Isensee, Josef Tabu im freiheitlichen Staat Das Paradies ging der Menschheit verloren, doch die verbotenen Bäume blieben ihr erhalten. Die Aufklärung, die antrat, alle Verbote zu beseitigen, die das Erkenntnisstreben hindern, und alle Schranken der Freiheit aufzuheben, die sich nicht zweckrational rechtfertigen lassen, errichtet, sobald sie gesiegt hat, ihre eigenen Denk-, Rede- und Handlungsverbote, um ihre Errungenschaften gegenüber den Verstockten und Aufklä-rungsresistenten abzusichern. Die liberale Demokratie versteht sich als Staat ohne Tabus. Doch verhindert sie nicht, daß auf dem Boden der grundrechtlichen Freiheit gesellschaftliche Tabus spries-sen. Sind Staat und Gesellschaft auch heute angewiesen auf Normen, die nicht hinterfragt werden dürfen, Gegenstände, die sie mit Scham umgeben, Werte, die ihnen heilig sind?
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