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Abstract
The aim of this contribution is twofold: First, it shows methodologically an ethnographic mode of research that we call co-laborative. This mode enables new forms of reflexivity in European Ethnology and makes them analytically productive. Second, we argue on the basis of such a co-laborative research with social psychiatry that the dominant analytical dichotomies of the social and cultural sciences - namely normal vs. pathological or care vs. control - only insufficiently describe today's psychiatric treatment processes. Our ethnographic material shows how 'normal everyday life' is choreographed in hospitals for therapeutic purposes, and how this choreographing becomes problematic in post-clinical everyday lives. On the basis of these findings we discuss the extent to which a practice theoretical approach can extend the established critique of subjectification by focusing on the processuality of psychiatric treatment and thus problematizing the multiple embeddedness of the production of everyday life in clinical and urban environments.
Keywords: collaboration, choreography, psychiatry, theory of practice, everyday life, city
Psychiatrie und die Untersuchung sozialer und kultureller Ordnung
Die Rolle psychiatrischer Forschung und Behandlung in der Konfiguration moderner Gesellschaften ist umfassend diskutiert worden. Auch wenn in der Zeitschrift für Volkskunde in den letzten vierzehn Jahren allerdings kein Artikel zum Thema Psychiatrie erschienen ist, beschränken wir uns in diesem Beitrag zum einen auf eine Skizze der Veränderungen der psychiatrischen Landschaft in Deutschland seit den ausgehenden 1960er-Jahren. Zum anderen legen wir knapp für denselben Zeitraum den dominanten Denkstil der Sozial- und Kulturwissenschaften dar. Wir möchten damit erstens verdeutlichen, inwieweit ethnografische Untersuchungen psychiatrischer Praxis zunehmend über Kliniken hinaus Fragen nach der Herstellung von sozialer und kultureller Ordnung aufwerfen. Zweitens möchten wir darauf hinweisen, dass die Sozialpsychiatrie sich im Laufe der letzten vierzig Jahre zentrale Teile der sozialwissenschaftlichen Kritik angeeignet hat. Somit befinden sich Psychiatrie und Sozial- und Kulturwissenschaft in einer neuen Konstellation, in der eine Art doppelte Hermeneutik nicht mehr zu ignorieren ist: Sozial- und kulturwissenschaftliche analytische Konzepte haben Eingang in psychiatrische Alltage gefunden. Damit sind dialektische Formen der Kritik herausgefordert, die auf kritischer Distanzierung basieren. Wir entwerfen in diesem Beitrag ein neues Verhältnis zwischen den beiden Feldern. Psychiatrie wird darin im doppelten Sinne ein produktives ethnologisches Forschungsfeld: als eine Art ,lebensweltliches Labor', in dem die Arbeit an der (Wieder-) Herstellung von Alltäglichkeit, Normalität, (,gesunder')...