Der doppelte Einfluss von Geschlecht auf die Kontext(un)abhängigkeit der Informationsverarbeitung

Language
de
Document Type
Doctoral Thesis
Issue Date
2011-07-29
Issue Year
2011
Authors
Kluttig, Franziska
Editor
Abstract

The present work examined the question whether and who gender shapes social information processing. In a first step the theoretical framework was elaborated as basis for the considerations, begin-ning with an introduction of the concept of context dependency / independency (Hannover & Kühnen, 2002; Witkin et al., 1977), which makes a distinction between two basic preferences for the processing of social information. Context dependency denominates the inclination to perceive information embedded in the surrounding field and to perceive relations between different objects. Context independency, however, means that the situational context is mostly disregarded and that multiple individual objects are not perceived as a unit, but rather as separate items. After further elaboration has shown that this differentiation has proven as useful in psychological research to explain individual differences in cognition, experience, and behavior, findings regarding the question whether women and men differ in their context dependency / independency was presented. Although this revealed a trend describing women as more context dependent and men as more context independent, existing findings overall proved to be ambivalent. Thus, a broader consideration of gender was suggested to shed further light on the facets of the influence of gender on context dependency/ independency. Based on the dual impact model of gender (Abele, 2000a) a three-dimensional approach of gender and its potential to explain differences in context dependency / independency was considered: the gender related self-concept as a psychological component of gender on the one hand and gender stereotypes as a social component on the other hand. The second, empirical part first tested in three studies whether sex differences in context independence / dependence exist and whether they can be explained by the self-concept. As expected, women and men did not generally differ in their social information processing. However, in line with our assumptions, the self-concept did have an influence on context dependent and independent social information processing. Specifically, Communion promotes context dependency; agency mostly promotes context independency. As a limiting effect, the latter didn’t necessarily proved to be significant for women. Consequently, a fourth study was devoted to the question to what extent context dependency/ independency can be predicted by the activation of gender stereotypes. The assumption, that especially women would react with decreased performance in the context independency task, and however, man would react with decreased performance in the context dependency task, had to be falsified. Rather, performance in the context independency task increased for both, women and men, independent from their self-concept. However, no effects were found in context dependency task. The results were discussed and alternative interpretation approaches are proposed and tested. In addition, the results suggest a primacy of self-concept contents and cognitive processes that facilitate the formation and maintenance of social relations, independent of a person's sex. Finally, theoretical and practical implications of the gained knowledge are being discussed and questions for further research are proposed.

Abstract

Die vorliegende Arbeit ging der Frage nach, ob und in welcher Gestalt das Geschlecht die soziale Informationsverarbeitung prägt. In einem ersten Abschnitt wurde zunächst der theoretische Rahmen als Grundlage der Betrachtungen erarbeitet. Am Beginn stand hier die Vorstellung des Konzepts der Kontextabhängigkeit/-unabhängigkeit (Hannover & Kühnen, 2002; Witkin, Moore, Goodenough & Cox, 1977), welches zwei grundlegende Präferenzen für die Verarbeitung sozialer Informationen unterscheidet: „Kontextabhängigkeit“ steht für die Neigung, Informationen eingebettet in den umgebenen situativen Rahmen wahrzunehmen und Bezüge zwischen verschiedenen Objekten herzustellen; „Kontextunabhängigkeit“ hingegen bedeutet, dass der situative Kontext bei der Wahrnehmung einzelner Objekte weitestgehend ausgeblendet wird und mehrere einzelne Objekte nicht als Einheit, sondern getrennt voneinander wahrgenommen werden. Nachdem in den weiteren Darlegungen gezeigt wurde, dass sich eine solche Unterscheidung in der psychologischen Forschung als äußerst nützlich erwiesen hat, um Unterschiede im individuellen Denken, Erleben und Verhalten zu erklären, wurde der Erkenntnisstand zur Frage, ob sich Frauen und Männer in ihrer Kontextabhängigkeit/ -unabhängigkeit unterscheiden, aufgezeigt. Hier zeichnete sich eine Tendenz ab, die Frauen zunächst als eher kontextabhängig und Männer als eher kontextunabhängig beschreibt, jedoch erwies sich die Befundlage insgesamt als ambivalent. Neben methodischen Erklärungsansätzen wurde eine dreidimensionale Betrachtung des „Geschlechts“ vorgeschlagen, um weitere Facetten des Geschlechtseinflusses zu beleuchten. Auf der Basis des Modells des doppelten Einflusses von Geschlecht (Abele, 2000a) rückten neben der biologischen Unterscheidung zwischen Frauen und Männern zwei weitere Geschlechtsperspektiven und deren Potenzial für die Erklärung von Unterschieden in der Kontextabhängigkeit/ unabhängigkeit in den Fokus der Betrachtungen: das Selbstkonzept als psychologische Komponente des Geschlechts auf der einen Seite und Geschlechtsstereotype als soziale Komponente auf der anderen. Der empirische Teil testete zunächst in drei Studien, ob geschlechtsspezifische Unterschiede in der Kontextabhängigkeit/ -unabhängigkeit bestehen, und ob sich diese über das Selbstkonzept erklären lassen. Hier zeigte sich erwartungskonform, dass sich Frauen und Männer nicht generell in ihrer Informationsverarbeitung unterscheiden, jedoch deren Selbstkonzept eine Rolle spielt. Stereotyp feminin konnotierte Communion fördert kontextabhängige Informationsverarbeitung, stereotyp maskulin konnotierte Agency hingegen fördert weitestgehend kontextunabhängige Informationsverarbeitung. Allerdings war letzteres für Frauen nicht ausnahmslos nachweisbar. Die vierte Studie widmete sich daraufhin der Frage, inwieweit aktivierte Geschlechtsstereotype einen korrespondierenden Einfluss auf die Kontextabhängigkeit/ -unabhängigkeit ausüben. Die Annahme, dass Frauen mit Leistungseinbußen in der Kontextunabhängigkeitsaufgabe, Männer hingegen mit Leistungseinbußen in der Kontextabhängigkeitsaufgabe reagieren, wurde widerlegt. Vielmehr wurde für Frauen und Männer gleichermaßen eine Leistungssteigerung in der Kontextunabhängigkeitsaufgabe verzeichnet und zwar unabhängig vom Selbstkonzept. Die Kontextabhängigkeitsaufgabe hingegen brachte keinerlei Effekte hervor. Die Ergebnisse wurden diskutiert und alternative Interpretationen vorgeschlagen und getestet. Ferner sprechen die vorliegenden Befunde für die Primärstellung von Selbstkonzeptstrukturen und kognitiven Prozessen, die für das Bilden und Aufrechterhalten sozialer Beziehungen förderlich sind – und zwar unabhängig vom Geschlecht. Die theoretischen und praktischen Implikationen der gewonnen Erkenntnisse werden abschließend diskutiert und Vorschläge für die weitere Forschung angeführt.

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