Osterkultur - Temporale Aspekte einer Auferstehungs- und Heilskultur


Essay, 2012

15 Seiten


Leseprobe


OSTERKULTUR

Temporale Aspekte einer

Auferstehungs- und Heilskultur

Feste und Rituale: Kaum sind die Weihnachtsmänner und Nikoläuse von den Regalen der Kaufhäuser und Supermärkte verschwunden, da stehen auch schon die Osterhasen an ihrer Stelle in den Regalen. Das Business kennt keine natürliche Zeiten mehr, alles was sich verkaufen lässt, wird zunehmend im 24 mal 7 mal 360 Takt, das heißt möglichst ununterbrochen, zum alleinigen Zweck der Gewinnmaximierung angeboten. Der biologische, geistige und religiöse Rhythmus dagegen folgt der Schöpfungsordnung des Werdens, Vergehens und des Wiedergeborenwerdens. Die Feste des Jahreskreises sind daher organisch, in Einklang mit der Natur des Menschlichen und seiner geistigen Dimension verbunden. Rituale haben sozialanthropologisch betrachtet insbesondere auch die Funktion der Bestätigung und Konsolidierung einer Ordnung oder einer Gruppenidentität.

Die Zeit: Der Osterzeit ist die Weihnachtszeit und dieser wiederum die Adventszeit mit der Vorbereitung des Menschen auf die Menschwerdung Gottes vorgeschaltet und diese dauert bis Mariä Lichtmess, denn bis der geistige Geburtsprozess all jener, die an diese Geburt des Erlösers glauben, sowie auch jener anderen, die davon mitgeprägt werden, deren Herz, Geist und Körper durchdrungen hat, ist Zeit erforderlich, weil alles Geschaffene mit seinen vitalen Prozessen, insbesondere auch der Mensch, der Zeit unterworfen ist. Die winterlich-weihnachtliche Zeit, die eine Einkehr und In-sich-Kehrung des Menschen, synchron mit dem Ruhen der Natur und ihren Prozessen bewirkt, ist für eine Reflektion über die Zeit, wie auch der Ewigkeit und deren Interdependenz in natürlicher Weise geeignet.

Obschon Ostern vor der Tür steht, möchten wir einen Moment über die Zeit nachdenken, weil sie den Menschen fundamental und vielschichtig bedingt und die wiederkehrenden Festtagsrituale der Zeitdauer Struktur und Sinn verleihen. Sie hat einen Bezug, laut gewisser Neurophysiologen, zur Psyche, im Gegensatz zum Raum, der dem Körper zu entsprechen scheint. Erstere hat einen Bezug zur linken und analytischen, sprachlichen…Gerhirnhemisphäre, letzterer zur rechten, schweigend, synthetisch-intuitiven…

Auch von der Warte der südasiatischen Philosophie betrachtet scheint Zeit, Psyche und Intellekt in einem Bezug zu stehen. Die Sanskrit Begriffe Manas und Buddhi scheinen die hemisphärischen Komplementarität zu reflektieren, wobei der Manas, laut der Kardiologin und Bewusstseinsforscherin Dr. Thérèse Brosse, der linken Hemisphäre zuordenbar wäre. Indes, die Neurophysiologie ist eine vergleichsweise junge Wissenschaft, während die Weisen schon vor Jahrtausenden diesbezüglich Erkenntnis, unter anderem auch im Hinblick auf das Geheimnis der Zeit und ihrer Transzendierung zum Zwecke der Befreiung oder Erlösung aus der Bedingtheit durch die Zeit gesucht haben, denn in deren kulturell-spirituellem Verständnis kann man das Rad der durch das Karma bedingten Wiedergeburten, die durch Ursache-Wirkung Beziehungen im Bereich der Zeitlichkeit gekennzeichnet sind, entrinnen. Transzendierung würde also eschatologisch zur Befreiung führen, weil es dazu tendieren würde, das Schicksalsrad oder das Rad der Wiedergeburten anzuhalten. Psychologisch, etwa im Verständnis des Weisen Krishnamurti, führt die Transzendierung der Zeit und somit des Mentalbereichs, der in der Zeit entstanden ist, zur Dekonditionierung des Menschen, also zur Befreiung von seinem gesamten mentalen Ballast und somit zu einer Form des reinen Bewusstseins; einer höchst denkbaren psychologischen Hygiene. Diese Erlösung des Menschen von innen her geschieht über den psychologischen Sieg über die psychologische Zeit, während die christliche basierte Erlösung als ein Akt der Gnade Gottes ebenso den Sieg über die Zeit involviert und nicht menschliches Verdienst ist. Beide Ansätze suchen das Heil des Menschen, der eine ist vorwiegend anthropozentrisch, der andere eher theozentrisch. New Age Synkretismus sucht bisweilen beide zu amalgamieren, insbesondere im Westen, durch innere Techniken. Doch selbst der Dalai Lama weist jene Wahrheitssucher auf die Erfordernis der vorrangigen Erkenntnis der eigenkulturellen Wege hin.

Aufgrund der oben erwähnten Interdependenz kann die Reflektion der Zeit und die zeitliche Strukturierung des Menschen über zyklische Rituale eine positive Wirkung auf seinen psychischen Zustand haben, sofern die Reflektion konstruktiv ist und die Rituale angemessen gelebt werden. Insofern können die Zeit auf natürliche Weise strukturierende Rituale und Feste, wie beispielsweise die Rituale Weihnachten, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten die seelische Gesundheit fördern, während ihre inhaltlichen Botschaften den Menschen zusätzlich geistig-religiös strukturieren und sein gesamtes Wesen positiv prägen helfen, sodass schließlich eine katholische oder andersreligiöse kulturelle Identität entsteht. Insofern ist die Religion eine maßgebliche Komponente der kulturellen Identität des Menschen und aufgrund ihrer lebenslangen Verstärkung im Wege der zyklischen Rituale ist sie sowohl bis ins Unterbewusstsein hinein tief verankert, als auch hoch emotionalisiert, was die interkulturelle und interreligiöse Herausforderung plausibel und deren scheinbare Irrationalität verständlich macht, wenn auch nicht rechtfertigt, da der Mensch, wie gesagt, durch die tiefere Erkenntnis der Zeit die kulturell-religiöse Konditionierung durchaus zu steuern vermag, statt von ihr gesteuert zu werden.

Die altgriechische Mythologie gibt uns, basierend auf Ch. Hampden-Turner, mit den drei Göttern der Zeit, die drei komplementäre Aspekte der Zeit symbolisieren, Aufschluss darüber, dass und wie man diese drei Dimensionen der Zeit im Sinne des Menschen synchronisieren kann. Die Zeit der Uhr oder die sequenzielle Zeit (Chronos), die zyklische Zeit der Natur (synchrone Zeit) und deren Konvergenz und Synergie mit der Bedeutung der Erneuerung und der kreativen Zeit (Phanes). - Auch in der chinesischen Kultur sind, laut Ch. Hampden-Turne, die komplementären Aspekte der Zeit in den Begriffen li und ji vorhanden. - Da der dritte mythologische Gott einem Ei entspringt und er für Erneuerung steht, kann er uns sinnfällig an die mit der Osterzeit verknüpften Erneuerungssymbolik des Ostereis erinnern, jene der saisonalen Frühlingszeit, wie auch der inneren.

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Details

Titel
Osterkultur - Temporale Aspekte einer Auferstehungs- und Heilskultur
Autor
Jahr
2012
Seiten
15
Katalognummer
V191532
ISBN (eBook)
9783656167051
ISBN (Buch)
9783656566373
Dateigröße
510 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rituale, Feste, Jahreskreis, Kirche, Bibel
Arbeit zitieren
D.E.A./UNIV. PARIS I Gebhard Deissler (Autor:in), 2012, Osterkultur - Temporale Aspekte einer Auferstehungs- und Heilskultur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/191532

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