I. Palladino u.a.: Johann Weichard von Valvasor

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Titel
Johann Weichard von Valvasor (1641-1693). Ein Protagonist der Wissenschaftsrevolution der Frühen Neuzeit. Leben, Werk und Nachlass


Autor(en)
Palladino, Irmgard; Bidovec, Maria
Erschienen
Anzahl Seiten
208 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Giesen, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Die Literaturwissenschaftlerinnen Irmgard Palladino und Maria Bidovec möchten mit ihrer Studie der deutschen Forschung einen bisher weitgehend unbekannten slowenischen Naturforscher, Ethnologen, Zeichner, Kartografen und Verleger vorstellen. In dem ansprechend illustrierten Band kommen die Autorinnen diesem zentralen Anliegen überzeugend nach und bieten eine grundlegende Einführung in das Leben und Werk respektive den Nachlass des slowenischen Freiherrn und Universalgelehrten Johann Weichard von Valvasor.

Valvasors Vorfahren waren im 16. Jahrhundert im Rahmen von Handelstätigkeiten aus Norditalien in das Herzogtum Krain übergesiedelt. Aufgrund ihres wirtschaftlichen Erfolgs gelang der Familie bald die Aufnahme in die Krainer Adelsgesellschaft. Johann Weichard von Valvasor wurde vermutlich 1641 in Laibach (slowenisch Ljubljana) in vermögenden Verhältnissen geboren. Nach seiner Schulzeit in Laibach führten ihn mehrere Kavalierstouren und Reisen in Verbindung mit freiwilligen militärischen Diensten nach Deutschland, Italien, Spanien, England, Frankreich und Dänemark bis hin nach Afrika. Valvasor sah in diesen Reisen eine Alternative zur universitären Ausbildung. Sein Wissenserwerb erfolgte auf Eigeninitiative, motiviert durch seine rastlose „Curiositet, oder Wiß- und Erfahr-Lust“ (S. 29).

In der Folge schuf Valvasor in seiner Residenz Schloss Wagensberg das bedeutendste Kunst- und Wissenschaftszentrum der Krain mit einem alchemistischen Laboratorium und der ersten Kupferdruckwerkstatt des Landes. Der Kupferstich spielte im 17. Jahrhundert eine zentrale Rolle für die Entwicklung von visuellen Formen der Wissensvermittlung, denn er ermöglichte den zuverlässigen Druck von detaillierten Grafiken und Illustrationen. Zu den frühesten Wagensperger Veröffentlichungen gehören zwei große topografische Werke mit zahlreichen Abbildungen von Städten, Märkten und Schlössern der Krain – von Valvasor gezeichnet und durch seine Mitarbeiter in Kupfer gebracht. Valvasor war es ein wichtiges Anliegen, sein Vaterland auch im Ausland bekannt zu machen, nachdem ihm auf seinen Reisen der geringe Kenntnisstand über die Krain aufgefallen war.

Ausgiebige landschaftliche Erkundungen im ganzen Herzogtum und intensive Recherchen in den Landesarchiven bildeten die Basis für Valvasors „Ehre Deß Hertzogthums Crain“. Die vierbändige, mit mehr als 500 Kupferstichen illustrierte historisch-topografische Landesbeschreibung entstand unter maßgeblicher Beteiligung des aus Lübeck stammenden Lektors und Kompilators Erasmus Francisci und erschien 1689 in Nürnberg. Die vorliegende Studie enthält einen guten Überblick über dieses enzyklopädische Hauptwerk Valvasors und zeigt seine immense inhaltliche Breite auf, die von der Geschichte und Sprache sowie den Sitten und Gebräuchen der Krainer Bevölkerung über die Berge, Flüsse, Seen, Klima, Pflanzen, Tiere, Bergwerke und Mineralien des Landes bis zu den katholisch-protestantischen Konflikten, den Verfassungs- und Verwaltungseinrichtungen und der Geschichte der Herzöge und Adelsgeschlechter im Herzogtum reicht. Besondere Berücksichtigung fand außerdem die Unterwelt der Krain, die aufgrund spezifischer geologischer Bedingungen zu den höhlenreichsten Gebieten Europas gehört und mit dem Zirknitzer See über das größte periodische Karstgewässer des Kontinents verfügt. Für die komplexen hydrografischen Vorgänge des Zirknitzer Sees, dessen Wasserspiegel in Abhängigkeit vom Niederschlag auf mehrere Meter oberhalb des Seebodens ansteigen oder in eine Tiefe von bis zu zwanzig Metern unter den Grund abfallen kann, entwickelte Valvasor eine eigene Hebertheorie. In der Landesbeschreibung versuchte er das für den Zu- und Ablauf des Wassers verantwortliche Höhlen- und Röhrensystem in Form von Diagrammen bildlich darzustellen.

Valvasor verdankte seiner ausführlichen Exploration und Beschreibung des Zirknitzer Sees die Aufnahme in die Royal Society, mit der er seit 1685 in Briefkontakt stand. Besondere Beachtung fand auch sein im Rahmen von alchemistischen Forschungen entwickeltes Feingussverfahren, das die Royal Society 1687 in den Philosophical Transactions einem weiteren europäischen Bildungspublikum vorstellte, sowie seine kartografischen Werke. Die Londoner Gelehrtengesellschaft lobte Valvasors geografische Karten des Herzogtums Krain, von Kärnten und Kroatien, forderte ihn aber zugleich auf, die Längenangaben auf seinen Karten, an deren Genauigkeit zum Teil Zweifel bestanden, nochmals zu überprüfen.

Für die wissenschaftliche Kommunikation insgesamt machte die Royal Society Valvasor die epistemologische Vorgabe, allein diejenigen Dinge als wahr und glaubwürdig darzustellen, die er aus eigener Erfahrung als sicher und zweifellos ermittelt habe, und die von anderen Personen erhaltenen Informationen deutlich als Gehörtes zu kennzeichnen. In Valvasors Arbeiten zeigt sich darüber hinaus eine deutliche Hierarchie in Bezug auf die Glaubwürdigkeit von Augenzeugenberichten. Neben der Anzahl der Erzählungen waren der soziale Stand und das Geschlecht des Augenzeugen entscheidend: Adeligen glaubte man mehr als Bauern, Männer galten als vertrauenswürdiger als Frauen und Geistliche als überzeugender als Weltliche. Obwohl Valvasor für seine wissenschaftlichen Leistungen gesellschaftliche Anerkennung fand, trieben ihn die Kosten seiner Forschungsaktivitäten und publizistischen Tätigkeiten letztlich in den finanziellen Ruin.

Palladino und Bidovec heben immer wieder den privilegierten Stellenwert hervor, den der slowenische Gelehrte entgegen der früheren Wissenschaftspraxis der eigenen Inaugenscheinnahme seiner Forschungsobjekte (Autopsie) beigemessen habe. Valvasor habe in der allmählichen Überführung von alchemistischen Praktiken in eine von Francis Bacons Novum Organum inspirierte, empirisch-experimentell gestützte Chemie „engagiert Partei“ ergriffen (S. 36). Neben seinem „empirischen Furor“ habe er sich auch des tradierten Buchwissens bedient und kompiliert, dies aber nicht kritiklos getan, sondern immer im Vergleich mit eigenen Beobachtungen oder Augenzeugenberichten. Sein Umgang mit der schriftlichen Überlieferung sei ein „im modernen Sinn textkritischer“ gewesen (S. 51). Valvasor wird neben diesen fortschrittlichen Wissenschaftsmethoden eine besonders kritische Haltung gegenüber Mirakeln oder magischen Erscheinungen attestiert. Selbst bei den merkwürdigsten Phänomenen habe er noch versucht, die kausalen Ursachen herauszufinden, im Gegensatz zu Francisci etwa, der – „tief im Hexen- und Teufelsglauben befangen“ – bei wundersamen Ereignissen a priori Gespenster oder böse Geister als Urheber vermutet habe (S. 99f.).

Das deutsch-slowenische Autorinnenteam verortet Valvasors Leben und Werk in allen einschlägigen wissenschaftshistorischen Kontexten. Als Quellengrundlage dienen den Autorinnen im Wesentlichen Selbstzeugnisse aus dem enzyklopädischen Hauptwerk und Briefwechsel mit der Royal Society. Die Selbstzeugnisse bieten zuverlässige Informationen über Valvasors Selbstwahrnehmung als Wissenschaftler, verleiten die Autorinnen jedoch mitunter zu einer etwas euphorischen Einschätzung seiner wissenschaftlichen Leistungen. Immerhin gab es in Europa schon zu Valvasors Lebzeiten viele Universalgelehrte, die neben der traditionellen Auseinandersetzung mit dem überlieferten Wissen zunehmend auch empirische Methoden zur Wissensgenerierung entwickelten und anwandten. Der Zürcher Naturforscher und Kartograf Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733) schließlich, dem seit einiger Zeit in der Forschung größere Beachtung geschenkt wird, sollte im Rahmen seiner naturkundlichen Forschungsaktivitäten sogar aufwendige Reisen in den Alpenraum und die Besteigung mehrerer Voralpengipfel nicht scheuen.1 Durch einen stärkeren komparatistischen Einbezug von weiteren Universalgelehrten des 17. Jahrhunderts hätte die Studie Valvasors Bedeutung als „Protagonist der Wissenschaftsrevolution der Frühen Neuzeit“ durchaus etwas ausgewogener und differenzierter erfassen können.

Eine andere vielversprechende Erweiterung der Valvasor-Forschung bietet die von den Autorinnen angeregte intensive Untersuchung des Nachlasses, in den der dritte, abschließende Teil der Studie einführt. Dank günstiger Umstände sind große Teile von Valvasors Forschungsapparat weitgehend im Originalzustand erhalten geblieben. Dazu gehört eine 18-bändige grafische Sammlung mit zahlreichen Holzschnitten, Kupferstichen, Aquarellen, Bleistift- und Federskizzen von Valvasor und vielen anderen Künstlern aus unterschiedlichen Ländern sowie mit Hunderten von illustrierten Flugblättern und Einblattdrucken. Aus naturwissenschaftshistorischer Perspektive ragt der 18. Band der Sammlung hervor, der mehr als 200 wissenschaftlich-illustrative Aquarelle der Krainer Flora und Fauna enthält. Valvasors Forschungsbibliothek mit mehr als 2.500 Buchtiteln umfasst neben den einschlägigen astronomischen, mathematischen, geografischen und anderen naturkundlichen Schriften Chroniken, staatsrechtliche Literatur, Kalender, enzyklopädische Werke, Genealogien, Dämonologie- und Prodigienliteratur sowie Instrumentenbücher, Schriften zur Heraldik usw. Allein die Anlage und Zusammenstellung der Bibliothek lassen, wie die Autorinnen selbst anmerken, noch keine wesentlichen Rückschlüsse auf die Lektürepraxis des Inhabers zu, weil Buchbesitz nicht nur Ausdruck wissenschaftlichen Interesses, sondern auch Statussymbol und vor allem in Adelskreisen Kennzeichen des Standesbewusstseins war. Weiterführende Hinweise auf die Benutzung und den wissenschaftlichen Umgang mit der Literatur verspricht hingegen die wünschenswerte genaue Untersuchung der Gebrauchsspuren (Unterstreichungen, Randnotizen) in den Büchern.

Anmerkung:
1 Siehe hierzu den Bericht über die Scheuchzer-Tagung vom 26.-28.04.2007. In: Mitteilungen des Vereins für Bündner Kulturforschung/Instituts für Kulturforschung Graubünden 2008, S. 22–27, <http://www.kulturforschung.ch/VBK_Mitteilungen_2008.pdf> (05.04.2009). Ein Konferenzband ist in Vorbereitung.

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