4 Das Erleben der WM: neue Erfahrungen

4.1 Das WM-Erleben in Korea: ein neues Selbstbewusstsein

4.1.1 Alle werden eins

4.1.1.1 Die WM – eine historische Erfahrung

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„Wenn ich zurückblicke, war dieser eine Monat, der Juni 2002, die Zeit, in der wir seit [der Zeit des mythischen Gründungsvaters] Tan’gun am glücklichsten waren. Dass 48 Millionen Menschen [..] dieses Glück ohne ein Gefühl der Entfremdung spüren konnten, war eine noch viel größere Freude. Kein Koreaner hätte sich vorstellen können, dass ein solcher Zustand der Erregung das ganze Volk einen Monat lang ergreift.“386

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„,Taehan Mi n’g uk 387, klatschklatschklatsch klatschklatsch ...’ Das Anfeuern bei dieser WM, das von den Roten Teufeln angeleitet wurde, hat innerhalb und außerhalb der Stadien das ganze Land in einen Schmelztiegel der Erregung getrieben, es hat ein Einheitsgefühl gestiftet und ein starkes Motiv geboten. Auch wenn man zurückblickt, wann haben wir jemals aus eigenem Antrieb (ein organisiertes Bemühen hat es zwar partiell gegeben) ein solches Einheitsgefühl geteilt? Es ist ein historisches Ereignis. Es ist eine historische Konzentration von Energie.“388

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„Wenn man einmal die traurige Tatsache der Teilung beiseite lässt, dann steht das Gefühl dieses Tages, an dem dieses Volk vollkommen durch Begeisterung und Freude als eins vereint wurde, in meinem Leben gleich nach dem Tag, an dem wir von der Fessel der japanischen Kolonialherrschaft befreit wurden.“389

So und in ähnlichen Worten beschrieben viele Koreaner ihr Erleben der Fußballweltmeisterschaft.

4.1.1.1.1 Das Gefühl der Einheit und Einigkeit

Die Sorgen, die vor dem Anpfiff den Diskurs bestimmten, erwiesen sich nicht nur als unbegründet, sie verwandelten sich sogar in ihr Gegenteil. Die WM war für Südkorea ein Erfolg, der alles bisher Erlebte übertraf. Der unerwartete Einzug der Nationalmannschaft ins Halbfinale, durch den die eigentliche Sensation der WM, ihr hoch emotionales Erleben, erst ermöglicht wurde, ergänzte die erfolgreiche Organisation.390Der Siegeszug der Mannschaft begann mit dem 2:0-Sieg gegen die als überlegen eingeschätzten Polen am 4. Juni 2002. Die Roten Teufel, eine koreanische Fußball-Fangruppe, die sich das Etablieren organisierten Anfeuerns in roten T-Shirts zur Aufgabe gemacht hatte, leitete die Fans und Zuschauer, deren Zahl schnell in die Hunderttausende ging, beim Anfeuern an. Der Erfolg der Nationalmannschaft und die Begeisterung der Massen setzten ungeheure Emotionen frei, denen sich ein großer Teil der Bevölkerung hingab. Im Anfeuern und Mitfiebern um den Aufstieg der Mannschaft verband ein Gefühl der Einigkeit die Nation. Nicht der vierte Platz, den Korea erreichte, sondern die Erfahrung der Einheit und Einigkeit aller wurde als das wertvollste Ergebnis der WM 2002 angesehen:

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„Politische Konflikte, regionale Konflikte usw., ungeachtet der zahlreichen Konfliktfaktoren, die in unserer Gesellschaft bestehen, entfaltete die WM eine zauberhafte Kraft, die unser Volk ohne Unterschied, ob Mann oder Frau, alt oder jung, arm oder reich, hoch oder niedrig, zu einem vereinte. Mehr als nach außen sichtbare Erfolge oder Ergebnisse, die man in Zahlen berechnen kann, mehr als alles andere werden die Erfahrung und die Freude, dass wir im Innern verschmolzen sind und dass das ganze Volk eins geworden ist, ein großes Resultat [der WM] sein.“391

Nicht nur Yi Yŏn-t’aek, einer der ehemaligen Präsidenten des Organisationskomitees, war dieser Meinung. In unzähligen Beiträgen berichteten Bürger von ihren Erlebnissen, analysierten Journalisten und Experten die Situation und verarbeiteten auf diese Weise die ungeheure Erfahrung. Immer stand das überwältigende Gefühl des Einswerdens aller im Mittelpunkt. In der Juliausgabe der WC erschien unter dem Titel „Die WM – Eine Erfahrung der Kollektivität: Leidenschaftliche Umarmung zwischen mir und Taehan Min’guk – Die schönsten Momente in unserem Leben – Wir waren dabei – Wir sind eins geworden [...]392eine Berichtsammlung, aus der die folgenden Zitate entnommen sind:

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„Die koreanisch-japanische WM war [...] schon allein dadurch eine große Freude, dass wir uns des wertvollen Gutes versichert haben, dass unser Volk, egal wann, für sein Land eins werden kann. Unabhängig vom Ergebnis denke ich, dass allein schon [die Tatsache], dass die 40 Millionen unseres Volkes durch die koreanisch-japanische WM etwas gemeinsam tun konnten, eine glückliche Sache ist“,

schrieb der 53-jährige Baseball-Kommentator Ha Il-sŏng.393Der 50-jährige Ha Sang-jin, Vertreter des Vereins der Heimatfreunde, Chinju, Provinz Kyŏngnam, betonte:

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„Ich mag es nicht, wenn man die WM nach ökonomischer Logik denkt. Schon allein in der Bestätigung, dass wir eins sind, liegt genug Wert. Jetzt, wo wir entdeckt haben, wie wertvoll es ist, eins zu werden, bleibt nur noch übrig, schnell zu lernen, wie man bei allem anderen eins wird.“394

Die Erfahrung der Einheit als Nation wurde betont. Dabei ging es nicht um eine interkulturelle Erfahrung. Es ging nicht darum, dass Einheimische und internationale Gäste gemeinsam die WM erlebten, sondern es ging um das Gefühl der Koreaner, sich als ein Volk erfahren zu haben. Unter dem Ruf „Taehan Min’guk“ fanden die WM-Fans zusammen und definierten die Republik Korea (Taehan Min’guk) neu.

4.1.1.1.2 Die WM als Katalysator

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Auf die Frage, woher die ungeheuren Emotionen kamen, wurde allgemein geantwortet, dass sich im Laufe der bewegten koreanischen Geschichte und in der konfliktreichen Gegenwart Frustration angestaut habe, die sich bei der Gelegenheit der WM endlich habe Luft machen können. Als Quelle der Frustration wurde auf eine Auswahl verschiedener Erfahrungen verwiesen, wie z.B. die Kolonialzeit, den Koreakrieg, die Teilung des Landes, das Leben unter der Militärdiktatur, die atemberaubende Geschwindigkeit der Modernisierung oder die Wirtschafts- und Währungskrise Ende der 1990er Jahre. Nach dem Spiel Senegal-Uruguay am 11. Juni 2002 sagte beispielsweise ein Vorstandsmitglied eines großen Konzerns beim Verlassen des Stadions: „Es ist so, als ob unsere Leute die ganze Währungskrise, die ganze Fäulnis, die ganze Politik, all die Dinge, die uns die ganze Zeit gequält haben, während dieser WM auflösen wollten.“395Der Chefredakteur der WC, Cho Kap-che, brachte die WM-Erfahrung in einen Zusammenhang mit der Nachkriegsentwicklung des modernen Südkorea: Die koreanische Mannschaft stürmte von Sieg zu Sieg und die Fans fragten sich:

„,Ist das wahr? Ist das wirklich?’, und konnten es nicht einmal selbst glauben. Während des vergangenen halben Jahrhunderts sind wir, das ärmste Land der Welt, aus den Stoßwinden und Trümmern des Krieges wieder auferstanden, und während wir liefen, haben wir ein Wirtschaftswachstum und eine Politikentwicklung in einem Maße erreicht, das uns selbst erstaunte. Es ist, als ob wir die Freude dieses Prozesses innerhalb eines Monats konzentriert erfahren haben.“396

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Angesichts der begeisterten Massen, die die öffentlichen Plätze überschwemmten, wurde in einem anderen Beitrag gefragt:

„Ist das Wahnsinn? Auch so eine Seite hat es wohl. Wenn man daran denkt, dass die Kirchen, die Schulen, die Familien und die Politik (das System der sozialen Wohlfahrt) sowie die Unternehmen, die das normale Gesellschaftssystem darstellen, die gegenwärtige Entfremdung in Südkorea nicht bewältigen und ausfüllen können, dann ist klar, dass man wird sagen können, dass die auf Gemeinschaft gerichtete Sehnsucht ein einmaliges Gruppenverhalten war, das durch das Anfeuern bei der WM hervorgebrochen ist.“397

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Die WM wirkte als Katalysator, der es den Menschen ermöglichte, angestaute Emotionen und Bedürfnisse hervorbrechen zu lassen und auszuleben. „Man wird das Auftreten der Roten Teufel als etwas sehen können, das die Bedürfnisse, die in unserer Gesellschaft verdeckt waren, hervorbrechen ließ“, formulierte der Schriftsteller Yi Ch’ŏng.398Das Hervorbrechen der Emotionen war ein Akt der Befreiung, der auch als ritueller Reinigungsprozess beschrieben wurde:

„Heute habe ich den ganzen Tag den Anfeuerungsruf ,Taehan Min’guk’, der aus dem Fernseher kam, gehört und ich habe wieder und wieder das wunderbare Tor, das im Spiel gegen Portugal geschossen wurde, gesehen. Ich war ganz erfrischt. Mein Erfrischt-Sein war etwas, das darüber hinausging, dass es ein interessantes Spiel war, ein Spiel, das gute Laune macht, ein freudiges Spiel. Dieses Etwas war ein Katharsis-Mechanismus. Werden sich nicht angesichts dieser Begeisterung, die das aufgestaute Innere löst und Befriedigung gibt, die Sinne eines jeden beleben?“,

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fragte der Psychologe Yi Kŭn-hu.399Cho Nam-jun von der WC beschrieb diesen Mechanismus im Kontext der koreanischen Gefühlswelt des han 400und dessen Auflösung.

„Der Sieg gegen Polen am vergangenen 4. Juni, der uns die erste Teilnahme an der Hauptrunde seit einem halben Jahrhundert [beschert hat], ist ein Sieg, den [unsere] Nationalmannschaft mit ihren Tränen, ihrem Blut und ihrem Schweiß errungen hat. Es war ein ,Reinigungs-Ritual’ (kor. ssitkim- kut),401das das han unseres Volkes, in 48 langen Jahren nicht einmal gesiegt zu haben, gelöst hat. Noch kostbarer als der Sieg war, dass wir aus dem Verliererbewusstsein, beim Kraftfußball der europäischen Art keine Chance zu haben’ herauskamen und dass uns dieser Sieg das Selbstvertrauen gegeben hat, dass wir doch eine Chance haben.’“402

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Die Beschreibung dieses Erlebnisses mit Begriffen, die einerseits spezifisch für die koreanische Gefühlswelt sind (han) und andererseits auf die Wurzeln der koreanischen Kultur verweisen (schamanistisches Ritual kut), zeigen, welchen besonderen Einfluss die WM in Korea entfalten konnte. Der Hunger nach Anerkennung, die bisher verweigert wurde, die Genugtuung für jahrzehntelange Anstrengungen, die Überwindung von Komplexen, alle diese Bedürfnisse konnten endlich befriedigt werden. „Dadurch, dass Korea bei der WM 2002 erfolgreich war, wurde das Minderwertigkeitsgefühl, das es den entwickelten Ländern gegenüber hegte, überwunden“, fasste ein Beobachter zusammen.403 

4.1.1.1.3 Die Nationalmannschaft als Stellvertreter der Nation

Der Aufstieg der Nationalmannschaft ins Halbfinale führte allen vor Augen, dass Südkorea in der Lage ist, sich im internationalen Wettbewerb durchzusetzen. Stellvertretend für die ganze Nation bewies das Team, dass ein erfolgreiches Konkurrieren an der Weltspitze möglich ist. Der Entwicklungs- und Reifeprozess der Fußballmannschaft unter ihrem niederländischen Trainer Guus Hiddink symbolisierte die Entwicklung Südkoreas von einem Entwicklungsland zu einer modernen Nation. Indem die Nationalmannschaft ihren Erfolg auf die gleichen Tugenden gründete, die Korea seine Entwicklung ermöglicht hatten, wurde sie zu einer Verkörperung dieses nationalen Mythos Koreas, von der Gunther Gebauer spricht.404 Eiserner Wille und Opferbereitschaft gepaart mit Kraft, Energie und einer fundierten Grundausbildung führten zu einem unvorhergesehenen Erfolg in Südkoreas Nachkriegsentwicklung wie bei der Fußballweltmeisterschaft 2002. Der Siegeszug der koreanischen Mannschaft konnte die Menschen mitreißen, weil er mehr war als das erfolgreiche Bestehen in einem großen Turnier. Die Zuschauer durchlebten die Verwandlung von einer armen, vormodernen in eine hoch entwickelte Nation erneut, indem sie mit ihrer Mannschaft durch das Turnier gingen. Sie sahen in dem Erfolg der Mannschaft das Bild, das die Gesellschaft sich von sich selbst machte.

Hiddink hatte zu Beginn seiner Anstellung festgestellt, dass das Problem nicht darin liege, dass die asiatischen Spieler schwach seien, sondern darin, dass sie denken, sie seien schwach.405Das Potenzial war vorhanden, es fehlte aber die richtige Einstellung und die richtige Methode, um es zur vollen Entfaltung zu bringen. In diesem Punkt wurden im WM-Diskurs zahlreiche Parallelen zur gegenwärtigen südkoreanischen Gesellschaft gezogen, die sich so zusammenfassen lassen: Südkorea verfügt über das Potenzial, neben Ländern wie Japan auf der internationalen Bühne erfolgreich aufzutreten. Um den Beweis antreten zu können, bedarf es nur der Gelegenheit, das Potenzial voll entfalten zu können. Die WM war Gelegenheit und Beweis, für die Spieler ebenso wie für die Nation. Für Südkorea, das als Fußballnation auf der internationalen Bühne über wenig Reputation verfügte, war der Aufstieg der Mannschaft ins Halbfinale eine Sensation. Sie konnte beweisen, welches Potenzial in dem Land steckt und was es zu leisten imstande ist, wenn es seinen Willen kanalisieren und seine Fähigkeiten voll entfalten kann. In diesem Sinne wollten die Zuschauer am Spiel der Nationalelf erkennen, wie es um die koreanische Gesellschaft bestellt ist.406

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Aufgewertet wurde der Erfolg dadurch, dass Japan bereits im Achtelfinale ausschied. Korea hatte Japan in mehrfacher Hinsicht geschlagen: Die WM-Organisation verlief ohne Probleme, die Stimmung war besser und das Fußballteam war erfolgreicher.

Die WM-Fans identifizierten sich als Nation mit den Erfolgen der Nationalmannschaft. Daraus resultierte ein neues Selbstbewusstsein und ein neuer Stolz auf das, was Korea zu leisten in der Lage ist. Ein Redakteur der WC, Yi Hong, eröffnete seinen Artikel mit dem Resümee: „Die Fußballweltmeisterschaft im Juni hat viele Dinge verändert. Sie hat unserem Volk Selbstbewusstsein gegeben und es ist auch das Resultat der WM, dass wir uns noch einmal der Geisteshaltung vergewissern konnten: ,Es geht, wenn man will.’“407Das Leistungsprinzip, das Korea den rasanten Aufstieg von einem Entwicklungsland zu einer hoch entwickelten Industrienation ermöglicht hatte, war durch die schwere Wirtschaftskrise Ende der 1990er Jahre in Frage gestellt worden. Durch die WM konnte das Vertrauen, dass Leistung von Erfolg belohnt wird, wiederhergestellt werden.

Die WM ließ die Koreaner sich ihrer Stärken bewusst werden. Der nächste Schritt wird sein, das neue Bewusstsein so zu verinnerlichen, dass es nicht mehr der ständigen Bestätigung von außen bedarf. In den Worten des Sonderkorrespondenten der WC, der von Washington aus einen Blick auf seine Heimat im WM-Fieber warf, klang das so:

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„Aber noch berührender ist der Punkt, dass die WM, für Korea zu einer Gelegenheit der Bestätigung der eigenen Fähigkeiten’ geworden ist. Es scheint, dass Korea sich seine eigenen Fähigkeiten bestätigt hat und darüber selbst erstaunt ist. Jedenfalls hat Korea auch die Fähigkeit, in anderen Bereichen ohne Weiteres auf Platz vier oder drei der Welt zu kommen, aber ich weiß nicht, ob es diese Tatsache schon erkannt hat. Korea nach der WM wird wohl kein Land mehr sein, das Rekorde wie „Weltgrößter“ und „Bester in Asien“ aufstellt und unnütze Anstrengungen unternimmt, um die Anerkennung anderer zu bekommen.“408

Die WM vermittelte nicht nur neues Selbstbewusstsein, sondern auch neuen Stolz. Stolz zu sein auf die Tatsache, Koreaner zu sein, war für viele eine neue Erfahrung. „Ich denke, es war in den 60 Jahren meines Lebens das erste Mal, dass ich so stolz darauf war, in ,Korea’ geboren zu sein und dass ich solche Erfüllung gespürt habe“, gestand ein 61-jähriger WM-Fan.409 Auch ein Sportjournalist wies auf diese Veränderung hin: „[Die WM] löste bei den Leuten eine Welle überwältigender Gefühle aus, sodass Sätze wie: ,Ich bin stolz, in Korea geboren zu sein’, gar nicht mehr manieriert klangen.“410 Der Meinung war auch der Chefredakteur der WC, der seinen Artikel mit den Worten schloss: „Ich bin stolz auf Korea. Ich bin Korea dankbar.“411 

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Mit dem Erfolg bei der WM entwickelte sich nicht nur Vertrauen in und Stolz auf die Fähigkeiten Koreas, sondern das Land wurde als wichtig wahrgenommen. Ein Journalist der WC schrieb, er sei tief bewegt gewesen, als Freunde ihm zum ersten Sieg der koreanischen Mannschaft bei der WM, dem 2:0 gegen Polen, gratulierten: „Das war nicht nur aus Freude darüber, dass wir bei der WM den ersten Sieg erkämpft hatten. Es war vielmehr wegen des Stolzes, dass mein Land so groß geworden ist.’“412Durch die WM und die mit ihr verbunden Erfahrungen rückte in der Wahrnehmung vieler Koreaner ihr Land von der Peripherie ins Zentrum der Welt. Es war nicht nur „groß geworden“, sondern es „war der größte Gewinn [der WM], dass wir jetzt eine Hauptrolle [in] der Weltgeschichte haben und dass wir den Stolz eines würdevollen Weltbürgers bekommen haben“, schrieb Yi Yŏn-t’aek.413

4.1.1.1.4 Eine nachhaltige Entwicklung?

Das neue Selbstbewusstsein wurde als Zeichen eines neuen gesellschaftlichen Entwicklungsniveaus interpretiert. Dahinter stand die Annahme, dass sich im Spiel der Nationalmannschaft die Entwicklungen, die in der koreanischen Gesellschaft vor sich gingen, widerspiegelten.414Die Zeiten, in denen Korea sich aus einem Minderwertigkeitskomplex heraus ständig mit anderen vergleichen musste, seien vorbei, meinte der Psychologe Yi Kŭn-hu: 

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„Wie auch immer, durch den Aufstieg ins Achtelfinale bei dieser WM haben wir einen Anlass kreiert, sodass das Minderwertigkeitsgefühl, dass wir selbst uns so lange [mit anderen] verglichen haben, verschwindet. Und dass wir das Selbstbewusstsein bekommen haben, vorwärts zu gehen und es auch mit den Großmächten aufnehmen zu können, ist auch in der Hinsicht eine Freude, dass es ein wichtiger Wendepunkt der gesellschaftlichen Entwicklungsstufe geworden ist.“415

Der Erfolg der Mannschaft zeigte die Dynamik Südkoreas und die Richtung, in die das Land sich bewegte. „Der Einzug [..] ins Halbfinale hat die Vitalität Südkoreas gezeigt, mit der es sich ,vom Rand ins Zentrum’ bewegt“, interpretierte der Sonderkorrespondent der WC aus Washington.416 

Der Chefredakteur der WC, Cho Kap-che, erwartete, dass zu der Dynamik und dem Potenzial, das Südkorea gezeigt hatte, nun ein anderer Aspekt des Reifens hinzukommen müsse: Gelassenheit.

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„Diese WM hat viele Koreaner aus tiefstem Herzen die Tatsache fühlen lassen, dass ,wir jetzt nicht mehr Menschen sind, die am Rande stehen.’ Wenn das Selbstbewusstsein, dass wir die Kraft haben, unser Schicksal selbst bestimmen zu können, und die feste Überzeugung, dass wir im Zentrum des Laufes der Weltgeschichte stehen, uns ein wenig gelassener machen, wird unsere Gesellschaft den Weg zum Fortschritt einschlagen. Die Erfahrung der WM als ganzheitliche Lebenserfahrung, die die Grenzen des Sports übersteigt, wird unser Denken und die Entwicklung unserer Logik sehr verändern.“417

Als Ausdruck des erreichten Entwicklungsniveaus wurde von mehreren Beobachtern das vorbildliche Verhalten der koreanischen WM-Fans angeführt:

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„[...] unsere Anfeuerungskultur [ist] zur Gelegenheit geworden, die Welt mit dem Niveau der Kultur unserer Bürger bekannt zu machen. Dass wir eine reifere und leidenschaftlichere Anfeuerungskultur als die traditionellen Fußballgrößen Europa und Südamerika gezeigt haben, spielte eine entscheidende Rolle dabei, das Image unseres Landes zu verbessern“,

bestätigte Yi Yŏn-t’aek.418Deutlich wurde zwischen koreanischen und ausländischen Fans differenziert. Die WC zitierte den japanischen Doktoranden Koga Satoshi, der diesen Eindruck bestätigte:

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„Es ist bekannt, dass [...] unter den Roten Teufeln keiner war, der wie die ausländischen Hooligans vor lauter Begeisterung für das Spiel Krawall gemacht hätte. Es scheint, dass bei ihnen eine sehr gesunde Fankultur Gestalt angenommen hat, eine Gelassenheit, mit der sie das Spiel genießen, während sie sich selbst angemessen zurückhalten. Ich möchte hinzufügen, dass auch das Aufräumen des liegen gebliebenen Mülls nach dem Spiel zu dieser Kultur gehört.“419

Die WM verlief friedlich, es gab keine gewalttätigen Zusammenstöße und Zerstörungen und die koreanischen Fans sammelten nach dem Anfeuern den Müll selbst von den Straßen und Plätzen und unterstützten die überforderte Müllabfuhr.420 Im Stadion applaudierten sie nicht nur ihrem eigenen Team, sondern auch den gegnerischen Mannschaften und sie bekundeten ihnen sogar bei einem Sieg über das eigene Team Respekt. Cho Kap-che bestätigte:

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„Das Besondere der Leidenschaft dieser WM war, dass sie, ungeachtet eines ungeheuren Kollektiv-Charakters, auf gutem Willen basierte, vernünftig und entwickelt war. Es war keine Leidenschaft, um jemanden zu zerstören oder anzugreifen, es war eine Großherzigkeit, die das Vaterland liebt und doch das Ausland nicht kritisiert.“421

Nachdem die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft bravourös gemeistert worden war, galt es eine Antwort zu finden auf die Frage: „Was bleibt?“

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„Das ,Nach der WM’, das Korea verdauen muss, ist nicht die Niedergeschlagenheit, die sich nach dem Feiern eines großen Festes einstellt. [Korea] wird zeigen müssen, dass das bejahende Fieber, das es bei der WM erlebt hat, keine einmalige Ausnahme war“,

schrieb Kang In-sŏn.422In der Diskussion, ob und wie nachhaltig die WM-Erfahrung Wirkung entfalten würde, wurde häufig auf die Erfahrungen mit der Olympiade 1988 verwiesen. Mit deren Ausrichtung konnte nach der Meinung der Mehrheit der Beobachter langfristig gesehen in der Bevölkerung kein Potenzial freigesetzt werden, das die Entwicklung der Gesellschaft aktiv vorangetrieben hätte. Die Erwartungen an die WM 2002 waren deshalb hoch. Pak Se-jik, der nicht nur Präsident des Organisationskomitees für die WM 2002, sondern auch für die Olympiade 1988 gewesen war, wurde in einem Interview gefragt, ob er denke, dass die Energie des Aufbruchs, die bei der Olympiade hervorsprudelte, als Antriebskraft einer gesellschaftlichen Entwicklung genügend genutzt worden sei. Pak Se-jik antwortete:

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„Auf lange Sicht gesehen konnte sie nicht für die Entwicklung der Gesellschaft genutzt werden. Hier kam die Eigenschaft unserer Gesellschaft zum Tragen, dass wir wie ein Topf sofort kochen und sofort abkühlen. Durch die extremen Konflikte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und durch die Konflikte zwischen Politik und Gesellschaft verpuffte das Einheitsgefühl des Volkes und es konnte keine Gelegenheit geschaffen werden, dass die Energie des Volkes, die sich nach langer Zeit wieder verdichtet hatte, als Sprungbrett des Staates hätte genutzt werden können. Das war das Traurigste [an der ganzen Sache]. Den Grund hierfür kann man nur bei der Politik suchen. Wenn man die gegenwärtige Situation betrachtet, in der die Regierung wieder die Energie des Volkes, die durch die WM aufgebaut wurde, vergeudet, kann man sich denken, wohin das führt“,

prophezeite Pak Se-jik.423Auch Yi Yŏn-t’aek, der Nachfolger Paks im Amt des Präsidenten des Organisationskomitees, identifizierte die Politik als Gefahr für einen Anfang, noch bevor er begonnen hatte. Auf die Feststellung, dass viele Leute befürchteten, die Energie könnte wie nach den Olympischen Spielen 1988 ungenutzt verloren gehen, entgegnete er:

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„Das geht mir genauso. Besonders die Politik bereitet mir in dieser Hinsicht die größten Sorgen. Es wäre schön, wenn auch die Politik jetzt eine Politik würde, die Freude und Hoffnung gibt, die mit dem Leben der Menschen eng verbunden wäre, mit einem Wort, wenn es eine attraktive Politik werden würde. Aber wenn wir das, was wir [...] erreicht haben, nicht vergessen und als Entwicklungsmotor benutzen wollen, dann wird, wie auch immer, die Politik ein bisschen attraktiver werden müssen. In diesem Punkt ist die WM noch nicht zu Ende, sondern sie dauert immer noch an und man kann sagen, dass das wahre Spiel [erst] jetzt beginnt.“424

Der Chefredakteur der WC war guter Hoffnung, dass die Energie der Bürger genutzt werden könne, um Veränderungen herbeizuführen. „Bei der Olympiade in Seoul hat die Politik die Begeisterung der Menschen zerstört, aber diesmal wird die WM-Leidenschaft die Rückständigkeit der Politik zerstören.“425Der Charakter der Leidenschaft lege es diesmal nahe, dass „sie, auch wenn die WM zu Ende ist, nicht wie der Wind verweht.“426Cho Kap-che war optimistisch, denn

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„schöne Erinnerungen werden in schwierigen Zeiten und in Krisen zu einer Quelle des Mutes und der Entscheidung. Taehan Min’guk, das wie eine Mode herausgeschrien wurde, wird ab jetzt in unseren Herzen allmählich, aber beständig Wurzeln schlagen. Die leidenschaftliche Umarmung von uns und Taehan Min’guk wird sich nicht mehr auflösen. Und unser Traum, der Traum eines jeden Einzelnen, wird sich erfüllen. Sie, die Bürger, die Sie das koreanische Team die ganze Zeit unterstützt haben, treffen wir uns bei der nächsten WM auf dem Gipfel! We are still hungry!“427

4.1.1.2 Nationale Symbole, die Farbe Rot und neues Selbstbewusstsein

Das überwältigende Gefühl der Einheit wäre nicht in dem Ausmaß möglich gewesen, wenn es nicht Symbole gegeben hätte, unter denen die WM-Fans sich hätten vereinen und mithilfe derer sie ihre Einheit hätten demonstrieren können. Diese Funktion übernahmen nationale Symbole wie die südkoreanische Nationalflagge, die Nationalhymne, das Rufen von „Taehan Min’guk“ (Republik Korea) sowie das Tragen roter T-Shirts. Die Wahl der Symbole deutete an, dass das „Einswerden“ in verschiedenen Richtungen verlief. Die Koreaner konnten sich als einiges Volk erfahren und alle trennenden Grenzen überwinden und die Bevölkerung versöhnte und vereinte sich als Nation mit ihrem Staat Taehan Min’guk. Die Vereinigung hatte auch eine körperliche Dimension, denn die jungen WM-Fans umwickelten sich mit der Nationalflagge, schneiderten aus ihr Kleidungsstücke, malten sie sich auf den Körper und schwenkten sie als kleine Fähnchen.428Als Rufe zum Anfeuern und Feiern dienten die offizielle Bezeichnung des Staates, „Taehan Min’guk“, die Nationalhymne oder das Lied „Ah! Taehan Min’guk“ von Chŏng Su-ra. Der Anfeuerungsruf „Taehan Min’guk“ wurde selbst dann angestimmt, wenn die Nationalmannschaft gar nicht spielte.

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Die junge Generation der Teens und Twens bediente sich der nationalen Symbole so unbefangen, dass sie die Älteren in Erstaunen versetzten. Besonders die Generation der Dreißig- bis Vierzigjährigen, die diese Symbole unter anderen Umständen kennengelernt hatte, standen dem lockeren Umgang mit Hymne und Flagge erstaunt, wenn nicht distanziert und skeptisch gegenüber. Whang Soon-Hee schrieb, für die Generation der über Dreißigjährigen, die gelernt hatte, vor der Nationalflagge zu salutieren und beim täglichen Ritual des Abspielens der Nationalhymne stillzustehen, sei das Verhalten der Jüngeren wohl ein „gewaltiger Kulturschock“ gewesen.429

Besonders auffällig wurde der Generationsunterschied bei dem Lied „Ah! Taehan Min’guk“ von der Sängerin Chŏng Su-ra. Der Chefredakteur der WC schrieb:

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„Chŏng Su-ra sang das Lied ,Ah! Taehan Min’guk’ [im Stadion]. Dieses Lied, das zu Beginn der 5. Republik herauskam, war damals bei den unterdrückten Studenten und Intellektuellen sehr unbeliebt. Es galt als eine Art offizielles Lied, das von der Regierungsmacht erzeugten Patriotismus einflößen wollte.430An diesem Tag [dem 25. Juni 2002, dem Tag des Halbfinalspiels gegen Deutschland] war es anders. Die Anfeuerungsgruppen der Roten Teufel, die meist Mitte zwanzig waren und die bereits früh ins Stadion gekommen waren, sangen das Leid leidenschaftlich nach. Sie verspürten ,Ah! Taehan Min’guk’ gegenüber überhaupt keine Ablehnung. Es war einfach nur aus dem Grund willkommen, weil das Wort ,Taehan Min’guk’ darin vorkam.“431

Der Tatsache, dass die als unpolitisch geltenden Teens und Twens nationale Symbole benutzten, wurde in der Presse große Bedeutung beigemessen. Das Phänomen wurde in der Weise interpretiert, dass eine zweifache Identitätskrise überwunden wurde: Die junge Generation und die Republik Korea hatten ihre Identität gefunden. Die Generation der Teens und Twens war neben der Generation der Fünfzigjährigen diejenige, die von der Wirtschafts- und Währungskrise Ende der 1990er Jahre am stärksten betroffen war. Sie haben den Kampf der heute Dreißig- bis Vierzigjährigen gegen die Diktatur und den Übergang zur Demokratie nicht bewusst erlebt und sind in relativem Wohlstand aufgewachsen. In dieser Lebenssituation, in der es ein stetiges Aufwärts gegeben hatte, brach 1997 die Wirtschafts- und Währungskrise ein. Durch die Krise verloren viele ihrer Väter die Arbeit. Einige Familien konnten das Geld für die Studiengebühren der Kinder nicht mehr aufbringen, sodass diese zum Pausieren gezwungen waren. Andere traf die Krise gerade, als sie ins Berufsleben eintreten sollten. Aber auch ältere Arbeitnehmer traf die Wirtschaftskrise hart. Sicher geglaubte Arbeitsplätze wurden gekündigt oder gingen durch den Bankrott zahlreicher Firmen verloren. Insgesamt gesehen war die Erfahrung, dass es auf bisher als selbstverständlich angesehene Dinge wie materiellen Wohlstand oder sichere Arbeitsplätze keine Garantie gab, ein tief gehender Schock, der große Verunsicherung auslöste.432

In dieser Situation errang die Nationalmannschaft, in der im Gegensatz zu den meisten anderen Topteams ausschließlich gebürtige Koreaner spielten, als Stellvertreter der Nation einen Sieg nach dem anderen, erreichte das Halbfinale und bewies, dass es mit der Weltspitze konkurrieren konnte. Der Stolz auf diesen Erfolg wurde zum Stolz auf das eigene Land, das dieses Potenzial besaß. Ihrem Stolz auf und ihrer Identifikation mit Korea gab die verunsicherte junge Generation mithilfe nationaler Symbole Ausdruck. Da die Zwanzigjährigen nicht wie ihre Vorgänger einen Staat erlebt hatten, der die Jugendlichen in ihrem Bestreben nach Entfaltung unterdrückte, war es für sie leichter, sich vorbehaltlos der Symbole des Staates zu bedienen. Die Jungen konnten so unter der Fahne von Taehan Min’guk zusammenfinden und zu sich finden. Durch das Einheitsgefühl, den Stolz und das Selbstbewusstsein vergewisserten sie sich ihrer nationalen Identität.

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Dadurch, dass die Jungen sich so vorbehaltlos und voller Freude mit Taehan Min’guk identifizierten, bekam auch der Staat ein neues Image. Während er für viele Angehörige der älteren Generationen ein repressives System dargestellt hatte, das seine Bürger in ihrer freien Meinungsäußerung und in ihrem Wunsch nach Demokratie unterdrückt hatte, rief er bei den Jungen nicht mehr diese negativen Assoziationen hervor. Für sie war Taehan Min’guk ein entwickeltes, freies Land, das mit dem Erfolg bei der WM bewies, dass es zur Weltspitze gehörte. Auf diese Weise durchlief auch die Republik Korea als Staat eine Entwicklung und konnte ihre Identität neu als modern, fortschrittlich und freiheitlich definieren. Diesen Prozess beschrieb Hŏ Mun-do so:

„[...] der Name ist der Ausgangspunkt der Identität und der Ankerplatz der Identität. Auch mit dem Charakter einer Gruppe, wie der eines Staates, ist es nicht anders. [...] Der Ruf ,Taehan Min’guk’, der mit Gewissheit und Freude verbunden war, ist auch ein Ausdruck der gestärkten Identität der Republik Korea. Die Menschen der Republik Korea haben [...] alle ,Taehan Min’guk’ gerufen. Jeder Einzelne war in der siegreichen Gemeinschaft von Taehan Min’guk aufgehoben. Normalerweise existiert der Staat in der Abstraktion des Verfassungssystems. Wenn es zu einem Zwischenfall kommt, ist der Staat auch eine beeindruckende und simple physikalische Wirklichkeit wie ein Polizeiknüppel oder ein Bajonett des Militärs. Aber bei der WM war der Staat Taehan Min’guk als eine rote Woge auf den Plätzen präsent, als Anfeuerungsrufe, die die Erdachse zittern ließen, als menschliche Emotionen, die die Seele im tiefsten Innern zum Weinen brachten. Wenn man zu den WM-Plätzen ging, war Taehan Min’guk dort, wo die Stimmen einen berührten und man sich an den Händen fasste. Die Menschen, die danach hungerten, in die siegreiche Gemeinschaft, in Taehan Min’guk einzutauchen und darin aufzugehen, kamen aus ihren Wohnzimmern heraus auf die Plätze. Taehan Min’guk war mit dem ,Ich’, Taehan Min’guk ist in das Innere des ,Ichs’ hereingekommen. Das innere Gefühl von Vereinigung der Gemeinschaft Taehan Min’guk und mir, das innere Gefühl des Einsseins ergoss eine Ekstase auf die Plätze, die einem Schaudern der Seele glich.

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Bisher waren ,die Jüngeren’433herumgeirrt auf der Suche nach einer Etikette, die sie sich anheften und die sie mit Leben erfüllen konnten. Das war unsere Wirklichkeit. Sie haben sich abgemüht, um eine Aufgabe zu finden, der sie sich hingeben konnten. Sie dürsteten nach einer Fahne, die sie hochhissen und unter der sie vorwärts gehen konnten. Das Herumirren und das Sich-Abmühen in der Blüte der Jugend wurden durch eine Identitätskrise beendet, aber diese Krise ist ein Zeichen einer gesunden Jugendblüte. Es ist aber dennoch eine Krise. Es besteht kein Zweifel daran, dass ,die Jungen’ auf den freien Plätzen der WM Taehan Min’guk ergriffen und die Krise überwunden haben. So sind die Identitätskrise des ,jungen Landes’ Taehan Min’guk und die Identitätskrise ,der Jüngeren’ zusammen überwunden worden. Taehan Min’guk ragte in den Herzen der Anfeuernden nicht empor als ,Land, in dem man fälschlicherweise geboren’ worden war, sondern es ragte himmelhoch empor als mein Land, auf das ich stolz bin, als Land, das ewig leben muss, als Land, das die Ausdehnung des ,Ichs’ ist. Sie haben diese Identität auf sichere Füße gestellt. Indem ,die Jüngeren’ Taehan Min’guk mit dem ganzen Körper aufnahmen, haben sie die Identitätskrise [...] beendet und den Aufbau einer Identität erreicht.“434

Die älteren Generationen, die dem Treiben der Jungen anfangs skeptisch gegenüberstanden, wurden mit deren Enthusiasmus und Wahrnehmung des Staates konfrontiert. Whang Soon-Hee interpretierte diesen Vorgang als einen entscheidenden Wendepunkt in der Tradierung kollektiver Erinnerung in Südkorea. Dadurch, dass die 386-Generation435durch die Jüngeren lernte, mit der Nationalflagge Gefühle von Freude, Stolz und Hoffnung zu verbinden und diese Freude mit ihnen zu teilen, wurde die Reproduktion vergangener Erinnerungen unterbrochen und deren Inhalte wurden transformiert.436Das gemeinsame Feiern und Anfeuern unter den gleichen Symbolen versöhnte die Älteren mit dem Staat.

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Auch die 386-Generation hatte Symbole wie die Nationalflagge benutzt, um sich zu artikulieren. Anders als bei der WM geschah das aber in einem politischen Kontext. Wie diese Wahrnehmung sich veränderte, beschrieb der Chefredakteur der WC, der die Studentengeneration in den 1980er Jahren eher ablehnend beobachtet hatte und nun mit dem Geschehen während der WM verglich:

„Am Nachmittag des 10. Juni437um 15:15 Uhr saß ich im Café [...] im 22. Stock des Plaza-Hotels am Seouler Rathaus und sah [auf die Straße] hinunter. Der ungefähr 35 000m2 große Rathausplatz war ein Meer von roten Blumen und rotem Herbstlaub, hier und da Gelb und Weiß und Wellen flatternder Koreaflaggen, diagonal emporgestreckte Arme, Ah! Taehan Min’guk, Oh! Sicherer Sieg für Korea, klatschklatschklatsch. Das waren Szenen, die ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen werde.

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Eine Begebenheit vor fünfzehn Jahren kam mir ins Gedächtnis. Am 9. Juli 1987, als mittags der Trauerzug für Yi Han-yŏl438, der von einem Tränengasgeschoss [der Polizei] getroffen worden und daraufhin verstorben war, von der Yŏnse-Universität hier am Rathaus eintraf, war ich inmitten der Menschenmenge, die den Platz zum Bersten füllte. Damals ging der Anführer der Demonstration ins Rathaus und setzte die koreanische Flagge auf Halbmast, woraufhin die Leute auf dem Platz in Jubel ausbrachen. Niemand, mich eingeschlossen, verteidigte die koreanische Flagge dagegen.

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Fünfzehn Jahre später war dieser Platz ein Platz der koreanischen Flaggen. Twens, die sich in die Nationalflagge gehüllt hatten, riefen Taehan Min’guk und sangen die Nationalhymne und Oh! Sicherer Sieg für Korea. [...] Diejenigen, die die Worte Taehan Min’guk, die uns immer etwas steif und befremdlich erschienen waren, in unseren Herzen haben ankommen lassen, waren nicht die älteren Generationen, die Patriotismus mögen, sondern es waren die Jungen. Und es waren auch die Jungen, die die trennende Mauer zwischen Taehan Min’guk und den Menschen niederrissen und Staat und Volk sich verbinden ließen“,

schrieb Cho Kap-che.439Und an anderer Stelle:

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„Die Erwachsenen und die Welt waren von den patriotischen Aktivitäten der Twens, die sich um die Roten Teufel zusammengeschlossen hatten, überrascht. Durch ihre Vermittlung sind die Nationalhymne, die koreanische Flagge, Taehan Min’guk dem Zeremoniell entkommen und in ein lebendiges Leben getreten und haben mit den Bürgern zusammen geatmet.“440

Whang Soon-Hee führt aus, dass die 386-Generation diejenige sei, die für die Demokratisierung Südkoreas gekämpft und dabei auch ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Obwohl Südkorea heute eine Demokratie sei, so Whang, blickten die heute Dreißig- bis Vierzigjährigen jedoch mit Skepsis zurück. Sie fürchteten, dass die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen nicht so weit gegangen waren, wie sie es damals erhofft hatten. Erst angesichts der jungen WM-Fans habe die 386-Generation ihren eigenen Beitrag zur Entwicklung ihres Landes überdenken und neu definieren können.441Sie konnten Stolz auf ihren Beitrag zur Demokratisierung entwickeln und ihre Erinnerungen innerhalb eines neuen Rahmens rekonstruieren. Die Generationen haben so durch die WM zueinander und zu einem neuen Blick auf die Vergangenheit Südkoreas gefunden, interpretierte Whang.442

Die roten Massen, die in Gestalt Hunderttausender WM-Fans in roten T-Shirts die öffentlichen Plätze überschwemmten, sorgten zunächst für Verwirrung, denn die Farbe Rot galt als Symbol des Kommunismus und wurde mit Nordkorea assoziiert. Rot als auffälliges Symbol wurde daher vermieden und unterlag verschiedenen Tabus. Angesichts der roten Uniformierung und des auffordernden Aufdrucks „Be the Reds“ auf den T-Shirts der WM-Fans kam bei manchen Beobachtern die Vermutung auf, dass es sich um „Rote“ handeln könnte, um Kommunisten. Das Misstrauen verflog aber schnell, wie ein Achtzigjähriger berichtete:

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„Als ich die jungen Menschen sah, die sich ,Rote Teufel’ nannten und rote T-Shirts tragen, dachte ich am Anfang an die Roten nach der Befreiung, die ,Hoch die rote Fahne ...’ riefen und Lieder sangen. Als ich aber sah [...], dass unsere Jugendlichen ,Taehan Min’guk’ riefen, dort, wo sie die Spiele verfolgt hatten, sauber aufräumten und geordnet anfeuerten, habe ich Vertrauen zu ihnen gefasst.“443

Schnell war auch klar, dass die WM-Fans unpolitisch waren und einzig aus dem Grund zusammenkamen, um gemeinsam anzufeuern und die Weltmeisterschaft zu feiern. Dass gerade sie sich der Farbe Rot bedienten, um ihr Zusammengehörigkeitsgefühl auszudrücken, fand die Beachtung der Medien. Indem sie die Farbe Rot mit dem Ruf „Taehan Min’guk“ verbanden, eroberten sie die Deutungshoheit zurück und gaben der Farbe eine neue Bedeutung. „Die Roten Teufel haben sogar der fanatischen Gruppe Kim Chŏng-ils die rote Farbe weggenommen und zur Farbe der Vaterlandsliebe gemacht“, meinte Cho Kap-che.444Hŏ Mun-do schrieb an anderer Stelle:

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„Die WM ist etwas Großartiges. Taehan Min’guk hat die Leidenschaft und die Dynamik der WM-Plätze genutzt und die Farbe Rot, die die Farbe der Gegenseite war, als Farbe von Taehan Min’guk zurückerobert. Ich glaube nicht, dass der „rote Komplex“ verschwunden ist. Wie man bei den „roten Plätzen“ und den „roten Fahnen“ sehen kann, galt die Farbe Rot in der Öffentlichkeit als eine Farbe, die Taehan Min’guk niederreißen und zerstören wollte. Zumindest war die Farbe Rot in Bezug auf Taehan Min’guk eine Farbe der ,Ablehnung, der Zerstörung, des Widerstands und des Umsturzes’. Die ,Roten Teufel’ [...] haben durch den Zauberspruch ,Taehan Min’guk’ die Farbe Rot in eine Farbe der ,Bejahung, der Leidenschaft, des Freudentaumels und des Sieges’ verwandelt. Taehan Min’guk hat die Farbe Rot zurückerobert. Das ist ein weiterer strahlender Sieg Koreas bei der WM“,

schrieb der ehemalige Minister für Wiedervereinigung.445 Die Aneignung der Farbe Rot, die bis dahin dem Norden vorbehalten war, geschah nicht aus einer politischen Intention heraus. Es war dennoch ein Akt der Befreiung in der Hinsicht, dass die Definitionsmacht über die Farbe Rot ergriffen und damit eine neue Ära eingeleitet wurde. Die Zeit, in der der Antikommunismus zum Selbstverständnis Südkoreas gehörte, war mit der neuen Bedeutung der Farbe Rot vorüber. Yi Ch’ang-gŏn bestätigte, dass das Handeln der WM-Fans und das Benutzen der verschiedenen Symbole nicht politisch motiviert waren. Er berichtete, dass es Versuche gegeben habe, statt der südkoreanischen Nationalflagge die blau-weiße Flagge, die die blaue koreanische Halbinsel auf weißem Grund zeigt und unter der die nord- und die südkoreanische Delegation bei den Olympischen Spielen in Sidney gemeinsam ins Stadion eingelaufen waren, zu entfalten und Slogans, die den Wunsch nach Wiedervereinigung ausdrückten, zu skandieren. Durchsetzen konnten sich diese Versuche nicht.446 

4.1.2 Das „Hiddink-Syndrom“

4.1.2.1 Guus Hiddink stellt Südkorea auf den Kopf

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„[...] der erste Eindruck der koreanischen Mannschaft war ein Schock. Nicht das Niveau ihrer Fußballtechnik, ich spreche von der Leidenschaft der koreanischen Spieler. Sie waren ehrlich darum bemüht, die Punkte, auf die ich sie hinwies, zu verstehen. Sie waren ausnahmslos freundlich und aufrichtig. Die koreanischen Spieler empfinden die WM als eine Ehre und sie haben die Einstellung, dass sie alles tun können, um auf dieser Bühne zu spielen. Diese Geisteshaltung der koreanischen Spieler hat mir einen Schock versetzt“,

gestand Guus Hiddink.447 Nicht nur der neue Trainer erlebte bei der Begegnung mit der Mannschaft Überraschungen. Auch die Spieler mussten sich auf Neues einstellen. „Als ich das erste Mal Hiddinks verschiedene, neue Führungsmethoden erlebt habe, hatte ich einen Kulturschock“, berichtete Hong Myŏng-bo, einer der erfahrensten Spieler des südkoreanischen Teams.448 

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Am 17. Dezember 2000 landete Hiddink „in Jeans und Mantel“ in Südkorea.449 Er erledigte Formalitäten, nahm an einer Opferzeremonie für die sichere Beförderung der Mannschaft teil und flog zurück in die Niederlande. Trotz der Kürze des Besuchs konnte man bereits nach seinem ersten Auftreten ahnen, dass Korea eine Begegnung mit neuen Maßstäben bevorstand. Es war jedoch nicht die Tatsache, dass er neue Fußballtechniken und Spielweisen einführte, die das sog. „Hiddink-Syndrom“ verursachte. Der Auslöser dafür war, dass er allen deutlich vor Augen führte, dass Südkorea, wenn es seine Fähigkeiten voll entfaltet, zu wesentlich größeren Leistungen in der Lage ist, als es sich zutraut. Er zeigte, dass es zum Teil kulturell bedingte Verhaltensweisen sind, die verhindern, dass der koreanische Fußball sich auf Weltniveau entwickelt. Die Erkenntnis vermittelte er mit dem ihm eigenen Charisma. Er konfrontierte die Spieler, und nebenbei das ganze Land, mit einer neuen Art zu denken. Auf diese Weise führte er sie zu einem hochgesteckten Ziel und darüber hinaus. Um das zu erreichen, verwandelte Hiddink sich in den „kleinen Diktator“ der Nationalmannschaft,450 der sich nicht scheute, mit alten Gewohnheiten zu brechen, sofern sie der Entfaltung der Fähigkeiten des Teams im Weg standen. Die erstaunliche Effektivität dieser Art zu denken konnte die koreanische Nationalmannschaft mit ihrem Aufstieg ins Halbfinale eindrucksvoll belegen. Daher rührte die allgemeine Euphorie für einen neuen Führungsstil à la Hiddink, der plötzlich als Allheilmittel gepriesen wurde und auf die verschiedensten Lebensbereiche übertragen werden sollte: auf das Firmenmanagement ebenso wie auf die Geldanlage in Aktien und die Erziehung.

Als wichtigste Prinzipien, die Hiddinks Erfolg zugrunde lagen, wurden die folgenden Punkte angesehen:

- Hiddink wählte die Spieler nach ihren Fähigkeiten und nach ihrem Verhalten im Team aus. Er nahm weder Rücksicht auf familiäre, schulische oder regionale Herkunft noch auf das Alter der Spieler. Diese Tatsache wurde immer wieder betont, denn gerade Kriterien wie regionale und universitäre Herkunft sowie das Prinzip der Seniorität sind in Korea bei der Vergabe von Posten häufig mindestens ebenso wichtig wie die Qualifikation des Bewerbers.

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- Hiddink benannte ein klares Ziel, auf das das Training ausgerichtet wurde: das Erreichen des Achtelfinales. Er stellte einen langfristigen Plan auf und ließ sich bei der Verfolgung dieses Ziels weder beeinflussen noch aus der Ruhe bringen.

- Hiddink führte „denkenden Fußball“ ein. Er wollte, dass die Spieler verstehen, was sie tun und warum sie es tun. Er ließ sie Fehler machen, damit sie lernten, selbst zu erkennen, was sie besser machen konnten. Er forderte sie zum Mitdenken auf, zum Fragen stellen, zu Verbesserungsvorschlägen und zu Kritik, auch am Trainer.

- Hiddink setzte auf das Prinzip der Selbstverantwortung. Auf dem Rasen erwartete er von den Spielern vollen Einsatz, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. Dafür respektierte er ihr Privatleben. Genauso erwartete er, dass auch sein Privatleben respektiert würde. Dieses Denken sorgte für einige Verwirrung, da das Interesse der Öffentlichkeit an seiner Person gerade in dieser Hinsicht ausgeprägt war. Besonders die Beziehung zu seiner afro-niederländischen Freundin weckte große Neugierde, der von Hiddink rigoros Grenzen gesetzt wurden.

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- Hiddink brachte konsequent wissenschaftliche Methoden ins Training ein und schuf auf diese Weise Transparenz. Er ließ die Kondition der einzelnen Spieler regelmäßig messen. Er zeichnete alle Spiele auf Video auf, auf deren Analyse das Training aufbaute.

- Hiddink gab den Spielern Selbstvertrauen, indem er ihnen zeigte, dass sie ihrer eigenen Meinung und ihren Fähigkeiten vertrauen konnten. Er nahm ihnen die Angst vor übermächtig erscheinenden Gegnern.

Hiddinks Grundsätze und sein Führungsstil wurden im koreanischen WM-Diskurs ausführlich diskutiert. Einmal wurden Parallelen zu Methoden der Betriebswirtschaft betont, einmal wurde sein Ansatz als einer der (Sport-) Pädagogik beschrieben. Der Wunsch, von seinem Erfolg zu lernen und seine Grundsätze auf andere Bereiche zu übertragen, grenzte fast schon an eine Besessenheit.

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Ausführlich berichtet wurde ferner, wie Hiddink sein Denken im Trainingsalltag umsetzte. Durch diese Details wurde nicht nur deutlich, wie anders Hiddinks Denken und Handeln war. Es wurden auch die Grenzen der Übertragbarkeit seiner Methoden in den koreanischen Kontext erkennbar. Das in Korea stark ausgeprägte Denken und Handeln nach dem Senioritätsprinzip, das einer Person je nach ihrem Alter und im Verhältnis zu anderen Personen bestimmte Rechte und Pflichten zuspricht, stellte für das Training ein großes Problem dar. Hiddinks Maßnahmen, dem entgegen zu wirken, stießen in der Öffentlichkeit auf großes Interesse und wurden immer wieder beschrieben. Einige Beispiele werden im Folgenden vorgestellt:

Schon vor dem ersten Training hatte Hiddink eine Anweisung gegeben, die mit Erstaunen aufgenommen worden war: Spieler, Trainer und Personal mussten zum Training die gleiche Kleidung tragen. Eine Person war dafür verantwortlich, dem Wetter angepasste Kleidung zu bestimmen, die ausnahmslos von allen zu tragen war. Mit dieser Maßnahme, die in der optischen Erscheinung keine Hierarchie mehr erkennen ließ, sollte das Einheitsgefühl der Mannschaft gestärkt werden. Hiddink erkannte jedoch schnell, dass darüber hinaus weitere Maßnahmen notwendig waren, um aus den Spielern verschiedener Generationen eine harmonierende Mannschaft zu machen.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein reibungsloses Zusammenspiel, die gute Kommunikation unter den Spielern, war aufgrund von Generationsunterschieden nicht gegeben. Dem Senioritätsprinzip geschuldete Verhaltensweisen erschwerten oder unterbanden eine gleichberechtigte Kommunikation zwischen Spielern verschiedener Altersgruppen. Der Journalist Kim Hwa-sŏng berichtete unter dem Titel „Die Schöpfung eines Mythos! 20 Gebote von Hiddinks Leadership“ Folgendes:

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„Warum ist die Kommunikation ein Problem? Nachdem Hiddink [die Positionen der] 3-4-3-Formation aufgemalt hatte, schrieb er neben jede einzelne Position das Alter des koreanischen Spielers. Die Richtung der Übermittlung von Anweisungen während des Spiels stellte er mit Pfeilen dar. ,Seht euch das an. Wenn das Alter der drei Spieler im Angriff ganz vorne vom linken Spieler angefangen 19-32-24 Jahre ist, dann geht die einseitige Übermittlung von Anweisungen nur vom 32-jährigen Spieler aus nach links zum 19-jährigen und nach rechts zum 24-jährigen. Und wenn dahinter im Mittelfeld 24-18-27-22-Jährige stehen, gibt der Angriff auch an sie Anweisungen, aber er hört von ihnen nichts. Im richtigen Spiel ist es aber viel öfter so, dass sich der Angriff nach den Anweisungen aus dem Mittelfeld richten muss. Es ist natürlich nicht so, dass ich die koreanische Kultur, die dem Älteren große Achtung entgegenbringt, nicht verstehen kann. Aber beim Fußball kann man kein gutes Spiel aufbauen, wenn während des Spiels zwischen den Spielern keine beiderseitige Verständigung stattfindet. Dass nur die Älteren den Jüngeren Anweisungen geben, bringt uns wirklich in Schwierigkeiten.’ Die strikte Rangordnung zwischen Älteren und Jüngeren ist auf dem Rasen wirklich ein Problem. Es geht nicht, dass die Älteren einseitig den Jüngeren Anweisungen geben und die Jüngeren dem widerspruchslos folgen. Auf dem Rasen sind alle gleichberechtigt. Je nach Situation muss es Veränderungen geben und einseitige Anweisungen sind ausgeschlossen. Benutzt auf dem Rasen alle den neutralen Sprachstil mit du. Sprecht so, dass [auch] der Jüngste, Yi Ch’ŏn-su, zu Hong Myŏng-bo, dem ältesten Veteranen, sagt: ,He, Myŏng-bo, hierher passen!’ Eine reibungslose Kommunikation innerhalb des Systems lässt die Tendenz zu Konflikten verschwinden und erhöht die Effektivität.

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Auch das nicht sichtbare Autoritätsbewusstsein zwischen den Spielern, die sich diesem Soziogramm gemäß verhalten, ist ein Problem. Dadurch, dass es beim Spiel unter den Spielern keine Absprachen in beide Richtungen gibt und dadurch, dass es nur eine Kommunikation gibt, bei der die Älteren den Jüngeren einseitig Anweisungen geben, entstehen letztendlich bei der Optimierung des Spiels viele Hindernisse. Um das zu lösen, hat Hiddink angeordnet: ,Die jungen Spieler, ihr sollt beim Taktik-Training oder beim Spiel oft mit den älteren Spielern sprechen. Und beim Essen sollen ältere und jüngere Spieler gemischt sitzen und [zusammen] essen. Und auch bei der Massage kommen nicht als Erstes die Älteren dran, sondern es geht der Reihe nach, je nachdem, wer zuerst im Massageraum ankommt.’“451

Hiddink versuchte durch verschiedene Maßnahmen, die Hierarchie unter den Spielern aufzulösen und ein Einheitsgefühl zu schaffen. Das Tragen der gleichen Kleidung gehörte ebenso dazu wie das regelmäßige gemeinsame Einnehmen der Mahlzeiten. Das gemeinsame Essen war im Tagesablauf ein wichtiger Punkt, für den es feste Regeln gab: Alle essen zusammen, die Mahlzeiten werden gemeinsam begonnen und gemeinsam beendet. Beim Essen darf nicht telefoniert werden. Jüngere und ältere Spieler sitzen nicht getrennt sondern gemischt an den Tischen und sie sollen sich unterhalten. Pak Hang-sŏ, der Coach und spätere Trainer der Mannschaft, berichtete:

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„Es ist nichts Neues, aber bei den Nationalspielern haben meistens die neuen unter sich und die alten unter sich gegessen. Als Hiddink das gesehen hat, hat er angeordnet, dass sie gemischt sitzen. Aber die Jüngeren haben gesagt, dass sie, wenn Mitte-Dreißigjährige mit Anfang-Zwanzigjährigen an einem Tisch sitzen, immer in Verlegenheit sind, so als ob sie mit einem Onkel oder einem älteren Herrn zusammen essen. Deshalb habe ich dem Trainer452erklärt, dass die Koreaner von klein auf hören, dass sie sich beeilen sollen, wenn sie beim Essen sprechen, und dass die Ordnung am besten gewahrt bleibt, wenn sie mit Gleichaltrigen zusammen essen, und dass es sich dann auch gut verdauen lasse. Aber er war dagegen. Er war auch dagegen, dass Spieler, die sich nahe stehen, zusammen sitzen und er hat dafür gesorgt, dass [alle] die Tische wechseln. Wenn man beim gemeinsamen Spiel Generationsunterschiede spürt, kann man das Spielfeld nicht unter Kontrolle haben. Von den Spielern, die zu Beginn die Mahlzeiten reserviert eingenommen haben, hat man mit der Zeit hier und da ein Lachen gehört. Danach ist es uns eine Tradition geworden, dass alle, vom Trainer angefangen bis zum Ende der Hierarchie, gemeinsam essen und [die Mahlzeiten] gemeinsam beenden.“453

Eine Maßnahme, deren Umsetzung sich schwieriger gestaltete, war das Nennen beim Vornamen unter den Spielern. Es ist in Korea nicht üblich, sich unter nicht Gleichaltrigen gegenseitig beim Vornamen zu nennen. Auch unter Freunden bleibt in der Anrede eine Differenzierung nach dem Alter erhalten. In einer Gruppe wie einer Fußballmannschaft rufen deshalb die Älteren die Jüngeren beim Vornamen, umgekehrt ist das aber nicht üblich. Die jüngeren reden die älteren Spieler normalerweise mit „älterer Bruder“ an, wobei mit der Anrede ein Respekts- und Unterordnungsverhältnis ausgedrückt wird. Das beinhaltet beispielsweise, dass die Jüngeren den „älteren Brüdern“ keine direkten Anweisungen geben und dass die Jüngeren verschiedene Arbeiten übernehmen. Hiddink forderte von den Spielern, dass alle sich nur beim Vornamen nennen, um das Bewusstsein für altersbedingte Rangunterschiede abzubauen. Durch das Abschaffen dieser sprachlichen Barriere wollte er es den jüngeren Spielern erleichtern, den älteren beim Spiel Anweisungen zu geben. Die Spieler akzeptierten die neue Regel als eine Art Spieltechnik. Kim T’ae-yŏng, einer der älteren Spieler, äußerte sich dazu so:

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„Beim Spiel gibt es manchmal Jüngere, die mich ,T’ae-yŏngi’ rufen. Wenn wir spielen und eine Gefahr auf uns zukommt, verstehe ich es vollkommen, dass wir in diesem Fall auch gegenseitig das ,Du’454 benutzen können. Wenn [..] die gegnerischen Spieler Druck ausüben und einer mir zuruft ,T’ae-yŏngi, da kommt einer, da kommt einer!’, oder wenn wir bei einem Eckball eine Mauer bilden und der jüngere Torwart den Älteren zuruft: ,Noch ein bisschen weiter links!’, ist die Anrede nicht wichtig, man muss das Ziel ,Tor-Spiel’ dem überordnen.“455

Ch’oe T’ae-uk, einer der jüngsten Spieler im Team, äußerte sich zur neuen Sprachregelung und dazu, dass die gleichberechtigte Behandlung der Spieler die jüngeren von Pflichten wie dem Aufsammeln der Bälle nach dem Spiel befreite, so:

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„Ich habe nichts dagegen, dass wir jetzt beim Training unter Älteren und Jüngeren das ,Du’ benutzen. Ich denke, das ist auch nur [ein Teil] des Spiels. Und, früher war es so, dass die Jüngsten nach dem Spiel die Bälle einsammeln und alles aufräumen mussten. Weil man sich um solche Sachen kümmern musste, hatte man natürlich auch weniger Freizeit. Ich finde es gut, dass es jetzt keine starre Rangordnung mehr gibt.“456

Die Vorteile der neuen Sprachregelung wurden akzeptiert und die Spieler praktizierten das Anreden mit „du“ und das Nennen beim Vornamen. Sie unterschieden aber zwischen dem Sprachgebrauch auf dem Spielfeld und außerhalb. Darin wurde eine Grenze der Adaption deutlich. Hong Myŏng-bo, einer der Veteranen der Mannschaft, brachte diese Einsicht auf den Punkt:

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„Auf dem Platz muss man mit gutem Willen kämpfen, ohne zwischen Jüngeren und Älteren einen Unterschied zu machen. Früher war es auf dem Platz nicht erlaubt, dass die Jüngeren etwas von den Älteren fordern. Das bringt für das Spiel letztlich nichts. Aber wenn man vom Platz geht, muss die Etikette zwischen Älteren und Jüngeren gewahrt bleiben.“457

Der Journalist Kim Hwa-sŏng schrieb:

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„Aber wenn er [= Hiddink; d. A.] irgendwann geht, was wird dann aus der Anredefrage? Auch jetzt stehen die Älteren dem Verhalten Jüngerer nicht ganz gelassen gegenüber, wenn diese Aussagen machen wie der freche und jüngste [einundzwanzigjährige] Yi Ch’ŏn-su: ,Im Auswahlteam gibt es keine Älteren, die ich respektiere.’ ,Das erste Tor des koreanischen Teams bei der WM werde ich schießen.’ ,Beim Baseball gibt es Weltstars wie Pak Ch’an-ho, beim Fußball kommt nach dem Trainer Ch’a Pŏm-gŭn niemand mehr, das werde ich ändern.’ ,Egal, ob England oder Frankreich, ich werde zeigen, was ich kann.’ Als Hiddink angekündigt hat, dass beim Spiel der Nachname und die Ehrerbietigkeitsbezeichnungen weggelassen und nur noch die Vornamen genannt werden, hat Yi Ch’an-su, anders als die anderen Spieler, nicht gezögert, die über zehn Jahre älteren Spieler ganz ungezwungen ,Myŏng-bo’ und ,T’ae-yŏng’ zu nennen. Der frühere Nationalspieler Ko Chŏng-un sagte: ,Die jungen Spieler sind zu direkt und zu frech, das gefällt mir nicht. Hiddink will die Rangordnung niederreißen, aber die Beziehungen zwischen Älteren und Jüngeren in Korea sind nicht etwas, das in ein oder zwei Tagen entstanden ist. [Sich davon zu trennen] kann dem Teamwork auch schaden. Die Veteranen der Mannschaft beschweren sich oft bei mir. Auch in Europa existiert ganz deutlich eine Ordnung zwischen Jüngeren und Älteren, die [aber] nicht auffällt.’“458

Hier wurde eine wichtige Frage angedeutet: Was wird aus dem koreanischen Fußball nach Hiddink? Er hat gezeigt, welches Potenzial in den koreanischen Spielern steckt und wie es zur Entfaltung gebracht werden kann. Welche Methoden übernommen werden, wie sich der Fußball nach der Erfahrung mit Hiddink weiterentwickeln wird, muss diskutiert und ausgehandelt werden. Hiddink und die Spieler konnten ihren anfänglichen Schock überwinden und zueinanderfinden. Gemeinsam schufen sie den „Mythos vom Halbfinale“ und neue Voraussetzungen für die weitere Entwicklung des koreanischen Fußballs. Um die Fähigkeiten des Teams voll zu entfalten, brach Hiddink mit Verhaltensweisen, wie es einem koreanischen Trainer nicht möglich gewesen wäre. Als Ausländer stand er außerhalb des Beziehungsgeflechts und er wurde vom Präsidenten des Südkoreanischen Fußballverbands unterstützt. So war es ihm möglich, Dinge zu fordern und durchzusetzen, wozu andere nicht in der Lage gewesen wären. Neben seinem Ausländer-Bonus überzeugte Hiddink auch durch sein authentisches Auftreten und Verhalten. Seine strengen Regeln galten nicht nur für die Spieler, sondern auch für ihn selbst. Die Mischung aus Beispiel geben und fordern, aus Kompromisslosigkeit und Charisma nahm nicht nur die Spieler, sondern ganz Südkorea für ihn ein.

4.1.2.2 Nach Hiddink

Hiddink hinterließ ein konfliktträchtiges Erbe: Er hatte gezeigt, wie die Koreaner besser Fußball spielen können, und damit eine Diskussion entfacht, was außer Fußball auch besser gemacht werden könnte. Dass er Dinge anders und besser gemacht hatte, wurde akzeptiert wie die Ansicht, dass man von ihm lernen könne und solle. Aus dieser Einsicht erwuchs jedoch wenig konkrete Kritik am Bestehenden. Die einhellige, euphorische Meinung war, dass in allen Bereichen nach dem Vorbild Hiddinks ehrgeizige Ziele angestrebt und auf neuen Wegen verwirklicht werden sollten. Während Einigkeit darüber bestand, dass Hiddinks Methoden vorbildlich seien, wurden im Einzelnen unterschiedliche Elemente herausgegriffen, oft, ohne deren Bedeutung innerhalb Hiddinks Konzept zu beachten. Die Betonung des Prinzips, an den Grundsätzen festzuhalten, war ein Beispiel:

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„Hiddink hat in kurzer Zeit die Konkurrenzkraft sprunghaft erhöht, indem er getreu den Prinzipien des Fußballs auf grundlegender Kraft beharrte und das Auswahlprinzip der hervorragenden Spieler nach ihrer Leistung konsequent verwirklicht hat. Man kann erkennen, dass er sicher ein kluger, gelassener, sorgfältiger und entscheidungskräftiger Führer ist. Gewiss ist, dass der Kern des Hiddink-Syndroms nicht mehr und nicht weniger ist, als seine Treue zu den Grundlagen und den Prinzipien. [...] In jeder Unternehmensleitung und in der Politik kann man auch erfolgreich sein, wenn man den Grundlagen und den Prinzipien treu ist. Die Frage ist, warum es bei uns nicht funktioniert? Von jetzt an ist wichtig zu fragen, ob wir es schaffen können, dass sich jeder, jeder Landwirt, jeder Unternehmer und jeder Politiker, darauf konzentriert, den Grundlagen und Prinzipien treu zu sein“,

meinte Kim Chin-hyŏn.459Hiddinks Festhalten an seinen Prinzipien wurde stärker betont als deren Inhalt, z.B. die Auswahl der Spieler nach deren Fähigkeiten. Die Forderung nach Prinzipientreue enthielt zwar eine gewisse Kritik an den bestehenden Verhältnissen, aber es war kein Ansatz, der vom koreanischen System grundsätzliche Reformen verlangte. Hiddinks Auswahlprinzip nach Fähigkeit hingegen tat das. Während manche die Elemente Hiddinks in den Vordergrund stellten, die ein Überdenken oder Modifizieren von Traditionen erforderten, wurde in diesem Fall ein mit der koreanischen Tradition leicht kompatibles Element hervorgehoben. Auf diese Weise konnte durch den Verweis auf Hiddink auf verschiedenen Ebenen Kritik geübt werden: einerseits Kritik, die innerhalb des bestehenden Systems Reformen verlangte, andererseits Kritik, die einen Bruch mit dem Bestehenden forderte.

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Neben dem konsequenten Befolgen der Grundlagen war „Leadership“ eins der wichtigsten Dinge, die Südkorea glaubte, von Hiddink lernen zu müssen. Im konfuzianisch geprägten Denken kommt der Vorbildfunktion von Führungspersonen eine große Bedeutung zu, denn das Vorbild eines tugendhaften Führers soll einen positiven Einfluss auf die ihm Untergebenen ausüben. Gerade die Führungseliten einer Gesellschaft sollten deshalb moralisch gut und in ihrem Verhalten vorbildlich sein, um den Massen Orientierung zu geben und vorteilhaft auf sie einwirken zu können. Der Psychologe Yi Kŭn-hu führte diese Qualitäten Hiddinks vor Augen, machte aber auch deutlich, dass er nicht den Erfolg erreicht hätte, hätte er nicht auch neue Methoden wie wissenschaftliches Training und die Spielerauswahl nach der Fähigkeit eingeführt:

„Bei der Zusammensetzung einer Gesellschaft gibt es Führungsgruppen einiger weniger, die die Gesellschaft leiten, und die Mehrheit der Leute lebt, indem sie sich mit der Führungsmacht der Führungsgruppen identifiziert. Es gibt auch Leute, die sich über den Witz, man müsse Hiddink als Präsidenten ,importieren’, amüsieren, aber das drückt [nur] Neid auf die Führungskraft Hiddinks aus. [Die Tatsache,] dass man es sogar das ,Hiddink-Syndrom’ nennt [...], ist auch ein Zeichen dafür, dass man seine Führungskraft und Managementfähigkeiten versteht und dass sich die Gesellschaft so weit entwickelt hat, dass sie solche Gedanken aufnehmen kann. Aber was für ein hervorragender Führer Hiddink auch ist, wenn er inmitten dieses [...] altmodischen Klimas von früher verharrt hätte, wäre auch er gescheitert. Der Aufstieg ins Achtelfinale ist das wertvolle Ergebnis dessen, dass wir ein gesellschaftliches Niveau erreicht haben, auf dem wir eingesehen haben, dass wir nicht länger auf einer solchen Spielerauswahl beharren oder nur viel vom Willen reden können. Dass wir durch Hiddink den Punkt bestätigen konnten, dass wir die Moral der Leute, die die sog. gesellschaftliche Führungselite bilden, besonders die Moral derer, die für Politik, Wirtschaft, Erziehung usw. zuständig sind, auf ein Niveau bringen müssen, sodass sich die Mehrheit der Gesellschaft mit ihnen identifizieren kann, auch das ist, wenn man so will, ein Ergebnis.“460

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Was hier anklang, war bereits bekannt. Koreas Ziel war keine punktuelle oder partielle Entwicklung, sondern eine gesamtgesellschaftliche. Bereits vor der Weltmeisterschaft war das Ziel formuliert worden, die südkoreanische Gesellschaft als Ganzes auf ein höheres Entwicklungsniveau zu bringen, mindestens auf das Niveau Japans. Nach der WM sollte das Halbfinal-Niveau als Standard etabliert werden. „Wir wissen nicht, was substanzieller Wettbewerb ist“, stellte Kim Chin-hyŏn fest und fuhr fort:

„Uns ist nicht bewusst, dass es gerade ein Wettkampf mit uns selbst ist. Ob früher oder heute, wir halten verhältnismäßig gut Weltrekorde. Aber das Ganze unserer Gemeinschaft, die Gesamtheit unseres Landes kann das Weltniveau nicht überbieten oder wir hinterlassen nur einmalige Rekorde. [...] Lasst uns nicht weiter am sichtbaren, messbaren, oberflächlichen internationalen Wettbewerb festhalten. Wir haben bereits in der Vergangenheit unsere Fähigkeit bewiesen, Ziele und Zeitpläne aufzustellen und erfolgreich zu sein, wenn andere (besonders die entwickelten Länder, die UN, IWF, Olympiade, WM, ...) uns zusehen. Für uns ist ein unnormaler Veränderungsprozess des Hervorspringens, des sich Ausrichtens [...] auf solche Rekorde zum charakteristischen Merkmal geworden. Lasst uns jetzt, auch wenn andere nicht hinsehen, durch unseren eigenen Willen, unseren Ehrgeiz und unsere Seelen staatliche, nationale und gemeinnützige Aufgaben Schritt für Schritt angehen. Lasst uns dieses Syndrom überwinden, mit dem Aufstellen von und den Erfolgen bei von anderen veranlassten, sichtbaren, oberflächlichen Zielen zu prahlen.“461

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Kim vertrat die Auffassung, dass Südkorea es trotz prestigeträchtiger Leistungen in einzelnen Gebieten noch nicht geschafft habe, das hohe Niveau so auszubauen, dass davon eine Wirkung in die Breite ausgehe und das allgemeine Entwicklungsniveau der Gesellschaft gehoben werde. Der südkoreanische Fußball war ein gutes Beispiel für diese Situation. Obwohl es viele gute Spieler gab, die enorme Fähigkeiten entfalten konnten, wenn sie die entsprechenden Möglichkeiten bekamen, gab es kein ausgereiftes System, das Talente früh förderte und systematisch heranzog. Auch die Entwicklung nach Hiddink war alles andere als gesichert. Kim sprach deshalb von „oberflächlichen“ Erfolgen, auch im Hinblick auf Erfolge außerhalb des Fußballs. Einzelne Spitzenleistungen dienten dazu, sich mit anderen zu messen und das Ansehen zu erhöhen. Solche Leistungen waren zwar möglich, sie blieben aber punktuell. Das sollte sich nach der WM ändern.

„Wir sind an einem Punkt angekommen, wo wir von jetzt an danach streben müssen, nicht mehr ein Land zu sein, dass nur Fußball gut kann, sondern [wir müssen ein Land sein,] das auch Fußball gut kann und das deshalb in jeder Hinsicht für andere ein Vorbild ist“,

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forderte Yi Ch’ang-gŏn.462Obwohl das Ziel, Südkorea auf ein höheres Entwicklungsniveau zu bringen, vor und nach der WM das gleiche war, wurde ein Unterschied deutlich. Während es vor der WM galt, mindestens genauso gut zu sein wie Japan, entfiel nach der Weltmeisterschaft dieser Vergleichsmaßstab. Durch den Aufstieg ins Halbfinale hatte Korea Japan weit hinter sich gelassen und sich emanzipiert. Das neue Ziel war es, sich des vierten Platzes an der Weltspitze würdig zu erweisen. Dazu zählte auch, nicht nur einmalige Bestleistungen aufzustellen, bei denen der Vergleich mit anderen gesucht wurde, sondern das allgemeine Niveau sollte angehoben und eine nachhaltige Entwicklung vollzogen werden. Wie oben bereits diskutiert, stellte sich die Frage, ob die Erfahrungen der WM intensiv genug waren, um tatsächlich nachhaltige Veränderungen in der erhofften Weise herbeiführen zu können.

Als konkretes Beispiel, wie eine Entwicklung nach der WM aussehen könnte, kann der koreanische Fußball nach Hiddink dienen. Aufschlussreich ist ein Blick auf die Vorbereitungen zur Teilnahme an den 14. Asienspielen vom 27. September bis 14. Oktober 2002 in Pusan. Nach Hiddinks Weggang wurde knapp drei Monate vor dem Turnier der Coach der Nationalmannschaft, Pak Hang-sŏ, zu deren Trainer ernannt,463ohne ihm jedoch die genauen Vertragsbedingungen mitzuteilen. Die Elf war nicht identisch mit der WM-Mannschaft, sodass intensives Training nötig gewesen wäre, um die einzelnen Spieler zu einem Team zu machen. Darüber hinaus war bereits festgelegt worden, welche Spiele die Mannschaft vor den Asienspielen absolvieren sollte. Der neue Trainer hatte kaum Einfluss auf diese Dinge und sei, so sagte er, vom Südkoreanischen Fußballverband nicht unterstützt worden.464Nachdem die Vorbereitung der Nationalmannschaft auf die WM unter Hiddink so große Anerkennung gefunden hatte und Maßstäbe hätte setzten sollen, wurden die Asienspiele nicht in dieser Weise angegangen und die koreanische Elf konnte keine Medaille erringen.

Bevor Pak Hang-sŏ in die Verpflichtung als Trainer der Nationalmannschaft für die Asienspiele einwilligte, fragte er Hiddink nach dessen Meinung. Dieser schätzte die Lage ein und kam zu dem Ergebnis, dass in der kurzen Zeit keine leistungsfähige Mannschaft zu schmieden sei. Er riet Pak deshalb davon ab, die Verantwortung für das aussichtslose Unterfangen zu übernehmen. Hiddinks Unabhängigkeit wurde in dem Rat an seinen Kollegen deutlich. Allein rationales Abwägen ließ ihn die Entscheidung treffen. Sein koreanischer Kollege hingegen war in seiner Entscheidung stärker gebunden. Sei es das Gefühl einer moralischen Verpflichtung gegenüber der Mannschaft, sei es aus Pflichtgefühl gegenüber dem Koreanischen Fußballverband oder aus Eitelkeit: Pak Hang-sŏ nahm die Aufgabe entgegen Hiddinks Ratschlag an. Anders als der Ausländer Hiddink konnte Pak nur als Akteur innerhalb des Systems agieren. Die fehlende Unabhängigkeit verstärkte die schlechten Ausgangsbedingungen, sodass das Unternehmen als Misserfolg endete.

4.1.3 Außenperspektive: Japaner berichten

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Die Sorge, vor den Augen der Weltöffentlichkeit nicht neben Japan bestehen zu können, erwies sich als unbegründet. Der Erfolg der südkoreanischen Mannschaft, die ungeheure Begeisterung der Fans und deren vorbildliches Verhalten hinterließen einen tiefen Eindruck bei den ausländischen Beobachtern, von dem sie dem Publikum in ihren Heimatländern, aber auch in Südkorea berichteten. Die meisten Artikel ausländischer WM-Beobachter oder Fans, die in den untersuchten Medien erschienen, stammten aus japanischer Feder und wurden in den Ausgaben WC 2002/7 und 2002/8 veröffentlicht. Fast alle zogen eine positive Bilanz. Das zentrale Thema der japanischen Berichte war die WM-Atmosphäre in Korea. Alle waren sich darin einig, dass sie die Stimmung in Japan bei Weitem übertraf, und dass die WM-Begeisterung der Koreaner unvergleichbar war.465

„Die Augen der jungen Leute, die [alle] das gleiche rote T-Shirt trugen, strahlten. Es waren nicht nur junge Leute. Es waren Taxifahrer, Firmenangestellte und auf die Anfeuernden aufpassende Polizisten ... Ob es das auch in der Vergangenheit gegeben hat, dass die Koreaner sich alle einig und so begeistert waren? Mehrere Zehntausend Menschen verknüpfen ,Patriotismus’ mit einem Fußball. Das ist die Weltmeisterschaft. [...] Mit der Leidenschaft der Koreaner, die man bei der WM gesehen hat, können sich die Japaner nicht messen. Auch Japans Ziel war der ,erste Sieg bei einer WM’. Aber auch an dem Tag, an dem es diesen ersten Sieg errungen hatte, war Japan nicht im Mindesten begeistert. Es gab auch Leute, die nicht das geringste Interesse für die WM aufbrachten. So sieht das in Japan aus“,

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hielt Hori Shin’ichirō von der Mainichi Shinbun fest.466Sein Kollege Kuroda Kazuhiro von der Sankei Shinbun fragte, wie es zu dieser Begeisterung kam. Er betonte, dass die WM in Südkorea ein durch und durch staatliches Ereignis gewesen sei, was sich auch beim Aufbau der WM-Atmosphäre deutlich gezeigt habe:

„Während die Eröffnung näherkam, wurde im Fernsehen fast täglich appelliert: ,Das ganze Volk soll sich einig darin sein, die WM zum Erfolg zu bringen’, und darüber hinaus wurde ständig das ,Vorrücken ins Achtelfinale’ ausgerufen. Es besteht kein Zweifel daran, dass die WM für Korea ein staatliches, mit der Ehre des Landes verbundenes Ereignis ist. Zum Beispiel wird erklärt: ,Das Blaue Haus467und das Kabinett sollen sich ganz und gar für die WM einsetzen’, und im Hinblick auf die Regionalwahlen (13. Juni) und die Ende des Jahres stattfindende Präsidentschaftswahl werden sogar eine Unterbrechung des politischen Kampfes von Regierung und Opposition und eine Unterbrechung der Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gefordert. [...] Sofort, nachdem die WM eröffnet wurde, war die koreanische Gesellschaft in einem Wahn gefangen. Die Medien hatten jeden Tag von morgens bis in die späte Nacht nur ein Thema, die Weltmeisterschaft. Das Fernsehen wiederholte koreanische Tore Dutzende, ja Hunderte von Malen am Tag. Es wurde ständig ,Taehan Min’guk!’ geschrien. [...] Ganz offensichtlich gibt es Unterschiede zu Japan. In Japan sagte vor der WM niemand: ,Das ganze Volk soll sich darin einig werden, die WM zum Erfolg zu bringen.’ Es ist für einen japanischen Journalisten bedrückend, das zu sagen, aber es ist eine Realität, an der man nichts ändern kann.“468

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Kuroda war der Einzige in dem hier untersuchten Medienausschnitt, der die WM-Begeisterung der Koreaner mit staatlicher Einflussnahme in Verbindung brachte. Wie oben deutlich wurde, versuchten die meisten koreanischen Kommentatoren, die Emotionen aus einem Bedürfnis der Bevölkerung heraus zu erklären und nicht als ein Ereignis, das durch Manipulation herbeigeführt wurde. Andererseits ist die Einflusskraft der Medien nicht zu leugnen, worauf Kuroda besonders hinwies: „Das südkoreanische Fernsehen ist ein System von drei Unternehmen und vier Anstalten, [sodass] die Zuschauerquote annähernd 100% betragen haben wird. Die Begegnungen, bei denen Korea spielt, werden buchstäblich eine gesamt-nationale Zuschauerquote erleben.“469Er stellte deutlich heraus, dass die Situation in Japan anders war. Vielleicht, so konnte man zwischen seinen Zeilen lesen, war in Japan die WM-Begeisterung nicht so groß wie im Nachbarland, dafür war aber die Manipulation der Medien nicht so stark.

Hori Shin’ichirō ging nicht darauf ein, wie die WM-Stimmung in Korea zustande kam, sondern widmete sich deren Wirkung. Er kam zu dem Schluss, dass man das Erleben „wohl ,Wiederherstellung des Selbstbewusstseins’ nennen könne. Als Koreaner könne man es ,Vergewisserung, dass man stolz sein kann, Koreaner zu sein’ nennen.“470Er bezog seine Aussage auf die Worte Präsident Kim Tae-jungs, der kurz vor der Weltmeisterschaft auf einer Pressekonferenz mit japanischen Journalisten zukunftsgerichtete koreanisch-japanische Beziehungen betont und gesagt hatte: „Völker, die aus der Vergangenheit keine Lehre ziehen, können sich nicht weiterentwickeln. Aber auch für die Völker, die sich von der Vergangenheit Fesseln anlegen lassen und deshalb nicht vorangehen können, gibt es keine Zukunft.“471Die Wörter „Wiederherstellung“ und „Vergewisserung“ beinhalten beide einen Rückgriff auf Früheres und drücken gleichzeitig aus, dass dieses in einer Zwischenzeit nicht vorhanden oder nicht bewusst vorhanden war und deshalb wiederhergestellt oder vergewissert werden muss. Dass die Koreaner zu alten Stärken zurückgefunden haben, konnte im Hinblick auf Kim Tae-jungs Aussage so verstanden werden, dass sie die Vergangenheit überwinden und deren Fesseln ablegen konnten. So konnten sie zu sich selbst finden, sich gleichzeitig befreien und entwickeln und sind nun bereit, in die Zukunft voranzuschreiten.

Der Journalist Kuroda sah die koreanisch-japanischen Beziehungen durch die Weltmeisterschaft nicht befördert. Er vertrat im Gegenteil die Meinung, dass die gemeinsame Ausrichtung als gemeinsames koreanisch-japanisches Projekt gescheitert sei:

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„Offiziell war die WM, die in Seoul eröffnet wurde, eine gemeinsame koreanisch-japanische Ausrichtung, aber letzten Endes war es doch eine ,getrennte Ausrichtung’. Ich denke, dass es besonders in Südkorea eine ,Konkurrenz-Ausrichtung’ war, bei der immer ein Konkurrenzbewusstsein mit Japan vorhanden war. Wenn die Leistung der koreanischen Mannschaft besser ist als die der japanischen, wenn man bei den Stadien, dem Empfangssystem, dem Turnier-Management usw. die Beurteilung ,besser als Japan’ erhält, dann werden die Spiele ein großer Erfolg. Wenn außerdem die Kultur-Events bei der Eröffnungsfeier usw. im Ausland Aufmerksamkeit erregen und wenn es heißt: ,Die Welt hat die Vortrefflichkeit der koreanischen Kultur gelobt’, dann wird die öffentliche Meinung Südkoreas zufrieden sein.“472

Die Frage, was unter diesen Umständen der Sinn einer gemeinsamen Ausrichtung gewesen sei, beantwortete Kuroda wie folgt:

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„Wenn dem so ist, dann fragt man sich, was die Bedeutung der ,gemeinsamen Ausrichtung’ gewesen ist? Das lässt sich beantworten, indem man sich vorstellt, wie es gewesen wäre, wenn es keine gemeinsame Ausrichtung gegeben hätte. Wenn es keine gemeinsame Ausrichtung gewesen wäre und Japan, das im Bewerbungsprozess vorne lag, der alleinige Ausrichter geworden wäre, wäre Schlimmes passiert. Durch die Unzufriedenheit, Ablehnung, Eifersucht, Verzweiflung und den Ärger Südkoreas hätten sich ohne Zweifel beträchtliche anti-japanische Emotionen verbreitet. Wenn man den starken Wunsch des Staates oder der Bevölkerung, der an die Ausrichtung dieser WM geknüpft ist, sieht, weiß man das. Und wenn man an die Begeisterung für den Fußballsport denkt, die die gesamte koreanische Bevölkerung teilt und die anders ist als die der japanischen Bevölkerung, dann kann man sich nicht sicher sein, ob nicht eine alleinige japanische Ausrichtung ein so schlechtes Ergebnis gebracht hätte, dass es die koreanisch-japanischen Beziehungen bedroht hätte. Wie wäre es gewesen, wenn im Gegenteil Südkorea die alleinige Ausrichtung bekommen hätte? Dass die Einstellung der Japaner sich verschlechtert und die koreanisch-japanischen Beziehungen schlechter geworden wären, kann man sich nicht vorstellen. Es wäre auf eine Angelegenheit der Fußball- oder Sportwelt beschränkt geblieben. Für diese WM gilt also, dass das durch die gemeinsame Ausrichtung erreichte Ergebnis, nämlich dass die koreanisch-japanischen Beziehungen sich nicht verschlechtert haben, der größte Effekt ist“,

fasste Kuroda zusammen.473Für Cho Yang-uk, den Leiter der südkoreanischen Forschungsstelle für japanische Kultur, dürfte Kuroda als Vertreter dieser Meinung zu dem „Teil der wichtigen Persönlichkeiten Japans“ gehören, die, „indem sie sagten, es sei keine ,gemeinsame Ausrichtung’, sondern eine ,Konkurrenz-Ausrichtung’474 eine Art Rivalen-Bewusstsein heraufbeschworen.“475 Der japanische Botschafter in Südkorea, Terada Terusuke, bestätigte den anfänglichen Eindruck von Konkurrenz. Er hob jedoch hervor, dass sich unter den Organisatoren der WM sehr bald das Bewusstsein einer „Schicksalsgemeinschaft“ herausgebildet habe, die sich einen Misserfolg nicht leisten könne.476 

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Für Kuroda war die japanisch-koreanische WM-Zusammenarbeit ein Hinweis darauf, dass in den gegenseitigen Beziehungen Scheinprobleme eine viel zu große Rolle spielten. Die Fragen, die häufig zu Hindernissen werden, sah er als im Grunde vernachlässigbare Probleme an und begründete seine Haltung mit der guten Zusammenarbeit bei der Weltmeisterschaft:

„Es ist eine Tatsache, dass unter der moralischen Verpflichtung der gemeinsamen WM-Ausrichtung Konfrontationen oder Streitpunkte verdrängt wurden, wie es beim Schulbuch-Problem im letzten Jahr der Fall war. Anders gesagt können die beiden Länder Südkorea und Japan, angefangen beim Schulbuchproblem, je nachdem wie sie es benötigen und wenn sie es nur wollen, jederzeit Probleme verdrängen. Probleme, die verdrängt werden können, sind nicht unbedingt Fragen von Leben und Tod.“477

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Er sah die japanisch-koreanische Zusammenarbeit weniger als ein Beispiel für gelungene Kooperation, sondern vielmehr als eines der „Konfliktverdrängung“.478

Gelungene Kooperation wurde von keinem Beobachter als wesentliches Ergebnis angesehen. Als wichtiger wurde der durch das Ereignis veranlasste Austausch auf der Ebene der Bevölkerung erachtet. Botschafter Terada hob hervor, dass „durch die Vermittlung des Fußballs der freiwillige Austausch zwischen den beiden Völkern angeregt wurde.“479Der Austausch wurde vor allem durch die Medien befördert, die aus dem Partnerland berichteten. Die Wirksamkeit des Instruments Mega-Event für die Imagewerbung wurde durch die Begeisterung japanischer WM-Fans für Korea eindrucksvoll bestätigt, wenn auch die Frage der Nachhaltigkeit des Effekts bestehen blieb. Botschafter Terada betonte, dass die Berichterstattung wesentlich dazu beigetragen habe, das Interesse und Verständnis für den anderen zu erhöhen. Auf diese Weise habe sich ganz von selbst und natürlich verwirklicht, worum man sich auf Regierungsebene bisher mit geringem Erfolg bemüht habe, hielt Terada fest.480

Einen Einblick in die Motivationen und Erfahrungen japanischer WM-Fans, die die Weltmeisterschaft in Südkorea erlebten, gaben die Berichte zweier Japanerinnen in der WC. Beide erzählten, dass sie in Japan von der koreanischen WM-Atmosphäre angesteckt wurden und nach Seoul reisten, um sich dort unter die Fans zu mischen und das koreanische Team anzufeuern. Sie berichteten auch davon, dass die Begeisterung der Japaner für die koreanische Mannschaft in Korea auf Ungläubigkeit gestoßen sei. Immer wieder sei gefragt worden, ob die Japaner wirklich wünschten, dass Korea gewinne? Immer wieder habe sie das ohne zu überlegen bejaht, schrieb Fujisaki Ikuko. Beide Frauen nutzen ihre Berichte, um zu betonen, dass die Japaner nicht gegen die Koreaner eingestellt gewesen seien.481

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Ganz ungetrübt war die Begeisterung jedoch nicht. Einen einzigen „bedauerlichen Punkt“ in der sich entwickelnden gemeinsamen WM-Freude habe es beim Spiel Japan gegen Belgien gegeben, hielt Koga Satoshi fest, der seit mehr als zehn Jahren in Seoul lebt.482Obwohl das Ergebnis des Spiels für das Weiterkommen Koreas keine Relevanz hatte und Belgien kein Land war, zu dem in Korea besondere Verbindungen bestehen, ergriffen die koreanischen Fans Partei für das belgische Team und verliehen ihrem Missfallen über gelungene Aktionen der japanischen Spieler lautstark Ausdruck. „Das war der Moment, in dem ich vom Verhalten der Koreaner bei dieser WM enttäuscht wurde und mich fragte, wofür es eigentlich eine gemeinsame Ausrichtung gewesen ist“, schrieb Koga.483Eine ähnliche Andeutung fand sich in Bezug auf das Spiel Japan gegen die Türkei. Die Tatsache, dass die koreanischen Fans nicht Japan, sondern die Türkei anfeuerten, soll von japanischen Fans negativ aufgenommen worden sein. Botschafter Terada wehrte diese Vorhaltung ab, indem er davor warnte, die von einem Teil der japanischen Bevölkerung gezeigte negative Einstellung „zu übertreiben“, und darauf verwies, dass sich mit dem Verlauf des Turniers die Einstellung der japanischen Bevölkerung gegenüber Korea verändert habe: „Je mehr Spiele stattfanden, desto stärker änderte sich die negative Einstellung eines Teils der Leute hin zu einer positiven, und es gab auch Japaner, die bewusst ein rotes T-Shirt kauften, es anzogen, hinausgingen und Südkorea anfeuerten.“484Auch Umfragen bestätigten, dass sich die Einstellung gegenüber dem Nachbarn während der WM sehr verbesserte.485

Der persönliche Austausch, der eigene Erfahrungen und Begegnungen ermöglicht, war für Terada eines der wichtigsten Themen im Hinblick auf die gegenseitigen Beziehungen. Er forderte, systematischen Austausch zu institutionalisieren, damit er kontinuierlich und unabhängig von wechselnden Regierungen stattfinden könne.486Persönliche Beziehungen werden dazu beitragen, zwischen Japanern und Koreanern ein Vertrauensverhältnis zu schaffen, davon war auch Hori Shin’ichirō von der Mainichi Shinbun überzeugt. Er dachte, dass „der menschliche Austausch zwischen Koreanern und Japanern eine Stütze der Beziehungen der beiden Länder im 21. Jahrhundert werden wird.“487Dabei wird die „WM-Generation“ eine wichtige Rolle spielen.

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„Die Power und die kraftvolle Ausstrahlung der jungen der Generation der 20- bis 30-jährigen, die von den Roten Teufeln verkörpert wird, war wirklich enorm. Ich habe sogar den Glauben gewonnen, dass die Zukunft Südkoreas gerade von ihr, von der WM-Generation, abhängt. Ich hoffe, dass die Annäherung zwischen Japan und Korea sich auf der Grundlage der Kraft der WM-Generation noch weiter entwickeln wird“,

sagte Botschafter Terada.488

Angesichts der eigenen Begeisterung und des rauschhaften Erlebens ließ das koreanische Interesse an der Beurteilung durch Ausländer im Vergleich zur Zeit vor dem Turnier erheblich nach. Südkorea war in jeder Hinsicht erfolgreich und übertraf die eigenen Erwartungen bei Weitem. Deshalb standen nach der WM der Genuss der Wirkung des Ereignisses, seine Reflexion und Analyse im Vordergrund. Die Journalisten beschäftigten sich kaum noch mit der ausländischen Berichterstattung und auch ausländische Beobachter kamen selten zu Wort. Eine Ausnahme waren die hier herangezogenen Artikel von Japanern. Während der Vorbereitung diente Japan als Vergleichsmaßstab, nicht als beurteilende Instanz. Dennoch waren es Japaner, deren Berichte während und nach der Weltmeisterschaft auf Interesse stießen. Ein Grund dafür kann sein, dass die japanischen Fans sich stark mit dem koreanischen Team identifizierten, besonders, nachdem ihre eigene Mannschaft ausgeschieden war. Danach richteten sich die Erwartungen vieler Japaner auf die Elf des Nachbarlandes, in der Hoffnung, dass sie sich als asiatische Mannschaft durchsetzen würde. Der wichtigste Grund war jedoch ein anderer. Die Stimmung in Korea übertraf die Atmosphäre in Japan von Anfang an und ließ bei vielen den Wunsch aufkommen, daran teilzuhaben. Das Interesse und Wohlwollen, die Verbundenheit und die Bewunderung, die viele Japaner für Südkorea empfanden, war eine neue Erfahrung. Auf japanischer Seite wurde sie mit Erstaunen wahrgenommen, während sie auf koreanischer Seite weitgehend unbemerkt blieb. Zu sehr waren die Koreaner mit sich selbst beschäftigt, als dass sie für anderes Interesse gehabt hätten.

4.1.4 Fazit

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Die Fußballweltmeisterschaft übertraf die Erwartungen bei Weitem. Als Mega-Event ließ sie ein Gemeinschaftserlebnis entstehen, an dem jeder teilhaben konnte. Das Tragen roter T-Shirts, das Verwenden nationaler Symbole und das Singen der Nationalhymne wirkten als einende und identitätsstiftende Kräfte. Das Besondere an diesem Event war, dass sich das Geschehen und Erleben verselbstständigte. Wie Bette und Schimank ausführen, kann es besonders bei Sportevents zu einer reflexiven Überhöhung kommen, bei der die Zuschauer sich primär an ihrer gemeinsamen Erfahrung begeistern, die durch die Dramaturgie des Events hervorgerufen wird.489Bei der koreanischen WM-Erfahrung spielte dieser Faktor sicher eine Rolle, obwohl die Begeisterung der Koreaner einen realen Grund hatte: Sie wurde durch den Erfolg der Mannschaft hervorgerufen. Selbst wenn, wie von japanischer Seite kritisiert wurde, auf staatlicher Seite der Wunsch bestand, ein Zusammengehörigkeitsgefühl in der Bevölkerung zu verbreiten, und die Medien durch Appelle und ständige Wiederholungen koreanischer Erfolge die Emotionen anheizten, konnte ein solcher Effekt kaum vorhergesehen werden. Die Begeisterung ging über das Maß eines Events hinaus. Hinzu kommt der wichtige Punkt, dass im Gegensatz zu der Gemeinschaft, die bei einem Event nur im Moment des Events existiert und keine dauerhafte Verbindung darstellt, die Koreaner eine tatsächliche Gemeinschaft bilden, die durch die WM erfahrbar wurde.

Das Erleben des Events WM war von starker Körperlichkeit geprägt, jener Ko-Präsenz, die Knoblauch als Grundlage des Events bezeichnet. Sie kam in der koreanischen Wortschöpfung „sŭk’insip hada“ zum Ausdruck, die von vielen Fans in Beschreibungen verwendet wurde. Der Ausdruck setzt sich aus dem englischen Wort Haut, „skin“, und der Silbe „-ship“, im Deutschen etwa „-schaft“, sowie dem koreanischen Verb „hada“ „tun, machen“ zusammen. Es bezeichnet treffend die beiden Komponenten, die ein Event-Erleben ausmachen: die durch gemeinsame körperliche Erfahrung (Hautkontakt zu den anderen Fans aufgrund der Enge, „sŭk’in“) entstehende Gemeinschafts- („ship“) erfahrung („hada“). In Korea wurde daraus mehr, denn die Veränderung der Qualität des Erlebten war den Menschen bewusst und hat ihre Begeisterung noch gesteigert. Die Anwesenden hatten etwas Wirkliches gemeinsam. Alle waren Koreaner und es war diese Tatsache, die in den Mittelpunkt des Erlebens rückte.

Indem nationale Symbole von der jungen Generation der Teens und Twens in unpolitischer Absicht benutzt wurden, wurden die Symbole neu codiert. Sie wurden zu Zeichen einer freien, modernen und stolzen Nation. Unter ihnen kamen immer mehr Menschen zusammen und feierten eine neue Identität, die sie für sich gefunden hatten: die eines modernen, entwickelten, selbstbewussten Koreas, das bewiesen hatte, es mit den etablierten (Fußball-) Nationen aufnehmen zu können. Das Event Fußballweltmeisterschaft trug dazu bei, dass eine nationale Gemeinschaft sich im Bewusstsein ihrer selbst zusammenfand und neu erfand. So wie durch den Sieg der deutschen Nationalmannschaft 1954 in Bern „das Repräsentierte, die Bundesrepublik Deutschland, eine symbolische Veränderung erfahren hatte“490, geschah es auch in Südkorea. Durch die Begeisterung der Jugend und deren vorbehaltlose Verwendung nationaler Symbole wurde Taehan Min’guk als gefestigte Demokratie bestätigt. Während das Land sich bei der Olympiade 1988 auf dem Weg in die Demokratie befand, zeigte sich Korea im Jahr 2002 als erwachsen gewordenes Mitglied der Weltgemeinschaft.

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Eine entscheidende Rolle bei diesem Prozess spielte die Nationalmannschaft. Mit ihrer Entwicklung und ihrem Aufstieg ins Halbfinale vergegenwärtigte sie den Weg Südkoreas vom Entwicklungsland zu einer hoch technologisierten Wissenschaftsnation. Im Kampf der Mannschaft, in ihrem unbedingtem Willen zu gewinnen und in ihrem Einsatz konnten die Zuschauer, die mit ihrem Einsatz die Entwicklung des Landes ermöglicht hatten, sich selbst wiedererkennen. Die Nationalmannschaft verkörperte die koreanischen Nationaltugenden des bedingungslosen Einsatzes und unbeugsamen Willens. Ihr Erfolg war die Verkörperung des koreanischen Aufstiegsmythos. Gleichzeitig beschwor die Mannschaft durch ihren von Erfolg gekrönten Kampf das Leistungsprinzip. Nach der Wirtschaftskrise, durch die dieses grundlegende Versprechen in Frage gestellt worden war, gab die Weltmeisterschaft den Koreanern das Vertrauen zurück, dass Leistung sich lohnt. Während einerseits die eigene Erfahrung bestätigt wurde, führte Hiddink das Leistungsprinzip bei der Bewerberauswahl ein. Ausdrücklich wurde in den Medien hervorgehoben, dass Hiddink die Spieler ungeachtet ihrer universitären, gesellschaftlichen und geografischen Herkunft ausgewählt habe. Dass Leistung sich lohnt, wurde in einer neuen Situation erfahrbar und von der Öffentlichkeit positiv bewertet.

Die Tatsache, dass der Trainer der Nationalmannschaft ein Ausländer war, wurde nicht als Problem wahrgenommen. Bereits in der Vergangenheit hatten Know-how und Kapital aus dem Ausland die Entwicklung Koreas befördert, teils bis hin zur Abhängigkeit von diesen Quellen. Dass nun ein Ausländer das Fußballspiel weiterentwickelte und mit neuen Ideen an das internationale Niveau heranführte, war vor dem Hintergrund der Entwicklungsgeschichte des modernen Korea nicht außergewöhnlich.

Die Auseinandersetzung mit dem Trainer Guus Hiddink und seinen Methoden war intensiver als die japanische Auseinandersetzung mit Philippe Troussier. Das lag zum Teil daran, dass die koreanische Mannschaft unerwartet erfolgreich war, während Japan im Achtelfinale ausschied. Selbst wenn man jedoch in Betracht zieht, dass Hiddink Charisma bescheinigt wird, Troussier hingegen als schwieriger Charakter galt, wurde in der Art der Auseinandersetzung eine grundsätzlich andere Herangehensweise an das Neue erkennbar. Während Troussier in Japan als interessanter psychologischer Fall betrachtet wurde, fand in Korea eine Auseinandersetzung mit den Inhalten der Trainingsmethoden Hiddinks statt. Was als Grundgedanke für die WM proklamiert wurde, wurde hier umgesetzt: eine objektive Überprüfung des eigenen Könnens im internationalen Vergleich und eine Weiterentwicklung der Stärken unter Zuhilfenahme neuer Techniken und Ideen. Wie schwierig trotz des guten Willens die Anpassung fremder Methoden und Verhaltensweisen an den gesellschaftlichen Kontext ist, wurde in der Diskussion um die Weiterführung der unter Hiddink begonnenen Entwicklung nach dessen Verabschiedung als Trainer deutlich. Insgesamt jedoch war die Bereitschaft, sich auseinanderzusetzen, um zu lernen, in der koreanischen Diskussion um Hiddink deutlich zu erkennen und hob sich stark vom Amüsement über die Charakterschwächen Philippe Troussiers im japanischen WM-Diskurs ab. Auf diese Weise konnte die Anstellung Hiddinks mehr zur Internationalisierung der koreanischen Gesellschaft beitragen, als die Anstellung Troussiers in Japan bewirken konnte.

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Das vollkommene Umschlagen der Interessen mit dem Beginn des Turniers in Korea ist sehr deutlich. Keiner der Gedanken, die in den sechs Jahren der Vorbereitung die Diskussionen geprägt hatten, wurde mehr erwähnt. Das Einzige, was von Interesse war, war das Erleben der WM, die ungeheuren Emotionen, das Gefühl der Einheit der Nation und das Gefühl des Glücks.

Auch in den Berichten japanischer Beobachter stand das WM-Erleben im Mittelpunkt, besonders bei den journalistischen Laien. Die Profis berichten distanzierter. Der starke Konkurrenzcharakter der koreanischen WM-Ausrichtung blieb von ihnen nicht unkommentiert und eine vernichtende Beurteilung hinsichtlich der Bedeutung für die gegenseitigen Beziehungen war die Konsequenz. Andererseits wurde auf die enorme Bedeutung der WM für das Selbstbewusstsein der Koreaner hingewiesen. Auf die Auswirkungen auf die zukünftigen Beziehungen wurde jedoch nicht eingegangen. In dieser Hinsicht wurden die individuellen Erfahrungen, die bei persönlichen Begegnungen gesammelt werden konnten, hervorgehoben. Auf der jungen (und unpolitischen) Generation, die dem japanischen Botschafter durch ihre kraftvolle Ausstrahlung und Power aufgefallen war, ruhte die Hoffnung für die zukünftigen Beziehungen. Unbelastet von den Konflikten der Vergangenheit, geprägt von positiven Erfahrungen mit Japan sollte sie die koreanisch-japanischen Beziehungen in der Zukunft gestalten. Dahinter verbirgt sich die Hoffnung, dass eine neue Generation, die mit einem positiven Japanbild aufwächst, in der Zukunft die Beziehungen zu Japan unbelastet von ständigen Forderungen nach einer Beschäftigung mit der Vergangenheit gestalten werde. Eine Zukunftsorientierung, wie sie bereits in den Aussagen von Japanern im koreanischen WM-Diskurs während der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft aufgefallen war, war auch in den japanischen Artikeln während und nach dem Turnier herauszulesen. Auffällig war, dass im Vergleich dazu die Beziehungen zu Südkorea im japanischen WM-Diskurs wesentlich stärker mit einer Beschäftigung mit der Vergangenheit in Verbindung gebracht wurden. Diese Aufgabe wurde jedoch in Japan lebenden Koreanern überlassen.

Angesichts dieser Ergebnisse stellt sich die Frage, ob sich Südkoreas Erwartung, durch die Ausrichtung der WM „in der internationalen Gesellschaft einen Standpunkt auf der gleichen Augenhöhe wie Japan einnehmen zu können“, erfüllt hat?491Ohne diese Frage aus den hier untersuchten Materialien bereits abschließend beantworten zu können, sind die folgenden Punkte hervorzuheben: Viele Koreaner entwickelten durch die WM neues Selbstbewusstsein und Stolz, wobei ein wichtiges Element fehlte: anti-japanische Emotionen. Der ehemalige japanische Botschafter in Südkorea, Ogura Kazuo, wurde in der WC mit der Einschätzung zitiert, Ressentiments gegenüber Japan seien überflüssig geworden, da Südkorea über dieses Entwicklungsstadium hinausgekommen und erwachsen geworden sei.492Nach der WM wurde diese Frage auch von koreanischer Seite thematisiert. Yi Ch’ang-gŏn schrieb:

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„[Unsere] bisherige Vaterlandsliebe war in der Hauptsache eine anti-japanische Bewegung und Japan zu hassen war alles, was wir gemacht haben. Aber von jetzt ab, denke ich, müssen wir [diese Einstellung] ablegen und uns dahin gehend ändern, dass wir auch von den guten Seiten der Japaner lernen und unsere schlechten Seiten korrigieren.“493 

Das Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen, das Südkorea durch den WM-Erfolg gewinnen konnte, kann die Grundlage für die dafür nötige Offenheit sein. Sie gründet in einer weiteren wichtigen neuen Eigenschaft: Gelassenheit (kor. y ŏyu  餘裕). Aus Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen soll sich diese neue Haltung entwickeln, die es ermöglicht, sich von alten Denk- und Verhaltensmustern zu lösen und neue zu erkunden. Yi Yŏn-t’aek, vor der Weltmeisterschaft Präsident des Organisationskomitees Korea, wies auf eine neue Haltung gegenüber Japan hin: „Dadurch, dass Südkorea bei dieser WM ins Halbfinale aufgestiegen ist, haben unsere Bürger die Gelassenheit bekommen, Japan aufgeschlossen zu begegnen.“494 Gelassenheit wurde als wesentliche Voraussetzung für eine positive Entwicklung Koreas angesehen und gleichzeitig als Zeichen eines fortgeschrittenen geistigen Entwicklungsniveaus wahrgenommen. Wenn Korea Japan gelassen entgegentritt, wäre das ein Zeichen dafür, dass es sich dem Nachbarn nicht mehr unterlegen fühlt.495Wenn die Erfahrung der WM langfristig diese Haltung bestärken kann, kann das dazu führen, dass Korea sein Ziel verwirklicht und nicht nur in den Augen der internationalen Gesellschaft, sondern vor allem in der eigenen Wahrnehmung einen Standpunkt auf der gleichen Augenhöhe wie Japan einnimmt.

4.2 Das WM-Erleben in Japan: Korea ist interessant

4.2.1 Japan braucht eine neue Identität

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Nachdem das Turnier begonnen hatte, waren es wieder Japan-Koreaner, die die Fußballweltmeisterschaft kritisch analysierten. Der Verleger Ko Isam stellte in der Aera fest, dass die WM 2002 wohl nur deshalb so gut gelaufen sei, weil Japan und Südkorea, zwischen denen „Reibereien und Konfrontationen kein Ende nehmen“, keine gemeinsame, sondern „in Wirklichkeit eine [...] ,geteilte Ausrichtung’“ durchführten.

„Wenn sie im wahren Sinne des Wortes eine ,gemeinsame Ausrichtung’ hätten machen wollen, hätte die koreanische Seite bestimmt damit anfangen wollen, einen Konsens zur Frage des Geschichtsbewusstseins über die Vergangenheit herzustellen. Wenn man aber da anfängt, kann keine Seite nachgeben. Die Arbeit wäre keinen Schritt vorangekommen.“496

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Deutlicher als andere setzte sich Ko mit der Frage auseinander, was eine wirklich gemeinsame Ausrichtung der WM bedeuten sollte. Er war der Ansicht, dass es einer soliden Grundlage und eines von beiden Seiten akzeptierten Maßstabes bedarf, um eine Verbesserung des gegenseitigen Verhältnisses herbeizuführen. Notwendig ist ein gemeinsames Geschichtsbewusstsein. Ko Isam war bewusst, dass dieses am Ende eines langen und schwierigen Prozesses stehen wird. Da für die Vorbereitung der gemeinsamen WM nur sechs Jahre Zeit blieben, musste sie in dieser Hinsicht notwendigerweise „in Wirklichkeit eine ,geteilte Ausrichtung’“ bleiben. Dennoch, forderte er, müsse die WM zu einem Erfolg werden, der dazu beitragen werde, die beiden Völker einander näher zu bringen.

„Japaner und Koreaner sollen die Teams beider Länder anfeuern. [...] Durch die WM besteht eine Atmosphäre, die eine Stimmung der japanisch-koreanischen Freundschaft lebhaft aufkommen lassen möchte, aber das ist nicht so einfach. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass die Beziehungen zwischen den einfachen Leuten viel enger sind als früher. Musik und Film sind eine Art, sich näherzukommen. [...] Wenn die ,Erinnerung’ bleibt, dass man sich gegenseitig angefeuert hat, dass man zusammengearbeitet und [die WM] zu einem Erfolg gemacht hat, wird das sicherlich die zukünftigen japanisch-koreanischen Beziehungen positiv beeinflussen.“497

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Wenn die Fußballweltmeisterschaft auch nicht die grundlegenden Probleme zwischen den beiden Ländern zu lösen vermochte, kam ihr doch für die weitere Entwicklung der Beziehungen eine wichtige Rolle zu. Ko Isam betonte, dass das Potenzial der Veranstaltung in dieser Hinsicht genutzt werden müsse. Um herauszufinden, welche Rolle neben Film, Musik usw. die WM bei der Annäherung spiele, sei es „wichtig, nach der WM zu untersuchen, was bei der gemeinsamen Ausrichtung gut gelaufen ist und was nicht. Dann muss man ,Früchte der gemeinsamen Ausrichtung’ hervorbringen.“ Auf keinen Fall solle sie „nur ein einmaliges Event sein, sondern wir machen etwas, das später als Erinnerung bleibt.“498

Um die Erfahrungen der Fußballweltmeisterschaft weiterzuführen, schlug Ko vor, zwischen Japan, Südkorea und China regelmäßig Liga-Spiele zu veranstalten oder die stärksten Teams der J. League und der K-League gegeneinander antreten zu lassen. Ferner hielt er es für wünschenswert, die Zugangsbeschränkungen zu den Profi-Mannschaften für Spieler aus den Nachbarländern aufzuheben.499Durch solche Maßnahmen kann die Erinnerung an die gemeinsam erlebte WM immer wieder aktiviert und gleichzeitig darauf aufbauend etwas Neues entwickelt werden. Langfristig gesehen können solche Aktivitäten dazu beitragen, eine gemeinsame Identität zu entwickeln.

Ko wies darauf hin, dass die persönlichen Gefühle und Vorurteile gegenüber dem Nachbarn revidiert werden müssen:

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„Wenn man an die zukünftigen japanisch-koreanischen Beziehungen denkt, werden die Koreaner wohl irgendwann ihre komplizierten Gefühle gegenüber Japan überwinden müssen. Aber wir möchten auch, dass die Japaner verstehen, dass es nicht wenige Menschen gibt, die sagen: ,Das schmerzt.’“500

Er berichtete, dass der Anblick der japanischen Flagge bei Sportveranstaltungen in koreanischen Stadien immer noch komplizierte Gefühle auslöse.501In dieser Hinsicht war die Eröffnungsfeier, bei der im Seouler Stadion nicht nur japanische Flaggen zu sehen, sondern auch die Ansprache des japanischen Premierministers auf Japanisch zu hören war, ohne dass es dagegen Proteste gab, eine Geste der Öffnung und des Entgegenkommens.

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Ko erwartete nicht nur, dass Koreaner und Japaner ihre Einstellung überdenken und verändern. Seine Forderungen gingen weiter. Eng verbunden mit dem Konflikt zwischen den Nachbarn ist die Frage nach der japanischen Identität. Um in einer internationaler werdenden Welt als Nation erfolgreich sein zu können, muss eine ehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen Gesellschaft stattfinden. Er rief die Japaner dazu auf, die Weltmeisterschaft als Anlass zu nehmen, um sich mit den Japan-Koreanern, Japans „unsichtbaren Tatsachen“, auseinanderzusetzen.502Versteckt hinter japanischen Namen und der japanischen Staatsbürgerschaft seien schon oft Sportler mit koreanischen Wurzeln für Japan angetreten. Häufig komme es vor, dass über sie in koreanischen Sportzeitungen berichtet werde, während in Japan niemand davon wisse. Viele Japan-Koreaner müssten sich noch immer verstecken, um in der japanischen Gesellschaft leben zu können. Andererseits werde es von Japanern problemlos akzeptiert, dass Spieler südamerikanischer Herkunft die japanische Staatsangehörigkeit annehmen, um in der Nationalmannschaft spielen zu können.

„In der Vergangenheit waren es Ramos [Ramosu Rui] und Lopez [Wagner], dieses Mal ist es Alex [Santos Alessandro], alle gebürtige südamerikanische Spieler, die die japanische Staatsangehörigkeit angenommen haben und in die Nationalmannschaft aufgenommen wurden. Japaner nehmen das ganz natürlich hin. Aber was halten sie davon, dass ,unsichtbare Tatsachen’ wie die ,Japan-Koreaner’ existieren? Wäre es nicht gut, wenn anlässlich der WM alle ein bisschen über Volk und Staatsangehörigkeit nachdenken würden?“,

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fragte Ko Isam.503Einer ähnlichen Erwartung hatte vor der WM der Journalist Ishikawa Yasumasa Ausdruck verliehen. Das Zusammentreffen mit Menschen aus anderen Kulturen anlässlich der Fußballweltmeisterschaft werde den verschlossenen Charakter Japans und das Denken, dass „Japan eine besondere Gesellschaft mit einem einzigen Volk und einer einzigen Sprache“ sei, in Frage stellen. Es werde zu der Erkenntnis führen, dass ein solches Bewusstsein in der heutigen Welt von keinerlei Nutzen sei.504Ishikawa und Ko hofften, dass die WM eine Auseinandersetzung mit der japanischen Identität in Gang bringen werde. Die Fußballweltmeisterschaft als internationales Event schafft Berührungspunkte zwischen Einheimischen und Gästen, sie bewirkt interkulturelle Begegnungen und auf diese Weise eine Auseinandersetzung mit sich und den Fremden. Während dieser Prozess ungesteuert und automatisch verläuft, ist eine Auseinandersetzung mit den Japan-Koreanern ein Prozess, der durch die WM nicht automatisch angestoßen wird. Er könnte aber durch die positiven Erfahrungen beeinflusst und erleichtert werden. Deshalb hielt Ko Isam die gemeinsame Ausrichtung für eine gute Gelegenheit, um diese Frage anzusprechen.

4.2.2 Fußball als Spiegel der japanischen Gesellschaft

Obwohl die japanische Mannschaft unter ihrem Trainer Philippe Troussier große Fortschritte gemacht hatte, blieb ein Problem bis zum Schluss bestehen. Der Journalist Moronaga Yūji fasste es rückblickend zusammen: „Das Entscheidende, was der japanischen Nationalmannschaft gefehlt hat, war die Fähigkeit, noch Punkte zu machen, nachdem sie in die Ecke gedrängt worden ist.“505Er sprach aus, was der ehemalige Nationaltrainer Okada Takeshi schon vor dem Beginn des Turniers kritisiert hatte. Wie oben bereits zitiert, hatte Okada das Gefühl, dass den japanischen Spielern etwas fehle. „Wenn sie verlieren, sagen sie nicht: ,Wir müssen noch einen Punkt holen!’ Das halte ich für tödlich“, hatte Okada kommentiert.506 Während dessen Kritik auf die Fußballspieler beschränkt war, zog Moronaga Parallelen zwischen dem Agieren der Spieler auf dem Platz und der japanischen Gesellschaft.

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„Sich aus eigener Verantwortung heraus zu entscheiden, zu schießen, egal ob der Ball ins Netz geht oder nicht, in eigener Verantwortung für das Resultat einstehen, ein solches Verhalten ist in Japan immer noch schwer zu akzeptieren.

Die Geschmeidigkeit, die Kraft, die Lockerheit. Man sagt, dass Fußball die Strukturmuster eines Landes widerspiegelt. Was die Kultur und die Besonderheiten eines Landes rücksichtslos an den Tag bringt, ist die WM. Wenn das so ist, was haben wir dann von den japanischen Nationalspielern gesehen, die dieses Mal endlich nach harter Arbeit an den Weltstandard heranreichen konnten?“,

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fragte Moronaga.507Mit der bisherigen Methode war der japanische Fußball an seine Grenzen gestoßen:

„Wie Troussier selbst sagt, sind die Grenzen des japanischen Fußballs sichtbar geworden. Dass man sich auf das ,breite Mittelmaß’, das das schnelle Wachstum Japans gefördert hat, etwas eingebildet hat, damit ist man an seine Grenzen gestoßen und der Welt nicht [mehr] gewachsen.“508

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Die weitere Entwicklung stelle den Fußball und die Gesellschaft Japans gleichermaßen vor die Frage:

„Wird man Individualität, die hervorsticht, und Fähigkeiten, die gegen die Regeln verstoßen, anerkennen können? [...] Wird man Courage kultivieren können, sodass man keine Angst davor hat, Fehler zu machen, und keine Angst davor hat, den Erfolg mit den eigenen Händen zu packen?“509

↓188

Vor diesem Hintergrund wurde in den japanischen Medien aufmerksam verfolgt, wie unterschiedlich die japanische und die koreanische Mannschaft bei der Weltmeisterschaft auftraten. Mit der Einstellung, bis zum Schluss zu kämpfen und nicht aufzugeben, nahm die koreanische Elf ihre heimischen und ihre japanischen Fans gleichermaßen für sich ein. Die Beschreibungen der beiden Spiele Japan gegen die Türkei (das Achtelfinale am 18. Juni 2002, Ergebnis 0:1) und Südkorea gegen die Türkei (das Spiel um Platz Drei am 29. Juni 2002, Ergebnis 2:3) illustrierten beispielhaft, wie die unterschiedliche Einstellung der Mannschaften wahrgenommen wurde. Der Journalist Sawaki Kōtarō beobachtete beide Begegnungen für die Aera:

Das Spiel Japan gegen die Türkei (Achtelfinale)

2. Halbzeit, die Türkei führt mit 0:1

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„Japan kontrolliert das Spiel, kann aber keinen Punkt erzielen. [...] Die Spieler rennen engagiert dem Ball hinterher und geben ab, aber eben auch nur das. Sie haben keinen Biss. Man kann keine Hartnäckigkeit, auf jeden Fall noch einen Punkt zu holen, spüren. Die Zeit vergeht ungenutzt. Als der Schlusspfiff ertönt, sehen die japanischen Spieler einfach entmutigt aus. ,Haben wir halt verloren ...’ In Worte gefasst wäre es das. Die japanischen Verlierer waren emotionslos. Es gab auch Spieler, die weinten, aber es gab keinen einzigen, der [vor Erschöpfung] auf dem Rasen zusammengebrochen und nicht mehr aufgestanden wäre. Es gab z.B. einige schwedische Spieler, die, nachdem sie durch ein Golden Goal gegen Senegal verloren hatten, nach dem Spiel auf dem Rasen hockten und nicht mehr aufstehen konnten. [...] Bei den irischen Spielern war es auch so, als sie am Ende beim Elfmeter gegen Spanien verloren hatten. Im Vergleich dazu sticht bei den japanischen Spielern ihre Emotionslosigkeit hervor. [...] Sie fassen sich um die Schultern und laufen mit erhobenen Armen eine Ehrenrunde, um ihre japanischen Fans zu grüßen. [...]

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Es war schade, dass Japan wieder verloren hatte. Warum war es schade? Weil wir nicht ins Viertelfinale kommen konnten? Weil es ein Spiel war, das wir hätten gewinnen können? Weil wir, wenn wir gewonnen hätten, auch die Möglichkeit gehabt hätten, ins Halbfinale zu kommen, und weil eine solche Chance nicht zweimal kommt? Das auch. Aber ich fand darüber hinaus schade, dass die japanischen Spieler nicht bis zur Erschöpfung gekämpft hatten und dass es deshalb kein Zufriedenheitsgefühl gab. Haben sie im Kampf gegen die Türkei alles gegeben? Haben sie ihre ganze Energie verbrannt? Haben sie sich so viel bewegt, dass sie keinen Schritt mehr tun konnten?“510

Das Spiel Südkorea gegen die Türkei (Spiel um Platz Drei)

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[Das erste Tor für die Türkei ist gerade gefallen.] „Es war noch nicht eine Minute gespielt worden. Es schien, als ob nicht nur die Spieler, sondern auch die Zuschauer nicht verstünden, was passiert war. Das ganze Stadion war so erschrocken, dass alle die Stimme verloren hatten. Man dachte, das wird genauso wie beim Spiel Japan gegen die Türkei. [...] Aber so wurde es nicht. Das lag vor allem daran, dass Korea anders ist als Japan.“ [In der 9. Minute erzielte Südkorea das Ausgleichstor, in der 13. Minute fiel das 2. Tor für die Türkei.] „Es schien, als ob dieses Spiel sich völlig anders entwickeln würde als das Spiel Japan gegen die Türkei. Bei der koreanischen Verteidigung gab es zwar Durcheinander, aber wenn man es vom Boxen her beschreiben würde, war es kein Out-Boxing, sondern es sah so aus, als ob es ein Nahkampf-Schlagabtausch werden würde. Von da ab hat Korea begonnen, heftig anzugreifen.“

[In der 31. Minute gelang der Türkei ein weiteres Tor.] „3:1. In diesem Moment verstummten die Zuschauerränge. Das Anfeuern der Koreaner, das zu keiner Zeit abgebrochen war, erlosch zum ersten Mal. Ich verstand, dass die Leidenschaft, die auf den Zuschauerrängen gekocht hatte, plötzlich abgekühlt war. Ich hatte einige Spiele von Korea gesehen, aber einen Moment wie diesen, in dem die Leidenschaft auf den Zuschauerrängen so abkühlte, erlebte ich das erste Mal. Dann lebte das Anfeuern wieder auf, aber irgendetwas hatte sich verändert. Offensichtlich war die Spannung gefallen. Das Spiel schleppte sich voran und Korea geriet in eine Situation, in der sich eine elende Niederlage abzuzeichnen schien. Aber auch hier war Korea anders.

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In der 2. Halbzeit begannen die eingewechselten jungen Spieler, sich frei hin und her zu bewegen. Dadurch kehrte die Energie zu Korea zurück. Nach der 80. Minute, als nur noch wenig Zeit bleib, war der koreanische Angriff besonders grausam. Aus einer Folge von Schuss, Schuss, Eckball, Schuss, Schuss haben sie sich Chancen erarbeitet. Dadurch begannen die Zuschauer, sich wieder zu begeistern. Durch diesen Enthusiasmus haben sie sich selber wieder aufgerichtet und die koreanischen Spieler haben immerzu auf das türkische Tor gezielt. Schuss, Eckball, Kopfball so gingen sie in die Nachspielzeit. Ein Abstand von zwei Punkten. Es war bereits schwer, das noch zu wenden. Aber dennoch haben die koreanischen Spieler weiter angegriffen. Dann, nach drei Minuten, hat es der Schuss des jungen Song Chong-guk entschieden. [...] Bei diesem heiß erkämpften Punkt bin auch ich ohne nachzudenken mit den Koreanern aufgesprungen. Als eine Minute später der Schlusspfiff ertönte, sind die meisten der koreanischen Spieler auf dem Rasen zusammengebrochen. 2:3 verloren. Aber es war ein tolles Spiel! Es kann sein, dass man so nicht gedacht hätte, wenn es unverändert 1:3 gestanden hätte. Aber dadurch, dass sie ganz zum Schluss noch einen Punkt geholt haben, waren auch die Zuschauer irgendwo tief in ihrem Innern zufrieden. Mir ging es genauso.“511

Der Vergleich der beiden Spiele macht die Stärke der koreanischen Mannschaft und die Bewunderung der Japaner deutlich: Die Spieler kämpften mit einer unbezwingbaren Leidenschaft gegen die bevorstehende Niederlage und wurden deswegen zu Helden,512während die japanischen Spieler sich nicht motivieren konnten, ihr Letztes für einen Sieg zu geben. Es war ein großes Verdienst der japanischen Fans, dass sie diese Tatsache nicht nur anerkennen, sondern trotz ihrer Enttäuschung über das eigene Team die Koreaner unterstützten. Sawaki schrieb:

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„Irgendwie hatte ich gedacht, dass wir gewinnen können, wenn die japanische Nationalmannschaft gegen Südkorea spielen würde. Aber bei diesem Spiel gegen die Türkei habe ich die Stärke Koreas verstanden. Die jetzigen japanischen Nationalspieler können gegen dieses Korea nicht gewinnen. Und ganz besonders gegen dieses Korea, das ganz zum Schluss mit solcher Leidenschaft noch einen Punkt geholt hat, können wir nicht gewinnen. Das war ein überwältigender Sieg Koreas, dachte ich. Sie haben die Fans beim Spiel begeistert und mit ihrer Zeremonie513am Schluss bewegt. Gegen dieses Korea können wir nicht gewinnen.“514

Die Leidenschaft der koreanischen Spieler und ihrer Fans hinterließ einen starken Eindruck. Es war das einzige Thema, bei dem im japanischen WM-Diskurs ein Vergleich zwischen Südkorea und Japan gezogen wurde. Obwohl die Koreaner deutlich überlegen waren, wurde daraus keine Vorbildfunktion abgeleitet, weder für die japanische Mannschaft noch für die japanische Gesellschaft. Die Besonderheit der Koreaner und ihre Stärke wurden ebenso bewundernd anerkannt, wie die Unterlegenheit der japanischen Mannschaft verwundert eingestanden wurde. Die Umkehrung des bisherigen Verhältnisses zwischen Japan und Korea stellt eine neue Möglichkeit in den gegenseitigen Beziehungen und eine neue Erfahrung dar. Der Gedanke, dass, wenn schon die eigene Mannschaft vorzeitig ausgeschieden war, doch wenigstens eine andere asiatische Mannschaft weiterkommen sollte, bewegte darüber hinaus viele Japaner, sich den koreanischen Fans anzuschließen. Eine größere Rolle spielten aber die Emotionen, von denen sie sich anstecken ließen. Sie ließen sich von der Begeisterung der Koreaner begeistern und fieberten mit ihnen dem gleichen Ziel entgegen. Daraus entstand auf japanischer Seite ein neues Gefühl der Verbundenheit.

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Bereits während der Vorbereitungen auf die Weltmeisterschaft wurde im japanischen WM-Diskurs die Gelegenheit genutzt, um grundlegende Missstände in der japanischen Gesellschaft zu kritisieren. Diese Tendenz setzte sich auch während und nach der WM fort. Wie in Südkorea wurde auch in Japan die Nationalmannschaft als Spiegelbild der Gesellschaft gesehen. Im Falle einer alleinigen Ausrichtung durch Japan wäre es vielleicht nicht zu einer solchen Betrachtung gekommen. Dadurch aber, dass das Team des Partners einen überragenden Erfolg erkämpfte, wurde der Kontrast zu den japanischen Spielern besonders deutlich. Hinzu kam, dass viele Japaner sich nach dem Ausscheiden der eigenen Mannschaft der koreanischen Mannschaft anschlossen und für deren Leistungen begeisterten. Dadurch wurde der Unterschied zur Leistung der eigenen Mannschaft noch deutlicher spürbar und relevanter. Ein Vergleich der beiden Teams lag also nahe. Die Eigenschaften der koreanischen Mannschaft, von denen die Japaner besonders beeindruckt waren, standen im Mittelpunkt des Interesses: der unbändige Wille zu gewinnen, die Bereitschaft, bis zum Letzten für einen Sieg zu kämpfen und nicht aufzugeben. Genau die Eigenschaften, die in Korea den Spielern als Nationaltugenden zugeschrieben worden waren, vermissten die japanischen Fans an ihren Athleten. Es wäre ein naheliegender Schritt gewesen, den Mangel dieser Tugenden vom Stellvertreter der Nation, der Nationalmannschaft, auf die Nation selbst zu übertragen. Er wurde jedoch nur angedeutet, indem beispielsweise festgestellt wurde, dass Japan gegen dieses Korea nicht gewinnen könne. Auffällig war auch, dass Korea nicht als Vorbild für Japan dargestellt wurde, obwohl es als Gegenbeispiel präsent war. Es diente lediglich als Kontrast.

4.2.3 Annäherung an Südkorea

Die neuen Erfahrungen bewirkten, dass Korea in einem anderen Licht wahrgenommen wurde. Bei vielen Japanern weckten sie Neugierde auf den Nachbarn. Wie eine Annäherung verlaufen kann, konnten japanische Leser anhand der Berichte des Journalisten Sawaki Kōtarō nachvollziehen. Sawaki war als WM-Beobachter in Japan und Südkorea unterwegs, er pendelte zwischen den beiden Ländern und berichtete von seinen Erfahrungen. Sawaki war kein ausgesprochener Koreakenner. Durch die detaillierten Beschreibungen ermöglichte er es seinem Publikum, mit ihm die Reisen von einem Spiel zum anderen, von einer Stadt zur anderen, von einem Land zum anderen zu unternehmen und an seinen Erfahrungen und Empfindungen teilzuhaben. Er vermittelte ein überwiegend positives Bild von Korea, das von tiefen Gefühlen und von einer intensiven Herzlichkeit der Koreaner gekennzeichnet war.

Nachdem das Viertelfinalspiel Südkorea gegen Spanien in Pusan zu Ende gegangen war, organisierte ein Fremder für Sawaki eine Mitfahrgelegenheit nach Seoul. Während der Journalist darüber nachdachte, ob die mehrstündige Autofahrt mit ihm, einem Ausländer, nicht in einer bedrückenden Atmosphäre verlaufen würde, luden die jungen Koreaner ihn bedenkenlos und offenherzig zum Mitfahren ein. Als er sich in Seoul von ihnen verabschiedete, umfassten sie seine mit einem „kamsa hamnida“ (dt. Danke) entgegengestreckte Hand mit beiden Händen und entgegneten ihrerseits „kamsa hamnida“.

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„Als ich mich von den jungen Leuten verabschiedete, von denen ich mich trennte, ohne überhaupt ihren Namen erfahren zu haben, dachte ich, dass ich, seit ich nach Korea gekommen war, kein größeres Glück verspürt hatte. Natürlich freute ich mich darüber, dass sie mich, der ich wahrscheinlich sonst keine andere Möglichkeit gehabt hätte, nach Seoul mitgenommen hatten. Was mich aber viel glücklicher machte, war, dass sich ihre tiefe Freude über den koreanischen Sieg direkt auf mich übertrug“,

schrieb Sawaki.515Mehrmals berichtete er davon, wie ihm auf seinen Reisen in Korea äußerst höflich, rücksichtsvoll und umsichtig geholfen wurde. Er beschrieb, wie eine Koreanerin ihren Arbeitsplatz verließ, um an einem Automaten ein Ticket für ihn zu kaufen, wie sie ihm einen Zettel mit seinem Fahrtziel schrieb und ihn zur richtigen Bushaltestelle brachte. Dort nahm sich ein alter Herr seiner an, der absichtlich an der gleichen Haltestelle ausstieg, nur um ihm den weiteren Weg weisen zu können.516Es waren kleine Gesten voller Herzlichkeit wie diese, die Sawaki bewegten. Ein Händeschütteln, ein Wegweisen, ein Dankeschön. Als er auf der Suche nach dem Busterminal einen Mann vom Sicherheitsdienst ansprach, fragte ihn dieser: „Sind Sie Japaner?“, und fügte dann auf Japanisch hinzu: „Vielen Dank, dass Sie extra gekommen sind.“

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„Dass ich Journalist bin und wegen meiner Arbeit gekommen war, hatte er sicher an dem Ausweis auf meiner Brust erkannt. Anscheinend wollte er mir dafür danken, dass ich, ungeachtet der Tatsache, dass das Team meines eigenen Landes bereits verloren hatte, eigens gekommen war, um Koreas Auftritt zu sehen. Ich war überrascht und bewegt.“517

Es war nur eine kleine Bemerkung des Sicherheitsmannes, die er nicht hätte machen müssen, aber er sprach ihn auf Japanisch an und machte ihm damit eine Freude. Durch detaillierte Beschreibungen solcher Situationen vermittelte Sawaki den Lesern seinen Eindruck von Korea.

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Eine Eigenschaft der Koreaner, die Sawaki in seinen Berichten besonders herausstellte, war die Leidenschaft, durch die sich sowohl die koreanischen Spieler als auch deren Fans im Gegensatz zu den Japanern auszeichneten. Als Sawaki im japanischen Miyagi das Stadion betrat, um das Spiel Japan gegen die Türkei zu sehen, war das Stadion wider Erwarten kein blaues Meer aus den Trikots der japanischen Fans. Weil es regnete, hatten sie Regencapes übergezogen.

„Wie wäre es wohl in Korea gewesen? Sie wären wohl auch bei Regen in ihren roten T-Shirts sitzen geblieben. Beim Spiel gegen die USA hatte es auch in Korea geregnet. In Seoul regnete es besonders stark, aber von den Zehntausenden Menschen, die sich auf dem Rathausplatz versammelt hatten, hat kein Einziger einen Schirm aufgespannt und sie haben weiter gemeinsam auf den großen Bildschirm geschaut, ohne darauf zu achten, dass sie durchnässt waren. Denn, wenn sie einen Schirm aufgespannt hätten, hätten diejenigen hinter ihnen nichts mehr gesehen.“518

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Statt einen Schirm aufzuspannen, hätten auch die koreanischen Fans Regencapes überziehen können. Dann wären aber die roten Fan-Shirts nicht mehr sichtbar gewesen. Die Demonstration der Zugehörigkeit zu den Roten Teufeln siegte über das Bedürfnis, sich vor dem Regen zu schützen. In Japan entschieden sich die Fans für das Regencape. Ohne Sawakis Vergleich mit den koreanischen Fans wäre das Verhalten der japanischen Fans nicht weiter aufgefallen. Erst in der Relation wurden die Unterschiede deutlich. So wie die japanischen Spieler nicht den Willen aufbrachten, bis zum Schluss alles zu geben, um noch ein Tor zu schießen, so waren die japanischen Fans nicht bereit, sich dem Regen auszusetzen, um ihre Mannschaft in ihrem Trikot anfeuern zu können. Diesen Unterschied suggerierte Sawaki mit seinen Beschreibungen.

Mit Interesse beobachtete Sawaki das Verhältnis zwischen den koreanischen Spielern und ihren Fans. Die Spieler waren für die Unterstützung der Fans sehr dankbar und zeigten das mit einer bewegenden Geste.

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„[Nach dem letzten Spiel um den dritten Platz] haben sich die Spieler zum Schluss alle in der Mitte auf der Linie um den Punkt herum in einem Kreis aufgestellt, die Rücken nach innen, den Zuschauern zugewandt, und auf ein Zeichen von Hong Myŏng-bo hin haben sich alle auf den Rasen geworfen. In diesem Augenblick hat sich im Stadion ein unbeschreibliches Gefühl ausgebreitet. Auch um mich herum hörte man erstickte Schreie junger Frauen. Mein koreanischer Freund An sagte, dass diese ,Große Verbeugung’ (kor. k’ŭn chŏl) genannte Zeremonie größte Dankbarkeit und Respekt ausdrücke. Die koreanischen Spieler haben die ,Große Verbeugung’, die sie sonst nur bei Grabbesuchen der Vorfahren und Ähnlichem ausführen, vor ihren Fans gemacht.“519

Die Szene, in der die Spieler auf einen traditionellen Ausdruck größter Hochachtung zurückgreifen, wühlte nicht nur die koreanischen Fans auf. Auch Sawaki war tief bewegt und schrieb, dies habe ihm die Stärke des koreanischen Teams und seiner Fans bewusst gemacht. Aus dieser Erkenntnis zog er den Schluss, dass „die jetzigen japanischen Nationalspieler gegen dieses Korea nicht gewinnen können.“ Diese Emotionen konnte er „ehrlich anerkennen“, schrieb Sawaki.520Er konnte die Überlegenheit der Koreaner akzeptieren und sie trotzdem positiv auf sich beziehen, denn auch er teilte die Freude über ihren Erfolg. Die gemeinsam erlebten Emotionen schufen ein Gefühl der Verbundenheit, das in Erinnerung bleibt.

Die Erinnerung an die Vergangenheit wachzuhalten, war den Roten Teufeln bei den Spielen der Türkei ein besonderes Anliegen. Sie organisierten das Anfeuern für die türkische Mannschaft und schwenken selbst beim Spiel Türkei gegen Südkorea Türkeiflaggen. Sawaki erklärte seinen Lesern:

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„Im Koreakrieg hatte unter den entsandten UN-Truppen die Türkei nach den USA die meisten Toten zu beklagen. Die Türkei, die damals in die NATO aufgenommen werden wollte, hatte Soldaten geschickt, um so ihren ,guten Willen’ zu demonstrieren. Aber der Zeitpunkt war ungünstig, [...] und es gab viele Tote. Vor der WM entstand in Korea um die Roten Teufel herum eine Bewegung, die sich durch Anfeuern bei der Türkei revanchieren wollte. Vom ersten Spiel der Türkei gegen Brasilien in Ulsan war mir das organisierte Anfeuern für die Türkei, das anders war als das spontane Anfeuern für Brasilien, in Erinnerung geblieben. Damals dachte ich, in Korea würden sie aus Höflichkeit die Mannschaften, die von weit herkamen und nur wenige Fans mitbringen konnten, anfeuern, aber wenn ich noch einmal darüber nachdenke, habe ich organisiertes Anfeuern für ein anderes Land nur da gesehen. Auch beim Spiel um den dritten Platz wurde angefeuert, weil der Gegner die Türkei war.“521

Durch ihre Unterstützung für die türkische Mannschaft demonstrierten die Roten Teufel, dass die Vergangenheit nicht vergessen ist und dass die Südkoreaner die damalige Hilfe und die Opfer zu würdigen wissen. Der Bezug auf ein historisches Ereignis bei einem Fußballspiel, das in die ganze Welt übertragen wurde, war ein bewusstes Signal an die türkische Bevölkerung: Selbst wenn sich die Türkei und Südkorea beim Fußball als Gegner gegenüberstehen, gibt es Dinge, die wichtiger sind und nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Durch Sawakis besondere Erwähnung der noblen Geste wurden die Roten Teufel moralisch ausgezeichnet und das positive Gesamtbild der koreanischen WM-Fans verstärkt.

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Auch bei einem anderen Spiel nehmen die koreanischen Fans Bezug auf Vergangenes, wie Sawaki berichtete. Diesmal war es ein Ereignis aus der Welt des Sports, bei dem sich die USA und Südkorea gegenübergestanden hatten. Im Vorfeld der WM gab es vereinzelte Befürchtungen, es könne wie bei den Olympischen Spielen 1988 zu antiamerikanischen Demonstrationen kommen. Dazu kam es 2002 nicht, dennoch berichtete Sawaki davon, dass die Abneigung gegen die USA in Korea tief verwurzelt und spürbar sei. Anlass zu dieser Bemerkung gab ein Freistoß für die USA im Spiel gegen Korea, dem Spiel um den Einzug ins Achtelfinale:

„Direkt danach bekommt Amerika einen Freistoß nach dem anderen. Dann rufen die koreanischen Fans: ,Oh-No! Oh-No!’ ,Ohno’ ist der Name des amerikanischen Sportlers, von dem man denkt, dass er bei den Olympischen Winterspielen in Salt Lake City dem Volkshelden Kim Tong-sŏng ,illegal’ die Goldmedaille beim Shorttrack weggeschnappt habe.522Mit diesem Namen stellen sie eine Verbindung her. Die Antipathie der Koreaner gegenüber den USA ist erschreckend tief und stark. Manche sagen, dass es [damals] nicht zu solchen antiamerikanischen Emotionen gekommen wäre, wenn es nur darum gegangen wäre, dass Kim die Goldmedaille nicht bekommen hatte. Aber die amerikanischen Medien haben die Reaktionen auf diesen Fall in Korea aufgenommen und belustigt darüber berichtet. Als darüber wiederum in Korea berichtet wurde, hat die Entrüstung unter der koreanischen Bevölkerung noch zugenommen. Natürlich besteht kein Zweifel daran, dass darin wohl ein lange gehegtes, sogenanntes ,schwer artikulierbares Gefühl’ [kor. h an  d.A.] gegenüber Amerika sehr deutlich widergespiegelt wird. Man muss die Tatsache anerkennen, dass [Südkorea] ohne Amerika nicht existieren kann, und das hat tief in der Seele des koreanischen Volkes eine Wunde hinterlassen.“523

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Während Sawaki die unterschwelligen negativen Emotionen betonte, wurde in den koreanischen Medien eine andere Seite des Spiels hervorgehoben. Eine 18-jährige amerikanische Schülerin koreanischer Abstammung beschrieb, dass die Koreaner sich bei diesem Spiel den Amerikanern gegenüber wohlwollend verhielten und dass es keinen Antia-Amerikanismus gegeben habe, wie bei jenen Olympischen Winterspielen. Stattdessen habe es nach einem koreanischen Tor nur eine scherzhafte Szene gegeben, in der der Spieler An Chŏng-hwan Ohno nachahmte.524 „Man kann stolz darauf sein, dass die Koreaner vor dem Spiel der amerikanischen Hymne und dem Sternenbanner applaudiert und die Amerikaner willkommen geheißen haben“, schloss sie ihren Bericht.525 An dieser Stelle wurde deutlich, wie unterschiedlich die Wahrnehmung und Interpretation der gleichen Situation ist. Während die einen feststellten, dass antiamerikanische Aktionen ausblieben und freundliche Gesten hervorhoben, war für andere Antipathie spürbar. Dass kein Konflikt zwischen Koreanern und Amerikanern entstand, lag auch daran, dass Südkorea gegen die USA zwar nicht gewann (das Spiel endete 1:1), sich aber für das Achtelfinale qualifizieren konnte. Hier schien sich zu bewahrheiten, was der Journalist Chi Tong-uk sechs Jahre zuvor betont hatte: „Durch die Siege im Sport bekommen die Koreaner gegenüber Japan Selbstbewusstsein. Beim Menschen ist es so: Wenn sie selbstbewusst werden, werden sie toleranter.“526

An anderer Stelle beschrieb Sawaki ein Erlebnis, das illustrierte, was Okonogi Masao sechs Jahre vor der WM als grundlegendes Problem der japanisch-koreanischen Beziehungen benannte. Sawaki war der Bericht eines koreanischen Kollegen in der Tageszeitung Tonga Ilbo aufgefallen. Der Koreaner hatte in Yokohama zwei japanische Freiwillige gefragt, wen sie beim Spiel Südkorea gegen Portugal anfeuern würden. Eine Person antwortete, sie möchte, dass Südkorea gewinne, denn bei einer Niederlage werde die WM-Begeisterung in Südkorea nachlassen. Die andere sagte, dass zwar auch sie möchte, dass Südkorea gewinne, weil sie aber portugiesischen Fußball sehen möchte, sei sie dafür, dass Portugal gewinne und nach Japan komme. Sawaki kommentierte sowohl diese Aussagen als auch die Interpretation des koreanischen Kollegen. Sawaki schrieb, er

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„[..] habe den Eindruck, dass beides eine für Japaner ganz normale Reaktion ist. Aber der Tonga Ilbo Journalist hat die zweite Antwort so interpretiert, dass Japaner [...] einer besonderen Bewunderung für Europa verhaftet sind. Ich denke zwar, dass es nicht nur bei Portugal, sondern z.B. auch bei Argentinien oder Brasilien die gleiche Antwort gewesen wäre, und dass es deshalb etwas anderes ist als einfach eine Bewunderung für Europa. Es ist ein Artikel, der den Gedanken hervorruft, ob nicht der Journalist selbst das starke Empfinden hat, dass Koreaner in Japan immer gegenüber Europäern und Amerikanern benachteiligt werden.“527

Die Interpretation des koreanischen Journalisten und Sawakis Kritik an der Interpretation des Kollegen illustrierten beispielhaft, was Okonogi Masao meinte, als er schrieb:

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„Wenn man sagt, dass es wegen der gemeinsamen Ausrichtung Schwierigkeiten geben wird, dann sind das keine technischen Probleme, sondern diese Misskommunikation. Die Kommunikation zwischen Japan und Korea funktioniert nicht gut. Man nennt sie nahe und doch ferne Länder. Wenn man das anders ausdrückt, heißt das, dass man den anderen zu kennen scheint, ihn aber nicht kennt. Man weiß nicht, was der andere denkt.“528

Dadurch, dass Sawaki von Dingen wie dem koreanischen Anfeuern für die Türkei, den Reaktionen der Fans beim Spiel Korea gegen die U.S.A. oder von der Berichterstattung koreanischer Journalisten berichtete und die Hintergründe erklärte, stattete er seine Leser mit umfangreichem Hintergrundwissen aus und ermöglichte ihnen vielfältige Koreaerfahrungen. 

Die Annäherung erleichtern und dabei helfen, Missverständnisse zu vermeiden, wollte die Zeitschrift Aera. Sie veröffentlichte deshalb in der Ausgabe 2002/6/17 einem Beitrag, der sich mit typischen Missverständnissen beim Zusammentreffen von Japanern und Koreanern beschäftigte.529Der Artikel hatte die Form eines Ratgebers, der in kurzen Lektionen typische Situationen japanisch-koreanischer Begegnungen aufgriff und aus einer interkulturellen Perspektive erläuterte. In Lektion 1 wurde thematisiert, wie unterschiedlich das Verständnis von privaten Dingen und deren Benutzung sei. Während Koreaner bei Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs weniger darüber nachdächten, wem was gehört und wer es benutzen darf, tendierten Japaner dazu, strikt darauf zu achten und nicht ungefragt das Eigentum anderer Personen zu benutzen. Das koreanische Verhalten, einfach alle vorhandenen Dinge zu benutzen, auch wenn sie anderen Leuten gehören, empfänden Japaner häufig als rücksichtslos und anmaßend. Sie übersähen dabei jedoch oft, dass die koreanische Gewohnheit auch ein freigiebiges und selbstverständliches Zur-Verfügung-Stellen der eigenen Dinge und ein selbstverständliches Teilen einschließe.

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Lektion 2 beschrieb, dass das getrennte Bezahlen der Rechnung von Koreanern meist negativ aufgenommen werde. In Korea bezahle mal der eine, mal der andere, sodass im Großen und Ganzen Ausgeglichenheit herrsche. Bei vielen Dingen, bei denen es im weiteren Sinne um Bezahlen gehe, herrsche in Korea „im Großen und Ganzen ein Give and Take.“

Lektion 3 behandelte den Umgang mit Freunden. Ihnen gegenüber fühle man sich in Korea stärker verbunden, „Freunde sind Leute mit ,Pflichten’“. Egal, ob sie gerade störten, Freunde seien Freunde, denen man sich nicht verweigern könne.

Lektion 4 beschäftigte sich mit den Unterschieden bei der Arbeitsplanung. Koreaner seien flexibler und planten kurzfristiger als Japaner, die diese Art der Organisation oft als chaotisch empfänden. „Japaner denken an zwei, drei verschiedene Möglichkeiten. Koreaner denken nur an den einen Fall, in dem alles gut geht“, sagte eine Japan-Koreanerin der dritten Generation. Während Japaner ängstlich auf Änderungen in einem Projekt reagierten, heiße es auf der koreanischen Seite immer nur: „Kein Problem.“

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Lektion 5 thematisierte das unterschiedliche Geschichtsverständnis von Japanern und Koreanern. Es könne vorkommen, dass man als Japaner in Südkorea direkt darauf angesprochen werde. Ein japanischer Student beendete eine solche auf Koreanisch geführte lautstarke Auseinandersetzung mit einem Seouler Taxifahrer, indem er ihn fragte: „Ist es nicht gut, dass wir in einer Zeit leben, in der Koreaner und Japaner so miteinander reden können?“ „Hm. Stimmt, sicher ist das so. Mein Junge, studiere gut weiter“, habe der Taxifahrer darauf gesagt und einen Handschlag verlangt.

Anschließend äußerte sich Ogura Kizō von der Tokai-Universität zum unterschiedlichen Verständnis von Höflichkeit in Japan und Südkorea. Als Beispiel zog er die Art, Fragen zu formulieren, heran.530Die Fragestellung unterscheide sich dadurch, dass dem Gegenüber unterschiedlich viele Wahlmöglichkeiten eingeräumt werden. Weil Koreaner weniger Wahlmöglichkeiten ließen, empfänden Japaner Koreaner häufig als dominant. Koreaner hingegen hielten Japaner für unentschieden, weil diese mit ihrer Fragestellung dem Gegenüber möglichst viele Optionen offen halten wollten. Ein grundlegendes Problem sah Ogura ferner in der Haltung, dass man leicht die eigene Kultur als überlegen und die des anderen als unterlegen wahrnehme. Das sei darauf zurückzuführen, dass es zwischen den beiden Völkern nicht genügend Austausch gebe. Beide Seiten bräuchten Mut, um Begegnungen zu ermöglichen. Von Koreanern, die die Tendenz haben zu denken, dass ihre Kultur die beste sei, wünsche er sich, dass sie erwachsener werden und den Mut haben, andere Kulturen anzuerkennen. Japaner hingegen sollten diese Selbstbetonung der Koreaner nicht ignorieren. Sie sollten es als Übung sehen, mit der Welt zusammenzukommen, sie sollten mutig sein und kommunizieren.531

Da die WM viele Begegnungen zwischen Japanern und Koreanern ermöglichte, sollten die Aera-Leser mit diesem Artikel für Situationen, in denen leicht interkulturelle Missverständnisse vorkommen, sensibilisiert werden. Die Beispiele der Lektionen stammten meist von japanischen Studenten in Südkorea, die von ihren Erfahrungen im Alltag berichteten. Mit dem Wissen um die Erfahrungen anderer Japaner sollten die Leser möglichen Ärger oder Enttäuschung als interkulturelle Missverständnisse erkennen lernen. Das Wissen um Schwierigkeiten und das Verständnis für die Hintergründe sollte den japanischen Lesern Sicherheit geben und ihre Scheu vor einem Zusammentreffen mit Koreanern abbauen. Ausdrücklich wurden die Leser dazu ermutigt, Kontakt aufzunehmen. Der Artikel illustriert den mit der WM-Ausrichtung verbundenen Wunsch, die japanischen Bürger durch interkulturelle Begegnungen zu kosmopolitisieren und ihnen die Angst von interkulturellen Begegnungen zu nehmen.

4.2.4 Fazit

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Die Themen, die im japanischen Diskurs während und nach der Fußballweltmeisterschaft zur Sprache kommen, zeigen, dass es vor allem die internationalen Aspekte der WM sind, die Reaktionen hervorrufen. Korea steht im Mittelpunkt der Erfahrungen. Einerseits wird die naheliegende Frage der in Japan lebenden Koreaner angesprochen, andererseits wird Korea, verkörpert durch die koreanische Nationalmannschaft, der japanischen Gesellschaft als Spiegel vorgehalten. Zwar geht die Diskussion nicht so weit, Korea als Vorbild darzustellen, aber die Bewunderung für die von den koreanischen Fußballern verkörperten Tugenden der Willenskraft, Hingabe und Energie steht im deutlichen Kontrast zu der Enttäuschung über die eigene Mannschaft. Den japanischen Beschreibungen ist die Überraschung über die Stärke der Koreaner und über deren Überlegenheit anzumerken. Die daraus resultierende Bewunderung für „dieses Korea“ war eine neue Perspektive auf das Nachbarland, von der die Beobachter selbst überrascht waren. Diese neue Sichtweise kann als das größte Verdienst der gemeinsamen WM-Ausrichtung bezeichnet werden. Wäre es wie geplant eine alleinige japanische Ausrichtung geworden, hätten andere Länder im Fokus der Aufmerksamkeit gestanden, so aber stand Korea im Mittelpunkt.

Wichtig für die japanische WM-Erfahrung war außerdem, dass es Korea war, das die japanische Selbstwahrnehmung relativierte. Korea hatte Japan zwar bereits früher bei Fußballspielen geschlagen. Diesmal besiegte es jedoch nicht nur Japan, sondern auch starke Fußballnationen wie Polen, Portugal, Italien und Spanien. Dass es in einem Turnier auf Weltniveau Korea war, das Japan die Erkenntnis der eigenen Schwäche vermittelte, war eine wichtige Erfahrung. Dabei spielte es keine Rolle, dass die beiden Länder bei der WM nicht direkt gegeneinander antraten. Allein der Eindruck, den die koreanische Mannschaft und die koreanischen WM-Fans vermittelten, war ausreichend.

Auf der Ebene der persönlichen Begegnungen gab es einen Prozess der Annäherung an Korea, der durch die neue Wahrnehmung des Nachbarn befördert wurde. Die emotionale und ausgelassene WM-Atmosphäre in Korea machte das Land für japanische Fans attraktiv. Angesteckt durch die Begeisterung konnten Japaner das Nachbarland von einer Seite erleben, die sich deutlich von Japan unterschied. Es war, als ob ein bisher unbekannter Nachbar plötzlich wahrgenommen würde und sich wider Erwarten als interessant und sympathisch erwiesen hätte.

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Die Erfahrung war nicht auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen beschränkt, wie es bei der später einsetzenden „Koreawelle“ (kor. Hallyu, jap. Kanryū 韓流) der Fall war. So wie der Fußball alle Altersstufen anspricht, ermöglichte die WM allen einen Zugang zu Korea. Die gemeinsame Ausrichtung verstärkte dies, da die beiden Gastgeber trotz aller Konkurrenz doch auch Partner waren. Die Partnerschaft erleichterte die Annäherung, weil die japanischen WM-Fans das Geschehen im Nachbarland und den Erfolg der Mannschaft auf sich beziehen und als ihren Erfolg erleben konnten, nachdem die eigene Mannschaft ausgeschieden war. Der Aspekt der Partnerschaft wurde allerdings in Korea kaum wahrgenommen, da dort das Gefühl der nationalen Einigkeit im Vordergrund stand.

Japan war es so möglich, auf eine unvorhergesehene Art und Weise von der WM-Ausrichtung zu profitieren. Anstatt den Bürgern durch die WM lediglich Internationalität zu vermitteln, konnte mit der emotionalen Annäherung an den Nachbarn Korea eine sehr wichtige Erfahrung gemacht werden, die für Initiativen auch auf anderen Ebenen genutzt werden kann.


Fußnoten und Endnoten

386 Cho Kap-che, WC 2002/8, S. 615.

387  Taehan Min‘guk (大韓民国) (kor.) ist die offizielle Bezeichnung der Republik Korea.

388 Yi Kŭn-hu, STA 2002/7, S. 87.

389 Gemeint ist der 14. Juni 2002, der Tag, an dem Südkorea durch einen Sieg über Portugal ins Achtelfinale einzog; WC 2002/7, S. 166.

390 Auf die Verknüpfung von sportlichem Erfolg, technischer Organisation und kultureller sowie politischer Bedeutung eines sportlichen Mega-Events verweisen MacAloon und Kang (1989), S. 118.

391 Yi Yŏn-t’aek WC 2002/12, S. 479.

392 WC 2002/7, S. 162ff.

393  Ha Il-sŏng, WC 2002/7, S. 652.

394 Ha Sang-jin, WC 2002/7, S. 653.

395  Zitiert von Cho Kap-che, WC 2002/7, S. 63.

396 Cho Kap-che, WC 2002/8, S. 610.

397 Kim Chin-hyŏn, WC 2002/9, S. 82.

398 Yi Ch‘ŏng, WC 2002/12, S. 480.

399  Yi Kŭn-hu, STA 2002/7, S. 83.

400  Han (恨) bezeichnet im Koreanischen ein Gefühl, das als unterdrückte, unerfüllte Sehnsüchte beschrieben wird.

401 Bei dem schamanistischen Reinigungs-Ritual ssitkim- kut werden die Seelen der Verstorbenen im übertragenen Sinne gereinigt und in die andere Welt geleitet.

402 Cho Nam-jun, WC 2002/7, S. 655.

403 Yi Ch‘ang-gŏn, WC 2002/9, S. 86.

404 Vgl. Gebauer (2000a); siehe auch hier unter 1.3.

405 Vgl. Kim Hwa-sŏng, STA 2002/7, S. 309.

406 Vgl. Gebauer (2000a und 2000c); siehe auch hier unter 1.3.

407  Yi Hong, WC 2002/9, S. 409.

408 Kang In-sŏn, WC 2002/8, S. 631.

409 Chin Yong-sŏk, WC 2002/7, S. 168.

410 Kim Han-sŏk, STA 2002/8, S. 514.

411 Cho Kap-che, WC 2002/8, S. 617.

412 Pae Chin-yŏng, WC 2002/8, S. 619.

413 Yi Yŏn-t‘aek, WC 2002/12, S. 479.

414 Vgl. Gebauer (2000a); siehe auch hier unter 1.3.

415 Yi Kŭn-hu, STA 2002/7, S. 88.

416  Kang In-sŏn, WC 2002/8, S. 630.

417 Cho Kap-che, WC 2002/8, S. 611.

418 Yi Yŏn-t‘aek, WC 2002/12, S. 479.

419 Koga, WC 2002/7, S. 661; da der japanische Name ohne chinesische Schriftzeichen wiedergegeben wurde, ließ er sich nicht mit Sicherheit bestimmen.

420  Vgl. WC 2002/8, S. 632 ff.

421  Cho Kap-che, WC 2002/8, S. 610.

422 Kang In-sŏn, WC 2002/8, S. 631.

423 Pak Se-jik, WC 2002/12, S. 477.

424  Yi Yŏn-t‘aek, WC 2002/12, S. 481.

425 Cho Kap-che, WC 2002/8, S. 616.

426 Cho Kap-che, WC 2002/8, S. 611.

427 Cho Kap-che, WC 2002/8, S. 615; “We are still hungry!“ ist ein Hiddink-Zitat. Dieser hatte vor dem Achtelfinalspiel gegen Italien mit diesem Satz klargemacht, dass er sich nicht mit dem Erreichen des Achtelfinales zufrieden geben wolle (vgl. STA 2002/7, S. 332).

428  Whang weist darauf hin, dass hauptsächlich die junge Generation im Alter zwischen zehn und 29 Jahren sich der „Flaggen-Mode“ unterwarf und dabei von den Eltern und Großeltern skeptisch beobachtet wurde (vgl. Whang (2004), S. 157, 161).

429 Vgl. Whang (2004), S. 159.

430  Als 5. Republik wird die Regierungszeit von Präsident Chŏn Tu-hwan von 1980 bis 1988 bezeichnet. 1983 kam das Lied „Ah! Taehan Min‘guk“ heraus, das von der Sängerin Chŏng Su-ra (geb. 1963) gesungen wurde. Es gehörte zum dem Repertoire der sog. „gesunden Lieder“ (kor. kŏnjŏn kayo  健全歌謠), in denen ein vom Staat propagierter Patriotismus besungen wurde. Es war Vorschrift, dass ein solches Lied am Ende eines jeden Albums aufgenommen wurde.

431 Cho Kap-che, 2002/8, S. 612.

432  Vgl. Kim Yŏn-gwang und Yi Sang-hŭn, WC 2002/7, S. 134 ff.

433 Der Autor bezieht sich auf ein Buch von Kim Tong-in, das den Titel (kor.) „Chŏlmŭn kŭdŭl“ („Die Jungen“) trägt und auf das er bereits zuvor angespielt hatte.

434 Hŏ Mun-do, WC 2002/8, S. 601 ff.

435 Die Ziffern 386 bedeuten, dass die Angehörigen dieser Generation in ihren Dreißigern sind ( 3 86), in der 1980er Jahren zur Universität gingen (3 8 6) und in den 1960er Jahren geboren wurden (38 6 ).

436 Whang (2004), S. 162.

437 An diesem Tag fand um 15:30 Uhr in Taegu das Spiel Südkorea gegen die USA statt, bei dem es um den Einzug ins Achtelfinale ging.

438  Yi Han-yŏl (29. August 1966 - 5. Juli 1987) war ein Student der Yŏnse-Universität, der sich wie viele andere für die Demokratie einsetzte. Durch ein Tränengasgeschoss der Polizei verwundet erlag er wenige Tage später seinen Verletzungen. Der Trauerzug führte durch die halbe Stadt und endete vor dem Rathaus. Yi wurde zu einer Symbolfigur der studentischen Demokratiebewegung.

439  Cho Kap-che, WC 2002/7, S. 61.

440 Cho Kap-che, WC 2002/7, S. 169.

441  Whang stellt die zentralen Emotionen der beiden Generationen gegenüber. Während die Erinnerungen der Dreißigjährigen Würde, Ehrfurcht, Wut und Tragik umfasse, zeichne die junge WM-Generation sich durch Freude, Stolz und Hoffnung aus (vgl. Whang (2004), S. 162).

442  Vgl. Whang (2004), S. 162 f.

443  Yi Ch‘ŏl-sŭng, WC 2002/7, S. 166.

444 Cho Kap-che, WC 2002/7, S. 61.

445  Hŏ Mun-do, WC 2002/8, S. 603.

446 Vgl. Yi Ch‘ang-gŏn, WC 2002/9, S. 88.

447 Hiddink in einem Interview mit der niederländischen Zeitung De Telegraaf, das in der STA 2002/7, S. 322, nachgedruckt wurde.

448 Hong Myŏng-bo, STA 2002/7, S. 300.

449  Vgl. U Chong-ch‘ang, WC 2002/7, S. 189.

450  Hiddink über sich in einem Gespräch mit niederländischen Journalisten, vgl. STA 2002/7, S. 332.

451 Kim Hwa-sŏng, STA 2002/7, S. 302 f.

452 Es war eine besondere Gewohnheit Paks, dass er Hiddink auch nach dessen Rückkehr in die Niederlande „Trainer“ nannte, wobei er an die Berufsbezeichnung das Suffix -nim anhängte, um seine besondere Wertschätzung auszudrücken.

453 Pak Hang-sŏ, STA 2002/8, S. 511 f.

454 Gemeint ist eine Sprachebene, die dem deutschen Duzen vergleichbar ist.

455 Kim T‘ae-yŏng, STA 2002/7, S. 303.

456 Ch‘oe T‘ae-uk, STA 2002/7, S. 303.

457 Hong Myŏng-bo, STA 2002/7, S. 304.

458  Kim Hwa-sŏng, STA 2002/7, S. 304.

459  Kim Chin-hyŏn, WC 2002/9, S. 83.

460  Yi Kŭn-hu, STA 2002/7, S. 89.

461  Kim Chin-hyŏn, WC 2002/9, S. 84.

462  Yi Ch‘ang-gŏn, WC 2002/9, S. 88.

463 Pak Hang-sŏ war vom 6. August bis 18. Oktober 2002 Trainer der Nationalmannschaft.

464 Vgl. Pak Hang-sŏ, STA 2002/12, S. 232 ff.

465  Während in Korea Hunderttausende zum Public Viewing strömten und ausgelassenes Fan-Verhalten von der Polizei toleriert wurde, war in Japan das Gegenteil der Fall. Möglichkeiten, die Spiele auf öffentlichen Plätzen zu verfolgen, wurden beschränkt und die Polizei behielt die Fans unter strenger Kontrolle (vgl. hierzu Horne und Manzenreiter (2004a), S. 195; Ogasawara (2004), S. 30 f.).

466 Hori, WC 2002/7, S. 659.

467 Das Blaue Haus (kor. Ch‘ŏngwadae ) ist der Sitz des südkoreanischen Präsidenten.

468  Kuroda, WC 2002/7, S. 657 f.; Horne und Manzenreiter unterstützen Kurodas Argument, dass die WM-Begeisterung in Korea nicht von alleine gekommen sei. Sie weisen daraufhin, dass die Fernsehzuschauer bereits Monate vor dem Turnier in Werbespots mit dem beliebten Schauspieler Han Sŏk-kyu und Roten Teufeln mit der richtigen Art und Weise des Anfeuerns vertraut gemacht wurden. Die japanischen Medien hingegen widmeten sich der Aufgabe, die Regeln des Fußballspiels zu verbreiten (vgl. Horne und Manzenreiter (2004a), S. 194 f.).

469 Ebd.

470 Hori, WC 2002/7, S. 660.

471  Kim Tae-jung zitiert in Hori, WC 2002/7, S. 660.

472 Kuroda, WC 2002/7, S. 658.

473 Ebd.

474  Im Text wird dazu folgende Erklärung gegeben: Wenn die beiden japanischen Wörter „gemeinsame Ausrichtung“ (jap. 共催 kyōsai) und „Konkurrenz“ (jap. 競争 kyōsō) verkürzt und kombiniert werden, wird daraus „Konkurrenz-Ausrichtung“ (jap. 競催 kyōsai). Die Aussprache von „Konkurrenz-Ausrichtung“ (jap. kyōsai) stimmt mit „gemeinsame Ausrichtung“ (jap. kyōsai) übereinstimmt.

475 Cho Yang-uk, WC 2002/8, S. 261.

476 Vgl. Terada, WC 2002/8, S. 261.

477 Kuroda, WC 2002/7, S. 658 f.

478 Vgl. ebd.

479 Terada, WC 2002/8, S. 261 f.

480 Vgl. Terada, WC 2002/8, S. 262.

481  Vgl. Fujisaki, WC 2002/8, S. 255 und Gondō, WC 2002/8, S. 259.

482  Zu dem Namen siehe Fußnote 34, S. 133.

483 Koga, WC 2002/7, S. 661.

484 Terada, WC 2002/8, S. 263.

485 Vgl. Kohari (2003).

486 Terada, WC 2002/8, S. 264.

487 Hori, WC 2002/7, S. 660.

488 Terada, WC 2002/8, S. 264.

489 Vgl. Bette und Schimank (2000), S. 315.

490  Gebauer (2000a), S. 179.

491 Vgl. Pu Chi-yŏng, WC 1998/12, S. 550.

492 Vgl. Ogura, WC 1998/10, S. 385.

493  Yi Ch‘ang-gŏn, WC 2002/9, S. 92.

494 Yi Yŏn-t‘aek, WC 2002/12, S. 480; auch der Chefredakteur der WC sprach von Gelassenheit: „Wenn das Selbstbewusstsein, dass wir die Kraft haben, unser Schicksal selbst bestimmen zu können, und die feste Überzeugung, dass wir im Zentrum des Laufes der Weltgeschichte stehen, uns ein wenig gelassener machen, wird unsere Gesellschaft den Weg zum Fortschritt einschlagen“ (Cho Kap-che, WC 2002/8, S. 611, Hervorhebung hinzugefügt). Ebenso war Yi Yŏn-t‘aek der Ansicht, dass „unsere reife Kultur und Gelassenheit [...] das Image Südkoreas [...] noch eine Stufe erhöht und die Rolle übernommen haben, uns ,von einem Land am Rande der Weltgeschichte zu einem Land in deren Zentrum zu befördern‘“ (Yi Yŏn-t‘aek, WC 2002/12, S. 479, Hervorhebung hinzugefügt).

495 Ähnliche Überlegungen stellte auch der Sinologe Tilman Spengler im Deutschlandfunk an, als er anlässlich der Unruhen in Tibet wenige Monate vor den Olympischen Spielen in Peking 2008 interviewt wurde. Er interpretierte die gewalttätigen Reaktionen Chinas als Spiegel einer Gesellschaft, die ihre „kulturelle Identität, die auch so sehr etwas wie Durchatmen, Gelassenheit, Aufeinanderzugehen ermöglichen könnte“, noch nicht gefunden habe (Tilman Spengler am 26. März 2008 im Deutschlandfunk (Hervorhebung hinzugefügt). Das Interview ist nachzulesen unter http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/759555/).

496 Ko Isam, Aera 2002/6/10, S. 64.

497  Ebd.

498  Ebd.

499 Vgl. ebd.

500  Ebd.

501 Vgl. ebd.

502 Vgl. ebd.

503  Ebd.

504 Vgl. Ishikawa, CK 2002/2, S. 212.

505 Moronaga, Aera 2002/7/1, S. 20.

506  Okada, Aera 2002/5/13, S. 5.

507  Moronaga, Aera 2002/7/1, S. 21.

508 Ebd.

509 Ebd.

510 Sawaki, Aera 2002/7/1, S. 31 f.

511 Sawaki, Aera 2002/7/15, S. 29.

512 Vgl. Bette und Schimank (2000), S. 314.

513  Die Spieler haben sich mit der „Große Verbeugung“ (kor. „k‘ŭn chŏl“) genannten Geste, die besondere Ehrerbietung zum Ausdruck bringt, von ihren Fans verabschiedet.

514  Sawaki, Aera 2002/7/15, S. 30.

515  Sawaki, Aera 2002/7/8, S. 30.

516 Vgl. Sawaki, Aera 2002/7/15, S. 26 f.

517  Sawaki, Aera 2002/7/8, S. 29.

518 Sawaki, Aera 2002/7/1, S. 30.

519 Sawaki, Aera 2002/7/15, S. 30.

520  Ebd.

521  Sawaki, Aera 2002/7/15, S. 28.

522 Apolo Anton Ohno trat in der Disziplin Shorttrack an, die dem Eisschnelllauf verwandt ist. Der besagte Wettkampf fand am 21. Februar 2002 statt. Der Koreaner Kim Tong-sŏng lief als Erster durchs Ziel, wurde aber wegen Behinderung seines Konkurrenten disqualifiziert und Ohno erhielt die Goldmedaille. Innerhalb von zwölf Stunden gingen beim Internationalen Olympischen Komitee mehr als 16 000 Emails von aufgebrachten Koreanern ein, die gegen die Entscheidung protestierten. Der Server des IOC brach unter dem Beschwerdeansturm zusammen. Der Vorfall verstärkte anti-amerikanische Gefühle. Die japanische Herkunft des Vaters Ohnos spielte in der koreanischen Diskussion keine Rolle (vgl. Koh, Andrews und White (2007), S. 323, S. 320 ff.), während diese Tatsache in den japanischen Medien hervorgehoben wurde (vgl. Ducke (2004), S. 25ff.).

523 Sawaki, Aera 2002/6/24, S. 74.

524  Nachdem An ein spätes Ausgleichstor geschossen hatte, schlüpfte er in die Rolle des disqualifizierten koreanischen Shorttrack-Läufers Kim Tong-sŏng, während ein Teamkollege die Rolle Ohnos übernahm. Beide spielten die Szene der Olympischen Spiele nach. Koh, Andrews und White erwähnen, dass die Idee zu dieser Torzeremonie anonym im Internet vorgeschlagen worden sei. Der Auftritt wurde von den Zuschauern gut aufgenommen (vgl. Koh, Andrews und White (2007), S. 324f.).

525 Ellisŭ Chŏng, WC 2002/7, S. 183.

526 Chi Tong-uk, CK 1996/7, S. 97.

527 Sawaki, Aera 2002/6/24, S. 76.

528  Okonogi, CK 1996/8, S. 95.

529  Pak Kŭm-un, Aera 2002/6/17, S. 54 f.

530 Vgl. Ogura, Aera 2002/6/17, S. 55.

531 Vgl. ebd.



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05.09.2013