Amazigh Kateb vs Magyd Cherfi

Der Umgang zweier in Frankreich lebender Musiker mit ihrem algerischen Migrationshintergrund


Hausarbeit, 2010

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Magyd Cherfi und Zebda - „Nous sommes français. Point.“
2.1 Kurzbiographie des Songschreibers Magyd Cherfi
2.2 Textinhalt
2.3 Magyd Cherfi in der medialen Öffentlichkeit

3. Amazigh Kateb - „Je suis encore algérien.“
3.1. Kurzbiographie Amazigh Katebs
3.2 Textinhalt von ‘Marchez noir’
3.3 Amazigh Kateb in der medialen Öffentlichkeit

4. Vergleich

5. Fazit

6. Discographie

7. Literaturverzeichnis

8. Erklärung

1. Einführung

„Wer bin ich und wohin gehöre ich?“ Auf der Suche nach der eigenen kulturellen Identität, dem Zugehörigkeitsgefühl zu einer sozialen Gruppe und der Identifizierung mit deren kulturellen Werten, beschäftigen sich Individuen mit Migrationshintergrund mit ebenjenen Fragen. Denn die kulturelle Identität ist, wie auch Stuart Hall beschreibt, keine homogene und fixierte Kategorie, sondern ein durch Diskontinuitäten und Brüche gekennzeichneter Erfahrungsprozess (vgl. Hall 2000). Im Kontext der Migration wird ein solcher Erfahrungsprozess stimuliert. Der indische Psychologe Prof. Dr. Salman Akhtar formuliert: „Die Migration von einem Land in ein anderes ist ein komplexer psychologischer Prozess mit bedeutenden und bleibenden Auswirkungen auf die Identität eines Individuums. [...] Neben tiefgreifenden Verlusten birgt sie jedoch eine neue Gelegenheit zu geistigem Wachstum und Veränderung“ (Akhtar 2007, S.26). Immigranten haben eine ethnisch anders geprägte Sozialisation als die Angehörigen der Aufnahmegesellschaft erfahren und durch das Aufeinandertreffen mit fremden kulturellen Werten kann es zu einer Infragestellung der bisher erarbeiteten kulturellen Identität kommen. Wenn sich Immigranten überdies in äußerlichen Merkmalen von den Angehörigen der Aufnahmegesellschaft unterscheiden, haben sie oft mit Diskriminierungen und sozialer Ausgrenzung zu kämpfen, was die Entwicklung eines sozialen Zugehörigkeitsgefühls zu der neuen Gesellschaft zusätzlich erschwert. Reaktionen auf die Verunsicherung der eigenen Persönlichkeit differieren von der Suche nach Rückzugsgebieten in Form von ethnischen Kolonien1 zu der in Eigen- und Fremdflexion durchgeführten Konstruktion einer neuen kulturellen Identität. Untersuchungen der Migrationssoziologie und -psychologie zeigen auf, dass Migrations- und Identitätsproblematiken sich fast immer in die Nachfolgegenerationen hineinziehen2. Oft sehen sich auch die Nachfolgegenerationen in ihrer Ursprungsgesellschaft Diskriminierungen und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt. Nicht selten finden sie sich in der Rolle des Vermittlers und Übersetzers zwischen zwei Kulturen wieder und sehen sich außerdem mit der Aufgabe konfrontiert, aus den unterschiedlichen Deutungsmustern im familiären und sozialen Umfeld ihre eigene Synthese zu entwickeln.

In meiner Hausarbeit soll es darum gehen, die Suche und den Umgang mit der kulturellen Identität zweier in Frankreich lebender Musiker zu elaborieren. Zum einen ist dies Magyd Cherfi. Er wird 1961 als Sohn algerischer Immigranten in Frankreich geboren. Als er sich Ende der 70er mit einigen Gleichgesinnten in einem musikalischem Band-Projekt versucht, beginnt für ihn eine Laufbahn als Songschreiber und Leadsänger der heutzutage international bekannten rock métis 3 Gruppe Zebda. Der zweite zur Analyse stehende Künstler heißt Amazigh Kateb. Er kommt als Sohn des gesellschaftskritischen Schriftstellers Yacine Kateb 1972 in Algerien auf die Welt. Im Alter von 16 Jahren migriert er nach Frankreich, fasst dort in den späten 80ern Fuss in der Musikbranche und ist jüngst in seine Solokarriere gestartet. Der nähere Vergleich lässt erkennen, dass die Musiker, die beide in Frankreich leben und schaffen, einen unterschiedlichen Umgang mit ihrem algerischen Migrationshintergrund aufweisen. Ich möchte ihren Umgang eingehender untersuchen und folgende Fragen beantworten: Welche Stellungnahme und welches Verhältnis zu ihrem Heimatland lässt sich bei Amazigh Kateb und Magyd Cherfi erkennen? Thematisieren Sie ihren Migrationshintergrund und wie gestaltet sich ihr Umgang mit ebendiesem?

Im Folgenden werde ich ausgewählte Lieder der Band Zebda und das Soloalbum des Künstlers Amazigh Kateb, sowie das Auftreten der beiden Musiker in der medialen Öffentlichkeit mit dem Ziel der Beantwortung jener Fragen untersuchen. Jeweils einleitend werde ich die Musiker biographisch vorstellen. Über Amazigh Kateb existieren bisher keine wissenschaftliche Publikationen, weshalb ich meine Recherche auf die Informationen von Zeitungsartikeln beschränken musste. Als sehr hilfreich erwies sich ein Gespräch mit Kateb, welches die maghrebinische Kulturorganisation PlaNet DZ veröffentlichte. Meine Zusammenstellung Katebs Biographie stellt das Ergebnis eines intensiven Vergleichs seiner Aussagen in verschiedenen Interviews und der von verschiedenen Journalisten durchgeführten und veröffentlichten Recherchen dar. Einen guten Einblick in die psychosoziale Problematik von Migranten gab mir Prof. Dr. Salman Akhtars Buch „Immigration und Identität : psychosoziale Aspekte und kulturübergreifende Therapie“.

Meine Hausarbeit wird sich in drei Teile gliedern, der Vorstellung und Analyse von Magyd Cherfi, einer anschließenden Präsentation und Untersuchung Amazigh Katebs sowie dem abschließenden Vergleich der beiden Musiker mit nachfolgendem Fazit.

2. Magyd Cherfi und Zebda - Nous sommes français. Point!

Zebda ist arabisch und bedeutet Butter, womit der Name Proklamation der Existenz unterschiedlicher Ethnizitäten in Frankreich ist. Im Französischen bedeutet zebda nämlich beurre, das exakte Homophon zu beurs 4: Die drei Frontmänner Zebdas, Magyd Cherfi, Hakim und Mustapha Amokrane sind Franzosen und algerische Migranten der 2.Generation5. In ihrer Musik spiegelt sich ihre Identitätssuche wider und durch sie finden sie einen Weg ihre Erfahrungen des Lebens mit Migrationskontext in Frankreich zu verarbeiten. Von ihrem Ursprung geprägt, wollen sie durch ihre Lieder und politisches Engagement, Rassismus und die soziale Ausgrenzung der beurs in Frankreich aufdecken und bekämpfen.

2.1 Kurzbiographie des Songschreibers Magyd Cherfi

Magyd Cherfi, Leadsänger und Songschreiber der Gruppe kommt 1961 zur Welt und verlebt seine Kindheit und Jugend in einer Toulouser Notbautensiedlung. Die in den 60er und 70er Jahren überall in Frankreichs Städten hochgezogenen Sozialquartiere sind bereits damals soziale Ghettos: in den uniformen Hochhäusern außerhalb des Zentrums lebt die auch gesellschaftlich marginalisierte Gruppe der Immigranten (Sattler, 2007).

Schon in früher Jugend wird sich Cherfi allerdings des Privileges bewusst in Frankreich eine Ausbildung zu erhalten. In einem Interview mit Pierre Sorgue erwähnt er einmal, dass er sich als Jugendlicher für seine algerische Arbeiterfamilie und seine ungebildete Mutter geschämt habe und froh war, durch das Angebot der Schule und den Umgang mit französischen Freunden, seinem ursprünglichem sozialen Milieu zu entfliehen (Sorgue 1998 zit. nach Lebrun 2009). Er verbringt viel Zeit in einem Toulouser Kulturzentrum, in dem er mit Gleichaltrigen und Sozialarbeitern über Politik, Gesellschaft und Kunst diskutiert. Dort erhält er die Motivation, künstlerische Projekte auf die Beine zu stellen und als er mit einigen Gleichgesinnten den Verein Vitécri, der die Darbietung künstlerischer Aktivitäten fördern möchte, gründet, wird auch die Gruppe Zebda ins Leben gerufen (Lebrun 2007, S.333).

Mit der Ernennung des sozialistisch orientierten François Mitterand zum französischen Staatspräsidenten in 1981, wird Immigranten erstmals offiziell Vereinsrecht zugesprochen (Gianni D'Amato, S.169). In seiner Regierungszeit erhalten kulturelle Projekte, vor allem jene mit einem Fokus auf Integrationsarbeit, hohe Unterstützung. Vitécri wächst, Cherfi gründet seinen zweiten Verein Takticollectif zur Förderung junger Maghrebiner und baut über Bekannte und Arbeitskollegen Kontakte zur linken Elite auf, die ihn erstmals „Frankreich und die authentische Inkarnation der republikanischen Werte entdecken lassen“, so Cherfi gegenüber Marx-Scouras (Marx-Scouras 2005, S 68; zitiert nach Lebrun 2007, S.334).

In den Wahlen zum Stadtrat in 2001 erhält die linke Bürgerbewegung Motivé-e-s, ins Leben gerufen durch die Initiative Maygd Cherfis und weiteren Mitgliedern Zebdas, 4 Sitze (Marquis 2004). Zu dieser Zeit haben Zebda mit „Tomber la chemise“ 1999 schon ihren größten Hit gelandet und schauen auf 7 Alben und 4 Music Awards zurück. 2007 startet Magyd Cherfi in seine Solokarriere.

2.2 Textinhalt

„ Intégré, je le suis; où est la solution ? “6

Die Zusammensetzung der Band aus Künstlern französischen, algerischen und spanischen Ursprungs bezeugt ein „perfektes Beispiel für Integration“ (Reijasse 2002, S.60). Integration - genau dies fordern die Mitglieder Zebdas. In folgenden Auszug aus ‚Toulouse’7: „Dans mon quartier / Dans ma cité / C'est épicé/ Et moi j'aime ça / Je butine / Mes racines “ lässt Frontmann Magyd Cherfi seine Identifizierung mit seinem algerischen Ursprung erkennen, für ihn ist sie jedoch kein Faktor, der einer Integration im Weg stehen sollte. Durch seine Hommagen an berühmte französische Autoren wie Voltaire, Hugo oder Saint-Exupéry (Lebrun 2009, S.84) und das Singen in französischer Sprache zeigt Cherfi seine hohe Wertschätzung der französischen Kultur. Gleichzeitig thematisiert er die Schwierigkeit eines beur in Frankreich als Franzose angenommen zu werden, er wird durch die französische Gesellschaft immer wieder darauf hingewiesen, dass er „anders“ ist. „Je suis pas né le jour de ma naissance / Je suis né lorsque j’ai compris ma différence.“ ist eine Liedstrophe in ‚Je suis’8, die deutlich macht, wie die Identität eines beur durch die Spiegelung, er weiche von der französischen Norm ab, maßgebliche Prägungen widerfährt. „J’ai tous mes papiers / Moi je suis francais / (…) / et pour les coutumes qu’est-ce que tu fais? / carte d’identité, montrez, montrez“, ist ein Auszug aus ‚La France’,9. Auch in diesen Zeilen kristallisiert sich die schmerzliche Erfahrung Cherfis, aufgrund seiner „nicht- französischen“ Wurzeln trotz seines legalen Status als Franzose und seiner Bejahung einer französischen Identität als „Nicht-Franzose“ abgestempelt zu werden. Seine Antwort auf die Integrationsverweigerung durch die französische Gesellschaft findet sich in dem Protestcharakter seiner Musik.

In ‚Je crois que ça va pas être possible’10 stellt Cherfi Formen der Diskriminierung dar, mit denen ein beur oder ein basan é, ein Braungebrannter, im alltäglichen Frankreich konfrontiert wird. Denn wer „nicht so aussieht, als würde er die Bibel lesen“11, wird bei Wohnungsbesichtungen schnell abgewiesen, kommt nicht in die Disko und erscheint der Bank nicht kreditwürdig.

Zebda scheut sich nicht, bei Bedarf auch Frankreichs Politik kritisch zu beleuchten. In ‚double peine’12 besingt Cherfi die Ungerechtigkeit der double peine 13, einem Gesetz, das vorsieht, französische Verbrecher mit Migrationshintergrund unter Umständen doppelt zu betrafen, indem sie nach ihrem Gefängnisaufenthalt des Landes verwiesen werden. Am Parteitag des RPR14 am 19.06.1991 spricht Jaques Chiraq vom „Lärm und Gestank“ muslimischer Immigranten. Diese Worte lässt Zebda nicht ohne weiteres auf sich sitzen: 1995 erscheint ein Album mit gleichnamiger Single unter dem Titel ‚le bruit et l’odeur’, der Lärm und der Gestank. Die Front National, Frankreichs rechtsextremistische Partei, kommt erst recht nicht vor den scharfen Zungen Zebdas davon. In ‚la bête’15 mokieren und karikieren sie den Parteivorsitzenden Jean-Marie Le Pen (Reijasse 2002, S.57). und nach einem Wählerstimmenzuwachs der Partei im Süden Frankreichs rufen sie in ‚Tout semble si’16 auf: „ Toutes les villes se prennent avec des mots / Y’a toujours une motié pour dire : Bravo ! / (…) / N’attends pas qu’ils reviennent / Ils ont pris quatre villes déjà“.

Es scheint, dass in dem Land, das so stolz auf seine republikanischen Werte der Aufklärung ist, für manch einen Politiker der Begriff „Gleichheit“ mehr Theorie als Praxis darstellt: „L’égalité mes frères n’existe que dans les rèves“17 ist die von Frustration gezeugte Einsicht Cherfis.

Insgesamt wird bei Zebda deutlich: ‚J’y suis, j’y reste’18 Ich bin hier und ich bleibe hier. Ich bin Franzose, möchte als solcher akzeptiert werden und kämpfe um die Integration meinesgleichen in die französische Gesellschaft.

2.3 Magyd Cherfi in der medialen Öffentlichkeit

Cherfis kritische Auseinandersetzung mit politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen lässt sich nicht nur auf die Komposition Zebdas Songtexte reduzieren. Ein näherer Blick auf seine Person offenbart die grundsätzliche Überzeugung, dass es notwendig ist, sich reflektierend mit der eigenen Gesellschaft auseinander zu setzen und sie verantwortungsbewusst mitzugestalten. Cherfi tritt ein für eine Mentalität, die von Werten wie Toleranz, Gleichheit, Demokratie und Respekt vor der individuellen Persönlichkeitsentfaltung geprägt ist.

[...]


1 Ethnische Kolonie ist ein von Heckmann verwendeter Begriff. Er umschreibt räumliche und territoriale Einheiten mit diversen, selbstorganisierten Beziehungsgeflechten unter Immigranten (Heckmann 1993, S.97).

2 vgl. Han 2010: Migrationssoziologie, Kapitel 3

3 Musikstil der ein Hybrid aus Chansons, Rock, Raggae, und Ragga umschreibt.

4 In Frankreich gebräuchlicher Verlan-Terminus für Arabe. Er bezeichnet die Nachkommen der maghrebinischen Immigranten, die in Frankreich geboren wurden und zumeist die französische Staatsbürgerschaft haben

5 Personen deren eigener Geburtstort in Frankreich liegt und jener beider Elternteile im Ausland.

6 mehrmals wiederholte Liedzeile aus ‚Quinze ans’ aus dem Album ‚Essence Ordinaire’ von 1999

7 Lied aus dem Album ‚le bruit et l’odeur’ von 1995

8 Lied aus ‚Essence Ordinaire’, 1999

9 Lied aus ihrem Album ‚Arène des rumeurs’ von 1992

10 Lied aus dem Album ‚Essence Ordinaire’ von 1999

10 „Quand il m'a vu, j'ai vu que tout s'est obscurci / A-t-il senti que je ne lisais pas la bible“

12 Lied aus ‚Essence ordinaire’ von 1999

13 erstmals 1945 in die französische Verfassung aufgenommen, wird das Gesetz der double peine von Nicolas Sarkozy 2005 abgeschwächt. (vgl. www.migration-info.de)

14 Rassemblement de la République. Bürgerliche französische Partei gegründet 1976 von Chiraq und unter anderen Begünderpartei der UMP, Union pour un mouvement populaire

15 Titel aus dem Album ‚Le bruit et l’odeur’ von 1995

16 Lied aus ‚Essence ordinaire’ von 1999

17 Auszug aus dem Lied ‚Le bruit et l’odeur’ aus dem gleichnamigen Album

18 Titel aus dem Album ‚Utopie d’occase’ von 2002

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Amazigh Kateb vs Magyd Cherfi
Untertitel
Der Umgang zweier in Frankreich lebender Musiker mit ihrem algerischen Migrationshintergrund
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Ethnologie und Afrikastudien)
Veranstaltung
Musikethnologie
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
20
Katalognummer
V197044
ISBN (eBook)
9783656232858
Dateigröße
517 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Musikethnologie, Migrationshintergrund, Zebda, Amazigh Kateb
Arbeit zitieren
Michèle Mertens (Autor:in), 2010, Amazigh Kateb vs Magyd Cherfi, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/197044

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Titel: Amazigh Kateb vs Magyd Cherfi



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