Der Arbeitsraum im COVID-19 bedingten Homeoffice. Ethnologische Einblicke in die alltagskulturelle Dimension


Bachelorarbeit, 2021

53 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Untersuchungsgegenstand und Fra
1.2 Aufbau der Bachelorarbeit gestellung

2. Kontextuale Einführung und Definitionen
2.1 Ethnologische Betrachtung der Arbeit
2.1.1 Was ist Homeoffice?
2.2 Übergangsriten und Liminalität
2.3 Kategorisierung von Raum und Zeit

3. Darstellung der Erhebungsmethoden und Reflexion
3.1 Zugang zu Informant:innen
3.2 Angewandte Forschungsmethoden
3.2.1 Das Feld: Zuhause
3.2.2 Autoethnografische Tagebucheinträge
3.2.3 Interviews
3.2.4 Extended Case Method
3.3 Datenauswertung
3.4 Reflexion

4. Ethnografische Beschreibungen: Alltägliche Praxen und ihre Bedeutung
4.1 Allgemein
4.2 Morgenroutine
4.3 Was ziehe ich an?
4.4 Der Arbeitsplatz
4.5 Pausen
4.6 Feierabend

5. Diskussion und Ergebnisse
5.1 Arbeiten im Homeoffice als Übergangsritual
5.1.1 Trennungsphase
5.1.2 Schwellenphase, Communitas und liminaler Raum
5.1.3 Integrationsphase

6 Konklusion und Ausblick

7 Literaturverzeichnis

8 Appendix

Abbildungsverzeichnis

ABBILDUNG 1: DIAGRAMM FREI NACH ARNOLD VAN GENNEPS DREIPHASENMODELL 1986

ABBILDUNG 2: THEORIE-EMPIRIE-PYRAMIDE

ABBILDUNG 3: KULTURMODELL

ABBILDUNG 4: YASEMINS ARBEITSPLATZ AM ESSTISCH

1. Einleitung

1.1 Untersuchungsgegenstand und Fragestellung

Im Januar letzten Jahres erreichten die Menschen erste Nachrichten über ein mysteriöses Coronavirus. Nach weiteren Erkenntnissen, die die Ernsthaftigkeit der Lage bestätigten und die Infektionszahlen zunahmen, wurde nach anfänglichem Optimismus das wirtschaftliche und öffentliche Leben in Höchstgeschwindigkeit heruntergefahren (Tagesschau 2020). Plötzlich ging alles schnell. Selbst einfachste Formen der Reise- und Alltagsmobilität und Treffen mit Familienangehörigen, Freund:innen und Bekannten im privaten, sowie im öffentlichen Raum, waren auf einmal mit moralischen Dilemmata und gesetzlichen Ausgangsbeschränkungen verbunden (Max-Planck-Institut 2020). Durch die Coronavirus-Pandemie (COVID-19) ereigneten sich diverse drastische Veränderungen. Neben den drastischen sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen hat sie auch in der Arbeitswelt für weitreichende Veränderungen gesorgt. Zahlreiche Unternehmen schickten ihre Mitarbeiter:innen als Maßnahme zur Bekämpfung der Pandemie in das Homeoffice (Max-Planck-Institut 2020), eine Arbeitsform bei der Angestellte von Zuhause aus ihre Arbeitsleistung erbringen können (ebd.). Bürogebäude, Hörsäle der Universitäten, Theater- und Konzertsäle, Kaufhäuser, sie alle bleiben leer. Doch dabei bleibt es nicht. Der Laptop und eine stabile Internetverbindung dienen als Zugang zur Außenwelt von Zuhause aus und ermöglicht gleichermaßen den Einzug der Erwerbsarbeit in den privaten Wohnraum. Kein Fahrtweg trennt mehr diese Lebensbereiche voneinander, die Lohnarbeit und das Privatleben teilen sich nun unmittelbar dieselben Räumlichkeiten. Was passiert nun?

Die lebendige Neugier der Ethnolog:innen befasst sich mit möglichst allen Teilaspekten des Lebens, sowie auch mit den Auswirkungen der Pandemie auf die Wechselbeziehung von Lohnarbeit und Privatheit im eigenen Wohnraum. Die schwerwiegenden strukturellen Veränderungen, ziehen auch Veränderungen des Sozialverhaltens mit sich, da der Mensch stets in Beziehung zu seiner räumlichen Umwelt steht (Luthe 2003: 208). „Der Raum, der den Menschen umgibt, wird von ihm wahrgenommen und gestaltet: Räume sind Ausdruck sozialen und kulturellen Wandels, den sie gleichzeitig befördern wie bezeugen“ (Evifa 2019). Verändert sich nun der Raum, ist darauf zu schließen, dass sich Verhaltens­und Denkmuster naturgemäß an die neue Situation anpassen. Sie befinden sich in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis, da Räume nicht nur ihre materielle Qualität besitzen, sondern zugleich Orte und Ausdruck menschlicher Interaktion darstellen (Evifa 2019). Im Vordergrund dieser Bachelorarbeit steht das Interesse, wie die Grenzen zweier zuvor separat voneinander existierender Räume neu verhandelt werden müssen und dabei gegebenenfalls einen rituellen Prozess durchlaufen, in der sich ein nicht zuordenbarer Zwischenraum eröffnet. Diese Forschungsarbeit wird einen ethnologischen Blick auf die Wandlungen im Homeoffice mithilfe genauerer Betrachtung von Ritualisierungen werfen, und somit das Sozialverhalten und die zugrundeliegenden Vorstellungsstrukturen, welche das Handeln der Subjekte im jeweiligen Kontext bestimmen (Geertz 1 1987: 7), aufdecken und ethnografisch darstellen. Hier eröffnet sich ein Feld voller spannender Fragen: Wie und in welcher Form etabliert sich der Arbeitsalltag? Wie sieht die Beziehung zwischen Arbeitsleben und privatem Leben im Homeoffice aus? Welche Rolle spielen rituelle Handlungen bei der Konstruktion von Räumen? Entstehen Spannungsfelder? Wo spiegelt sich Liminalität wider? Diese Fragen sind hochaktuell, und könnten für die Ethnologie als Wissenschaft ein wichtiger Schlüssel sein, um sich am allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs zu beteiligen und signifikante Perspektiven miteinzubringen. Auch wenn in dieser Schrift versucht wird die zeitgenössischen Entwicklungen in ihrer elementarsten Form darzustellen, bleibt immer zu bedenken, dass es sich um eine übergreifende gesellschaftsabhängige Konstruktionsweise handelt. Darüber hinaus ist es der ethnologischen Betrachtung nicht möglich eine lückenlose Darstellung der Realität abzubilden, sondern durch detaillierte Beschreibung so nah wie möglich an einen Ist-Zustand heranzuarbeiten. Das Ziel dieser Forschungsarbeit ist es nicht quantitative Aussagen über Arbeit im Homeoffice zu treffen, repräsentative Ergebnisse zu liefern oder Lösungsansätze auszuarbeiten, sondern vielmehr mittels einer qualitativen Untersuchung die Auswirkungen der strukturellen Veränderung und die Sicht der Angestellten darzustellen. Dabei werden Ergebnisse einer Mikrostudie miteinbezogen, um die soziale Realität, Selbstverständlichkeiten und Vorstellungen der Befragten klar wiederzugeben. Da das Thema Homeoffice in den ethnologischen Diskursen bisher nur rar behandelt wurde, handelt es sich um eine Arbeit, gestützt auf facheigenen theoretischen Grundlagen und empirischen Datenmaterialien. Eine kritische Betrachtung des Phänomens innerhalb der gesellschaftlichen Klassenstruktur ist dringend erforderlich, bleibt jedoch aufgrund einer thematischen Eingrenzung außen vor.

1.2 Aufbau der Bachelorarbeit

Die Forschungsfrage veranlasst eine nähere Betrachtung der grundlegenden Kenntnisse über Lohnarbeit, Raum und Zeit, Liminalität und Rituale, um das Verständnis dieser Bachelorarbeit zu gewährleisten. Deshalb werden im zweiten Kapitel vorbereitend für die spätere Diskussion im fünften Kapitel elementare Gedanken aus der Ethnologie zu den angeführten Themen dargestellt. Um diese Forschungsarbeit adäquat stützen zu können bezieht sich dieses Dokument neben der vorhandenen Fachliteratur, aktuellen Statistiken und Zeitschriftenartikel auch auf eigens akquirierte Forschungsdaten. Hierzu werden die verwendeten qualitativen Forschungsmethoden im dritten Kapitel dargestellt, erläutert und reflektiert. Daran anknüpfend folgt im vierten Kapitel, mit Bezugnahme auf die vorab beschriebene theoretische Auseinandersetzung, die Darstellung und Interpretation des erhobenen empirischen Datenmaterials, bestehend aus Interviews und ethnografischen Forschungstagebüchern, welche die Befragten über mehrere Tage hinweg eigenständig verfassten. Durch diese Herangehensweise sollen Alltagspraxen, angelehnt an Geertz, dicht beschrieben werden (Geertz 1987: 7f.). Wie spielt sich der Alltag ab? Welche Strategien wenden Menschen auf die neue Lebenssituation an? Wie empfinden und denken die befragten Personen darüber? Weiter führt uns die Arbeit in eine Diskussion, in der die genannten Aspekte zusammengeführt und im Lichte einer kulturwissenschaftlichen Interpretation der erwogenen Daten miteinander verwebt werden und in einen Dialog mit ethnologischen Theorien treten. Dies soll dazu führen, die Auswirkungen und Veränderungen der Alltagssituation besser zu verstehen. Die Bachelorarbeit schließt mit einer Zusammenfassung, in der alle Fäden zusammenlaufen und gibt einen Forschungsausblick für weiterführende Fragestellungen.

An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass Begrifflichkeiten einer dichotomen Geschlechterauffassung, die nur die Kategorien ,weiblich‘ und ,männlich‘ beinhalten, nicht der Auffassung der Autorin entsprechen. In der Auseinandersetzung des Untersuchungsgegenstands sind diese Begriffe aber nicht zu vermeiden. In der vorliegenden Arbeit wird versucht eine geschlechterneutrale Grammatik zu verwenden. Um den Lesefluss nicht zu beeinträchtigen wurde sich bei geschlechterspezifischen Wörtern für den Wortzusatz :innen entschieden.

2. Kontextuale Einführung und Definitionen

2.1 Ethnologische Betrachtung der Arbeit

Seit jeher ist die „Arbeit [...] die Grundlage zur Sicherung [der] Existenz und der Entwicklung des Individuums und der Gesellschaft“ (Moser 1993: 66). Bislang hat die ethnologische Arbeitstheorie nur wenig Aufmerksamkeit erfahren, bietet sich jedoch bestens an, um umfassende Betrachtungen der europäischen Gesellschaftsstrukturen zu vollziehen (Moser 1993:15). Den Begriff der Arbeit zu definieren ist schwierig, da er „sehr eng mit den jeweiligen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen verbunden ist“ (ebd.). Nun stellt sich die Frage, wie die Arbeit in unserer Gesellschaft aussieht und welchen Stellenwert sie tatsächlich hat. Hierfür bietet es sich an, einen kurzen Blick in die Historie auf dem europäischen Kontinent zu werfen, um die verschiedenartigen Veränderungen und Entwicklungen zur heutigen Wissensgesellschaft klarer abzeichnen zu können. Im christlichen Europa kristallisierte sich noch vor dem Frühmittelalter die Auffassung heraus, dass die Arbeit asketisch­sittliche Motive habe (Moser 1993: 22). Sie „[.] wurde nicht in höher- oder geringwertig unterteilt“ (ebd.) und galt durch kirchliches Predigen als moralisch (ebd.). Mit dem Beginn des Hochmittelalters entstand ein Wertesystem welches eng mit der Entstehung der ständischen Ordnung einherging. Man wurde in die Arbeit und den gesellschaftlichen Status hineingeboren Dadurch wurde soziale Mobilität nahezu unmöglich gemacht (Moser 1993: 24). Was die hervorgehobenen Zeiten gemein haben, ist eine stetige Differenzierung von Arbeit und Freizeit (Spittler 2015: 65). Ob die Arbeit oder der Müßiggang höher gewichtet wurde, lag an den gesellschaftlichen Kontexten der jeweiligen Epoche und der sozialen Zugehörigkeit. Seit der industriellen Revolution hat sich unser Verständnis der Arbeit und die Arbeitsweise eminent verändert (Moser 1993: 31). Während der Industrialisierung wollte die Arbeiterschaft aus ihrer Misere aufsteigen und verkaufte daraufhin ihre Arbeitskraft für Hungerslöhne. Tauschen Menschen ihre Zeit und Arbeitskraft gegen Entgelt ein, so spricht man von Lohnarbeit (Bundeszentrale für politische Bildung 2010). Die globalen Veränderungen führten zu neuen Formen der Arbeitsmarktstrukturen und Arbeitsorganisationen, die einen großen Einfluss auf die Arbeits- und Lebenswelt der betroffenen Personen bis heute haben (Arendt 2007: 13). Durch die Etablierung des Lohnarbeitsverhältnisses fand eine klare räumliche Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz, sowie Beruf und Privatleben statt (Moser 1993: 31). Verließ man das Büro, so galt der Arbeitstag als beendet und die Freizeit begann. Da die Arbeit räumlich im Büro oder Geschäft verortet war, gestaltete sich die Separation fast natürlich. Dies führte dazu, dass in der heutigen Vorstellung der Begriff Arbeit „häufig den Ausschluss des Privaten“ (Spittler 2015: 66) impliziert (ebd.).

„Wenn von Arbeitswelt die Rede ist, dann steht der Begriff oft im Gegensatz zur Lebenswelt. Die Arbeitswelt gilt als räumlich, zeitlich und sozial aus der Lebens-welt ausdifferenziert. Arbeit findet in anderen Räumen, zu anderen Zeiten und mit anderen Personen statt als das Leben, die Familie, die Freunde, die Freizeit.“ (Spittler 2015: 65)

Die Beziehung zwischen Arbeits- und Lebenswelt wird als Dichotomie aufgefasst und Begriffe wissenschaftlicher Auseinandersetzungen wie Work-Life-Balance, Subjektivierung und Entgrenzung prägen den aktuellen Diskurs (ebd.). Ferner gilt es unterschiedliche Formen der Arbeit, wie körperliche, geistige und reproduktive Arbeit, zu unterscheiden (Arendt 2007: 99). Mit dem Beginn der Industrialisierung entwickelte sich die allgemeine Vorstellung der Bevölkerung, Arbeit sei der zentrale Aspekt des Lebens (Moser 1993: 7) und eine ausschließlich zweckorientierte Aktivität (Spittler 2015: 66), dem jedoch viele zeitgenössische Denker:innen, unter ihnen Hannah Arendt, vehement widersprechen (Arendt 2007: 33). Mit den genannten Annahmen sind wir heute noch immer konfrontiert. Wie die bisherige Ausführung zeigt, ist die Bedeutung der Arbeit im stetigen Wandel. Daher scheint es nahezu unmöglich eine universell gültige Definition auszumachen. Fragt man sich welche Auswirkungen die Arbeit auf den Einzelnen hat, so schreibt Moser: „[...] [Sie ist] sowohl die Vermittlung sozialer Kontakte als auch der Erwerb von sozialem Status und Prestige, die Erfahrung wichtiger sozialer, technischer und gesellschaftlicher Realitäten am Arbeitsplatz und die Bildung personaler Identität. Arbeit strukturiert die Zeit und erlangt dadurch langfristige Bedeutung für die Normierung des Lebenszyklus, für Sinnstiftung.“ (Moser 1993: 66)

Die gesellschaftliche Funktion der Arbeit und die soziale Bedeutung für den Einzelnen sind bis auf das Unzertrennliche miteinander verwoben und bilden gleichermaßen die Kernaspekte der Arbeit (ebd.). Dieses Kapitel soll nur anschneiden, wie vielschichtig der Begriff der Arbeit aufzufassen ist. In der weiteren wissenschaftlichen Aushandlung werde ich mich auf Arbeit im Sinne der unternehmensgebundenen Lohnarbeit beschränken, da dies der elementare Aspekt für das Homeoffice ist.

2.1.1 Was ist Homeoffice?

Unter Homeoffice versteht man eine Arbeitsform, bei der Menschen von Zuhause ihre Arbeitsleistung erbringen. Diese bietet sich für Arbeiten an, welche mithilfe von digitalen Medien umsetzbar sind. Es bedeutet seinem Wortlaut nach „Heimbüro“ und meint, dass Menschen der Arbeit im eigenen häuslichen Umfeld nachgehen können (RKW 2016). In Abgrenzung zur Teleheimarbeit wird der Arbeitsplatz weder von Arbeitgeber:innen im Privatbereich bereit gestellt noch an feste Zeitrahmen gebunden. Die Durchführung der Lohnarbeit obliegt selbstständig der mitarbeitenden Arbeitskraft (ebd.). Somit haben die Angestellten die Möglichkeit ihre Arbeitszeiten flexibel zu gestalten, was die Frage aufwirft, nach welchen Kriterien Arbeitszeiten gelegt werden und welche Auswirkungen sich für die Routinen Zuhause ergeben. Voraussetzungen zur Umsetzbarkeit des Homeoffice sind ein privater Raum über dessen Zugänglichkeit man frei verfügen kann, eine stabile Internetverbindung und die benötigten mobilen Endgeräte. Homeoffice ist kein neues Phänomen, doch durch die Corona- Pandemie gehört dieses Arbeitsmodell zu der üblichen Handhabung das Virus einzudämmen. „Vor dem Virus war Homeoffice die Ausnahme, der jeweilige Vorgesetzte musste einverstanden sein - und war es meist nicht“ (Betancur 2021: 18). Nun haben die Gesetzgeber:innen implizit das Angebot von Homeoffice seit dem 21.01.2021 verpflichtet (§ 2 Absatz 4 Corona-ArbSchV) und somit zu einer gesellschaftsübergreifenden Alternative erhoben. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung konstatierte, dass nun rund ein Drittel der Beschäftigten im Homeoffice arbeiten (Betancur 2021: 18). Doch von dieser Entwicklung bleiben Geringverdiener vermehrt ausgeschlossen. Innerhalb der höherqualifizierten Bevölkerungsgruppe sind es rund 60 Prozent (ebd.). In Bezugnahme zur vorliegenden Bachelorarbeit, ist das Phänomen Homeoffice insofern interessant, als dass es die kategorialen Grenzen von Arbeit und Privatsphäre räumlich vereint (Spittler 2015: 66), doch wie sieht die alltägliche Praxis dessen aus und was verändern sich durch die räumliche Fusion? In welcher Form erhält die Arbeit Zugang ins Private und welche neuartigen Selbstverständlichkeiten entstehen daraus?

2.2 Übergangsriten und Liminalität

Ein beständiges Thema der Ethnologie ist die Ritualforschung. Das Ritual steht als „Rahmenbegriff für eine Vielzahl symbolischer Handlungsprozesse“ (Dücker 2007: 99). Als Rituale wurden in der Vergangenheit vermehrt exotische Praktiken fremder Kulturen bezeichnet oder eine mit Mythos, Magie und Heiligkeit in Verbindung stehende Praxis (Belliger und Krieger 1998: 7). Doch sind sich Kulturwissenschaftler:innen heute einig, dass Rituale etwas „allgemein Menschliches“ (Belliger und Krieger 1998: 7) sind und es sich aus kulturwissenschaftlicher Perspektive um eine kulturell eingebundene, kontextabhängige und wiederholende Interaktion mit der Umwelt handelt (Belliger und Krieger 1998: 9ff.). Es handelt sich um einen bestimmten Handlungstypus, der seine Gültigkeit in der alltäglichen Praxis findet (Belliger und Krieger 1998: 12). Hierzu gibt es allerhand verschiedene Definitionen aus den unterschiedlichen Traditionen der Ethnologie. Sieht man sich beispielweise den Ritus aus strukturfunktionalistischer Perspektive an, so fällt das Hauptaugenmerk auf den zusammenhaltenden Charakter, welcher die Gesellschaft eint. Doch was kennzeichnet ein Ritual in seiner Essenz? Und warum praktizieren Menschen Rituale? Ronald Grimes schreibt darüber, dass Rituale „kein rein dekoratives menschliches Verhalten“ (Grimes 1998: 121), sondern notwendig sind. Sie stützen Überzeugungen und verleihen der konstruierten Wirklichkeit der Menschen Ausdruck (Jennings Jr. 1998: 158). „Dort wo die Bedeutung, die Kommunikation oder die Performance wichtiger wird als der funktionale und praktische Zweck, beginnt Ritualisierung“ (Grimes 1998: 120). Die Ritualisierung obliegt dem Ritual zugrunde und findet sich auch in alltäglichen Handlungen wieder, wie dem Zähneputzen. Gleichzeitig versteckt sich nicht in jedem Verhaltensmuster ein ritueller Charakter, dies setzt nämlich eine umweltliche Notwendigkeit voraus und ist von spontanen und willkürlichen Handlungen zu unterscheiden (ebd.). In Anbetracht der in dieser Arbeit zu ergründenden Fragestellung wird untersucht, ob sich Veränderungen in der unmittelbaren Umwelt, in diesem Fall einer pandemiebedingten Isolation, und die damit verbundene räumliche Fusion von Arbeit und Privatleben, in neuen rituellen Handlungen niederschlagen (Grimes 1998: 121). Laut Caroline Humphrey gilt eine rituelle Handlung als ritualisiert, wenn eine besondere Haltung zur eigenen Handlung eingenommen wird, welche nicht zwingend bewusst sein muss (Humphrey 1998: 135). Wichtig für die Klassifikation des Rituals ist jedoch die kontextgebundene Bedeutung der Handlung. Der Begriff des Rituals kennzeichnet:

„[.] [K]ein geschlossenes Register an Handlungen, [.], sondern fasst als Bezeichnung eines eigenen Handlungstyps alle die Handlungsabläufe zusammen, die die Merkmale ritueller Form aufweisen. [.] [P]rinzipiell kann jede Alltagshandlung ritualisiert werden. Auch ist aus diesem Grund nicht von der Idealform des Rituals auszugehen; vielmehr sind Rituale kulturelle und soziale Konstruktionen, die wie alle Phänomene veränderbar und dynamisch sind [.].“ (Dücker 2007: 1)

Der Kulturanthropologe und bedeutende Ritualforscher Victor Turner prägte durch seine religionsethnologische Schrift ,Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur' (1969) maßgebend den Begriff der Liminalität, welcher auf Grundlage Arnold van Genneps Dreiphasenmodell des Übergangsrituals entstand (Turner 2005: 93ff.). Der Begriff des Übergangsrituals geht aus van Genneps gleichnamigen Werk ,Le rites de passage' (1909) hervor . Übergangsriten sind jene die den Status eines Menschen verändern oder „einen Orts-, Zustands-, Positions-, oder Altersgruppenwechsel begleiten“ (Turner 2005: 94), und so den Transfer zwischen zwei unterschiedlichen Zuständen gewährleisten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Übergangsriten lassen im wesentlichen drei Phasen erkennen: die Trennungsphase (rites des séparation), die Schwellen- bzw. Umwandlungsphase (rites de marge) und die Angliederungs- bzw. Integrationsphase (rites d'agrégation) (Van Gennep 1986: 21). Während Arnold van Gennep sich auf alle drei Phasen bezieht, ist für Turner besonders die Mittlere von Interesse (Turner 2005: 94). Turner baut im Wesentlichen auf der Prämisse auf, dass Übergangsriten einen prozesshaften Charakter besitzen (Turner 2005: 94). Dies meint, dass ein zeitlich begrenzter Entwicklungsprozess stattfindet, in dem drei aufeinanderfolgende Phasen erkennbar sind. Dabei differenziert er zwischen Zutand und Übergang. Ersteres meint „jeden kulturell definierten, stabilen oder wiederkehrenden Zustand“ (ebd.). Zweiteres hingegen verweist auf das Gegenteil. In der ersten Phase, der sogenannten Trennungsphase, vollzieht sich eine Auflösung der bisherigen „Konventionen, Verhaltensmustern und sozialen Differenzen“ (Belliger und Krieger 1998: 25) welche sich von der vorherigen Sozialstruktur distanziert (ebd.). Die Schwellenphase ist diejenige Phase, zwischen dem Vorherigem und dem Kommenden. Das Individuum „durchschreitet einen kulturellen Bereich, der wenig oder keine Merkmale des vergangenen oder künftigen Zustands aufweist“ (Turner 2005: 94). „Gemeint sind auch Übergänge von einer Welt in eine andere, gleichgültig, ob diese [zeitlich,] räumlich, kosmisch, jahreszeitlich oder sozial definiert wird“ (Bräunlein 1996: 152). Während der liminalen Phase befindet sich die Person in einem dynamischen und mehrdeutigen Zustand (Turner 2005: 94), erst mit dem Eintritt in die dritte Phase ist der Transfer abgeschlossen und das „rituelle Subjekt“ (Turner 2005: 94) findet sich in einem stabilen und klar definierten Zustand wieder, in denen festgelegte Normen und ethische Maßstäbe wieder gelten (Belliger und Krieger 1998: 25). Die Schwellenphase ist für diese Untersuchung von erheblicher Bedeutung, da sie den dynamischen Aushandlungsprozess zum Ausdruck bringt. Mein Ziel ist es, durch die Anwendung des Dreiphasenmodells auf meine Forschungsdaten, den prozessualen Charakter und die fragilen Interaktionspunkte zwischen dem privaten und dem beruflichen Raum anhand auftretender Liminalitäten zu beleuchten.

2.3 Kategorisierung von Raum und Zeit

Raum und Zeit sind untrennbar miteinander verbunden. Kulturen verändern sich mit der Zeit, Zeiträume definieren kulturelle Handlungen und die allermeisten Kulturkreise haben eine Vorstellung von Raum und Temporalität (Evifa 2020). Erst die Betrachtung der kulturellen Handlungen in einem kontextspezifischen zeitlichen und räumlichen Abschnitt, bringt Ordnung mit sich. Demnach ist es von großer Bedeutsamkeit diese genannten Aspekte im Zusammenhang mit der vorliegenden Forschungsarbeit zu beleuchten. Um die verwendeten Begriffe gänzlich zu verstehen und gleichzeitig abzugrenzen, ist es nützlich sie exakt zu definieren, um Missverständnisse vorab auszuschließen. Natürlich können diese Themenfelder nur angedeutet werden, um deutlich zu machen, unter welchem Aspekt sich die Autorin diesen Begriffen näherte und später zu Analysezwecken verwendet. Wenn die Zeit zum Gesprächs- oder sogar Untersuchungsgegenstand wird, scheint es weder Anfang noch Ende zu geben und Dinge laufen Gefahr vereinfacht dargestellt oder stereotypisiert zu werden (Munn 1992: 93). Jede kulturelle Handlung ist an räumliche und zeitliche Dimensionen gebunden, man versteht darunter, dass dem sozialen Leben eine kategoriale Aufteilung von Zeiträumen zugrunde liegt (Munn 1992: 95). Diese Zeiträume werden durch spezifische soziale Aktivitäten definiert, das heißt im Konkreten, dass die Dauer von sozialen Praktiken einen starken Einfluss darauf haben, Zeit und Raum zu verstehen (ebd.). Insofern wird Zeit im soziokulturellen Kontext als qualitativ divers aufgefasst, und nicht als abstrakt und homogen (ebd.).

Die kulturwissenschaftliche Betrachtung des Raumes wurde lange Zeit vernachlässigt. Das lag nicht daran, dass ethnologischen Theorien „keine Vorstellung von »Raum« und »Räumlichkeit« zugrunde lagen“ (Günzel 2010: 192), sondern vielmehr daran, dass der Raum als keine eigenständige Variabel erachtet wurde (ebd.). Der Raum ist ein vielschichtiges Thema, in der Philosophie, Physik und Architektur gibt es allerhand Raumansichten, doch in dieser Bachelorarbeit soll der Fokus auf den sozialen Raum gerichtet werden. Henri Lefebvre vertritt in seinem raumtheoretischen Hauptwerk ,La production de l'espace' folgende Position, auf die ich mich stütze: Er charakterisiert den sozialen Raum als soziales Produkt (Lefebvre 1974: 36) und unterstreicht damit, dass es keinen absoluten, bestehenden Raum gibt, sondern dieser abhängig von Vorstellungen und der „mikrosozial gedachten Alltagspraxis“ (Miggelbrink 2002: 50) ist. Demnach ist der Raum keine selbsterhaltende Singularität. Die Erzeugung eines Raumes geschieht durch soziale Akteure, die ihm Bedeutung verleihen, daraufhin geht eine strukturierende Wirkung auf die handelnden Personen aus (Günzel 2010: 191). Im Zuge dessen wirkt der Raum nicht selbständig auf Individuen, „sondern die ihm zugeschriebenen Eigenschaften“ (Günzel 2010: 193). Genauso wie sich im Umkehrschluss durch die Eigenschaften des Raumes, Aussagen über die raumkonstruierenden Menschen treffen lassen: „The social organization of space tells us much about the structure and functioning of society“ (Short 1999: X).

In Abgrenzung zum Begriff des Raumes, wird in dieser Forschungsarbeit auch von Räumlichkeiten gesprochen, welche die konzipierte und materiell konkrete Form -spezifisch hier Zimmer- meinen. In Räumlichkeiten können kulturelle Handlungsmuster abgelesen werden, denn sie sind wichtige Handlungsfelder für soziale Interaktionen, welche bedingen und bedingt werden (Augé 1994: 63).

Eine Betrachtung der Mensch-Raum-Beziehung im Homeoffice-Kontext führt unweigerlich zur näheren Auseinandersetzung mit dem privaten Raum. Der private Raum, in Abgrenzung zum Öffentlichen, wird im westlichen Verständnis mit einem intimen Schutzraum, dem Zuhause, assoziiert und als Zentrum des menschlichen Familien- und Eigenlebens verstanden (Cieraad 1999: 4). Während der Aufklärung wurde eine „strikte ideologische [...] Trennung [...] zwischen Öffentlichkeit und Privatheit gezogen“ (Klaus 2001: 15), welche immer noch in unseren gesellschaftlichen Vorstellungen verankert ist. Damit einhergehend, sind zahleiche Dualismen präsent. Diese Differenzierung ist das zugrundeliegende Prinzip, für Polaritäten, wie Freizeit - Arbeit, „Mann - Frau, Beruf - Familie“ (Klaus 2001: 15).

Ausgangspunkt folgender Überlegungen ist, dass jeder Mensch das Bedürfnis nach einem persönlichen Raum hat, „der nicht gleichzeitig von anderen Menschen eingenommen werden kann“ (Hengartner 1999: 262). Das Zuhause gilt besonders aus kulturwissenschaftlicher Perspektive als essenziell:

„The home is a key site in the social organization of space. It is where space becomes place, and where family relations and gender and class identities are negotiated, contested, and transformed. The home is an active moment in both time and space in the creation of individual identity, social relations, and collective meaning. The home is an important site of ideological meanings [.].“ (Short 1999: X)

Die zurückgezogene Privatsphäre eines Zuhauses existiert nur „in engem Zusammenhang mit dem Vorhandensein einer Öffentlichkeit“ (Bahrdt 1974: 77). Was passiert nun, wenn die im öffentlichen Raum verortete Lohnarbeit auf die sozialen Strukturen im privaten Raum trifft und sich somit die genannten Kontraste zumindest örtlich aufheben? Rund ein Viertel der deutschen Bevölkerung ist gleichzeitig von diesem Wandel betroffen (Statista 2021). Über die Veränderungen in der Alltagsroutine, also der Organisation von Raum und Zeit, kann Aufschluss über die konstruierten sozialen Räume gegeben werden, welche Arbeitnehmer:innen durchlaufen (Cieraad 1999: 2). Anhand der erläuterten Begriffe sollte dargelegt werden, dass die Verwendung zeit- und raumbezogener Termini essenziell für diese Forschungsarbeit ist, „um mit ihnen Problemfelder bzw. Schlüsselerscheinungen einer komplexen und sich wandelnden gegenwärtigen sozialen Wirklichkeit zu bezeichnen“ (Luthe 2003: 205).

3. Darstellung der Erhebungsmethoden und Reflexion

3.1 Zugang zu Informant:innen

Während die Welt still stand, machte ich Personen ausfindig, die Corona bedingt von Zuhause aus einer regelmäßigen Lohnarbeit nachgingen. Der Anteil, der im Homeoffice arbeitenden Menschen in Deutschland während der Corona-Pandemie lag im Januar bei knapp einem Viertel der Beschäftigten (Statista 2021). Da sich in meinem unmittelbaren Umkreis als Studierende nicht ausreichend Personen in einem Angestelltenverhältnis befinden, nutzte ich mein erweitertes Umfeld, um eine größere Erreichbarkeit zu erzielen. Personen konnten sich auf meinen Aufruf hin bei mir melden und entscheiden in welcher Form sie an meiner Untersuchung teilnehmen möchten und wieviel Zeit sie dafür zu Verfügung stellen. Diese Vorgehensweise hatte den Vorteil, dass sich Menschen aus unterschiedlichen Regionen, Altersgruppen und Arbeitsbranchen bei mir meldeten, obgleich der Tatsache, dass Menschen, die im Homeoffice arbeiten, eine gewisse soziale Position vermuten lassen. Zusammenfassend haben die Personen gemeinsam, dass sie kinderlos sind, einer Lohnarbeit im Industrie- und Wissenssektor nachgehen und in einer Mietwohnung mit oder ohne Partner:in in einer süddeutschen Stadt wohnen. Ihre berufliche Realität vor dem Lockdown zeichnete sich durch eine 40- Stunden-Woche mit Arbeitstagen bis circa 18 Uhr ab. An Wochenenden hatten sie frei, und gingen ausschließlich ihrem Privatleben nach. Dem Umstand meines Forschungsthemas geschuldet, richtet sich mein Forschungsinteresse an Personen, deren Arbeit digital umsetzbar ist. Dieses Kriterium rückt hauptsächlich studierte Facharbeiter:innen, Ingenieur:innen und Angestellte ins Zentrum der Beobachtung.

3.2 Angewandte Forschungsmethoden

Qualitative Forschungsmethoden per se sind ein hervorragender Vermittler von komplexen Informationen, welche auf die jeweilige Interpretation des Forschenden angewiesen ist, um in einem inhaltlichen Kontext als wertvoll und sinnvoll erachtet zu werden (Beer 2003: 11). Doch wie konnte die Erhebung von Daten während einer Pandemie gelingen? Die Auswahl der Methoden belief sich aus gegebenen Gründen auf diejenigen, welche eine Datenerhebung und -darstellung digital ermöglichten. Im Folgenden werde ich die Durchführung der Feldforschung näher darlegen, indem ich auf die Darstellung und Reflexion der angewendeten Forschungsmethoden eingehe und die Schwierigkeiten aufweise, welche durch die Pandemie für Wissenschaft und Forscher:innen entstanden und welche Chancen sich gleichsam daraus ergaben.

3.2.1 Das Feld: Zuhause

Forschungs- „[f]elder sind Brennpunkte in der explorativen Sondierung der Sozialwelt, die nicht alles aufdecken können, sondern eben gerade nur, was in einem bestimmten Feld zu sehen ist (Thomas 2019: 37). Um das Handeln von Menschen, ihre Alltagspraktiken und Lebenswelten im Feld empirisch untersuchen zu können und sich mit dem Forschungsgegenstand vertraut zu machen, sind Methoden gefragt, die es ermöglichen, klare Kenntnis zu erlangen (Lüders 2000: 384). Die Teilnehmende Beobachtung stellt für Ethnolog:innen im Normalfall eine maßgebende Möglichkeit dieser Datenerhebung dar. Sie ist eine wichtige Methode der Ethnologie und ihr herausragendes Charakteristikum, während Feldforschungen in vielen Disziplinen betrieben werden (Kohl 2000: 111). Zielgerichtetes Hinsehen und ein bestimmtes Vorwissen sind Grundvoraussetzungen, um kulturelle Strukturen und Regeln aufzuzeigen, denn das bewusste, aktive Wahrnehmen bestimmter Erscheinungen im Feld ist es, was die Ethnologin vom Laien unterscheidet (ebd.). Das von mir als Sozialforscherin deklarierte und eingegrenzte Feld ist das Zuhause der Informant:innen. Die Corona- Pandemie und die damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen machen den Zugang zum Forschungsfeld aus ethischer Verantwortung unmöglich. Da Anthropolog:inn:en sich „während einer Feldforschung kontinuierlich zwischen verschiedenen Haushalten, sozialen Gruppen und Individuen hin- und herbewegen [.]“ (Max-Planck-Institut 2021), riskierten sie eine erhöhte Ansteckungsgefahr. Die langjährige Ausbildung und Vermittlung von Forschungsgrundkenntnissen zur Erhebung empirischer Daten, lehrte mich nicht nur das Forschen, sondern auch die Grundprinzipien der Frankfurter Ethikerklärung. Die ethischen Prinzipien besagen, seine Informant:innen und sich selbst in keiner Situation in Gefahr zu bringen (Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie 2021). Doch wie kann weiterhin Kultur- und Sozialwissenschaft betrieben werden?

3.2.3 Autoethnografische Tagebucheinträge

Annika Lems, Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung schreibt in einem Online-Artikel vergangenes Jahr über Die ,(Un)möglichkeiten sozialanthropologischer Forschung in Corona-Zeiten‘ (2020) . Sie beschreibt, dass durch das Verschwinden der Alltagswelt, den Sozialanthropolog:innen die Grundlage für ihre Wissensproduktion genommen wurde und jene, neue Wege finden müssen die „fundamentalen Auswirkungen“ (Max-Planck-Institut 2020) der Pandemie zu verstehen. Doch geht das, ohne vor Ort zu sein? Da sich soziale Interaktionen nicht einfach aufgelöst haben, sondern sich lediglich verlagert haben, müssen auch Kulturwissenschaftler:innen ihre Methoden anpassen (ebd.) Um die Alltagspraxis von Personen untersuchen zu können, zog ich die Anwendung autoethnografischer Forschungstagebücher vor, in denen Informant:innen sich über eine Woche lang selbst beobachten und ihre Alltagserfahrungen festhalten sollten. „Als Methode verbindet die Autoethnografie Merkmale der Autobiografie und der Ethnogafie“ (Ellis 2010: 345). Die Schreibenden können persönliche Erfahrungen, Gedanken und Tagesabläufe schriftlich festhalten und dadurch der eigenen sozialen Realität Ausdruck verleihen (ebd.). Die Autoethnografie ist ein Forschungsansatz mithilfe dessen kulturelle Erfahrungen in Schriftform gesammelt und anschließend systematisch analysiert werden kann. Jene Methode befürwortet eine diverse Wissensproduktion, da die persönliche Ebene im wissenschaftlichen Kontext nicht als hinderlich, sondern bereichernd aufgefasst wird, da sie keine vermeintliche Objektivität ersucht (Ellis 2010: 346). Doch „[n]ur das längerfristige Eintauchen in die Gegebenheiten vor Ort erlaubt es uns [Sozialforscher:innen], Phänomene in ihrer vollen Komplexität zu beobachten und die wortlosen, ungeschriebenen Gesetze, die das soziale Zusammenleben maßgeblich prägen wahrzunehmen und zu analysieren“ (Max-Planck- Institut 2020).

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Details

Titel
Der Arbeitsraum im COVID-19 bedingten Homeoffice. Ethnologische Einblicke in die alltagskulturelle Dimension
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Note
2,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
53
Katalognummer
V1188363
ISBN (eBook)
9783346632579
ISBN (Buch)
9783346632586
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Turner, Van Gennep, Ritualtheorie, Homeoffice, Arbeit, Ritualisierung, Victor Turner, Arnold van Gennep, Liminalität, Trennungsphase, Integrationsphase, Ethnologie, Anthropology, Feldforschung, Struktur und Anti-Struktur, Arbeitsalltag, Raum, Corona-Pandemie, Schwellenphase, Dreiphasenmodell, Lohnarbeit
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Sibel Caliskan (Autor:in), 2021, Der Arbeitsraum im COVID-19 bedingten Homeoffice. Ethnologische Einblicke in die alltagskulturelle Dimension, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1188363

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Titel: Der Arbeitsraum im COVID-19 bedingten Homeoffice. Ethnologische Einblicke in die alltagskulturelle Dimension



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