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Titel
The Dynastic State and the Army Under Louis XIV. Royal Service and Private Interest 1661-1701


Autor(en)
Rowlands, Guy
Erschienen
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
$75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Externbrink, Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften, Philipps-Universität Marburg

Die Bedürfnisse des Militärs haben in der Frühen Neuzeit oft als "Schwungrad an der Staatsmaschine" (O. Hintze) gewirkt und so den Staatsbildungsprozess vorangetrieben. Neben dem Paradebeispiel Brandenburg-Preußen gilt auch das Frankreich Ludwigs XIV. als Land, in dem der Aufbau eines stehenden Heeres die Staatswerdung entscheidend gefördert hat. Eine der großen Leistungen der Regierungszeit des Sonnenkönigs war der Aufbau der größten Militärmacht seiner Zeit: Die Mannschaftsstärke der französischen Armee wuchs von ca. 55.000 Mann in den 1660er-Jahren auf ca. 400.000 am Ende des Jahrhunderts. Diese Entwicklung ist immer wieder Gegenstand umfangreicher Untersuchungen gewesen 1, in denen – mehr oder weniger stark – die Effizienz und Modernität der Verwaltung sowie das Verdienst des Staatssekretärs für das Kriegswesen, Louvois, betont wurde. Gegen diese landläufige Auffassung erhebt nun Guy Rowlands in seiner aus umfangreichen Quellenforschungen schöpfenden Studie Einspruch: "The development of the army was shaped primarily not by an agenda of 'modernisation' and 'rationalisation' but by private interest of thousands of members of the propertied elite, from the monarch down to the humble provincial nobility and urban bourgeois." (S. 1) Ludwigs Interesse habe nicht der Staatsbildung, sondern dem Fortbestand seiner Dynastie und deren Ansehen in Europa gegolten. Rowlands versteht seine Studie als "explicit rejection of modernisation theories of the early modern state" (S. 361).

Rowlands liefert gewichtige Belege zur Stützung seiner These. Eindrucksvoll wird im ersten Teil des Buches gezeigt, wie es der Familie Le Tellier gelang, über 60 Jahre das Staatssekretariat für das Kriegswesen zu kontrollieren, beginnend mit dem Vater Michel Le Tellier (1609–1685), über den Sohn François-Michel Le Tellier, Marquis von Louvois, bis hin zum Enkel Louis-François-Marie Le Tellier, Marquis von Barbezieux (1668–1701). Dank der Protektion durch den König gelangten die Le Telliers zu Reichtum und Ansehen – und zu Macht. Dadurch wurden sie für alle interessant, die über ein Amt – sei es in der Administration oder in der Armee – sich selbst und ihrer Familie Einfluss, Ansehen und nicht zuletzt Reichtum verschaffen wollten. Entscheidend für die Besetzung der zahlreichen Stellen in der Verwaltung und in der Armee wurde die Integration in das Patronagenetz der Le Telliers (und über sie in das Netzwerk des Königs). Diese Stellen versprachen in Friedenszeiten Reputation und Möglichkeiten zur Bereicherung, nicht zuletzt durch Betrug und Korruption (135–149). In Kriegszeiten verlangte das Amt eines Armeeintendanten oder Regimentskommandeurs den Inhabern jedoch alles ab. Rowlands belegt zahlreiche Fälle, in denen Administratoren eigenes Geld mobilisierten, um ihren Aufträgen gerecht zu werden und sich dabei oft bis an den Rande des Ruins brachten. Auf Dauer war das von Michel Le Tellier begründete administrative System der Verwaltung jedoch nicht von Bestand. Louvois konnte zwar auf zahlreiche fähige Verwalter zurückgreifen, eine sich selbst tragende Administration schuf er nicht. Als Barbezieux 1701 vorzeitig starb, und damit die Le Telliers das Staatssekretariat verloren, brach ihr System langsam zusammen (S. 149).

In erheblichem Maße hat das Offizierskorps, dem der zweite Teil der Studie gewidmet ist, zur gestiegenen Schlagkraft der Armee beigetragen. Es gelang die Umwandlung des Militärunternehmers zu einem gegenüber der Krone loyalen Offizier, der darüber hinaus bereit war, Vermögen und Leben für den König zu geben (S. 161f.). Insgesamt ist eine deutliche Verbesserung der Lebensbedingungen, der Versorgung und nicht zuletzt der Finanzierung der ständig wachsenden Armee gegenüber der Zeit Richelieus und Mazarins zu konstatieren. Angesichts der Schwächen der Administration war es vor allem der adlige Ehrenkodex, der die Armee zusammenhielt. Auch die Offiziere schossen in Notsituationen Geld aus eigener Kasse vor, in Kriegszeiten drohte ihnen nicht nur der Tod auf dem Schlachtfeld, sondern auch der finanzielle Ruin. Ludwig XIV. schritt jedoch nicht selten ein und rettete seine Offiziere etwa durch zusätzlich gewährte Gratifikationen vor ihren Gläubigern. Der Erwerb einer Offiziersstelle versprach trotz der Risiken den Inhabern eine Steigerung ihres Ansehens und die Aussicht auf besondere Belohnungen durch den König.

Der kontinuierliche Anstieg der Mannschaftsstärke wurde durch die Bildung zusätzlicher Kompagnien bewirkt, die kleiner und besser zu kontrollieren waren. Damit einher ging die Schaffung der Käuflichkeit der Offiziersstellen Capitain und Colonel (d.h. der Regiments- und Kompagniechefs) (S. 171–175). Darüber hinaus gelang es, Einheiten schnell auf- und abzubauen, was in Friedenszeiten half, Kosten zu sparen und im Kriegsfall eine schnelle Verfügbarkeit der Truppen garantierte.

Für den mittleren und niederen Adel bot die Armee zahlreiche Chancen, so dass es nie an Bewerbern für Offiziersstellen mangelte. Größtes Problem der Militärbürokratie aber war die Undiszipliniertheit der Offiziere, die zurückzuführen ist auf einen spezifischen Verhaltenskodex und auf ein archaisches, auf Unabhängigkeit pochendes Selbstverständnis, das sich in der Nichtbeachtung von Befehlen, Eigenmächtigkeiten in der Kampfsituation und nicht zuletzt in zahlreichen Duellen manifestierte. Der adlige Korpsgeist behinderte die Versuche der Administration, diese Auswüchse zu bekämpfen: Als sich im Juni 1694 zwei Fähnriche auf dem Hauptplatz der Festung Pinerolo in den piemontesischen Alpen im Beisein von über 100 Offizieren duellierten, wagte nur ein Kadett, dem Minister von dem Vorfall zu berichten (S. 237f.). Die gegen diese und weitere "unmilitärische" Verhaltensweisen (Verschwendungs- und Spielsucht) erlassenen Maßnahmen blieben ohne Wirkung, nicht zuletzt deshalb, weil Ludwig XIV. nicht zuließ, dass der "Zivilist" Louvois gegen Angehörige des Offizierkorps vorging. Die Offiziere, auch solche, die gegen Vorschriften verstoßen hatten, genossen die besondere Gunst und den Schutz des Sonnenkönigs (S. 254–266).

Auch für das Oberkommando der Armee, dem der dritte Teil der Studie gewidmet ist, konstatiert Rowlands ein Fehlen "moderner" Strukturen. Entscheidend für die Berufung an die Spitze einer Armee war das persönliche Vertrauensverhältnis zum König, nicht die militärische Begabung. So hielt Ludwig XIV. an unfähigen Heerführern fest, die ihm treu ergeben waren (S. 314–317), verzichtete aber in den 1690er Jahren darauf, den begabtesten Truppenführer, den Prinzen Conti, einen Neffen des Großen Condé, auf ein Kommando zu berufen – weil er den Condés noch immer deren Beteiligung an der Fronde übelnahm (S. 307). Ähnliches galt für den Marschall von Luxembourg, auch er ein Nachkomme der Frondeure. Während Louvois den Marschall bekämpfte (und zeitweise in die Bastille werfen ließ), entschied sich der König für eine andere Form der Kontrolle, die ihn zugleich von den Fähigkeiten des Generals profitieren ließ. Er unterstellte ihn direkt seinem Kommando, förderte gezielt die Familieninteressen Luxembourgs und erzwang so seine Loyalität.

Überhaupt war das System ganz auf den König zugeschnitten: Mit Hilfe der Le Telliers gelang ihm die Zerschlagung der traditionellen Patronage- und Klientelbeziehungen zwischen Kommandierenden Generälen und subalternen Offizieren, auf die sich der rebellierende Hochadel während der Fronde gestützt hatte. Ludwig XIV. entmachtete den Adel nicht, sondern schloss einen Kompromiss. Er förderte die Interessen derjenigen, die in der Armee dienten, belohnte sie mit Beförderungen und der Vergabe von Ämtern auch am Hofe. Angehörigen des Hochadels, die dieses Angebot annahmen, winkten Einfluss und Macht sowie die Protektion des Königs selbst bei erwiesener Unfähigkeit. Dadurch band Ludwig sie an die Krone und konnte die Entstehung von "Parteien" der "Grands" vermeiden (S. 360f.). Darin besteht zugleich der große Unterschied zur Regierung seines Vaters, bei dem die Kontrolle der Patronagenetzwerke in den Händen Richelieus und seiner Minister lag.2 Auf diese Weise erreichte Ludwig XIV. das eigentliche Ziel seiner Regierung: "the preservation and strengthening of the ruling line of the dynasty, and the maintenance of the prestige of the house of Bourbon as a whole" (S. 361f.).

Rowlands überzeugende und lesenswerte Studie steht in der Tradition der kritischen, die Grenzen der Reichweite frühneuzeitlicher Staatlichkeit betonenden Sichtweise des ludovizianischen "Absolutismus". Sie ist zudem ein überzeugendes Beispiel dafür, wie eine Fallstudie zu allgemeinen Einsichten über den Charakter der Regierung Ludwigs XIV. führen kann.

Anmerkungen:
1 André, Louis, Michel Le Tellier et l'organisation de l'armée monarchique, Paris 1906; Corvisier, André, Louvois, Paris 1983; Lynn, John A., Giant of the Grand Siècle. The French Army 1610–1715, Cambridge 1997.
2 Vgl. Parrott, David, Richelieu's Army. War, Government and Society in France 1624–1642, Cambridge 2001.

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