Zusammenfassung
Im 18. Jahrhundert kommt ein historisch neuer Typus des Festes auf: das Bundesfest als Gründungsakt. Im Zuge der Dekorporierung wird das Fest zum Medium bürgerlicher Assoziation, die allmählich auf das Politische ausgreift. Im Kontext der Verzeitlichung im 18. Jahrhundert entbindet sich das Fest seiner vormaligen Funktion zyklischer Zeitreproduktion und bildet eine futurisch-utopische Form aus. Dabei avanciert der Eid, der entinstitutionalisiert wird und als universales Kohäsionsritual Verbreitung findet, zum zentralen Element einer Dramaturgie feierlicher Kommunion, in der das Fest als epochaler ›Übergangsritus‹ den Zeitenumbruch zu imaginieren und zu forcieren sucht. Von der Ebene bürgerlicher Sozialbeziehungen steigt dieser neue Festtypus mit der Französischen Revolution auf die Ebene (kosmo-)politischer Repräsentation auf.
Abstract
In the 18th century a new type of feasts evolve: the covenant festival as a founding act. As the corporative society dissolves, the bourgeoisie uses festivals as an instrument of social cohesion. Those associations gradually promote a political claim. Since modern society develops linear and progressive time patterns (temporalization), the festivals lose the task of cyclically reproducing time. Instead, the new utopian festivals seek to imagine and to push the turn towards a new age. They therefore fulfill the function of modern ›rites of passage‹. Being detached from institutions and becoming a ritual of universal social cohesion, the oath becomes the crucial element of the festivals’ dramaturgy seeking social fusion. From the social sphere, the bourgeois covenant festivals rise to the level of political representation in the French Revolution.
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I.
einleitung: das ende der feste?
Das Fest erfährt im ausgehenden 18. Jahrhundert einen Bedeutungsverlust. Die Moderne, so das Diktum, sei eine Zeit ohne FesteFootnote 1, das heißt ohne solche, die eine sinntragende Bedeutung für das ganze Gemeinwesen besäßen.Footnote 2 Im Zuge der Dynamisierung des gesellschaftlichen Zeithorizonts und der Auflösung korporativer Sozialstrukturen verliert das Fest seine strukturierende Funktion für die zeitliche und soziale Ordnung der modernen Gesellschaft.Footnote 3 Es zieht sich einerseits in die Privatsphäre zurück und wird andererseits im öffentlichen Raum als Propagandainstrument genutzt.Footnote 4
Die Literaturgeschichte des Festes indes verzeichnet im 18. Jahrhundert, im Kontext etwa von Freundschaftsbünden und Anakreontik, gerade einen Höhepunkt. In dem Maße nämlich, wie das Fest als Gemeinschaftsregulativ verdrängt wird, tritt es in das Feld des ästhetischen Selbstverhältnisses der Subjekte. Da die empfindsame Geselligkeit, in der es kultiviert wird, in besonderem Maße in eine bürgerliche Schriftkultur eingebunden ist, sind Briefe, Gedichte, Bundesbücher usw. wesentliche Quellen der Festkultur. Insofern stellt die Literaturwissenschaft eine Schlüsseldisziplin für die Erforschung des Festes im 18. Jahrhundert dar.
Ich möchte daher im Folgenden aufzeigen, wie das Fest im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts als soziale Praktik intimer Assoziation auf die Ebene der politischen Repräsentation aufsteigt. Von den bürgerlichen Freundschaftsfesten über die Bundesfeste der semiöffentlichen Geheimgesellschaften bis hin zu den Staatsfesten der Französischen Revolution zieht sich so eine Linie, die den tieferliegenden gesellschaftlichen Wandel (Dekorporierung, Verzeitlichung, Politisierung) und die damit einhergehenden Subjektivierungsformen widerspiegelt. Die sozialgeschichtliche Verortung, die ich vornehme, macht die Bedeutung sinnfällig, die dem Fest als symbolischer Darstellungsform im 18. Jahrhundert überhaupt eignet.Footnote 5
Im Folgenden möchte ich zunächst vom Endpunkt der Entwicklung, von den Festen der Französischen Revolution, ausgehen, die die Festlichkeit auf Basis der neuen Prinzipien der politischen Kultur (Volkssouveränität, kommunikative Öffentlichkeit, nationale Identifikation) inszenieren (II. Das Revolutionsfest). Sodann möchte ich zeitlich zurückgehen und zeigen, dass die Revolutionsfeste in der Assoziationsform des Bundes verankert sind, die das Bürgertum im Zuge der Auflösung korporativer Ordnungsstrukturen verstärkt im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ausbildet. Die Freundschaftsbünde, die ihr Empfindsamkeits- und Tugendmodell als moralischen Überlegenheitsanspruch reflektieren, reklamieren dabei zunehmend einen politischen Anspruch (III. Die Assoziationsbewegung). Diese allmähliche Politisierung schlägt sich in der eschatologischen Aufladung und der damit einhergehenden Zukunftsausrichtung des Bundesfestes nieder. In Form des Gründungsaktes bildet sich das Fest dabei äquivalent zum politisch-rechtlichen Vertragsmodell als Stiftungsfigur der Vergemeinschaftung heraus (IV. Der Gründungsakt). Das zentrale Element des Bundesfestes ist der Eid, der im 18. Jahrhundert entinstitutionalisiert wird und im Zuge der bürgerlichen Bewegung Verbreitung findet als Ritual sozialer Assoziation. Ausgehend von Werken der Bildenden Kunst (insbesondere J.L. Davids, der auch als wichtigster Festveranstalter der Revolution gilt) soll gezeigt werden, wie Eid und Bund zur Idee des Gründungsaktes einer neuen Epoche aufsteigen. Kraft einer Dramaturgie der Begeisterung setzt das Fest, von den bürgerlichen Praktiken bis zur Französischen Revolution, eine propulsive Aufbruchsbewegung ins Werk (V. Der Eid). Schließlich soll der Festkulturwandel in Hinblick auf den Zeitlichkeitswandel im 18. Jahrhundert kontextualisiert werden (VI. Schluss).
II.
das revolutionsfest: volkssouveränität – volksaffektivität
Am 14. Juli 1790 wird in Paris scheinbar eine neue Ära in der abendländischen Geschichte des Festes eingeläutet. Das große Föderations- oder – im älteren deutschen Schrifttum: – Bundesfest initiiert die Ära neuer Massenfeste, mit deren Hilfe sich die Idee nationaler Einheit verfestigen soll. Offiziell als Jahresfeier des Sturms auf die Bastille veranstaltet, ist das Föderationsfest eine Art Gründungsakt der Nation. Durch Eid binden sich Militär, Volksvertretung und König an die Interessen der Nation und die noch ausstehende (von der Konstituante zu erarbeitende) Verfassung, woraufhin das Volk mit »quinze cens mille voix« – eine Zahl, die maßlos übertrieben ist – in den Eid einstimmt und den Staatsakt zur Fusion der gesamten Nation erweitert: »Je le jure« – »& ce serment a retenti jusqu’aux extrémités de la France.«Footnote 6 Der Eid ist damit weniger ein institutioneller Rechtsakt als ein symbolischer Gründungsakt der Nation, die tatsächlich auf eine virtuelle Weise anwesend ist: Überall im Land finden zu gleicher Zeit Föderationsfeste statt, die den Eid mitsprechen lassen und ihn zu gleicher Zeit mit einem Kanonenschuss besiegeln.
Die Kritik, die das Föderationsfest insbesondere aus dem linkspolitischen Spektrum auf sich gezogen hat – nämlich, dass es das Volk als Staffage eines klassischen Staatsaktes marginalisiert habeFootnote 7 –, bestätigt indes, selbst in der (vorgeblichen) Verfehlung, das Postulat des neuen Festdiskurses: Mit der Verdrängung der Königs- durch die Volkssouveränität stellt sich die Aufgabe, das Volk als Souverän im Fest zu ›repräsentieren‹. Doch in dem Maße, wie Repräsentation in dem von Habermas beschriebenen Übergang von der repräsentativen zur kommunikativen Öffentlichkeit als Darstellungsprinzip obsolet wird, muss die politische Repräsentation das Paradigma der Kommunikation, die die »sozialintegrative Kraft«Footnote 8 der neuen Gesellschaftsordnung darstellt, zur Geltung bringen.
Wenn dabei zwar die politische Willensbildung den öffentlichen Diskurs räsonierender Bürger voraussetzt, so ist die Konstitution des politischen Körpers im ausgehenden 18. Jahrhundert aber nicht denkbar ohne eine präpolitische (soziale und emotionale) Vergemeinschaftungsbasis. Tatsächlich verfestigt sich das Ideal kommunikativer Öffentlichkeit zunächst in der empfindsamen Kommunikation im Rahmen intimer Sozialbeziehungen wie der Freundschaft. Das Ideal der Kommunikativität ist daher einerseits auf die politische Willensbildung, andererseits auf die empfindsame Gemeinschaftsbindung bezogen. Kulminiert das eine in der Vertragsidee (Kommunikation der Willen), so findet das andere sein wesentliches Medium im Fest (Kommunikation der Herzen). Denn in dem Maße wie korporative Ordnungsstrukturen sich auflösen, wird emotionale Bindung zu einem wesentlichen sozialen Kohäsionsmittel, das insbesondere in der Freundschaft geübt wird.Footnote 9
Die Staatsfeste übertragen das Modell empfindsamer Kommunikation, das sie in den Freundschaftsfesten vorfinden, auf die politische Bühne. Reine politische Repräsentation wird demnach aus dem Fest verbannt: Die neuen Feste müssen alles Feierlich-Zeremonielle zugunsten des Festlich-Empfindsamen auflösen. Damit ist eine Wende in der Kulturgeschichte des Festes markiert. Der vormalige Vorrang der Feier (Herrscherfeier, Ritual) gegenüber dem Fest, das in der Geschichte immer zur Beigabe oder zum Stör- und Bedrohungsfaktor (›Volksergötzungen‹, Karneval) marginalisiert wurde, wird umgekehrt. Das Volk stellt nun nicht mehr, wie in der repräsentativen Öffentlichkeit, die bloße Kulisse für die politische Selbstdarstellung der Herrschenden und Eliten dar,Footnote 10 sondern wird zum eigentlichen Gegenstand des Festes. So ergreift die Idee der Selbstreferenzialität des Festes, das keinen anderen Inhalt als den Selbstgenuss des sich selbst präsenten Volkes haben soll, den Festdiskurs.Footnote 11 Von einer bloßen Ersetzung des Königs- durch den Volkskörper im Rahmen einer gleichbleibenden Festrepräsentation kann insofern nicht die Rede sein: Im Unterschied zur allegorischen Darstellung des Staatskörpers stellt das neue Fest eine symbolische Darstellungsform dar, weil in ihm die Konstitution der Nation nicht nur repräsentiert werden, sondern in der empfindsamen Vereinigung ›Realpräsenz‹ haben soll.
Indem die Festdarbietungen der Französischen Revolution aber de facto in jene Repräsentation zurückfallen, die sie an den höfischen Festen kritisiert hatten, erfährt das Fest, was für die politischen Visionen insgesamt gilt: Es wird in die Literatur verlagert und dort verhandelt. So wird um 1800, wie Patrick Primavesi gezeigt hat, das Theater zum Stellvertreter des Festes, das als authentische kollektive Präsenz dem Gefühl mangelnder Gemeinschaft Abhilfe schaffen sollte.Footnote 12 Damit ist eine Tendenz eröffnet, die das Theater »als Fest und Festkritik, als eine sich selbst reflektierende Form von Öffentlichkeit« begreift.Footnote 13 Im Folgenden soll nun der historische Anfang betrachtet werden, da die Idee des Festes als authentische Gemeinschaftsstiftung begründet wurde: in der Praxis der Freundschafts- und Bundesfeste ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
III.
die assoziationsbewegung: freundschaft und bund
Das 18. Jahrhundert bringt eine Vielzahl von Gruppenbildungen hervor. Im Zuge der Dekorporierung – für das literarische Milieu ist insbesondere die Entstehung einer Schicht geistiger Freiberufe von BedeutungFootnote 14 – handelt es sich um das Bestreben der Neubildung sozialer Ordnungsstrukturen.Footnote 15 Diese Assoziationen werden als »Modellversuche demokratischer Organisation«Footnote 16 erprobt und ermöglichen im Zuge der gesellschaftlichen Mobilisierung das Zusammenkommen unterschiedlicher Stände, Berufe und sozialer Schichten. Tragen sie damit einerseits zur Loslösung aus regionalen Bindungen hin zu abstrakten Großgruppen bei, so verleihen sie andererseits der globalen Bezugsgruppe Konkretion.Footnote 17
Einen Höhepunkt erreicht die Assoziationsbewegung in den 1770er Jahren.Footnote 18 Vor allem im Anschluss an den Dichterbund des Göttinger Hains, der 1772 gegründet wird, vervielfachen sich die Freundschaftsbünde, in denen, wie Koselleck schreibt, »nicht zuletzt jene Sprache gefunden wurde, die dann das geistige Klima der sich herausbildenden bürgerlichen Nation geschaffen hat«.Footnote 19 Der Göttinger Hainbund steht im Kontext einer verstärkten Politisierung der Freundschaftsbünde, die zahlreich schon seit der Jahrhundertmitte entstehen, aber erst im letzten Drittel des Jahrhunderts im Zuge eines wachsenden bürgerlichen Selbstbewusstseins eine progressive Schlagrichtung annehmen.Footnote 20
Damit wird Freundschaft ins Eschatologische erhoben und zum ›Bund‹ überhöht, der zum »Symbol und Einungsbegriff neuer gesellschaftlicher und geselliger Betätigung«Footnote 21 wird, wobei die eschatologische Bedeutungsdimension zunehmend zugunsten eines »gesellschaftlichen Organisationsbegriff[s]« konkretisiert wird.Footnote 22 Indem der Bundbegriff ein breites Kontinuum von Assoziationen umfasst,Footnote 23 ermöglicht er die Analogisierung von kleinen Intim- und utopischen Universalbünden und trägt auch immer ein Moment der missionarischen Selbstüberschätzung in die Freundschaftsbünde hinein.Footnote 24 So kann sich etwa der Göttinger Hainbund als eine der Zeit vorausgehende »Avantgarde«Footnote 25 eines kommenden Nationalbundes und als poetische »ecclesia militans«Footnote 26 begreifen.
In der Sozialform der Freundschaft – aber auch der Familie – kultiviert das Bürgertum dabei seinen moralischen Überlegenheitsanspruch. Denn die Authentizität empfindsamer Kommunikation, die man dort zu üben beansprucht, wird den künstlichen Codes der höfischen Kommunikationskultur entgegengesetzt und als sittliche Überlegenheit reflektiert.Footnote 27 Wie Koselleck in Kritik und Krise gezeigt hat, handelt es sich um eine moralische Kompensationsstrategie, die dem Missverhältnis von ökonomischer Bedeutung und politischer Entmachtung des Bürgertums entspringt und die immer mehr auch auf einen politischen Anspruch drängt, indem sie die Ständeordnung durch den Verweis auf ihr moralisches Defizit infrage stellt.Footnote 28 Der patriotische, antiaristokratische Tugendanspruch des Freundschaftskonzepts wird dabei gebündelt in der Idee des Bundes:
Sich seines Vaterlandes freun,
Der Tugend sich und Freundschaft weihn,
Heist werth des deutschen Bundes seyn.
Wir lieben uns; sind hochgemuth,
Und geizen nie nach Lob und Gut,
Nur darum sind wir hochgemuth,
Daß unser Lied nur Tugend singt,
Und schaales Vorurtheil bezwingt,
Und keinem Fürsten Opfer bringt.Footnote 29
IV.
der gründungsakt: instantaneität und initiation
Charakteristisch für die Freundschaftsbünde ist dabei das Moment des bewussten Zusammenschlusses, das die Nähe zur Vertragsidee verrät und den Augenblick der Gründung exponiert. Der Gründungsakt des Bundes ist häufig mit einem vorhergehenden Erkenntnismoment verbunden. So führt etwa ein situativer Umstand dazu, dass die Menschen sich wesenhaft ›erkennen‹ und ihre innere Verbundenheit plötzlich sichtbar wird, wodurch die apriorische Verbürgung der Freundschaft mit einem Mal zutage tritt. Diese instantane ›Seelenoffenbarung‹ wird sodann in einem feierlichen Freundschaftsbekenntnis bekräftigt.Footnote 30
Man könnte hier von einer Mikrofestivität der empfindsamen Geselligkeitskultur sprechen, die schon in kleinsten Akten empfindsamer Kommunikation Festlichkeit begeht. Dies führt zur Profusion des Festlichen als elementarer Geste bürgerlicher Selbstverständigung, die mit dem steigenden Bedürfnis politischer Verortung auch der politischen Selbstdarstellung dient. Anders formuliert: Was ursprünglich als Distinktionsmerkmal zur höfischen Kommunikation diente und einen moralischen Überlegenheitsanspruch verkörperte, wird im Laufe der Zeit als ›Wesen‹ der neuen sozialen und politischen Schicht (affektiv) zur Schau getragen.
Diese Ausstellung von Festlichkeit bestimmt auch den Göttinger Hain, der sich, auch in seiner Dichtung, als Bund samt seiner Festrituale selbst thematisiert.Footnote 31 Man kann hier vom Subgenre der Bundeslyrik sprechen, die Teil der ritualisierten Schriftkultur der Bünde ist. Auch hier wird der Bundschluss in seiner Instantaneität dramatisiert. Hans-Georg Kemper spricht etwa in Bezug auf Johann Martin Millers Ode »Minnehold an Teuthard« vom »blitzartige[n] Erkennen der nationalen Identität«Footnote 32:
Es war kein Schwur; es war ein Blick
Und drauf ein Druck der Hand,
Der, Freund, im ersten Augenblick,
Mein Herz an deines band.
Der Deutsche kennt den Deutschen bald
Am offenen Gesicht,
Am Feuer, das vom Auge wallt,
Am Ton, worin er spricht.
So kannt ich dich! Es sprach dein Ton
In wenig Worten viel;
Den leeren Franzen sprach er Hohn,
Und in mein Herz Gefühl.
Da war der Bund gemacht! Da schlug
Mein Herz dem deinen zu!
Kühn sagt ich es; denn ohne Trug,
Und frei bin ich, wie du.Footnote 33
Das augenblickliche Sich-Erkennen ermöglicht den instantanen Bundschluss (»ein Blick«, »ein Druck«, »im ersten Augenblick«) und einen unmittelbaren Austausch von Innerlichkeit (»Da schlug / Mein Herz dem deinen zu!«). Der Schwur ist dabei noch trotz seiner Negation aufgerufen, die eine Überbietung zum Ausdruck bringt: Der Bindungsakt soll entkodifiziert und zugunsten einer apriorischen Verbundenheit immediatisiert werden. An die Stelle von Rechtsmitteln (Eid) tritt die transparente Offenheit der Subjekte (»Am offenen Gesicht«). Dieses Ideal einer apriorischen Seelentransparenz oder präkommunikativen Kommunikation taucht immer wieder auf.Footnote 34
Für die literarische Welt wurde der Bundschluss des Göttinger Hains vom 12. September 1772 in einem Wäldchen oder Eichenhain, vermutlich nahe dem Dorf Weende bei Göttingen,Footnote 35 zum topischen Modell der Bundgründungsfeier. Den Bundesschluss schildert Johann Heinrich Voß im vielzitierten Brief an Ernst Theodor Johann Brückner:
Ach, den 12. September, mein liebster Freund, da hätten Sie hiersein sollen. Die beiden Millers, Hahn, Hölty, Wehrs und ich gingen noch des Abends nach einem nahgelegenen Dorfe. Der Abend war außerordentlich heiter, und der Mond voll. Wir überließen uns ganz den Empfindungen der schönen Natur. Wir aßen in einer Bauerhütte eine Milch, und begaben uns darauf ins freie Feld. Hier fanden wir einen kleinen Eichengrund, und sogleich fiel uns allen ein, den Bund der Freundschaft unter diesen heiligen Bäumen zu schwören. Wir umkränzten die Hüte mit Eichenlaub, legten sie unter den Baum, faßten uns alle bei den Händen, tanzten so um den eingeschlossenen Stamm herum, – riefen den Mond und die Sterne zu Zeugen unseres Bundes an, und versprachen uns eine ewige Freundschaft. Dann verbündeten wir uns, die größte Aufrichtigkeit in unsern Urteilen gegeneinander zu beobachten, und zu diesem Endzwecke die schon gewöhnliche Versammlung noch genauer und feierlicher zu halten. Ich ward durchs Los zum Ältesten erwählt. Jeder soll Gedichte auf diesen Abend machen, und ihn jährlich begehn.Footnote 36
Höltys neunstrophiges Gedicht »Bundsgesang, im September 1772« nimmt in freier Anverwandlung Bezug auf das Gründungsereignis. Die empfindsame Vereinigung wird vermittelt durch die nationale Idee: »[…] Vaterland, Vaterland / Tönt jede Lippe, Vaterland, Vaterland, / Brennt jeder Busen, Brüderherzen / Flammen entgegen den Brüderherzen« (Ludwig Hölty, »Bundsgesang«, 68, V. 1–4). Durch den Schwur bezeugen die Bundesbrüder ein vaterländisches Tugendethos, das, jedenfalls äußerlichFootnote 37, als Abgrenzung insbesondere gegen das Feindbild des französischen Nachbarlandes mitmotiviert ist: »Ihr knieet nieder, schwöret dem Laster Hohn, / Den Schändern eurer Fluren, die Galliens, / Und jedes Auslands Kette schleppen, / Schwöret ihr Hohn, und der Tugend Huldung« (V. 5–8).
Danach folgt das eigentliche Initiationsritual, indem das Ich weihevoll in die Reihe seiner Brüder aufgenommen wird: »[I]hr winket mich / In eure Weihe; windet den Eichenkranz / Um meinen Schlaf, um meine Harfe, / Gebt mir den Handschlag der deutschen Treue« (V. 9–12). Es folgt der Eid, der dem Vaterland (letztlich als Zukunftsvision) gilt und rituell bekräftigt wird (Kuss, Handschlag): »Noch einen Rundkuß, Brüder, bevor mein Eid / Dem Vaterlande huldet, und Tugend dir, / Noch einen Handschlag vor den Augen / Gottes, der unsichtbar um uns wandelt« (V. 13–16). Von transzendenter Warte gesegnet wird der Eid durch göttliche Instanz (»Eloa schaut / Von seinem Throne nieder, und segnet uns« [V. 17 f.]) und durch die biologischen und symbolischen Väter des Vaterlandes (»Die Geister unsrer Väter schweben / Lichthell und säuselnd um unsre Häupter« [V. 19 f.]).
Das Bundesfest, das als Gründungsakt auf ein Telos der Befreiung ausgerichtet ist, stellt einen neuen utopisch-futurischen Festtypus dar. Der Eid wird dabei zum zentralen Mittel prospektiver Zukunftsbeschwörung. In ihm kondensieren die Politisierung des Bürgertums, die die Überhöhung der Freundschaft zum Bund bedingt, und die Futurisierung seines Zeithorizonts. Ob es sich bei den Bünden um ein rein ästhetisch-eskapistisches Phänomen handelt oder ein echter politischer Impetus am Werk ist – das ist kontrovers diskutiert worden.Footnote 38 In jedem Fall aber lässt sich in den Bünden eine bürgerliche Selbsterhebungsstrategie erkennen, die mit Subversionsphantasien und Virilitätsvorstellungen spielt. In der Bundeslyrik des Göttinger Hains werden die politischen Ziele dabei als Vision in die Zukunft aufgeschoben, die erst die Nachfolgegenerationen (metonymisch verkörpert im Enkel) erleben werden. Die zeitliche Zielgerichtetheit erschöpft sich in einem allgemeinen Verweis auf politischen Aufbruch und eine bessere Zukunft, der so abstrakt bleibt wie die Ewigkeit, auf die man den Bund schwört (»Der Bund ist ewig«Footnote 39). Das zeigt aber eines: Wenn der politische Gestus der Freundschaftsbünde sich auch eher in spielerischen Phantasien über den zukünftigen Umsturz erschöpft, so offenbart sich damit der Primäreffekt der ›Politisierung‹: Er besteht in der Verzeitlichung – während umgekehrt die Politisierung selbst durch die (zeitliche) Mobilisierung tieferliegender gesellschaftlicher Verhältnisse begründet ist. Der politische Anspruch reklamiert so einen Zeithorizont, der zum Imaginationsraum zukünftiger Befreiung wird und in zeitlichen Stiftungsfiguren wie dem Eid, der Initiation und dem Gründungsakt Gestalt annimmt. Zukunftsorientierung und politischer Anspruch gewinnen durch die ästhetische Einübung an Konkretion und nehmen somit zunehmend bewusstere Form an. Statt die Freundschaftsbünde also in der Geste kritischer Dekuvrierung als bloßen Eskapismus einer gruppensozial gelebten Empfindsamkeit abzutun, muss man sie und ihre Feste als Mittel verstehen, das Politische gruppendynamisch zu subjektivieren und in die Selbstdarstellung der Gefühlswelt von Individuum und Gruppe zu überführen. Somit haben die Bünde einen wesentlichen Anteil an der Politisierung, deren ästhetische und affektive Codes in den Bundesfesten als neuem Festtypus des 18. Jahrhunderts eingeübt und verfestigt werden.
V.
der eid: epochaler gründungsakt und dramaturgie der begeisterung
Das wichtigste Element des feierlichen Bundschlusses ist der Eid, der den Bünden eine quasi-rechtliche Form zu verleihen scheint. Der Eid wird dabei im 18. Jahrhundert von einem im engeren Sinne rechtlichen Geltungsbereich in die soziale Sphäre verlagert. Während er in der Frühen Neuzeit die eigentliche Funktion politischer Herrschaftskonstitution an Naturrecht und Vertrag verliert und nur mehr ein rituelles Supplement darstellt,Footnote 40 erhält er im Zuge der Assoziationsbewegung Bedeutung als soziales Gelübde freier und gleicher Subjekte.Footnote 41 Die Entinstitutionalisierung des Eides bedingt so seine Konjunktur als universalisierten Kommunikationscode. Als Einschwörung der Schwurgemeinschaft (coniuratio) ist er dabei auch verschwörerische Aufbruchsbewegung, die auf das Politische ausgreift und somit zeitliche Dynamik besitzt.Footnote 42
Im Eid drückt sich auch die Wahrhaftigkeitsmaxime aus, die dem politischen Anspruch (als einem zugleich moralischen) eignet. Marcus Twellmann beschreibt in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Wahrsprechens, die der Eid für das politische Ethos in der Aufklärung hat. Er bringt dies mit dem Konzept der Parrhesie in Verbindung, die Foucault definiert als »eine verbale Tätigkeit, bei der der Sprecher seine persönliche Beziehung zur Wahrheit ausdrückt und sein Leben aufs Spiel setzt, weil er das Wahrsprechen als eine Pflicht erkennt«.Footnote 43 Die Bindung des politischen Anspruchs an Wahrheit, die den Sprechakt des Wahrsprechens im Eid bestimmt, enthebt den bürgerlichen Eid einer rein politischen Ebene und begründet ihn durch die Referenz auf Wahrheit vielmehr metapolitisch. Dies verbürgt die Geltungskraft des Eides im Kontext der emanzipatorischen Bürgerbewegung. Gleichzeitig stellt der Eid damit eine Praktik bürgerlicher Subjektivierung dar, die es dem Bürger erlaubt, sich, in einem Moment der Transparenz von äußerem Sprechakt und innerer Haltung, als wahrhaftiges Subjekt zu identifizieren.
Auch in den Bildenden Künsten findet die kämpferische Eidszene als emanzipatorische Aufbruchsgeste des Bürgertums Darstellung.Footnote 44 In Johann Heinrich Füsslis Gemälde »Die drei Eidgenossen beim Schwur auf dem Rütli« (zwischen 1779 und 1781) gilt der Eid (die zum Schwur erhobene Rechte), der den Bund zwischen freien und gleichen Bürgern schließt (die zum Handschlag zusammengetane Linke), dem Befreiungskampf (die auf das Schwert gerichteten Blicke). Der Einbruch des Lichtes, das die dunklen Wolken auseinanderstiebt, symbolisiert den Anbruch eines neuen Zeitalters. In den Nimbus dieses Lichtes gehüllt, wird das Schwert zum weihevollen Hoffnungsträger, dieses Zeitalter zu erkämpfen. Auch in Davids »Schwur der Horatier« von 1784 konvergieren die Blicke im Bildelement des Schwertes. Die Waffen zum Kampf überreicht hier der Vater seinen Söhnen, die den Eid schwören, für das Vaterland zu siegen oder zu sterben. Durch den Rückgriff auf den römischen Republikanismus wird der neue bürgerliche Republikanismus zur Darstellung gebracht. Davids Inszenierung des Eides stellte für die Französische Revolution, so Juliane Vogel, »ein chorisches und paraliturgisches Vollzugsmuster zur Verfügung, das sich als republikanisches Ritual schlechthin qualifizierte«Footnote 45 und die Fest- und Eidinszenierungen vom »Medium des Tableaus« und einer »szenisch prägnanten Bildlichkeit«Footnote 46 her prägte.
Dergestalt in der politischen Vorstellungswelt verankert, steigt der Eid in der Französischen Revolution von der unterschwelligen Ebene sozialer Praktiken auf die Ebene der politischen Repräsentation auf.Footnote 47 Gleichzeitig wird die Idee des Gründungsaktes auf die Ebene geschichtlicher Narrative übertragen. Im »Ballhausschwur«, an dem David von 1790 bis 1794 gearbeitet hat, bevor das Projekt durch die politische Entwicklung obsolet wurde, wird der Schwur der Deputierten, sich nicht zu trennen, ehe eine Verfassung verabschiedet worden ist, zu einem Gründungsakt der Revolution, der Nation und des neuen Zeitalters (vgl. Abb. 1). Der Zusammenschluss zur Nationalversammlung präfiguriert den Bund der Nation, deren Verwirklichung jene in ihre Verantwortung nimmt. Entsprechend tritt das Volk nicht nur als Zeuge, sondern als Teil des universal gedachten Bundes auf die Fensterbank des Jeu de Paume, dessen Vorhänge vom Aufwind der Geschichte nach innen gestoben werden.
Dabei wird das Kämpferische ins Werk gesetzt, das der Willensresolution der coniuratio eignet. In Haltung und Pose an klassizistische Vorbilder gemahnend, stellt David die Deputierten als Krieger, als neue Römer und Horatier dar. In seinen Entwürfen studiert er sie mithin nackt, von olympischer Statur; einige von ihnen tragen Helme, Schilde, Schwerter oder Lanzen.Footnote 48 In der Mitte der rechten Bildhälfte greift der auf einem Stuhl stehende Dubois-Crancé mit der Linken schon zum Degen, während er mit der Rechten in Richtung Baillys schwört. Die Losung dieser wagemutigen Deputierten könnte gut lauten: ›La constitution ou la mort!‹
Wie in den Bundesfesten tritt das Festliche in der Ausstellung der Gefühlsbewegung zutage. In Umarmungen, Herzungen, Handschlägen, Freudenbekundungen und Vivatrufen teilen die Deputierten die unbändige Freude angesichts des epochalen Augenblicks. Gefühlsregungen und empfindsame Kommunikation, die im Bildvordergrund individuell zuordenbar dargestellt sind, aggregieren sich im Bildhintergrund zu einem verschmolzenen Kollektiv, dessen emotionale Aufwallung in »Wellenbewegungen«, wie Starobinski es beschreibt, ins Werk gesetzt ist.Footnote 49
Deutlich ist damit das Schema der bürgerlichen Bundesfeste aufgenommen: Die Fusion zur Gemeinschaft per Gründungsakt (durch den Schwur) wird von einem instantanen Gefühlsausbruch bekräftigt, der den zeitlichen Sog einer kämpferisch-propulsiven Aufbruchs- und Überwindungsbewegung hin auf eine neue Zeit schafft.
VI.
schluss: festwandel – zeitlichkeitswandel
Gerade in Hinblick auf den letzten Punkt zeigt sich, dass der Festwandel eng verzahnt ist mit dem Zeitlichkeitswandel im 18. Jahrhundert. Die politische Imagination vom Umbruch des Systems geht einher mit einem Zeitregime, dessen Zukunftsausrichtung einen neuen utopisch-futurischen Festtypus hervorbringt. Es handelt sich dabei nicht bloß um eine Spezialform des Festes im Kontext der akuten sozialpolitischen Entwicklung, sondern um einen tiefgreifenden Wandel in der langfristigen Kulturgeschichte des Festes, der für sie so einschneidend ist wie die Sattelzeit für die europäische Geschichte im Allgemeinen. Er transformiert grundlegende Funktionslogiken des Festes, die über Jahrtausende hinweg eine – zumindest grundsätzliche – Kontinuität des Festes begründet hatten.
In vormodernen Gesellschaften hatte das Fest einerseits die Funktion einer rhythmischen Gliederung und Strukturierung des öffentlichen Lebens im Rahmen einer einförmigen Zeitordnung. Andererseits hatte es, insbesondere von volkstümlicher Tradition her, die Funktion, die Zeit durch wiederkehrende Subversion zyklisch zu erneuern und damit letztlich die gesellschaftliche Ordnung zu stabilisieren. Im 18. Jahrhundert bedingen die Auflösung sozialer Ordnungsstrukturen, ein erheblicher Bevölkerungsboom, das Erstarken des Bürgertums und neue Produktionsweisen eine Beschleunigung der Lebensverhältnisse, die zu einem Auseinandertreten von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont führenFootnote 50. Die Auflösung eines gleichförmigen Lebenszusammenhangs geht einher mit der Kontingentwerdung der Zukunft und fordert ihr zugunsten einen gesellschaftlichen »Führungswechsel der Zeithorizonte«Footnote 51. Die Dynamisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse disponiert dabei die Politisierung des Bürgertums und die Futurisierung seines Zeithorizonts. So wird auch das Fest durch eine zukunftsgerichtete, quasi-eschatologische Zeitperspektive aufgeladen und zu einem epochalen ›Übergangsritus‹Footnote 52, der die Zeitenwende zu inszenieren und zu forcieren hat. Die prospektive Imagination des Festes gewinnt dabei zunehmend an propulsiver Schlagkraft.
Das Bundesfest bildet sich vor diesem Hintergrund als eine der beiden dominanten Festtypen des 18. Jahrhunderts heraus, die beide auf die Erosion zeitlicher Kontinuität und den Abbau gesellschaftlicher Ordnungsstrukturen reagieren: Stellt der Typus des idyllischen Landfestes als träumerische Rückkehr zu einem bukolischen Landleben eine Neutralisierung von Zeitlichkeit dar, so reklamiert das Bundesfest als Utopie von der neuen politischen Gemeinschaft einen feierlichen Neuanfang in der Zukunft.
Notes
So etwa bei Jan Assmann, »Der zweidimensionale Mensch. Das Fest als Medium des kollektiven Gedächtnisses«, in: Jan Assmann (Hrsg.), Das Fest und das Heilige. Religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt, Gütersloh 1991, 13–30, hier: 27.
Vgl. etwa Joachim Küchenhoff, »Das Fest und die Grenzen des Ich. Begrenzung und Entgrenzung im ›vom Gesetz gebotenen Exzeß‹«, in: Walter Haug, Rainer Warning (Hrsg.), Poetik und Hermeneutik XIV: Das Fest, München 1989, 99–119, hier: 110.
Vgl. Winfried Gebhardt, Fest, Feier und Alltag. Über die gesellschaftliche Wirklichkeit des Menschen und ihre Deutung, Frankfurt a.M., Bern, New York, Paris 1987, 98–103.
Vgl. etwa Gebhardt (Anm. 3), 107.
Dies kann hier freilich nur knapp skizziert werden. Für eine eingehendere Darstellung vgl. Yashar Mohagheghi, Fest und Zeitenwende. Französische Revolution und die Festkultur des 18. Jahrhunderts bei Hölderlin, Stuttgart 2019.
Vgl. Confédération nationale, ou Récit exact et circonstancié de tout ce qui s’est passé le 14 juillet 1790 à la Fédération, avec le recueil de toutes les pièces officielles et authentiques relatives des principales pièces littéraires auxquelles elle a donné lieu, et le détail de toutes les circonstances qui ont précédé, accompagné et suivi cette auguste cérémonie, Paris, Jahr II der Freiheit [1790/91], insbesondere 131-137 (Bibliothèque Nationale de France [BnF], NUMM-6454605), 135-137, Zitat: 137.
Zu den negativen Stimmen vgl. etwa Jean-Paul Marat, in: L’Ami du peuple 166 (Montag, 19. Juli 1790), insb. 1078.
Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1990, 36.
Koschorke, Lüdemann, Frank, Matala de Mazza weisen indes darauf hin, dass die Vorstellung von der Schrankenlosigkeit bürgerlicher Assoziation, die etwa in der Vertrags- und Freundschaftsidee verkörpert ist, unterminiert wird von der Vorstellung nataler Zugehörigkeit zur Nation, wie sie etwa durch die Idee der Fraternität impliziert wird. Das Konzept der Natalität ziele darauf, der dekorporierten Gesellschaft wieder einen Körper zu verleihen, der vom König auf neue Entitäten (Volk, Nation, Gesellschaft) übertragen werde. Vgl. Albrecht Koschorke, Susanne Lüdemann, Thomas Frank, Ethel Matala de Mazza, Der fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas, Frankfurt a.M. 2007, 258 f.
Vgl. Habermas (Anm. 8), 17 u. 20.
Besonders eindringlich ist dieses Theorem bei Rousseau, insbesondere im »Brief an d’Alembert«, formuliert. Vgl. Jean-Jacques Rousseau, »Brief an d’Alembert über das Schauspiel«, Schriften, 2 Bde., hrsg. Henning Ritter, München, Wien 1978, I, 333–474, hier: 462 f. Bei Rousseau stellt das freudige Selbstgewahren der Menschen den eigentlichen Gegenstand des Festes dar. Der auf der Mitte des Platzes gepflanzte Baum, der die fehlende Referenz markiert und die Sicht aufeinander freigibt, schafft, wie Starobinski schreibt, »das optische Medium der Transparenz«: »die Bewußtseine werden einander rein gegenwärtig sein können, ohne daß etwas zwischen sie tritt. Wenn nichts gezeigt wird, dann wird es möglich sein, daß alle sich zeigen und daß alle zuschauen.« Jean Starobinski, Rousseau. Eine Welt von Widerständen, München 1988, 146. Derrida spricht im Anschluss an Starobinski von ›(Selbst‑)Präsenz‹. Vgl. Jacques Derrida, Grammatologie, Frankfurt a.M. 2004, 525. Für Derrida wie für Starobinski ist die unvermittelte Transparenz bzw. Selbstpräsenz des Volkes im Fest allen Vermittlungen und Repräsentationen entgegengesetzt.
Vgl. Patrick Primavesi, Das andere Fest. Theater und Öffentlichkeit um 1800, Frankfurt a.M., Köln 2008, 15. In eine ähnliche Richtung weist Caroline Pross’ Arbeit, die zeigt, wie die romantischen Autoren im Kontext des verstärkten Nationalgefühls nach 1800 sich des Dramas bedienen, um dieses als Verhandlungsort des Öffentlichen auf das Fest – als Sinnbild und Vollzug von Gemeinschaft – hin zu überschreiten. Nicht nur ist das Drama »als möglicher Bestandteil und literarischer Zusatz zu Festlichkeiten für die Allgemeinheit bestimmt«, sondern die dramatische Darstellung kann zugleich auch »zum Statthalter der lebensweltlichen Praxis des Festes aufsteigen«. Vgl. Caroline Pross, Kunstfeste. Drama, Politik und Öffentlichkeit in der Romantik, Freiburg i.Br. 2001, Zitat: 18.
Primavesi (Anm. 12), 16.
Im Einzelnen dazu vgl. Friedrich H. Tenbruck, »Freundschaft. Ein Beitrag zu einer Soziologie der persönlichen Beziehungen«, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 16 (1964), 431–456, hier: 438 f.
Vgl. Tenbruck (Anm. 14), 438 f.
Angelika Beck, »Der Bund ist ewig.« Zur Physiognomie einer Lebensform im 18. Jahrhundert, Erlangen 1981, 1.
Vgl. Thomas Nipperdey, »Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Eine Fallstudie zur Modernisierung I«, in: Thomas Nipperdey (Hrsg.), Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte, Göttingen 1976, 174–205, hier: 181 u. 185.
Vgl. Emanuel Peter, Geselligkeiten. Literatur, Gruppenbildung und kultureller Wandel im 18. Jahrhundert, Tübingen 1999, 152.
Vgl. Reinhart Koselleck, »Bund«, in: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 8 Bde., Stuttgart 1972 ff., I, 583-671, hier: 641. Während der Göttinger Hainbund zunächst eher einer rein freundschaftlichen Kommunikation gilt, ist vor allem ab 1773 eine ›politische‹ Wendung von Minneliedern und Balladen zu Vaterlands- und Tugendgesängen zu konstatieren. Vgl. Hans-Martin Blitz, Aus Liebe zum Vaterland. Die deutsche Nation im 18. Jahrhundert, Hamburg 2000, 379.
Vgl. Jost Hermand, Freundschaft. Zur Geschichte einer sozialen Beziehung, Köln 2006, 13.
Koselleck (Anm. 19), 635.
Vgl. Koselleck (Anm. 19), 643.
Vgl. Koselleck (Anm. 19), 640.
Vgl. Peter (Anm. 18), 176.
Richard Quabius, Generationsverhältnisse im Sturm und Drang, Köln, Wien 1976, 164.
Peter (Anm. 18), 177.
Vgl. Gerhard Sauder, Empfindsamkeit, 3 Bde., Stuttgart 1974 ff., I, 154–157.
Vgl. Reinhart Koselleck, Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Frankfurt a.M. 1976.
Gottlob Dietrich Miller, »Lied eines Bundesbruders«, in: Das Bundesbuch des Göttinger Hains. Edition – historische Untersuchung – Kommentar, hrsg. Paul Kahl, Tübingen 2006, 157 f.
Um für die lebensweltlichen Freundschaftsschlüsse im Literatenmilieu zwei anekdotische Beispiele zu nennen: Die Entdeckung Klopstocks durch die Bremer Beiträger etwa, die Cramer schildert, folgt dem genannten Modell: Durch die Dichtung Klopstocks wird den Beiträgern die Einsicht der ›Seelenverwandtschaft‹ offenbart, worauf die Initiation Klopstocks in die Reihe der neuen Freunde erfolgt. Vgl. Beck (Anm. 16), 57. Auch in der spontanen Szene einer Dichterverbrüderung zwischen Hölderlin und Friedrich von Matthisson, der jenen 1793 im Tübinger Stift besucht, wird die Dichtung (Hölderlins) zum Anlass plötzlicher Erkenntnis sympathetischer Verwandtschaft, worauf »der Bund der Fr[eun]dschaft« geschlossen wird. Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe, 20 Bde. u. 3 Supplemente, hrsg. Dietrich E. Sattler, Frankfurt a.M., Basel 1975 ff., II, 187.
Vgl. Gerhard Sauder, »›Bund auf ewig!‹. Der ›Göttinger Hain‹ 1772–1774«, Lenz-Jahrbuch 19 (2012), 9–47, hier: 36. Cornelia Blasberg spricht in Bezug auf die Gedichte des Göttinger Hains, die ihre eigene Genese beschreiben, deshalb auch von »Meta-Poesie«. Produktivitätstheoretisch relativiert sie die literaturhistorische Überbetonung der Genieästhetik zugunsten der Werkstatt-Arbeit des Dichterbundes. Vgl. Cornelia Blasberg, »Werkstatt am ›Strom‹ oder: Das Dädalus-Syndrom. Produktionsphantasien im Göttinger Hain«, in: Christian Begemann, David Wellbery (Hrsg.), Kunst – Zeugung – Geburt. Theorien und Metaphern ästhetischer Produktion in der Neuzeit, Freiburg 2002, 151–175, Zitat: 164. Dabei dokumentieren etwa Widmungsgedichte und persönliche Adressierungen eine »dichte Kommunikation« in den Bünden. Vgl. Blitz (Anm. 19), 379.
Hans-Georg Kemper, Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, 6 Bde., Tübingen 1987 ff., VI,3, 155.
Der Göttinger Dichterbund, 3 Bde., hrsg. August Sauer, Darmstadt 1966, II, 150 f.
So etwa, wenn der Bundschluss der sprachlichen Mitteilung entbehren kann, um allein auf der Kommunikation der Herzen zu gründen: »Es schwieg die Lippe; feuriger sprach das Herz, / Am Bruderherzen klopfend den frommen Wunsch: / Sei heilig, Bund des Vaterlandes! / Daurend, der Eiche gleich, die uns schattet.« Gottlob Dietrich Miller, »Der Bund«, in: Kahl (Anm. 29), 227. Oder ähnlich: »Der Busen schlug, es schwieg der Mund, / Wir drükten hand in hand, / Und schwuren feyerlich den Bund / Zu lieben unser Land.« Johann Martin Miller, »Der Bund«, in: Kahl (Anm. 29), 78 f.
Vgl. Kemper (Anm. 32), 141.
Der Göttinger Hain, hrsg. Alfred Kelletat, Stuttgart 1979, 349 f. Gedichte aus dieser Ausgabe werden im Folgenden unter Angabe von Autor, Gedichttitel und Seitenzahl in Klammern im Fließtext zitiert.
Klaus Manger indes übt Kritik an der Überbetonung der Feindbildthematik in den Liedern der Freundschaftsbünde. Es gehe zuvörderst »nicht um Inselbildung, sondern um soziale Verdichtung«. Vgl. Klaus Manger, »Rituale der Freundschaft. Sonderformen sozialer Kommunikation«, in: Klaus Manger (Hrsg.), Rituale der Freundschaft, Heidelberg 2006, 23–50, hier: 38.
Von der einen Seite wird dem Göttinger Hain als exemplarischem Typus der Dichterbünde eine rein kulturell verstandene Nationalidee attestiert, deren politische Visionen eher systemstabilisierend gewesen seien, und die vielmehr ein primär ästhetisches Betätigungs- und Identifikationsfeld geboten hätten. Vgl. etwa Kemper (Anm. 32), 150 u. 165 f. Vgl. auch Sauder (Anm. 31), 39 u. Quabius (Anm. 25), 132 u. 136. Dem wird von anderer Seite entgegengehalten, dass die Bewegung durch publizistische Versuche, etwa die Gründung von Zeitschriften, durch Gruppen- und Vereinsbildungen, durch Pläne für deutsche Akademien oder Gelehrtenrepubliken und die Schaffung von Nationaltheatern auch auf konkrete politische Organisationsformen zielte und in einem breiteren gesellschaftlichen Politisierungsprozess eingelassen war. Vgl. etwa Blitz (Anm. 19), 345–348.
Exemplarisch ist hier das Motto des Göttinger Hains »Der Bund ist ewig«, das die erhaltenen Bundesbücher tragen. Vgl. Kelletat (Anm. 36), 405.
Vgl. Paolo Prodi, »Der Eid in der europäischen Verfassungsgeschichte. Zur Einführung«, in: Paolo Prodi (Hrsg.), Glaube und Eid. Treueformeln, Glaubensbekenntnisse und Sozialdisziplinierung zwischen Mittelalter und Neuzeit, München 1993, VII–XXIX, hier: XXIV.
Vgl. dazu Paolo Prodi, Das Sakrament der Herrschaft. Der politische Eid in der Verfassungsgeschichte des Okzidents, Berlin 1997, 394 u. Prodi (Anm. 40), XXIVf.
Vgl. Prodi (Anm. 41), 394.
Michel Foucault, Diskurs und Wahrheit. Berkeley-Vorlesungen 1983, Berlin 1996, 19. Zum ganzen Zusammenhang vgl. Marcus Twellmann, ›Ueber die Eide‹. Zucht und Kritik im Preußen der Aufklärung, Konstanz 2010, 23.
Zum Eid in den folgenden Werken der Bildenden Kunst vgl. Jean Starobinski, 1789. Die Embleme der Vernunft, Paderborn, München, Wien, Zürich 1981, 81–85.
Juliane Vogel, Die Furie und das Gesetz. Zur Dramaturgie der »großen Szene« in der Tragödie des 19. Jahrhunderts, Freiburg i.Br. 2002, 73.
Vogel (Anm. 45), 71.
Vgl. dazu Prodi (Anm. 41), 398.
Vgl. die Entwürfe aus Davids Versailler Skizzenbuch in: Philippe Bordes, Le serment du Jeu de Paume de Jacques-Louis David. Le peintre, son milieu et son temps de 1789 à 1792, Paris 1983, hier: Anhang [o.S.], insb. Abb. 95 u. 137.
Vgl. Starobinski (Anm. 44), 84 f. Die affektierte Zurschaustellung des Gefühls geht so weit, dass Davids Schüler Étienne-Jean Delécluze den Eindruck äußert, dass die Deputierten wie in Konvulsion versetzt seien und einige von ihnen sich wie Schauspieler gebärdeten. Vgl. Bordes (Anm. 48), 38.
Vgl. Reinhart Koselleck, »›Erfahrungsraum‹ und ›Erwartungshorizont‹. Zwei historische Kategorien«, in: Reinhart Koselleck (Hrsg.), Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1989, 349–375, hier: insb. 359–361.
Niklas Luhmann, »Weltzeit und Systemgeschichte. Über Beziehungen zwischen Zeithorizonten und sozialen Strukturen gesellschaftlicher Systeme«, in: Hans Michael Baumgartner, Jörn Rüsen (Hrsg.), Seminar: Geschichte und Theorie. Umrisse einer Historik, Frankfurt a.M. 1976, 337–386, hier: 370.
Wenn ich diesen Begriff aus der Anthropologie gebrauche, der von Arnold van Gennep geprägt und insbesondere von Victor Turner weitergeführt wurde, so deshalb, weil die Feste der Französischen Revolution dem Schema eines ›einfachen‹ Wechsels von einem Zustand zum nächsten folgen (Ablösung von der alten Zeit, Angliederung an eine neue Etappe), wie er in den Übergangsriten zur Anwendung kommt. Anstatt die Gegenwart als dynamische Transformation zu begreifen, die in einem stetigen Entwicklungsprozess begriffen ist, wird sie zu einem diskreten Schwellenstadium stilisiert. Die moderne Entwicklungs- und Progresszeitlichkeit wird zum Narrativ einer adventistischen Zäsur vereinfacht. Indem die Revolution sich als régénération, als Verjüngung, begreift, die sie in den Festen darzustellen sucht, greift sie auf ein Modell zyklischer Zeiterneuerung wie in Festen archaischer Gesellschaften zurück. Wenn so etwa die Fête de l’Unité et de l’Indivisibilité vom 10. August 1793 eine ›Fontaine de la Régénération‹ in Form einer Isis-Statue (als Allegorie der Natur) aufstellt, aus deren Brüsten die Repräsentanten der Departements trinken, so greift man auf archaische Kultelemente zurück (Trankopfer, Initiationsriten, Fruchtbarkeitssymbole), die der Erneuerung der Nation die Note einer magisch-rituellen Hervorbringung von Geschichte verleihen.
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Mohagheghi, Y. Das Bundesfest als Gründungsakt der neuen Zeit. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 94, 1–15 (2020). https://doi.org/10.1007/s41245-020-00094-3
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