Totenkult auf Madagaskar


Seminararbeit, 2004

13 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Totenkult bei den Merina
2.1. Die Gräber der Merina
2.2. Das königliche Grab
2.3. Beispiel für den Ablauf einer Famadihana
2.4. Das vorläufige Begräbnis

3. Totenkult bei den Sakalava
3.1. Gräber bei den Sakalava
3.2. Das königliche „Grabdorf“[1]
3.3. Begräbnistradition

4. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Totenkult auf Madagaskar

1. Einleitung

Die Insel Madagaskar liegt im Indischen Ozean, 400 Km von der Ostküste Afrikas und ist mit ihren 590.000 km² die dritt größte Insel der Erde. Durch die verschiedenen Einwanderungswellen ist die Bevölkerung und Kultur vor allem stark von asiatischen und afrikanischen Elementen geprägt, wobei es schwierig ist die einzelnen Einflussfaktoren zu trennen. Die Bevölkerung betrug 1969 etwa sieben Millionen Madagassen, von denen 1.862.500 der Gruppe der Merina, größte der 18 ethnischen Gruppen der Insel, angehörten (Schomerus-Gernböck 1975: 785-786). Obwohl heute etwa ein Drittel der Bevölkerung Christen sind, spielt auf ganz Madagaskar die Ahnenverehrung immer noch eine wichtige Rolle. Diese Tradition spiegelt sich vor allem im Bezug zum Tod und bei Beerdigungen wieder. Der Tod wird allgemein als natürliche Folge schwerer Krankheit oder hohen Alters gesehen. Nur ein sehr plötzlicher Tod ist unnatürlich und es wird angenommen, dass er von einem bösen Feind, Zauberer oder Geist durch höhere Kräfte verursacht wurde (ebd.: 803). Vorstellungen von einem jüngsten Gericht, Fegefeuer oder Hölle existieren in der madagassischen Tradition nicht, die Toten halten sich statt dessen meist in der Nähe ihrer früheren Wohnungen auf (Schomerus-Gernböck 1992: 219). Sie können ihren lebenden Verwandten im Traum erscheinen um Gutes oder Böses zu bringen und gelten so als Mittler zwischen Gott und den Menschen. Bei Verletzungen bestimmter Tabus können sie die Betroffenen mit Krankheiten oder Mißernten bestrafen. Um sie zu besänftigen und um für ihren Segen zu bitten ist es daher üblich, Zeremonien abzuhalten, bei denen den Ahnen Opfer, meist Tiere und Alkohol, dargebracht werden (Schomerus-Gernböck 1975: 805).

Allgemein ist der Tod auf Madagaskar nicht mit Trauer verbunden, da er nicht als Ende gesehen wird, sondern lediglich als Wechsel von der Gemeinschaft der Lebenden in die Gemeinschaft der Ahnen (Roth 1994: 99). Da aber gerade diese kulturelle Transition, vom einfachen Menschen zu einem hochangesehenen und verehrten Ahnen, bei den Madagassen extrem wichtig ist, ist auch die Beerdigungszeremonie, sowie Särge, Gedenkgegenstände und das Grab selbst von höchstem spirituellen Wert. Es wird eine Gefahr darin gesehen, im Bezug auf diese Dinge den Ahnen nicht gerecht zu werden, so dass diese den Verstorbenen nicht sofort aufnehmen. Die verschiedenen Begräbnistraditionen Madagaskars sind extrem komplex und sehr unterschiedlich von Region zu Region. Um einen Überblick über die Komplexität dieser Zeremonien und Vorstellungen zu vermitteln, möchte ich in meiner Arbeit die Totenkulte in zwei verschiedenen Gruppen beschreiben. Zunächst werde ich auf die Merina im Hochland eingehen, um dann, zur Veranschaulichung der Vielfalt, beispielhaft die Traditionen der Sakalava an der Westküste anzureißen. Natürlich gibt es auch innerhalb der jeweiligen Gruppen regionale Unterschiede, die ich allerdings nicht genauer darlegen werde.

2. Totenkult bei den Merina

Das Land der Merina ist sehr hügelig und wenig ertragfähig, weshalb sich der Großteil der Bevölkerung auf die grünen, fruchtbaren Täler konzentriert. Die Merina, lassen sich in verschiedene soziale Gruppen einteilen, die durch gemeinsamen Landbesitz gekennzeichnet sind. Die Endogamie sorgt dafür, dass keine Außenseiter in die einzelnen Gruppen oder Demes[2] geraten. Auch an den Gräbern ist der starke Zusammenhalt jeder Gruppe, und die Verbindung zwischen den Menschen und dem Land, auf dem sie leben, zu erkennen.

2.1. Die Gräber der Merina

Die Gräber einer Deme werden immer auch auf ihrem Land, möglichst nahe der Wohnhäuser, gebaut, damit die Toten weiterhin einen Einblick ins Familienleben haben (Roth 1994: 99). Hierbei handelt es sich um extrem solide Familiengräber, Mausoleen, die früher aus Stein selbst gebaut wurden, heute aber von Spezialisten, aus Zement errichtet werden. Der größte Teil der Konstruktion ist unterirdisch und was herausragt ist reich verziert. Da das Grab eine Art Statussymbol darstellt ist dessen Bau oft das teuerste Unternehmen im Leben eines Merinabauern. Die Haltbarkeit des Gebäudes steht im scharfen Kontrast zur Vergänglichkeit des Lebens. Wichtigste Pflicht eines Merina ist es, sicher zu stellen, dass er oder sie und die anderen Dememitglieder alle in das selbe Grab kommen. Ist ein Grab voll, so wird ein neues daneben gebaut und um die Kontinuität zu betonen werden ein paar Leichen aus dem alten ins neue Grab gelegt. Wenn die Toten zusammen beerdigt sind, so sagt man, dann werden auch die Lebenden zusammen auf ihrem Land bleiben. Es gibt allerdings einige Personen, die von der Beisetzung im Familiengrab ausgeschlossen sind, und zwar diejenigen, die gefährlich erscheinen oder unerwünscht sind. Dazu gehören unter anderem Hexen und Zauberer, deformierte Kinder, Totgeborene, Zwillinge, Personen, die außerhalb ihrer sozialen Schicht geheiratet haben, Ausgestoßene und Leprakranke. Einige von ihnen wurden früher sofort getötet. Auf ganz Madagaskar wird als schlimmste Bestrafung aber nicht der Tod gesehen, sondern die Drohung, nicht im Familiengrab beigesetzt zu werden (Mack 1991: 76). Ein madagassisches Sprichwort besagt: „Sterben und nicht bei seinen Eltern begraben zu sein, das heißt sterben wie ein Hund“ (Decary 1962: 18).

2.2. Das königliche Grab

Das Grab ist bei den Merina keine Gedenkstätte für einzelne Verstorbene, sondern im Gegenteil, Aufenthaltsort für den gesamten verstorbenen Teil der Deme (Bloch 1981: 139). Anders ist es allerdings bei den Merina Königen. Sie sind Einzelpersonen, deren Status sich nicht aus einer Gruppenzugehörigkeit ergibt, sondern dadurch, dass sie Nachfolger bestimmter Individuen, der vorherigen Herrscher sind. Die Königsgräber stehen im Zentrum der Hauptstadt, mitten im Palast. Sie unterscheiden sich von gewöhnlichen Merina Gräbern vor allem dadurch, dass sie „von einem schlichten, oft fensterlosen Holzhaus (...) dominiert [werden], das in mehr oder minder verkleinertem Maßstab die regionaltypische traditionelle Hausform kopiert“ (Roth 1994: 101). Diese Grabhäuschen lassen sich in zwei Arten einteilen, das trano manara („kaltes Haus“), was keine Feuerstelle besitzt und für den etwas niederrangigeren Adel gebaut wird, und das trano masina („heiliges Haus“), was voll bestückt ist und nur den Herrschern und deren direkten Nachkommen zusteht. „Weder fehlen die Herdsteine noch Holz oder Feuerzeug; der Reis kann im Mörser gestoßen werden; Kochgefäße, Teller und Besteck liegen zum Essen bereit und selbst an einen ausreichenden Vorrat Zebufett hat man gedacht, damit sich die Frauen ihr Haar neu frisieren können...“ (ebd.: 102). Das „heilige Haus“ soll der Seele des Königs einen Platz zum Ausruhen bieten. Die Beigaben sind mit der Vorstellung zu verbinden, dass eine Person nach ihrem Tod die gleiche soziale Stellung und materiellen Bedürfnisse beibehält. In einem Grab werden zwar heute mehrere Könige Begraben, aber jeder kommt in einen speziell angefertigten Sarg, damit sich ihre Knochen nie vermischen können. Aus diesem Grund findet für sie auch nie eine Famadihana statt (Bloch 1981: 140).

[...]


[1] Siehe hierzu die Kritik in der Schlussbetrachtung.

[2] Bloch nennt die Gruppen „Demes“, diesen Begriff werde ich in meiner Arbeit übernehmen (Bloch 1981: 137, 138).

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Totenkult auf Madagaskar
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Veranstaltung
Proseminar: afrikanisch-asiatische Multikulturalität auf Madagaskar
Autor
Jahr
2004
Seiten
13
Katalognummer
V29399
ISBN (eBook)
9783638309110
ISBN (Buch)
9783640270224
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Totenkult, Multikulturalität, Madagaskar, Merina, Famadihana, Sakalava, Grabdorf, Totenumbettung, Begräbnisrituale, Opfergaben, Ethnologie
Arbeit zitieren
Lotte von Lignau (Autor:in), 2004, Totenkult auf Madagaskar, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29399

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