Cover
Titel
Britishness since 1870.


Autor(en)
Ward, Paul
Erschienen
London 2004: Taylor & Francis
Anzahl Seiten
238 S.
Preis
£19.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Schwend, Institut für Anglistik, Universität Leipzig

Paul Ward leistet mit seiner Studie einen wichtigen Beitrag zu einer seit 30 Jahren lebhaft geführten Diskussion über kulturelle Eigenständigkeiten der Nationen auf den Britischen Inseln bzw. in diesem Fall zur Bedeutung und Komplexität einer britischen Identität im Gegensatz zu einer englischen, schottischen, walisischen oder irischen. Sein Ansatz ist zeitgemäß: er sieht Identität als Prozess und betont den Aspekt der Hybridität.

In der Einführung gibt Ward einen umfassenden Überblick über den gegenwärtigen Forschungsstand und nennt die wichtigsten Texte. Hier zeigt sich bereits ein für das gesamte Buch typisches Merkmal: die breite Basis auf der Ward argumentiert und die umfassende Einbeziehung früherer Arbeiten. Insbesondere für Studierende, die einen Einblick brauchen ohne Betonung der Theoriediskussion, stellt die Studie Wards ein wichtiges Hilfsmittel dar.

In thematisch geordneten Kapiteln untersucht Ward die bei der Konstruktion einer britischen Identität maßgeblichen Komponenten. Er beginnt mit Monarchie und Empire und deren zentraler Identität stiftender Bedeutung. Monarchie und Imperialismus waren eng verbunden und spielten auch im Alltag der Briten eine wichtige Rolle, unter anderem in dem prototypischen Selbstverständnis der königlichen Familie mit ihren protestantischen Mittelklassewerten. Der ethnische Aspekt des „weißen“ und daher überlegenen Britanniens darf im 19. Jahrhundert nicht unterschätzt werden, verliert sich aber während des Übergangs vom Empire zum Commonwealth. Die Wahl von Margaret Thatcher 1979, so Paul Ward, kann als eine Rückbesinnung und Sehnsucht nach diesen britischen, viktorianischen Werten gesehen werden. Das „Golden Jubilee“ von Elizabeth II. (2002) verdeutlicht bis in die Gegenwart die wichtige Bedeutung der Monarchie im Selbstverständnis der Briten.

Während das britische Empire vor allem eine Domäne der Männer war – „In the late nineteenth century, therefore, a form of masculinity in which adventure, virility, courage and chivalry were paramount became linked to British national identity” (S. 39) –, spielen die Frauen in den beiden Weltkriegen eine immer wichtigere Rolle: Sie erziehen die Kinder zum Patriotismus und sie kaufen britische Waren (S. 41). Werte wie die parlamentarische Demokratie im Angesicht des kontinentaleuropäischen Totalitarismus werden von Briten beiderlei Geschlechts betont: „[M]ost women shared with men a sense of the German, Japanese and Italian enemies that contrasted with a representation of Britishness that embraced parliamentarism, gradualism, liberty and the countryside.” (S. 50) Im Vordergrund der Identifikation steht der so genannte „civic pride“ (S. 54), der Stolz auf die demokratischen Traditionen des Staates.

In Kapitel 3, „Rural, urban and regional Britishness“, konzentriert sich Ward auf die Regionen Englands, was erst etwas enttäuscht, dann aber durch Kapitel 7, „Outer Britain“, sinnvoll ergänzt wird. Die zentrale Bedeutung des ländlichen, idyllischen Englands in der Repräsentation des Vereinigten Königreichs wird von Ward herausgearbeitet. Andererseits gelten die Bewohner der Städte im Zweiten Weltkrieg ebenfalls als Repräsentanten typisch britischer Eigenschaften: „heroic, stoic and therefore typically British. […] If Britain could take it, then it was the towns and cities that stood at the centre of this version of Britishness.” (S. 58) Identifikation als Prozess wird hier erneut deutlich: das ländliche und das städtische Britannien werden gleichermaßen benutzt, um Identitäten zu konstruieren. Der Norden Englands erwirbt in diesem Zusammenhang sein Image der kriegswichtigen Industrieregion im Gegensatz zum eher ländlichen Süden.

Das 4. Kapitel behandelt Freizeitgestaltung und Ängste angesichts einer voranschreitenden Amerikanisierung des britischen Lebens. In diesem Zusammenhang nennt Ward den Sport als zentrale Identifikationsmöglichkeit: „The Oxford-Cambridge boat race, the Grand National and the Derby, the FA Cup Final, Test matches and Wimbledon became events in the national calendar, alongside those such as the trooping of the colour, Armistice Day and the monarch’s Christmas message.” (S. 74) Hier spielen auch wieder die „Public Schools“ und ihre Betonung des Sports als Charakter bildende nationale Institution eine wichtige Rolle. Im Sport zeigt sich einerseits britische Identität, andererseits legen etwa die Schotten heute Wert darauf, nicht mit englischen Fußballhooligans in einen Topf geworfen zu werden.

Kapitel 5 untersucht Identitätskonstruktionen im politischen Diskurs. In der Regel beschwören die Konservativen die nationale britische Identität und warnen vor dem Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs. Aber auch Liberale und Labour beanspruchen für sich die Rolle des Bewahrers der nationalen Einheit. Ward geht zurück bis ins 18. Jahrhundert zur Veranschaulichung der Debatte um nationale Identität zwischen Liberalen und Konservativen. Nach 1945 wird durch Labour mit dem National Health Service eine durch und durch britische Institution geschaffen, die bis heute von allen Parteien gewürdigt und erhalten wird. Clement Attlee argumentiert: „Socialism was British and suited to British conditions.” (S. 107) Auch in der Diskussion um die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der EU spielt die „Britishness“ eine zentrale Rolle und wird von allen Politikern gegen eine zu weit gehende Europäisierung verteidigt. Hier zeigen sich ähnliche Ängste wie vor der voranschreitenden Amerikanisierung. Das Dogma, britische Eigenständigkeit nicht Europa unterzuordnen, gilt bis heute auch für die Regierung Blair.

Mit dem 6. Kapitel, „A new way of being British“, spricht Ward die Situation der Einwanderer aus Empire und Commonwealth an. Hier wird vor allem der Gedanke der Hybridität zentral. Es gelingt Ward auf sehr überzeugende Art und Weise darzulegen, wie dieses heikle Thema von verschiedenen Regierungen und Politikern benutzt wurde, um mit Stereotypen und Mythen eine scheinbar einheitliche britische Identität zu beschwören, wie andererseits die Einwanderer das Konzept der multiplen Identität repräsentieren. Als Lösung wird erneut eine zivile, „civic“ (S. 139), an Stelle einer ethnischen Identifikation betont.

Kapitel 7, wie bereits erwähnt, beschäftigt sich mit „Outer Britain“ oder mit dem so genannten „Celtic Fringe“. Meines Erachtens hätte dieses Kapitel mehr an den Anfang der Studie gepasst, da hier „Britishness“ mit dem Selbstverständnis der Regionen kollidiert, bzw. dies idealiter ergänzen könnte. Ward stellt die vier Nationen des Vereinigten Königreichs mit ihren Besonderheiten vor, wobei Kriterien wie Sprache, Religion, Erziehungswesen, Geschichte, Sport und der Konflikt zwischen dem Zentrum und der Peripherie eine zentrale Bedeutung erlangen.

Zum Schluss ordnet Ward die Debatte um „Britishness“ in die Situation am Anfang des 21. Jahrhunderts ein und verweist auf politische und kulturelle Veränderungen durch die voranschreitende Globalisierung und die Neuordnung der Welt. Er vertritt einen liberalen Standpunkt und unterstreicht die Relevanz der zivilen, „civic“, Identität. Ward verweist zu Recht auf die Vagheit des Begriffs „Britishness“. Es gelingt ihm in seinem Buch eben diese Vagheit mit Informationen auszufüllen und dem Leser die Vielseitigkeit einer britischen Identität vorzuführen, die sich zwischen regionalen und supranationalen Identitäten ansiedelt.

Die vorliegende Studie stellt keine neuen Thesen auf und liefert auch keine Lösungsvorschläge für die nicht nur britische Problematik bei der Definition nationaler Identitäten. Ward schreibt stattdessen eine sehr fundierte Darstellung der gegenwärtigen Situation im Vereinigten Königreich als multinationalem Staat, ohne historische Hintergründe zu negieren. Seine Arbeit ist eher kompilatorisch als revolutionär neu, aber gerade hier liegt das große Verdienst, das das Buch vor allem für solche Leser interessant macht, die eine umfassende Diskussion der Problematik suchen, die sich aber nicht in theoretischen Diskursen verlieren wollen. Insofern ist Wards Buch im besten Sinne britisch, weil es einen pragmatischen, politisch neutralen „common sense“ Ansatz vertritt und ein hervorragendes Lehrbuch darstellt. Wer weiterführende Analysen und vor allem Theoriediskussionen sucht kann alle relevanten Texte in der Bibliografie finden. Ein weiterer leserfreundlicher Aspekt sind die kurzen informativen Einführungen sowie die entsprechenden Zusammenfassungen am Ende der Kapitel.

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