C. Ts’ai: Taiwan in Japan’s Empire Building

Cover
Titel
Taiwan in Japan’s Empire Building. An institutional approach to colonial engineering


Autor(en)
Ts’ai, Caroline Hui-yu
Reihe
Academia Sinica on East Asia
Erschienen
London 2009: Routledge
Anzahl Seiten
323 S.
Preis
€ 29,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nadin Heé, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Die Kolonialgeschichtsschreibung ist seit den 1990er-Jahren hauptsächlich von kulturhistorischen Ansätzen wie den Postcolonial Studies geprägt. Doch ist in letzter Zeit gefordert worden, man müsse Kolonialgeschichte erneut als Institutions- und Politikgeschichte schreiben und wegkommen von rein kulturhistorischen Herangehensweisen. So kritisierten beispielsweise Benita Parry oder Arif Dirlik, Postcolonial Studies würden materielle Formen kolonialer Unterdrückung sowie Widerstandsformen kaum in dem Blick nehmen. 1 Nicht nur in Hinblick auf den europäischen Kolonialismus, sondern auch in der Geschichtsschreibung des japanischen Imperiums sind ähnliche Stimmen laut geworden. Yamamuro Shin’ichi etwa plädierte für eine Hinwendung zu struktur- und wirtschaftsgeschichtlichen Ansätzen. 2

Caroline Hui-yu Ts’ai versteht ihr Buch „Taiwan in Japan’s Empire Building. An institutional approach to colonial engineering“ als Beitrag zu dieser Forschungsrichtung, die den Postcolonial Studies gegenüber kritisch eingestellt ist. Für sie ist es wichtig, als Herangehensweise ‚hard history‘ anstelle von ‚soft history‘ zu wählen (S. 9). Unter ‚hard history‘ versteht sie politische Geschichte, Institutionsgeschichte und Wirtschaftsgeschichte, während sie unter ‚soft history‘ Kultur- und Intellektuellengeschichte subsumiert. Gleichzeitig sieht sie ihre Studie als einen Beitrag zu ‚colonial modernity‘ und ‚colonial governmentality‘. Ungeklärt bleibt jedoch, wie sie diese zwei Felder, die größtenteils als Gegenstände der Postcolonial Studies aufgefasst werden, mit einer Strukturgeschichte verbinden möchte.

Ts’ais Buch beschreibt die Regierungsinstitutionen in Taiwan während der japanischen Kolonialzeit und beleuchtet, welche Rolle die Administration dabei spielte. Das Hauptargument ist, dass das Generalgouvernement in Taiwan keinen vorausblickenden Plan hatte, wie die Kolonie regiert werden müsse. Vielmehr, so die Autorin, sei die japanische Herrschaft in Taiwan ein ad-hoc-Modell gewesen, weil man darauf abgezielt hätte, lokale Ressourcen zu nutzen und die kolonisierte Bevölkerung mittels ‚colonial governmentality‘ zu regieren.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Im ersten analysiert Ts’ai, wie die japanische Administration im spezifischen Kontext des kolonialen Taiwans aussah, indem sie auf die rechtlichen Traditionen, den öffentlichen Dienst und das Polizeisystem fokussiert. In Teil zwei behandelt sie Prozesse des ‚colonial engineering, wobei die drei Punkte ‚colonial governmentality‘, ‚social engineering‘ und ‚colonial spatiality‘ im Zentrum stehen. Im dritten Teil beschreibt die Autorin Integrationsmaßnahmen und Arbeitsmobilisierung in den Jahren des Pazifikkrieges. Sie schließt das Buch mit Überlegungen zum kolonialen Erbe im heutigen Taiwan.

In den Kapiteln „Rule by law“ „The Emperor’s servants“ und „The police as lord“ in Teil I werden das Rechtssystem, der Aufbau des öffentlichen Dienstes und der Polizei im kolonialen Taiwan erläutert. Nachdem Ts’ai die Strukturen in der Metropole und dessen Adaption in Taiwan beschreibt, vergleicht sie – unterschiedliche Studien zum Thema zusammenfassend – die Situation in Taiwan mit derjenigen in anderen Teilen des japanischen Imperiums. Diese offizielle bürokratische Struktur der kolonialen Administration – und das ist die Hauptthese Ts’ais, die in folgenden Kapiteln noch untermauert wird – sei durch das Modell der so genannten ‚extra-bureaucracy‘ erweitert worden. Diese ‚extra-bureaucracy‘ bestand laut der Autorin hauptsächlich aus japanischen (und einigen wenigen taiwanischen) Teilzeitangestellten, Spezialisten, Dorfvorstehern und anderen, die von der Kolonialregierung nicht offiziell eingestellt worden, sondern entweder gar nicht, oder projektweise bezahlt wurden. Diese ‚extra-bureaucracy‘ erlaubte der japanischen Kolonialregierung vor allem während der Jahre der militärischen Ausdehnung in China und dem Pazifikkrieg mit einem Minimum an bürokratischem Aufwand schnell auf die sich verändernden Bedürfnisse zu reagieren und sei mit ein Grund, weshalb die Mobilisierung der Bevölkerung in der Phase des Totalen Krieges in Taiwan früher, aber auch effizienter umgesetzt werden konnte als in Japan selbst. Die ‚extra-bureaucracy‘ war aber auch die Triebkraft hinter der „creation of the local“ (S. 66). Darunter versteht Ts’ai vor allem die bis in lokale Strukturen verästelte Kolonialpolizei und das so genannte hokō-System. Dieses System, das ursprünglich auf Festlandchina zur Kontrolle der Bevölkerung eingesetzt wurde, adaptierte die japanische Kolonialregierung in Taiwan und koppelte es eng an den Polizeiapparat. Ts’ai ordnet es der ‚extra-bureaucracy‘ und der lokalen Administration zu.

In den Kapiteln vier bis sechs des Teil II behandelt Ts’ai das hokō-System en detail. Dabei bezieht sie sich auf Michel Foucaults Konzepte der Disziplinargesellschaft und der Gouvernementalität, wobei sie Disziplinargesellschaft als einen Teil von ‚colonial governmentality‘ interpretiert. Etwas überraschend lobt sie hier den Zugang der in der Einleitung noch kritisierten Postcolonial studies und schreibt nun, dass sie sich ihrer Herangehensweise anschließe. „The growing importance of governmentality as an analytical tool in recent post-colonial studies reveals to us a much more complicated set of interactions or negotiated process (sic) between modes of power than was previously appreciated“ (S. 95). Nach einer Beschreibung des Aufbaus des hokō-Systems stellt sie dessen unterschiedliche Aufgaben wie Krankheits- und Opiumsuchtbekämpfung oder Haushaltsregistrierung vor und kommt zum Schluss, dass dies Technologien des Regierens, also ‚colonial governmentality‘ seien. Wichtig ist Ts’ai dabei, dass es sich um ein disziplinierendes Kontrollsystem gehandelt habe, Aushandlungsprozesse hingegen thematisiert sie kaum. Von ‚colonial governmentality‘ grenzt sie im nächsten Kapitel ‚social grafting‘ ab, worunter sie das Anpassen von neuen Maßnahmen an die alten Praktiken versteht. Das Kapitel informiert dabei unter anderem über die Produktion kolonialen Wissens durch die Kommission zur Erforschung der alten Sitten und Gebräuche.

Schließlich leitet die These, dass die Kreation des Lokalen – also vor allem das hokō-System – zu einer taiwanischen Identität geführt habe, über zum Teil III des Buches, in dem es vor allem um Fragen der Identitäts- und Erinnerungsgeschichte und weniger um Strukturgeschichte geht. Die Autorin eruiert drei unterschiedliche Identitäten. Erstens, eine „Taiwan-Identität“, die mehr oder weniger mit „China-Identität“ gleichzusetzen sei, was sie auf Machtmissbrauch seitens der japanischen Kolonialpolizei zurückführt. Zweitens hätten die Massaker an Gegnern der KMT-Regierung am 28. Februars 1947 dazu geführt, dass sich viele Menschen von China abgewandt und eine neue Identität als Taiwaner gesucht hätten. Drittens sieht Ts’ai den Totalen Krieg mit seiner Massenmobilisierung als Auslöser einer neuen Subjektivität der Taiwaner, die durch ihren Einsatz im Krieg „japanischer“ werden konnten. Im Kapitel „War, mobilization and legacy“ konstatiert sie jedoch, dass die japanische Rhetorik einer „gleichen Rasse“ nur Ideologie gewesen sei, aber nichts mit den Praktiken und dem Alltag in der Kolonie zu tun hätten. Diese Ambivalenz, so die Autorin, führte zu einem widersprüchlichen kolonialen Erbe und unterschiedlichen, politisch aufgeladenen historischen Narrativen im heutigen Taiwan.

Trotz einiger Widersprüchlichkeiten im Hinblick auf theoretische Fragen bietet Ts’ais Buch eine gute Einführung in die japanische Kolonialherrschaft in Taiwan, wobei der Fokus auf der Institutionsgeschichte liegt. Zwar arbeitet die Autorin nicht mit Archivquellen, aber sie gibt einen sehr breiten Überblick über die japanische, chinesische und englische Literatur und berücksichtigt publiziertes Quellenmaterial zum Thema. Das Buch kann gut als Nachschlagewerk verwendet werden, da Ts’ai zahlreiche juristische und administrative Fachausdrücke mit den japanischen Zeichen und auf Englisch übersetzt aufführt. In dieser Hinsicht auch sehr hilfreich sind ein langer Appendix mit Tabellen, das Glossar und die umfassende Bibliographie für Wissenschaftler oder Studenten, die sich mit der Geschichte des japanischen Kolonialismus befassen.

Anmerkungen:
1 Benita Parry, Postcolonial Studies. A Materialist Critique, London/New York 2004; Arif Dirlik, The Postcolonial Aura: Third World Criticism in the Age of Global Capitalism, in: Critical Inquiry 20 (1994), S. 329-356.
2 Shin’ichi Yamamuro, Shokumin teikoku, Nihon no kōsei to Manshūkoku: Tōchi yōshiki no sen’i to tōchi jinsai no shūryū [Koloniales Imperium, die Struktur Japans und Mandschukuo: Der Wandel in den Regierungsmustern und die Zirkulation der höheren Kader]“, in: Peter H. Duus / Kobayashi Hideo (Hrsg.), Teikoku to iu gensō: „Dai tōa kyōeiken“ no shisō to genjitsu, Tokyo 1998, S. 155-202.

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