Titel
The Reckless Mind. Intellectuals in Politics


Autor(en)
Lilla, Mark
Erschienen
Anzahl Seiten
217 S.
Preis
$ 24.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Morat, Georg-August-Universität Göttingen Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte

Der „Verrat der Intellektuellen“ im 20. Jahrhundert ist auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein Thema, das nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat. Im Gegenteil. In den letzten Jahren hat eine neue Intellektuellengeschichte verstärkt den Versuch unternommen, überkommene Ansätze der Ideen- und Sozialgeschichte zu reformulieren und das Verhältnis von „Geist und Macht“, von Intellektuellen und Politik (nicht nur) im 20. Jahrhundert auf neue Weise zum Gegenstand geschichtswissenschaftlicher Untersuchungen zu machen. 1 Gerade weil die „totalitäre Versuchung“ der Intellektuellen in besonderem Maß ein europäisches Problem ist, haben bei dieser Reformulierung Beiträge aus den ‚neutralen’ USA eine bedeutende Rolle gespielt. Zudem ist die „intellectual history“ in Amerika auch methodisch seit den 1980er Jahren in vieler Hinsicht weiterentwickelt worden und kann nun als Anregung für die europäische Diskussion dienen.

Eine solche Anregung sollte auch das neue Buch von Mark Lilla darstellen, das sich in mehreren Einzelportraits bedeutenden europäischen Denkern des 20. Jahrhunderts widmet. Lilla ist seit einiger Zeit Professor am „Committee on Social Thought“ an der Universität von Chicago. Vor allem aber ist er ein engagierter Kommentator des intellektuellen Lebens, der dem amerikanischen Publikum in längeren Essays für die „New York Review of Books“ oder das „Times Literary Supplement“ europäisches Denken nahe bringt. Für die „New York Review of Books“, die auch über einen eigenen Buchverlag verfügt, hat Lilla nun sieben dieser Essays zu einem Sammelband vereinigt. In sechs Kapiteln werden das Freundestrio Martin Heidegger / Hannah Arendt / Karl Jaspers sowie Carl Schmitt, Walter Benjamin, Alexandre Kojève, Michel Foucault und Jacques Derrida behandelt, ein abschließendes Kapitel geht grundsätzlich auf das Verhältnis von Intellektuellen und Politik ein. Obwohl diese Kapitel als einzelne Besprechungsessays entstanden und demnach als Auseinandersetzung mit einzelnen Neuerscheinungen angelegt sind, ergänzen sie sich doch sehr gut zu einer Gesamtabhandlung, da Lilla in allen Fällen die gleiche Grundfrage an seinen Gegenstand richtet, nämlich die nach der politischen Versuchung der Intellektuellen. Zudem erweist sich die vergleichende Perspektive auf deutsche und französische Intellektuelle als glücklicher Zugriff, da er erlaubt, über die Beteiligung einzelner Intellektueller an spezifisch nationalen politischen Projekten hinaus die grundsätzliche Frage nach den Antriebskräften des intellektuellen Engagements in der Politik zu stellen.

Das erste Kapitel über die philosophische Dreiecksbeziehung zwischen Martin Heidegger, Hannah Arendt und Karl Jaspers stützt sich in erster Linie auf deren in den letzten Jahren veröffentlichte Briefwechsel. In besonderem Maße geht es dabei um die jeweilige Haltung, die Arendt und Jaspers gegenüber Heideggers NS-Engagement eingenommen haben. Gleichzeitig spiegelt diese Beziehungsgeschichte aber auch Lillas eigene Einstellung zu den in seinem Buch behandelten Denkern. Denn wie er im knappen Vorwort freimütig bekennt, fühlte er sich von ihrem Denken durchaus angezogen, nur dass im Laufe der Beschäftigung mit ihnen auch die Enttäuschung über ihre politische Unzuverlässigkeit wuchs. Dieses Gefühl der Enttäuschung, ja des Betrogenseins findet Lilla auch bei Arendt und Jaspers, die in Heidegger beide den größten Philosophen des 20. Jahrhunderts sahen und sich bemühten, sein politisches Handeln zu verstehen, ohne es letztlich entschuldigen zu können. Während Arendt aber schließlich den in ihren Augen bestehenden Hiatus zwischen Heideggers Philosophie und seinem politischen Handeln akzeptierte und die Beziehung zu ihm bis zu ihrem Tod aufrechterhielt, brach Jaspers den Kontakt nach einem gescheiterten Verständigungsversuch Anfang der 1950er Jahre ab, da er Heidegger seine politische Verstocktheit nicht durchgehen lassen konnte. Lilla lässt keinen Zweifel daran, dass er Jaspers’ Haltung für die konsequentere hält. Dennoch ist seine Darstellung dieser Beziehungsgeschichte auch in Bezug auf Arendts und Heideggers Anteil um Fairness bemüht, und auf Lilla selbst trifft zu, was er im zweiten Kapitel der Untersuchung von Heinrich Meier über Carl Schmitt attestiert, nämlich „morally analytical without moralizing“ (S. 75) zu sein.

In diesem Kapitel über Schmitt folgt Lilla weitgehend der Argumentation von Meier 2 und betont gegenüber den rechten wie linken Anhängern Schmitts, die sich auf ihn als einen realpolitischen Verfassungstheoretiker oder illusionslosen Liberalismuskritiker berufen, die theologische, ja theokratische Fundierung seines dezisionistischen Denkens. Im Licht dieses Blicks auf Schmitt als politischem Theologen erscheint auch dessen virulenter Antisemitismus als zentraler Bestandteil seines intellektuellen Glaubenssystems, womit Lilla in der aktuellen Schmittdiskussion der Position von Raphael Gross zustimmt 3.

Um das theologische Denken geht es auch im Kapitel über Walter Benjamin, in dem Lilla bemüht ist, Benjamin mit Gershom Scholem gegen seine Vereinnahmung durch den Marxismus zu verteidigen. Benjamins eigentliche intellektuelle Antriebsfeder sei seine religiöse Grundhaltung und seine messianische Heilserwartung gewesen, und die (zeitweilige) „Konversion“ zum Marxismus bzw. Kommunismus sei nicht inhaltlich begründet gewesen, sondern Resultat einer voluntaristischen Entscheidung. Nicht zufällig betont Lilla hier die Nähe zu Carl Schmitt, dem Benjamin noch 1930 ein Widmungsexemplar seines Trauerspiel-Buchs zukommen ließ. Anders als Schmitt habe sich Benjamin aber nicht eindeutig einer politischen Seite verschrieben, sondern sich in einem „intellectual no man’s land“ (S. 103) befunden, in dem die Spannung zwischen Theologie und Politik unaufgelöst blieb.

In den folgenden drei Kapiteln über Alexandre Kojève, Michel Foucault und Jacques Derrida wendet sich Lilla dann dem französischen Denken der zweiten Jahrhunderthälfte zu. Während er im Falle Kojèves und Foucaults zwei neuere Biographien zum Ausgangspunkt seiner Darstellung macht 4, sind es bei Derrida dessen eigene Veröffentlichungen der 1990er Jahre. Kojève fällt am ehesten aus dem Kontext der übrigen Autoren heraus, da er sich keinem politischem Extremismus verschrieb, sondern in der vierten und fünften Republik als Berater der französischen Regierung auf die Stärkung Frankreichs und Europas gegenüber den ‚Extremen’ USA und UdSSR drängte. Lilla kann im Anschluss an Dominique Auffret zeigen, inwieweit Kojèves politisches Engagement aus seiner philosophischen Überzeugung geboren wurde, dass die Geschichte und damit auch die Philosophie mit Hegel zu Ende gegangen sei und dass es seitdem nur noch darum gehe, den Übergang zum universalen Staat zu organisieren. Lillas Dramatisierung von Kojèves „philosophical neutrality“ (S. 124) zur moralischen Indifferenz, die ihn wohl auf eine Ebene mit den übrigen Denkern bringen soll, kommt am Ende des Kapitels aber etwas unvermutet und kann nicht wirklich überzeugen.

Das am Wenigsten überzeugende Kapitel ist allerdings das über Foucault. Denn im Anschluss an James Miller stellt Lilla Foucault in erster Linie als „irresponsible Nietzschean“ (S. 151) dar, dessen zentraler Antrieb zum intellektuellen wie politischen Engagement seine sado-masochistischen Obsessionen gewesen seien. Auch wenn es durchaus gerechtfertigt ist, Foucault an seinem eigenen Anspruch einer Verbindung von Leben und Werk zu messen, so ist es doch ein bisschen zu wenig, seine Geschichte nur als ein mahnendes Beispiel dafür zu nehmen, „what happens when an essentially private thinker, struggling with his inner demons and intoxicated by Nietzsche’s example, projects them out onto a political sphere in which he has no real interest and for which he accepts no real responsibility“ (S. 158). Dieser etwas unduldsame Ton setzt sich im Kapitel über Derrida fort, in dem allerdings auch deutlicher wird, woher Lillas Neigung rührt, ausgerechnet mit Foucault und Derrida schärfer ins Gericht zu gehen als mit Heidegger oder Schmitt. Denn während Schmitt und Heidegger politisch eindeutig diskreditiert sind, setzt sich die Rezeption von Foucault und Derrida im von Lilla so bezeichneten „academic postmodernism“ (S. 163) Amerikas ungetrübt fort. Dass sie aber als politische Leitfiguren in einem liberalen Gemeinwesen wenig taugen, kann Lilla durchaus überzeugend nachweisen.

Bei Derrida tut er das anhand von dessen neueren politischen Veröffentlichungen, mit denen Derrida ein langes politisches Schweigen brach. Denn wie Lilla ebenfalls überzeugend darstellt, bestand die entscheidende Neuerung des (post-)strukturalistischen Denkens zunächst Lévi-Strauss’ und dann Derridas auf der politischen Ebene gerade darin, sich von der „philosophie engagée“ Sartres verabschiedet und an ihrer Stelle ein posthumanistisches Denken etabliert zu haben, das die Sprache und die Kategorien des Politischen selbst dekonstruierte. Dass das Reden von der Differenz im Kontext des Postkolonialismus eine politische Funktion erfüllte, ändert nichts daran, so Lilla, dass es selbst keine politischen Kategorien beinhaltet. Wenn Derrida aber nun versucht, in seiner „Politik der Freundschaft“ 5 das Konzept der Gerechtigkeit als letzte nicht-dekonstruierbare und damit höchste Idee einzusetzen, so argumentiert Lilla mit Recht, dann kann das nicht mit den Mitteln des Dekonstruktivismus begründet werden und erscheint als willkürliche Setzung, die messianische Züge trägt. Diese Kritik an der politischen Beliebigkeit wendet Lilla auch gegen den „academic postmodernism“, der „long on attitude and short on argument“ (S. 163) sei.

Mit dieser Kritik an der Art und Weise, in der der Relativismus der Postmoderne die Kriterien politischer Unterscheidung freiwillig aus der Hand gegeben habe, offenbart sich Lilla als Liberaler republikanischer Prägung, der die Aufgabe des öffentlichen Denkers vor allem in der Wahrung der politischen Urteilskraft sieht. In seinem letzten Kapitel über „The Lure of Syracuse“ geht er allerdings nicht von der Frage nach der Rolle des Intellektuellen im demokratischen Gemeinwesen aus, sondern von der Frage nach dem Verhältnis des Intellektuellen zum (tyrannischen) Herrscher. Sein zentraler Bezugspunkt ist dabei die Geschichte von Platon, der im vierten Jahrhundert vor Christus den (gescheiterten) Versuch unternahm, den Herrscher von Syrakus philosophisch zu beraten und zu lenken. Lilla geht allerdings davon aus, dass sich Platon grundsätzlich vom „philotyrannical intellectual“ (S. 197) des 20. Jahrhunderts unterscheide, da er den Herrscher tatsächlich habe läutern wollen, während sich die modernen Intellektuellen als „the tyrant’s servile flatterers“ (S. 211) der politischen Herrschaft angedient hätten. Lilla gibt mit Verweis auf die ungleiche Entwicklung in Deutschland und Frankreich zu Recht zu bedenken, dass weder ein rein geistesgeschichtlicher (Aufklärung vs. Irrationalismus) noch ein sozialgeschichtlicher Ansatz (engagierte Intellektuelle vs. untertänige Mandarine) wirklich erklären könne, dass sich in beiden Ländern so viele Philosophen, Schriftsteller und Künstler politischen Totalitarismen verschrieben haben. Sein eigener Erklärungsansatz kann aber leider auch nicht wirklich überzeugen. Denn wiederum im Rückgriff auf Platon geht er von der Gleichartigkeit des psychologischen Antriebs („urge“) aus, der manche Menschen zum Herrschen und andere zum Philosophieren antreibe und der sich zum Guten wie zum Bösen entwickeln könne. Da Philosophie und Tyrannei auf diese Weise miteinander verwandt seien, bedürfe es auf Seiten der Intellektuellen einer steten „self-awareness“ (S. 214) und einer „exercise of intellectual self-control“ (S. 212), welche die philotyrannischen Intellektuellen hätten vermissen lassen. Gleichzeitig erlaube aber diese Verwandtschaft auch dem heutigen denkenden Menschen, die „deeper internal forces at work in the philotyrannical mind“ (S. 215) zu verstehen, da sie auch in ihm selbst noch am Werk seien. „Tyranny is not dead, not in politics and certainly not in our souls. [...] If our historian really wants to understand the trahison des clercs, that is where he, too, must look: within.“ (S. 216)

Gegen diese Idee vom philotyrannischen Intellektuellen im 20. Jahrhundert und in uns selbst ist einiges einzuwenden. Nicht nur ist die Vorstellung einer quasi-anthropologischen Veranlagung des Menschen zur korrumpierbaren Leidenschaft als historische Erklärung wenig aussagekräftig. Es ist auch fraglich, ob der Begriff der Philotyrannei das Problem des politischen Intellektuellen im 20. Jahrhundert wirklich adäquat beschreibt. Denn Lilla vernachlässigt in seinem letzten Kapitel selbst die Unterschiede, die zwischen den von ihm beschriebenen Fällen in Deutschland und Frankreich bestehen. Letztlich waren es eben nur Heidegger und Schmitt, die wirklich mit einem „tyrannischen“ Regime kollaborierten, während weder Benjamin, noch Kojève, Foucault oder Derrida als philotyrannische Intellektuelle im strengen Sinn verstanden werden können. Vielleicht hätte es sich für ein systematisierendes Schlusskapitel in höherem Maße gelohnt, die in den Einzelkapiteln ausgelegte Spur des religiösen und messianischen Denkens weiter zu verfolgen, das offenbar allen hier beschriebenen Denkern auf gewisse Weise gemeinsam war. Gerade weil Lilla in seinem Buch aber mehr Einsichten liefert und Fährten auslegt, als er selbst mit dem Begriff des philotyrannischen Intellektuellen wieder zusammenführen kann, ist es so anregend zu lesen und lohnt die intellektuelle Auseinandersetzung.

Anmerkungen
1 Vgl. Daniel Morat: Intellektuelle in Deutschland. Neue Literatur zur intellectual history des 20. Jahrhunderts, in: Archiv für Sozialgeschichte 41 (2001), S. 593-607.
2 Vgl. Heinrich Meier: Die Lehre Carl Schmitts. Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie, Stuttgart / Weimar 1994. (Engl.: The Lesson of Carl Schmitt. Four Chapters on the Distinction between Political Theology and Political Philosophy, Chicago 1998.); ders.: Carl Schmitt, Leo Strauss und „Der Begriff des Politischen“. Zu einem Dialog unter Abwesenden, Stuttgart 1988. (Engl.: Carl Schmitt und Leo Strauss. The Hidden Dialogue, Chicago 1995.)
3 Vgl. Raphael Gross: Carl Schmitt und die Juden, Frankfurt am Main 2000.
4 Vgl. Dominique Auffret: Alexandre Kojève. La philosophie, l’état, la fin de l’histoire, Paris 1990; James Miller: The Passion of Michel Foucault, New York 1993. (Deutsch: Die Leidenschaft des Michel Foucault, Köln 1995.)
5 Vgl. Jacques Derrida: Die Politik der Freundschaft, Frankfurt am Main 20

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