Der Afrikareisende Gerhard Rohlfs hatte auf einer seiner Reisen am 25.12.1871 einen afrikanischen Jungen als "Geschenk" erhalten. Er nannte ihn Noël, was auf Französisch "Weihnachten" heißt. Rohlfs brachte ihn mit nach Deutschland, wo er ihn dem König von Preußen übergab. In dessen Auftrag ließ man Noël die bestmögliche Erziehung angedeihen. Selbst die Königin Augusta nahm regen Anteil an seiner Entwicklung. Der Afrikaner in Preußen "entwickelte" sich jedoch nicht so, wie es seine Protegés von ihm erwarteten. Alle Versuche, dem "Mohren" eine gesicherte Lebensstellung zu verschaffen, schlugen fehl. Noël starb im Alter von 72 Jahren in einer psychiatrischen Anstalt in Ancona/Italien.
Auch ein anderes von einem Afrikaforscher mitgebrachtes afrikanisches Kind scheiterte in Europa, wobei auch hier wieder Gerhard Rohlfs eine wesentliche Rolle spielte. Es handelt sich um Allagabo Tim, dessen Schicksal bislang noch niemals die Aufmerksamkeit eines späteren Wissenschaftlers gefunden hat.
Der noch als Kind von seinem Kontinent nach Europa verbrachte Allagabo Tim wurde von Georg Schweinfurth, einem angeheirateten Verwandten von Gerhard Rohlfs, wie man gemeinhin annehmen könnte, ohne triftigen Grund seiner Heimat und Familie entrissen, quasi wie ein Souvenir erworben, welches "ich zum Andenken an manches Vergangene mitgenommen hatte" und – wie das bei Souvenirs eben so der Fall ist – wie ein Wegwerfartikel behandelt worden.Ganz so wird es allerdings nicht gewesen sein, wie an Hand der ausgewerteten Dokumente zu sehen sein wird. Da das über Jahre in diesem Buch erstmals geschilderte Schicksal Allagabo Tims außerhalb einer fast familiären Öffentlichkeit kaum Aufmerksamkeit gefunden hatte, liegt eine entsprechende Vermutung durchaus im Bereich des Möglichen.
Das Leben dieser beiden von Schweinfurth in Afrika "erworbenen" Jungen weist einige Parallelen auf. Beide waren als Kinder in die Sklaverei geraten. Rohlfs hatte Noël vor dem sicheren Tod bewahrt, und nach dessen Gesundung war der Knabe ihm ein treuer Diener und zuverlässiger Begleiter während seiner weiteren Afrikadurchquerung bis Lagos geworden, von wo aus er ihn mit nach Deutschland genommen hatte. Die Reiserouten des Afrikaforschers machten es erforderlich, daß er sich vorwiegend in den Handelsniederlassungen arabischer Elfenbein- und Sklavenhändler aufhielt und sogar in deren Karawanen mitreiste. Bei einer solchen Gelegenheit waren ihm im Frühjahr 1869 drei Sklavenjungen zu seiner persönlichen Bedienung überlassen worden: Giabir und Amber waren Niam-Niam, und Allagabo Tim stammte aus der ethnischen Gemeinschaft der Bongo. Er war schon als kleines Kind aus seinem Dorf geraubt worden und als Austausch gegen gestohlenes Vieh in den Besitz des Händlers Ghattas gekommen. Sein ursprünglicher Name lautete "Lebbe", was in der Bongo-Sprache die Bezeichnung für eine Mimosenart ist. Die Dinka, die ihn geraubt hatten, übertrugen diesen Namen in ihre eigene Sprache in "Tihm", was soviel wie "Baum" bedeutet. Erst von dem arabischen Sklavenhändler hatte er den Namen "Allagabo" erhalten. Das heißt "Gottesgeschenk". Dies war im nördlichen Afrika zu jener Zeit ein übliches Verfahren, um die Rechtmäßigkeit der Sklavennahme auszudrücken.
Nachdem Allagabo in den Besitz Georg Schweinfurths übergegangen war, begleitete der Junge ihn auf den meisten seiner Reisen. Den Entschluß, den Knaben mit nach Deutschland zu nehmen, fasste der damals schon berühmte Reisende erst kurz vor seiner Rückkehr in die Heimat.
Schon in den Jahren 1868 bis 1871 hatte Georg Schweinfurth eine Reise zur Erforschung der Länder westlich des oberen Nils unternommen. Dabei entdeckte er das Pygmäenvolk der Akka. Sein größter Wunsch war es nunmehr, einen der rätselhaften "Zwerge" auf seine Reise und möglicherweise bis in seine deutsche Heimat mitzunehmen, "um ihn als lebenden Beweis für die Wahrheit tausendjähriger Mythe der Wissenschaft vorzuführen". Im Tausch gegen einen seiner Hunde wurde Schweinfurth tatsächlich ein etwa 14 Jahre alten Pygmäe mit Namen Nsewuë übereignet. Dieser junge Reisegefährte war der Forschung weit bekannter, als alle anderen jungen Afrikaner, die Schweinfurth begleiteten, denn er zeichnete ihn und veröffentlichte sein Bild in seinem Reisebericht.
Um Nsewuë dem Alter entsprechende Gesellschaft zu verschaffen, erwarb er noch zwei weitere Kinder auf dem afrikanischen Kontinent, einen von der Ethnie der Niam-Niam und eben den schon erwähnten Allagabo Tim. "Ich betrachtete ihn fortan als mein neues Adoptivkind. Er wurde bekleidet, und meine Leute mussten ihn bedienen, als wäre er mein eigener Sohn"38, beschreibt der Afrikaforscher sein Verhältnis zu Allagabo Tim.
An anderer Stelle berichtete er über Nsewuë: "Unter meiner Pflege vortrefflich entwickelt und an meine Person attachiert wie ein Sohn, hatte ich mich 1½ Jahre lang seines Besitzes zu erfreuen." Nicht ohne Widerstand ließ sich der kleine Junge aus seiner Heimat weglocken: "Es war nicht leicht gewesen, Nsewuë zum Mitkommen zu bewegen."
Die ganze Macht des Heimwehs schien dem kleinen Jungen dann zu überwältigen, als er mit Schweinfurth aus seiner Heimat fortreisen sollte: "Sein seltsames Klagen machte mich eine Weile unschlüssig, ob ich ihn mitnehmen sollte, aber bald wich besonnenere Überlegung diesem unklaren Herzenszuge, nur den Uneingeweihten konnte sein Anblick rühren. Nicht den Verlust der Heimat beklagte (er), nicht die Trennung von seinen fraglichen Angehörigen, denn was wusste er, wo diese geblieben. Nur die Furcht vor dem Fremden war es, die den Kleinen bewegte, die Angst, gefressen zu werden. Nach landesüblicher Vorstellung musste jede Schenkung eines Menschen nur im kulinarischen Sinn aufgefasst werden. Wenige Tage an meiner Seite und in meinem Zelte mit den ausgesuchtesten Speisen des Landes versehen, ließen ihn bald seine ganze Vergangenheit vergessen."
Wenngleich Schweinfurth in seinen Reisenotizen ab und an seinen "Adoptivsohn" oder seine Diener bzw. Reisegefährten erwähnte, kann nicht daraus die Schlußfolgerung gezogen werden, daß er sich den afrikanischen Kindern an seiner Seite in seinem schriftlich verfassten Report ausführlich widmete. Nur gelegentlich war Allagabo Tim Gegenstand von Schweinfurths Reisebericht, so als er schrieb: "Allagabo Tim, so hieß mein neues Adoptivkind, hatte in Dir seine Angehörigen. Ich erhielt daher die Besuche von Vater, Onkel und Tante, die von mir. reich beschenkt und in meiner Zeichenmappe verewigt wurden. Da sie längst über Allagabo keine Macht mehr besaßen., konnten sie sich über sein glückliches Geschick nur freuen, indem sie wohl begriffen, daß er als zivilisierter Mensch einem weit besseren Leben entgegen ging, als seine wilde Heimat ihm je dargeboten haben würde. Die Mutter war vor einigen Jahren. in die Sklaverei nach Chartum geschleppt worden. Sie war die einzige, nach der Allagabo Sehnsucht empfand, und er erzählte noch später, als er bereits in Europa sich einzubürgern begann, wie ihm das Bild der Mutter im Traum gefolgt sei, um ihn mit tränenden Augen zu umschweben. – Leider waren in Chartum alle Anstrengungen vergeblich, die Mutter ausfindig zu machen. Gegen den Vater legte mein Schützling wenig Liebe und Anhänglichkeit an den Tag, ja, er verlangte sogar, als ich ihn beschenkte, daß ich alles dem Onkel geben sollte, der Vater verdiene nichts. Als ich nach der Ursache dieser Abneigung forschte, erfuhr ich, daß der Vater zu einer Zeit, da Allagabo an einer Kinderkrankheit schwer darniederlag, sich nicht im geringsten um ihn gekümmert, wohl aber habe der Onkel der Schwester bei der Pflege ihres Sohnes treulich zur Seite gestanden."