Prodi, Paolo

Eine Geschichte der Gerechtigkeit

In seinem neuen, in Italien vielfach ausgezeichneten Buch entwirft Paolo Prodi ein weitgespanntes Panorama der Gerechtigkeitsvorstellungen, das vom Alten Testament und der griechischen Antike bis in die Gegenwart reicht. Ausgangspunkt sind dabei die religiös geprägten Auffassungen von iustitia. nach denen die Gerechtigkeit zwischen den Menschen und die Gerechtigkeit Gottes eng miteinander verbunden sind. Ab dem 13. Jahrhundert kommt es jedoch allmählich zu einem Pluralismus der Rechtsordnungen (Kirchenrecht. Naturrecht. Römisches Recht usw.) und der Gerichte. In der Folge treten das von verschiedenen konkurrierenden Instanzen gesetzte Recht und die Erfordernisse des nun individuell werdenden Gewissens auseinander. An die Stelle des allwissenden Gottes tritt mehr und mehr der allmächtige und omnipräsente Staat, der nun auch Gewissensfragen rechtlich zu regeln versucht. Und dieser Konflikt zwischen dem Gewissen des einzelnen und dem allgemeinen Gesetz der großen Institutionen bestimmt bis heute die Gerechtigkeitsproblematik. etwa in Fragen der Abtreibung, der Sterbehilfe oder der manipulierenden Eingriffe in die menschlichen Gene.

Paolo Prodis klar und transparent geschriebenes Buch ist ein Glanzstück politischer Ideengeschichte und fächerübergreifender Gelehrtheit. Es bietet nicht nur einen historischen Überblick über die Entwicklung des Gerechtigkeitsgedankens, sondern liefert zugleich den geistesgeschichtlichen Hintergrund, vor dem sich die aktuellen Debatten um Gewissen und Gesetz in ihrer ganzen Problematik und Reichweite besser verstehen lassen.

Paolo Prodi. geb. 1932, ist Professor für moderne Geschichte an der Universität Bologna. Von 1973 bis 1997 war er Leiter des Istituto storico italo-germanico in Trient. 1998/99 lehrte er als Gastprofessor am Historischen Kolleg in München, wo auch das vorliegende Buch entstanden ist. In deutscher Übersetzung liegen von ihm vor „Glaube und Eid. Treueformeln, Glaubensbekenntnisse und Sozialdisziplinierung zwischen Mittelalter und Neuzeit“ (1993); „Das Sakrament der Herrschaft. Der politische Eid in der Verfassungsgeschichte des Okzidents“ (1997); Das „Konzil von Trient und die Moderne“ (Hg. zus. mit Wolfgang Reinhard, 2001).