Lokaler Konsum globaler Güter

Die Aneignung westlicher second-hand Kleidung in Afrika


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Annäherung an die Themen Konsum und Ware

3. Ausgesuchte Fallbeispiele aus Afrika (Zambia, Kongo, Senegal / Gambia)
3.1 „Salaula“ – der Handel mit second-hand Kleidung in Zambia 08
3.2 „La Sape“ – die Bedeutung von „haute couture“ im Kongo 11
3.3 „Sañse“ – die Kunst, sich zu kleiden im Senegal und in Gambia 13

4. Vergleichende Analyse der Fallbeispiele

5. Schlussbemerkungen

6. Literatur

1. Einleitung

„Globalisierung“ – ein Wort, das signifikanter für die zunehmende Verflechtung und die damit einhergehende Angst vor der „Verwestlichung“ der Welt nicht sein könnte. Besorgniserregende Anzeichen einer weltweiten Expansion westlicher Güter finden sich an beinahe allen Plätzen der Welt, denken wir nur an den Siegeszug von McDonalds, Coca Cola, Adidas und Levis, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.

Vor allem unter den Ethnologen geht ein Aufschrei durch die Reihen: Verlieren nun die Indigenen ihre sie doch so interessant machende Indigenität? Was soll der Ethnologe denn dann noch untersuchen? Er lebt doch quasi vom Exotismus, der diese Menschen umgibt. Bedeutet die Diffusion der westlichen materiellen Kultur nicht nur das Ende der Indigenen, sondern gar das Ende der Ethnologie?

Zu diesem Szenario wird es wohl nicht kommen. Durch jahrzehntelange ethnologische Forschung dürfte heute bewiesen sein, dass der westliche Fortschritt nicht, wie so häufig befürchtet, zu einem weltweiten Aussterben indigener Völker führen wird. „The Eskimo are still there, and they are still Eskimo.“ (Sahlins 1999:i). Der Annahme eines Aussterbens der Indigenen liegt häufig der Irrglaube zugrunde, letztere seien lediglich die Opfer der westlichen Expansion. Sie erscheinen in vielen Berichten ausschließlich als neo-geschichtslose Menschen, deren eigene, Jahrhunderte alte Kultur mehr oder weniger in dem Moment, in dem die Europäer auf der Bildfläche erscheinen, untergeht (Sahlins 1999:ii). Diese ethnozentrische Weltsicht sollte jedoch im postkolonialen 21. Jahrhundert nun endlich überwunden werden.

So wird es auch möglich sein zu erkennen, dass es sich bei der auf den ersten Blick wohl wirklich so erscheinenden „Verwestlichung“ wohl kaum um eine solche handelt. Zwar lässt sich ein zunehmender Strom von Gütern in die Regionen der sogenannten „Entwicklungsländer“ nicht leugnen, von einer „Entwicklung“ im europäisch-amerikanischen Sinne kann dabei aber bei weitem nicht die Rede sein. Die Indigenen sind sehr wohl zu eigener Kreativität und individueller Entwicklung fähig, obwohl ihnen diese Eigenschaften immer noch gerne abgesprochen werden. Daher passen sie unsere „high-tech-Produkte“ durch kulturelle und physische Aneignung in ihre spezifischen Lebenswelten sinnvoll ein. Ich übernehme in diesem Kontext den Begriff der Aneignung von Spittler (2002:16), da dadurch die Transformation und Umdeutung von fremden Gütern und Kulturelementen am umfassendsten und präzisesten beschrieben werden können.

Diese Arbeit wird sich mit der Aneignung westlicher second-hand Kleidung beschäftigen. Anhand von drei Fallbeispielen aus Zambia, dem Kongo und dem Senegal / Gambia wird die zentrale Frage zu klären sein, wie globale Waren, in diesem Fall Kleidung, im jeweiligen kulturellen Kontext gebraucht werden. Der Nutzen der Kleidung kann nämlich keinesfalls nur auf den einfachen Nenner: „Kleidung ist zum anziehen da!“ gebracht werden.

Es werden Fragen hinsichtlich einer tieferen Bedeutung des Konsums aufgeworfen werden, man wird auf die mit der Kleidung transportierten Bedeutungen und die damit verbundenen Annahmen über den Westen eingehen müssen, um zu verstehen, warum unsere „abgelegten Kleider“ nicht „der Afrikaner neue Kleider“ in unserem Verständnis werden.

Bevor ich jedoch auf die drei Fallbeispiele eingehe, ist zunächst eine theoretische Annäherung an die Themen Konsum und Ware im Allgemeinen nötig. Nur so können die Fallbeispiele in einem weiteren Schritt miteinander in Beziehung gesetzt werden, um mögliche Übereinstimmungen und Abweichungen zu erkennen.

2. Theoretische Annäherung an die Themen Konsum und Ware

Zunächst einmal gilt es festzustellen, dass alle materiellen Güter einen objektiven Nutzen besitzen. Sie können verschenkt, eingetauscht oder einfach nur verbraucht werden. Neben ihrem faktischen Nutzen besitzen materielle Güter aber auch immer eine kulturspezifische Bedeutung, das heißt einen bestimmten Gebrauchswert (Rössler 1999:156). Symptomatisch für materielle Güter ist weniger ihr objektiver Wert, als vielmehr deren symbolische Bedeutungen, welche von Kultur zu Kultur variieren. Da Symbole unter anderem auch Mittel zur Kommunikation darstellen, werden durch den Prozess der Konsumption Bedeutungssysteme geschaffen, die zwischen den Menschen übermittelt und ständig modifiziert werden (Rössler 1999:157). So lässt sich erklären, warum mit, in unserem Falle, bestimmter Kleidung aus dem Westen auch immer spezifische Vorstellungen über den Westen transportiert werden. Je nach kulturellem Kontext verleihen diese Vorstellungen den Produkten einen positiven oder negativen Wert. So trinken die Kel Ewey Tuareg im Niger einer Forschung von Spittler (2002:26) zufolge ausschließlich grünen Tee aus China. Aufgrund dieser Tatsache interessieren sie sich besonders für dieses fremde Land, welches ihrer Ansicht nach ein starkes und gesegnetes Land sein muss, da es diesen wunderbaren Tee produzieren kann. Durch andere moderne Waren, wie zum Beispiel Taschenlampen und Nähmaschinen „made in China“ wird deren Prestigedenken hinsichtlich Chinas noch verstärkt und bestätigt. Man erinnere sich an dieser Stelle an unsere (negative) Einstellung zu Waren „made in China“, die keineswegs Konform zu der der Kel Ewey ist.

Mary Douglas und Baron Isherwood (1979:76) definierten Konsum als eine rituelle Aktivität, mit der durch Hilfe von materiellen Gütern bestimmte kulturelle Regeln sichtbar gemacht werden. Dadurch werde die Klassifikation von Personen und Ereignissen vereinfacht. So kann laut Sahlins (zit. nach Rössler 1999:166) durch die Symbolik der Kleidung ein anonymes Gegenüber bereits auf den ersten Blick relativ genau identifiziert werden. Im eigenen kulturellen Kontext dient Kleidung somit als Sprache zur Übermittlung von Botschaften und zur Herstellung sozialer Dialoge. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Bewertung der sozialen Position seines Gegenübers (Rössler 1999:161). Unser Sprichwort „Kleider machen Leute“ vermag diese Tatsache sehr gut zu beschreiben. Im Laufe dieser Arbeit werde ich noch häufig auf den Zusammenhang von Status und Kleidung, besonders von second-hand Kleidung, zurückkommen.

Friedman (1994:150) definiert Konsum als die materielle Verwirklichung des [kulturspezifischen] Image des „guten Lebens“. Dabei muss Konsum immer im Zusammenhang mit Selbstdefinition und –bestimmung gesehen werden. Konsumstrategien liegt ein kulturinhärentes System von sozialen Werten, Vorlieben und Nützlichkeiten zugrunde. Deshalb können diese Strategien auch nur verstanden werden, wenn man die spezifische Art versteht, wie Wünsche entstehen, beziehungsweise geschaffen werden (Friedman 1994:149). Dieser Prozess des Verstehens ist meist sehr kompliziert, da der oberflächliche Gebrauch vieler Güter nicht von unserem zu unterscheiden ist. So sehen wir auf den ersten Blick, dass zum Beispiel in Zambia vorwiegend second-hand Kleidung getragen wird. Erst bei genauere Hinsehen erkennt man, dass die Kleidung meist durch Schneider oder ihre Trägerinnen verändert und umgestaltet wurde. Dass dahinter eine ganz bestimmte Sichtweise des Westens, der damit assoziierte Reichtum und der Wunsch verbunden sind, auch als reicher und moderner Mensch angesehen werden zu wollen, ist nur noch nach einer gründlichen Analyse erkennbar. Darauf werde ich im Fallbeispiel noch genauer eingehen. Auch bei den Sapeur im Kongo steht hinter ihrer westlichen Eleganz ein grundlegendes kulturelles Sinnsystem, das der „life-force“. Diese „Lebenskraft“ kann im Grad des Reichtums und der Gesundheit zum Ausdruck gebracht werden, und muss durch Lebensstrategien gesichert werden. Das Streben nach Transformation zu einem wahren Pariser Stadtbürger durch elegante westliche Designerkleidung und Reisen nach Paris steht also im kulturellen Kontext des life-force Konzeptes und dessen nach außen Tragung durch die elegante Kleidung (Friedman 1994:152). Auch dieser kurze Einblick wird im Folgenden noch verdeutlicht werden.

Die Transformation von Waren steht also im Mittelpunkt der Betrachtung. Nach Appadurai (1986:5) haben Dinge keine Bedeutung, abgesehen von denen, mit welchen sie durch menschliche Transaktionen, Attributionen und Motivationen versehen werden. Daraus entsteht das „social life of things“ (Appadurai 1986:3). So verleihen die Menschen auf der einen Seite den Dingen ihre Bedeutung, auf der anderen Seite erhellen diese Dinge dann wiederum den menschlichen und sozialen Kontext (Appadurai 1986:5). Im Kontext der Transformierbarkeit von Waren muss erwähnt werden, dass eine Ware nicht für immer eine ebensolche bleiben muss, sondern schnell oder langsam, reversibel oder beständig in und aus dem Warenstatus wechseln kann (Appadurai 1986:13). So ist der biographische Aspekt, die „cultural biography“, wie es Kopytoff (1986:80) nennt, nach Appadurai bei einigen Dingen wichtiger als bei anderen (zum Beispiel bei Sammlerstücken). Dies geschieht nach Kopytoff meist im Zusammenhang mit der „Singularisierung“ von Gütern. Kopytoff geht davon aus, dass in einer Gesellschaft verschiedene Tauschsphären existieren. Ohne diese wäre ein Warenfluss nicht möglich, da man keine Wertmaßstäbe setzen könnte. Man ordnet also unbewusst jedes Produkt einer dieser Tauschsphären zu, und hat somit eine Vergleichsmöglichkeit[1]. Ein Tausch zwischen diesen Tauschsphären ist beinahe nicht möglich. Diese Tauschsphären werden aber besonders in komplexen Gesellschaften nicht von allen Individuen gleichermaßen definiert. Sammlerstücke, wie zum Beispiel Briefmarken, werden von einer kleinen Gruppe oder einem sozialen Netzwerk an Sammlern „singularisiert“, das heißt, es wird diesen Stücken ein Wert zugeschrieben, der ausschließlich innerhalb dieser Gruppe als Wertmaßstab gelten kann. So hat der Tauschwert von Briefmarken in diesen Gruppen nichts mehr mit dem objektiven, tatsächlichen Wert der Briefmarke, nämlich dem Porto, zu tun (Kopytoff 1986:80). Die „cultural biography“ der Briefmarke wird also je nach sozialem Kontext bedeutend (bei Sammlern) oder eben nicht. Auch das Auto ist ein Beispiel für den Wechsel aus und in den Warenstatus, was wiederum mit der „cultural biography“ verbunden ist. So verliert ein Auto ab dem Moment, in dem es gekauft wird, kontinuierlich an Wert, und erfährt damit auch einen Wechsel des Warenstatus. Entschließt sich jedoch ein Sammler nach längerer Zeit, gerade dieses Auto, das mittlerweile nun eigentlich nichts mehr wert ist, in seiner Kategorie als „sammelnswert“ zu bezeichnen, gewinnt das ehemals schon wertlose Auto wieder an Wert. Es wechselt in einen anderen Warenstatus und ist nicht mehr nur einfaches Fortbewegungsmittel sondern ein Oldtimer. In diesem Zusammenhang wird dann auch für den Sammler die Biographie dieses Autos wieder interessant, und seien es auch ganz banale Geschichten, zum Bespiel über einen seiner vorherigen Fahrer. Diese Geschichten führen unter den Sammlern noch zu einer Aufwertung des Autos.

Auch bei den Kel Ewey Tuareg lässt sich ein Beispiel für eine kulturelle Biographie finden. Die Frauen tragen Achatschmuck in Form von Kopfschmuck und Armbändern. Die Achate werden aus Indien, Brasilien und Idar-Oberstein importiert. Viele davon werden auf ihrem Handelsweg über Mekka verkauft, wodurch sie für die islamischen Tuareg nochmals zusätzlich an Wert gewinnen. Die Händler nutzen dieses Wissen nun häufig aus, und behaupten alle ihre Achate kämen aus Mekka (Spittler 2002:27). Auch für die Singularisierung findet sich bei den Kel Ewey ein Beispiel: Viele spezifische Schmuckstücke, die laut Spittler (2002:27) ausschließlich für die Kel Ewey von anderen Ethnien hergestellt wurden, sind heute vom Markt verschwunden. Die, die noch im Besitz der Tuareg sind, sind daher unverkäuflich und werden von Mutter zu Tochter matrilinear vererbt.

Die Bedeutung der Singularisierung und der kulturellen Biographie wird auch am Beispiel der Sapeurs hinsichtlich deren mitgebrachter Kleidung aus Paris später deutlich werden.

An dieser Stelle soll nochmals betont werden, dass eine Warenaustausch auch ohne ein komplettes, gemeinsam geteiltes Gedankengut beider Parteien möglich ist. Appadurai (1986:15) spricht in diesem Zusammenhang von „regimes of value“. Der „commoditiy context“ (Appadurai 1986:15) bringt die Akteure aus unterschiedlichen Kulturen, die nur ein minimales Verständnis über das Tauschobjekt teilen, dennoch zusammen. Sie einigen sich ausschließlich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, die sogenannten „terms-of-trade“ (Appadurai 1986:15). Nur so, und durch das bei jedem Warenaustausch dahinterstehende Nutzenkalkül kann ein Handel über nationale Grenzen überhaupt stattfinden (Appadurai 1986:19). Nur so gelangt auch unser Untersuchungsobjekt, die second-hand Kleidung erstens in das andere Land, und dort zweitens an den Mann / die Frau (oder eben nicht).

[...]


[1] Sehr bekannt sind wohl die Studien von Paul Bohannen (1955; 1968) zu den verschiedenen Tauschsphären bei den Tiv.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Lokaler Konsum globaler Güter
Untertitel
Die Aneignung westlicher second-hand Kleidung in Afrika
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Völkerkunde und Afrikanistik)
Veranstaltung
Ethnologie der Globalisierung
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
20
Katalognummer
V122419
ISBN (eBook)
9783640276523
ISBN (Buch)
9783640282463
Dateigröße
461 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aneignung, second hand, Kleidung, Europa, Globalisierung, Afrika, Konsum, Ware
Arbeit zitieren
Alexandra Mörz (Autor:in), 2004, Lokaler Konsum globaler Güter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122419

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