunkte aufzeigen: erstens den Krieg in Form von Feldzügen, Militärtechnik, Militärs, Kameradschaft und Feindbildern; zweitens die Liebe, und zwar das geliebte Mädchen im Kontext von Heirat, Treue und Pflicht sowie die mütterliche Liebe im Kontext von Verlust oder Trauer; drittens die Heimat als Ort, für den es sich zu kämpfen lohnt. Bezüglich der zweiten Forschungsfrage ist wiederum klar ersichtlich, dass die Soldatenlieder stark von der militärischen Geschichte des Zweiten Weltkrieges geprägt sind. Während in den ersten Kriegsjahren eine klare Siegeszuversicht und ein aggressives Narrativ dominierten, verblasste die Hoffnung auf einen schnellen Sieg allmählich, was einen melancholischen Ton sowie faktisch eine Hinwendung zum „Inneren“ mit sich brachte.

Die in der Studie vorgenommene Verknüpfung des Militärischen mit dem Musikalischen erweist sich insgesamt als innovativ. Die Zusammenhänge zwischen den Liedertexten und dem tatsächlichen Kriegsablauf können sogar militärhistorisch interessierte Personen überraschen. Darüber hinaus gewähren die versteckten Botschaften in den Soldatenliedern etwa seit dem Jahr 1943 einen seltenen und überaus intimen Einblick, wie die Gefühlslage der damaligen deutschen Kriegsmaschinerie vom Propagandaministerium eingeschätzt wurde. Dass die vorgestellten etwa 69 Texte nicht alle gleich detailliert beschrieben werden, darf wiederum keineswegs als Kritikpunkt verstanden werden. Generell gilt, dass die Begleittexte überwiegend Hintergrundinformationen, seltener Analysen liefern, wodurch sie die Meinungsbildung der Leserschaft unterstützen und nicht lenken. Dimitrios Dolaplis geht so mit seiner Publikation einen ersten Schritt auf diesem wenig beachteten Forschungsgebiet des Zweiten Weltkrieges, wodurch er einen neuen Weg für weitere Studien und Untersuchungen eröffnet.

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